TE Vwgh Erkenntnis 2019/12/10 Ra 2019/22/0204

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Veröffentlicht am 10.12.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §38
AVG §56
NAG 2005 §2 Abs1 Z9
NAG 2005 §30 Abs1
NAG 2005 §46 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Bundesministers für Inneres gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 9. August 2019, LVwG-2016/30/2260-3, betreffend Aussetzen eines Verfahrens nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft I; mitbeteiligte Partei: A X, vertreten durch Mag. Alfred Witzlsteiner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 21/III), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Für die minderjährige Mitbeteiligte, eine chinesische Staatsangehörige, wurde ein Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gestellt (gemeint wohl:

gemäß § 46 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG); Zusammenführender sollte offenbar der Vater der Mitbeteiligten sein). Gleichzeitig stellten ihre Eltern Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 41 Abs. 2 Z 4 NAG. Alle drei Anträge wurden mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft I. (Behörde) abgewiesen.

2 Die Beschwerden der Eltern gegen die abweisenden Bescheide wurden mit Erkenntnissen des Landesverwaltungsgerichts Tirol (LVwG) vom 20. (betreffend die Mutter) beziehungsweise

28. (betreffend den Vater) November 2017 abgewiesen. Der Vater der Mitbeteiligten erhob eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof (registriert unter Ra 2017/22/0221), die zum Zeitpunkt der Erlassung des verfahrensgegenständlichen Beschlusses des LVwG noch anhängig war.

3 Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das LVwG das Verfahren über die Beschwerde der Mitbeteiligten gegen den abweisenden Bescheid gemäß § 38 AVG "bis zum Abschluss des aufenthaltsrechtlichen Verfahrens des Vaters der (Mitbeteiligten)" aus, "weil die minderjährige (Mitbeteiligte) mangels eigenem Einkommen und Vermögen keinen von ihren Eltern unabhängigen Aufenthaltstitel erlangen kann".

4 Der Bundesminister für Inneres (Revisionswerber) erhob dagegen die vorliegende außerordentliche Revision und beantragte, den Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5 Die Mitbeteiligte beantragte, die Revision "mangels Zulässigkeit abzuweisen."

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 In der Zulässigkeitsbegründung rügt der Revisionswerber ein Abweichen des angefochtenen Beschlusses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern, als die Voraussetzungen für ein Aussetzen des Verfahrens gemäß § 38 AVG nicht vorlägen (Hinweis auf VwGH 17.10.2016, Ra 2016/22/0090).

7 Im Hinblick auf dieses Vorbringen ist die Revision zulässig und begründet.

8 Der - gemäß § 17 VwGVG auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht maßgebliche - § 38 zweiter Satz AVG berechtigt dazu, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer im Ermittlungsverfahren auftauchenden Vorfrage auszusetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird. § 38 AVG erfasst nur Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären.

9 Die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung setzt voraus, dass der Zusammenführende über ein in § 46 Abs. 1 NAG näher konkretisiertes Aufenthaltsrecht verfügt. Die Frage, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, kann vorliegend aber schon deshalb keine Aussetzung nach § 38 AVG nach sich ziehen, weil das VwG selbst feststellte, dass der Vater der Mitbeteiligten über keinen Aufenthaltstitel verfügt (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2017/22/0081, Rn. 10); es wurde auch kein anderer Familienangehöriger namhaft gemacht, der die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 NAG erfüllt. Für die Beurteilung nach dieser Bestimmung ist nicht relevant, ob dem zusammenführenden Vater allenfalls in der Zukunft ein solcher Aufenthaltstitel erteilt werden könnte. Folglich sind die Voraussetzungen für ein Aussetzen des Verfahrens gemäß § 38 AVG nicht gegeben (vgl. VwGH 17.10.2016, Ra 2016/22/0090, mwN).

Vorliegend mangelt es vielmehr an einer Tatbestandsvoraussetzung, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen - neben anderen Erteilungsvoraussetzungen und -hindernissen - die Niederlassungsbehörde beziehungsweise das LVwG zum Zeitpunkt der Entscheidung zu beurteilen hat (vgl. VwGH 14.3.2013, 2012/22/0007, betreffend eine Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz

gemäß § 47 Abs. 4 Z 3 NAG).

10 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 10. Dezember 2019

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteMaßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220204.L00

Im RIS seit

03.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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