TE Vwgh Erkenntnis 1998/9/11 96/19/1207

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Veröffentlicht am 11.09.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des 1967 geborenen HÖ in Wien, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bundesminister für Inneres wegen Verletzung der Entscheidungspflicht i.A. einer Berufung gegen die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG wird der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. September 1995, Zl. MA 62-9/1913725/2, ersatzlos aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenaufwand wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung mit Geltungsdauer vom 21. Juli 1993 bis 21. Juli 1994. Er beantragte am 1. Juli 1994 die Verlängerung dieser Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. Juli 1994 gemäß § 6 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in der Fassung vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 "zurückgewiesen". Begründend führte der Landeshauptmann von Wien aus, Anträge auf Verlängerung einer Bewilligung seien jedenfalls spätestens vier Wochen vor Ablauf der Geltungsdauer der letztgültigen Bewilligung zu stellen. Diese Frist habe der Beschwerdeführer versäumt. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Nach dem Inhalt des im Akt erliegenden Rückscheines erfolgte die Zustellung dieses Bescheides an den Beschwerdeführer durch Hinterlegung beim Zustellpostamt. Am 27. Juli 1994 sei die Verständigung über die Hinterlegung in das Hausbrieffach eingelegt worden. Beginn der Abholfrist war der 28. Juli 1994.

Am 11. Juli 1995 (Tag des Einlangens bei der erstinstanzlichen Behörde) beantragte der Beschwerdeführer neuerlich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.

Am 4. September 1995 erließ der Landeshauptmann von Wien einen Bescheid, in dessen Spruch ausdrücklich "der Antrag vom 01.07.1994" des Beschwerdeführers gemäß § 6 Abs. 2 AufG abgewiesen wird.

Die Zustellung dieses Bescheides an den Beschwerdeführer erfolgte am 18. September 1995.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 2. Oktober 1995 zur Post gegebene und am 3. Oktober 1995 beim Landeshauptmann von Wien eingelangte Berufung des Beschwerdeführers. Darin macht dieser geltend, der gegenständliche Antrag sei rechtzeitig vor Ablauf seiner letztgültigen Bewilligung gestellt worden. Die Stellung eines Verlängerungsantrages vom Inland aus sei jedenfalls zulässig.

Mit der am 22. April 1996 zur Post gegebenen Säumnisbeschwerde macht der Beschwerdeführer die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde geltend.

Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Mai 1996, der belangten Behörde zugestellt am 27. August 1996, wurde diese gemäß § 36 Abs. 2 VwGG aufgefordert, binnen drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift desselben dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege.

Nach Ablauf dieser dreimonatigen Frist beantragte die belangte Behörde am 18. April 1997 die Verlängerung derselben. Dieser Antrag wurde mit Beschluß des Berichters vom 30. April 1997 abgewiesen.

Die belangte Behörde legte daraufhin am 27. Mai 1997 ohne weitere Antragstellung die Verwaltungsakten vor.

Mit Verfügung vom 21. Oktober 1997 wurde dem Beschwerdeführer unter anderem vorgehalten, daß sein am 1. Juli 1994 gestellter Antrag mit dem am 28. Juli 1994 zugestellten Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. Juli 1994 gemäß § 6 Abs. 3 AufG zurückgewiesen wurde.

Zu diesem Vorhalt äußerte sich der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 4. Dezember 1997 wie folgt:

"Eine Hinterlegung des Bescheids des Landeshauptmannes von Wien vom 18.7.1994 erfolgte nicht ordnungsgemäß und rechtswirksam, da dem Bf keine Hinterlegungsanzeige übergeben oder zurückgelassen wurde."

Über Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes teilte das Postamt 1020 Wien am 20. Mai 1998 folgendes mit:

"Der betreffende Zusteller ... gibt an, nach erfolglosem

Zustellversuch eine Verständigung über die Hinterlegung in das Hausbrieffach eingelegt zu haben. Dies müßte auch auf dem betreffenden Rückschein vom Zusteller dokumentiert worden sein. Diese Behauptung des Zustellers beruht auf der Tatsache, daß er immer die Zustellung von RS-Briefen nach den Bestimmungen des Zustellgesetzes durchführt. Bei einer täglichen Zustellung von 20 RS-Briefen ist es leider nicht möglich, sich konkret an einen Zustellvorgang aus dem Jahre 1994 zu erinnern."

Zu dieser Note äußerte sich der Beschwerdeführer dahingehend, daß auch die erstinstanzliche Behörde selbst offenbar von der Unwirksamkeit der Zustellung des Bescheides vom 18. Juli 1994 ausgegangen sei, zumal sie ihren Bescheid vom 4. September 1995 unter derselben Geschäftszahl erlassen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 17 ZustellG lautet:

"§ 17. (1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. ...

(4) Die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung ist auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 oder die im § 21 Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde."

Die belangte Behörde hat es unterlassen, über die am 3. Oktober 1995 eingelangte Berufung des Beschwerdeführers innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 27 Abs. 1 VwGG zu entscheiden. Die am 22. April 1996 erhobene Säumnisbeschwerde ist daher zulässig. Der fruchtlose Ablauf der gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzten Nachfrist bewirkte den Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung über diese Berufung auf den Verwaltungsgerichtshof.

Die erstinstanzliche Behörde hat nach dem eindeutigen Spruch des mit Berufung angefochtenen Bescheides vom 4. September 1995 den Antrag des Beschwerdeführers vom 1. Juli 1994 abgewiesen. Ein klarer Spruch eines Bescheides darf auch aus der Begründung desselben nicht umgedeutet oder ergänzt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Juni 1988, Zl. 87/10/0204).

Zu prüfen war vorerst, ob über diesen Antrag nicht bereits mit der Erledigung der erstinstanzlichen Behörde vom 18. Juli 1994 abgesprochen wurde. Nach dem Inhalt des darüber errichteten Rückscheines erfolgte die Zustellung dieser Erledigung an den Beschwerdeführer durch Hinterlegung beim Zustellpostamt am 28. Juli 1994. Im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat der Beschwerdeführer gegen die Rechtswirksamkeit der Zustellung ins Treffen geführt, daß ihm keine Hinterlegungsanzeige übergeben oder zurückgelassen worden sei.

Ein von einem Postbediensteten ordnungsgemäß ausgestellter Rückschein über die Zustellung eines Poststückes durch Hinterlegung macht als öffentliche Urkunde Beweis über die Rechtswirksamkeit der Zustellung. Gegen diesen Beweis ist jedoch gemäß §§ 47 AVG, 292 Abs. 2 ZPO der Gegenbeweis zulässig. Behauptet jemand, es lägen Zustellmängel vor, so hat er diese Behauptung auch entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, welche die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen (vgl. die bei Walter/Thienel, E. 62 und 63 zu § 17 ZustellG wiedergegebene Judikatur).

Aus der vom Verwaltungsgerichtshof eingeholten Stellungnahme des Postzustellers ergeben sich jedenfalls keine Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der auf dem Rückschein erfolgten Beurkundung, die Hinterlegungsanzeige sei in die Hausbrieffachanlage eingelegt worden. Wenn der Beschwerdeführer mit der Behauptung, ihm sei keine Hinterlegungsanzeige übergeben oder zurückgelassen worden, eine Unwirksamkeit des Zustellvorganges darzutun versucht, ist ihm zu entgegnen, daß derartiges auch auf dem Rückschein nicht beurkundet wurde, gab der Postzusteller doch an, die Hinterlegungsanzeige in die Hausbrieffachanlage eingelegt zu haben. Demgegenüber wurde die auf dem Rückschein ebenfalls vorgesehene Variante, die Hinterlegungsanzeige sei an der Abgabestelle zurückgelassen worden, nicht angekreuzt. Eine Übergabe einer Hinterlegungsanzeige anläßlich einer Zustellung gemäß § 17 Abs. 1 ZustellG kommt schon begrifflich nicht in Betracht, setzt eine solche Zustellung doch die (vorübergehende) Abwesenheit des Empfängers von der Abgabestelle voraus. Schon aus diesem Grund ist dem Beschwerdeführer der Beweis der Unrichtigkeit des beurkundeten Zustellvorganges nicht gelungen.

Selbst wenn man aber sein Vorbringen dahingehend deuten wollte, er habe auch in der Hausbrieffachanlage keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden, wäre für ihn damit nichts gewonnen, weil dieser Umstand nicht notwendigerweise darauf zurückzuführen sein muß, daß es der Zusteller verabsäumte, eine solche in die Hausbrieffachanlage einzulegen. Umstände, die es ausgeschlossen erscheinen ließen, daß die in § 17 Abs. 2 ZustellG genannte Verständigung zwar in die Hausbrieffachanlage eingelegt, in der Folge aber von Personen, die Zugang zum Hausbrieffach des Beschwerdeführers hatten (Postzusteller, Mitbewohner) - allenfalls unbeabsichtigt - wieder entfernt wurde, wurden vom Beschwerdeführer nicht dargetan. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Beurteilung der Rechtswirksamkeit des Zustellvorganges der Erledigung vom 18. Juli 1994 davon aus, daß die Zustellung ordnungsgemäß erfolgte und der Bescheid damit am 28. Juli 1994 erlassen wurde. Ob die erstinstanzliche Behörde (implizit) von einer anderen Rechtsauffassung ausging, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich, weil eine solche Auffassung die Berufungsbehörde, an deren Stelle der Verwaltungsgerichtshof zu entscheiden hat, nicht zu binden vermag.

Die mit Bescheid vom 4. September 1995 getroffene neuerliche Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers vom 1. Juli 1994 war nach dem Vorgesagten aber unzulässig, weil dieser bereits mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. Juli 1994 gemäß § 6 Abs. 3 AufG aF "zurückgewiesen" worden war.

Ein unerledigter Antrag des Beschwerdeführers vom 1. Juli 1994 lag daher bei Erlassung des Bescheides des Landeshauptmannes von Wien vom 4. September 1995 nicht vor. Eine neuerliche Entscheidung über diesen nicht mehr offenen Antrag war daher rechtswidrig.

"Sache" des erstinstanzlichen Verfahrens war bei dem hier klar begrenzten Abspruch der erstinstanzlichen Behörde auf den Antrag vom 1. Juli 1994 nur die Frage, ob dem Beschwerdeführer aufgrund dieses Antrages eine Bewilligung zu erteilen war. Der Berufungsbehörde (und damit im Säumnisbeschwerdeverfahren auch dem Verwaltungsgerichtshof) ist es daher verwehrt, aufgrund der vorliegenden Berufung gegen den Bescheid vom 4. September 1995 eine Sachentscheidung über den nach der Aktenlage von der erstinstanzlichen Behörde nach wie vor unerledigten Antrag vom 11. Juli 1995 zu treffen. Vielmehr war der mit Berufung angefochtene, im Spruch dieses Erkenntnisses zitierte Bescheid des Landeshauptmannes von Wien gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos aufzuheben, weil eine Entscheidung über den bereits rechtskräftig erledigten Antrag des Beschwerdeführers vom 1. Juli 1994 nicht mehr zu ergehen hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 55 Abs. 1 erster Satz VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Im Hinblick auf die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs. 1 Z. 1 lit. a ZPO liefen dem Beschwerdeführer keine Auslagen an Gebühren auf.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 11. September 1998

Schlagworte

Spruch und Begründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996191207.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

19.09.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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