RS Vfgh 2019/12/12 G164/2019 ua (G164/2019-25, G171/2019-24)

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 12.12.2019
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Index

66/03 Sonstiges

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art10
B-VG Art12
B-VG Art18
B-VG Art140 Abs1 Z2
BVG über die Rechte von Kindern Art1
Sozialhilfe-GrundsatzG §1, §3, §4, §5, §6, §7, §9, §10
Sozialhilfe-StatistikG §1
DSG §1
ASVG §293
IntegrationsG §4
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht und im BVG über die Rechte von Kindern durch Festlegung von – sachlich nicht gerechtfertigten – Höchstsätzen für Kinder mangels Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts bei Mehrkindfamilien; Verletzung im Gleichheitsrecht und Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Regelungen zum Arbeitsqualifizierungsbonus; Verletzung im Recht auf Datenschutz betreffend die Verpflichtung "sämtlicher Behörden" zur Übermittlung personenbezogener Daten an die Länder; keine kompetenzwidrige "Überdeterminierung" des SozialhilfegrundsatzG betreffend die Einrichtung eines einheitlichen Sozialhilfesystems auf Grund verbleibender Regelungsfreiräume für den Ausführungsgesetzgeber; keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch Festlegung einer Obergrenze für Geldleistungen für volljährige Bezugsberechtigte einer Haushaltsgemeinschaft; Förderung der (Wieder-)Eingliederung von Bezugsberechtigten in das Erwerbsleben sowie integrations-, arbeitsmarktpolitische und fremdenpolizeiliche Aspekte vom Kompetenztatbestand "Armenwesen" umfasst; kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch die Anrechnung von Eigeneinkommen bei (Wieder-)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit; keine Bedenken gegen die 7-Monatsfrist zur Erlassung der Ausführungsgesetze

Rechtssatz

Aufhebung des §5 Abs2 Z3 und §5 Abs6 bis Abs9 Sozialhilfe-GrundsatzG (SH-GG), BGBl I 41/2019 sowie des §1 Abs1 Sozialhilfe-StatistikG (SH-SG), BGBl I 41/2019. Abweisung des - zulässigen - Antrags, soweit er sich gegen §1, §3 Abs6, §4 Abs1 und Abs2 Z3, §5 Abs2 Z1, Z2, Z4 und Z5 sowie Abs3, Abs4 und Abs5, §7 Abs1 und Abs6, §9 Abs3, die Wortfolge "innerhalb von sieben Monaten" in §10 Abs2 sowie §10 Abs3 SH-GG, BGBl I 41/2019, richtet. Im Übrigen Zurückweisung des Antrags.

Zur Zulässigkeit:

Keine Erforderlichkeit der Mitanfechtung des §4 Abs2 Z1, Z2 und Z4 SH-GG hinsichtlich des Bedenkens des Verstoßes gegen Art12 B-VG wegen "Überdeterminierung": §4 Abs2 Z1, Z2 und Z4 SH-GG schließen Personen ohne tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet, Asylwerber und Personen, die sich in einer Strafvollzugsanstalt befinden, vom Bezug der Sozialhilfe aus. §4 Abs2 Z3 SH-GG verbietet es, ausreisepflichtigen Fremden Sozialhilfeleistungen zu gewähren. §4 Abs2 SH-GG legt somit einzelne Personengruppen fest, die von der Sozialhilfe ausgeschlossen sind. Da die Regelungen zu den einzelnen Personengruppen in §4 Abs2 SH-GG in keinem untrennbaren Zusammenhang stehen, ist der Antrag hinsichtlich §4 Abs1 und Abs2 Z3 SH-GG zulässig.

Keine Erforderlichkeit der Mitanfechtung des §3 Abs4 SH-GG neben §5 Abs6 SH-GG wegen Verstoßes gegen Art12 B-VG ("Überdeterminierung") und im Hinblick auf den Gleichheitssatz: Nach dem allgemeinen Grundsatz des §3 Abs4 SH-GG sind Sozialhilfeleistungen von der dauerhaften Bereitschaft zum Arbeitseinsatz und von aktiven, arbeitsmarktbezogenen Leistungen abhängig zu machen. Gemäß §5 Abs6 SH-GG ist für bestimmte Personen von der Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt und von der dauerhaften Bereitschaft zum Einsatz ihrer Arbeitskraft abzusehen. Diese Regelungen stehen trotz des Verweises aber in keinem untrennbaren Regelungszusammenhang.

Bedenken gegen §3 Abs5 SH-GG und §5 Abs9 SH-GG wegen Verstoßes gegen Art12 B-VG ("Überdeterminierung"): §3 Abs5 SH-GG stellt den allgemeinen Grundsatz auf, dass Leistungen der Sozialhilfe vorrangig als Sachleistungen zu gewähren sind, soweit dadurch eine höhere Effizienz der Erfüllung der Leistungsziele zu erwarten ist. §5 Abs9 SH-GG verpflichtet den Ausführungsgesetzgeber, Personen, die iSd §5 Abs6 SH-GG nur eingeschränkt am österreichischen Arbeitsmarkt vermittelbar sind, sprach- oder berufsqualifizierende Sachleistungen bereitzustellen. Die vorgebrachten Bedenken richten sich der Sache nach insbesondere dahin, dass dem Ausführungsgesetzgeber kein Spielraum bleibe, die Sozialhilfeleistungen als Geldleistungen auszugestalten und auf lokale Gegebenheiten zu reagieren. Die Begründung bezieht sich überwiegend auf die Erforderlichkeit von Geldleistungen iZm dem Wohnbedarf und richtet sich daher im Wesentlichen gegen §5 Abs5 SH-GG, aber auch gegen §6 SH-GG. In Bezug auf dieses Vorbringen erweist sich der Anfechtungsumfang damit als zu eng, weshalb auf das Bedenken der "Überdeterminierung" im Hinblick auf §5 Abs9 SH-GG nicht einzugehen ist. Hinsichtlich §3 Abs5 SH-GG ist der Antrag zurückzuweisen.

Zulässigkeit der Anträge auf Aufhebung von §1, §3 Abs6, §4 Abs1 und Abs2 Z3, §5 Abs2 bis Abs9, §7 Abs1 und 6, §9 Abs3, der Wortfolge "innerhalb von sieben Monaten" in §10 Abs2 sowie §10 Abs3 SH-GG. Zulässigkeit des Antrags auf Aufhebung von §1 Abs1 SH-SG. Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung von §1 Abs2 SH-SG.

In der Sache:

Zum behaupteten Verstoß gegen Art12 B-VG wegen "Überdeterminierung":

Der Grundsatzgesetzgeber hat seine durch Art12 B-VG eingeräumte Gesetzgebungskompetenz (Beschränkung des Grundsatzgesetzgebers auf Aufstellung von Grundsätzen; keine Erlassung von Detailregelungen über die in Art12 B-VG gezogene Grenze hinaus; Zulässigkeit von unmittelbar anwendbaren Einzelregelungen, bei Regelung von Fragen mit grundsätzlicher Bedeutung) nicht überschritten, zumal es ihm freisteht, umfangreiche Grundsätze - wie etwa bezüglich der Ziele, der Bedarfsbereiche, der Bezugsberechtigung und des Umfangs der Sozialhilfeleistungen - aufzustellen und dabei auch Detailregelungen zu treffen, die Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für das ganze Bundesgebiet betreffen. Bei den angefochtenen Bestimmungen handelt es sich um solche Regelungen von grundsätzlicher Bedeutung. Bei der Auslegung eines Grundsatzgesetzes ist im Zweifelsfall diejenige Möglichkeit als zutreffend anzusehen, die der Ausführungsgesetzgebung den weiteren Spielraum lässt. Dies ergibt sich aus der verfassungsrechtlichen Überlegung, dass die Ausführungsgesetzgebung frei ist, soweit sie nicht durch den Grundsatzgesetzgeber gebunden ist. Solche Freiräume bestehen auch bei den angefochtenen Regelungen wie §3 Abs6 SH-GG (Beschränkung der Leistung von Sozialhilfe auf zwölf Monate), §4 Abs1 und Abs2 Z3 SH-GG (Anspruch auf Sozialhilfe nach fünfjährigem rechtmäßigem Aufenthalt), §5 Abs2 bis Abs5 SH-GG (Begrenzung der Sozialhilfe für Erwachsene an einen bestimmten Prozentsatz des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes; bundesweite Festlegung von Höchstsätzen für Haushaltsgemeinschaften hinsichtlich volljähriger Bezugsberechtigter; Anrechnung von Sach- auf Geldleistungen), §7 Abs1 und Abs6 SH-GG (Anrechnung von Einkünften und Vermögen im In- und Ausland) sowie §9 Abs3 SH-GG (Kürzung der Sozialhilfe bei Verstößen gegen das IntegrationsG).

Keine "kompetenzrechtlich unzulässige[n] Zielbestimmungen und Regelungsinhalte" durch §1 und §5 Abs6 bis Abs9 SH-GG:

Aus der zum Versteinerungszeitpunkt (01.10.1925) bestehenden Rechtslage lässt sich ableiten, dass der Kompetenztatbestand "Armenwesen" auch Regelungen umfasst, die auf die Förderung der (Wieder-)Eingliederung von Bezugsberechtigten in das Erwerbsleben abzielen ("Versteinerungstheorie"). Es kommt sohin auf den Zusammenhang der Leistung mit jener Verwaltungsmaterie an, in deren Rahmen sie gewährt wird; wird die Leistung ohne Zusammenhang mit einer bestimmten Verwaltungsmaterie allein aus dem Motiv der Hilfsbedürftigkeit gewährt, kommt der Kompetenztatbestand "Armenwesen" in Betracht. Nach dem SH-GG sollen Leistungen der Sozialhilfe zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und zur Befriedigung des Wohnbedarfs der Bezugsberechtigten beitragen. Primär werden die Sozialhilfeleistungen daher aus dem Motiv der Hilfsbedürftigkeit gewährt und unterfallen folglich dem Kompetenztatbestand "Armenwesen"; dass dabei auch arbeitsmarktpolitische und fremdenpolizeiliche Aspekte berücksichtigt werden, ändert im Lichte der Vorjudikatur nichts an der Subsumtion unter Art12 Abs1 Z1 B-VG.

Verstoß des Höchstsatzsystems für Kinder in §5 Abs2 und Abs3 SH-GG gegen das Gleichheitsrecht:

Anders als die bisherigen Mindestsicherungs- und Sozialhilfegesetze der Länder sieht der Grundsatzgesetzgeber ein System von Höchstsätzen, nicht aber ein System von Mindestsätzen für die Sozialhilfeleistung vor. Während sich die Höchstsätze für erwachsene Bezugsberechtigte im Wesentlichen am System des Ausgleichszulagenrichtsatzes orientieren, legt der Grundsatzgesetzgeber bei Kindern abweichende Höchstsätze fest. Nach §293 ASVG steht jedem Kind ein gleich hoher Zuschlag von 15,4 % des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende zu (derzeit € 143,97). Im Gegensatz dazu wird durch §5 Abs2 Z3 SH-GG ein Höchstsatz für die Sozialhilfeleistung für das erste Kind mit 25 %, für das zweite mit 15 % und ab dem dritten Kind mit 5 % des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes bestimmt. Ein solches System von Höchstsätzen muss für die jeweiligen Haushaltskonstellationen und Bedarfslagen in sich sachlich ausgestaltet sein.

Für den VfGH ist aber kein sachlicher Grund für das vorliegende Missverhältnis zwischen der Anknüpfung der Sozialhilfehöchstsätze für Erwachsene an das System der Ausgleichszulage einerseits und der davon abweichenden Gestaltung der Höchstsätze bei Kindern andererseits ersichtlich: Der Grundsatzgesetzgeber ermöglicht dem Ausführungsgesetzgeber, im Hinblick auf den Höchstsatz für Erwachsene eine Bedarfsdeckung sicherzustellen, während jedenfalls ab dem dritten Kind nur mehr eine geringfügige Unterstützung (weniger als ein Drittel des im System der Ausgleichszulage zustehenden Betrages) durch den Ausführungsgesetzgeber vorgesehen werden kann. Damit hat der Grundsatzgesetzgeber das System der Höchstsätze unsachlich ausgestaltet, da eine gleichwertige Bedarfsdeckung bei Mehrkindfamilien im Verhältnis zu Haushaltskonstellationen mit weniger Personen nicht gewährleistet werden kann.

Dem Ausführungsgesetzgeber bleibt bei der Ausgestaltung der Sozialhilfesätze bei Mehrkindfamilien kein Regelungsspielraum mehr. Der aus dem Höchstsatz nach §5 Abs2 Z3 litc SH-GG resultierende Betrag ist bei Einhaltung der Zweckwidmung einer gemäß §1 iVm §5 SH-GG geforderten Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und Befriedigung des Wohnbedarfs nicht mehr ausreichend.

§5 Abs2 Z3 SH-GG ist auch in Anbetracht des Art1 Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern verfassungswidrig, da der Grundsatzgesetzgeber bei der Ausgestaltung der Höchstsätze Kinder in Mehrkindfamilien in unsachlicher Weise benachteiligt.

Es ist nicht unsachlich, den Zuschlag gemäß §5 Abs2 Z5 SH-GG nur Personen zu gewähren, deren Grad der Behinderung 50 % übersteigt auf Grund des weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraums.

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch §5 Abs4 SH-GG:

Soweit die Festlegung einer Obergrenze für Geldleistungen für volljährige Bezugsberechtigte innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft durch den Ausführungsgesetzgeber zur Verringerung der Bildung gewillkürter Haushaltsgemeinschaften beitragen soll, kann der VfGH nicht erkennen, dass der Grundsatzgesetzgeber eine verfassungswidrige Rechtslage geschaffen hätte, zumal für solche Haushaltsgemeinschaften im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Disposition auch offen steht, die Größe der Haushaltsgemeinschaft entsprechend festzulegen. Dem Ausführungsgesetzgeber steht es auch frei, bestimmte Personengruppen von der Deckelung auszunehmen.

Der Antrag ist auch hinsichtlich der Bedenken zum Legalitätsprinzip unbegründet: Das Grundsatzgesetz richtet sich nicht an die Vollziehung und kann Art18 Abs1 B-VG daher nicht widersprechen.

Verstoß der Regelungen zum Arbeitsqualifizierungsbonus gemäß §5 Abs6 bis Abs9 SH-GG gegen den Gleichheitssatz und das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander:

Der Grundsatzgesetzgeber hat in §5 Abs6 bis 9 SH-GG schon deshalb eine unsachliche Regelung getroffen, weil keine Gründe ersichtlich sind, weshalb ausschließlich bei Deutsch- und Englischkenntnissen auf diesem hohen Niveau eine Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt anzunehmen sein soll. Es ist offenkundig, dass für viele Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt weder Deutsch auf B1-Niveau noch Englisch auf C1-Niveau erforderlich sind. Dies stellt der Gesetzgeber auch in §4 Abs3 IntegrationsG klar, wonach Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen, wenn sie über keine oder geringe Deutschkenntnisse verfügen. Der Bundesgesetzgeber hat überdies im Rahmen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 keine derartigen bundesweit einheitlichen Voraussetzungen vorgesehen. Ferner lässt der Grundsatzgesetzgeber außer Acht, dass Personen aus mannigfaltigen Gründen (Lern- und Leseschwächen, Erkrankungen, Analphabetismus uvm) nicht in der Lage sein können, ein derart hohes Sprachniveau zu erreichen, aber dennoch am Arbeitsmarkt vermittelbar sein können.

Verstoß des §5 Abs6 bis Abs9 SH-GG gegen den Gleichheitssatz im Hinblick auf Unionsbürger:

§5 Abs7 Z1 SH-GG stellt im Rahmen der Sozialhilfe auf Sprachkenntnisse ab. Wenngleich diese Regelung ihrem Inhalt nach keine Differenzierung ausdrücklich nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit vornimmt, schlägt sie doch auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten überwiegend zum Nachteil von Unionsbürgern aus, die - im Gegensatz zu österreichischen Staatsbürgern - regelmäßig keine Deutschkenntnisse auf B1-Niveau aufweisen. Auch die in §5 Abs7 Z1 SH-GG genannte Alternative - Englischkenntnisse auf C1-Niveau - vermag diese Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass Unionsbürger üblicherweise Englisch auf einem derart hohen Niveau beherrschen. Gleiches gilt für die Ausnahmeregelung gemäß §5 Abs8 Z2 SH-GG, da Unionsbürger im Regelfall über keinen Pflichtschulabschluss mit Deutsch als primärer Unterrichtssprache verfügen.

Verstoß des §5 Abs6 bis 9 SH-GG gegen das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander:

Gemäß §5 Abs7 SH-GG iVm §16c IntegrationsG müssen Asylberechtigte, um am Arbeitsmarkt vermittelbar zu sein, Deutsch auf B1-Niveau beherrschen und bestimmte integrationsrechtliche Verpflichtungen erfüllen. Asylberechtigte haben ihr Herkunftsland nicht aus freiem Entschluss verlassen und ihren Wohnsitz in Österreich nicht frei gewählt. Vielmehr mussten sie ihr Herkunftsland wegen "wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden" verlassen und können aus denselben Gründen (derzeit) nicht dorthin zurückkehren. Für den VfGH ist daher nicht ersichtlich, inwiefern der Arbeitsqualifizierungsbonus hinsichtlich Asylberechtigter eine geeignete Maßnahme zur Erreichung des Ziels - "Dämpfung der Zuwanderung in das österreichische Sozialsystem" - darstellt. Im Hinblick auf das Ziel der Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt ist diese Regelung überschießend.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz durch §7 Abs6 SH-GG:

Nach §7 Abs6 SH-GG ist Personen, die während des Sozialhilfebezugs eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, ein Freibetrag idHv bis zu 35 % des hieraus erzielten monatlichen Nettoeinkommens für maximal zwölf Monate einzuräumen. Wie auch die Bundesregierung ausführt, hat der Grundsatzgesetzgeber damit lediglich den Fall des (Wieder-)Einstiegs in das Erwerbsleben von bezugsberechtigten Personen geregelt. Der Landesgesetzgeber kann somit andere Konstellationen - im verfassungsgesetzlichen Rahmen - regeln, wie etwa Freibetragsgrenzen für (bereits) im Erwerbsleben stehende Sozialhilfebezieher ("Aufstocker").

Keine Bedenken gegen die 7-monatige Frist zur Erlassung der Ausführungsgesetze gemäß §10 Abs2 sowie §10 Abs3 SH-GG:

Das Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der gegebenen Rechtslage als solches genießt keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Dies gilt im Besonderen für steuerfinanzierte Transferleistungen, denen keine Anwartschaft oder Beitragsleistung der berechtigten Person gegenübersteht. Nur unter besonderen Umständen muss den Betroffenen zur Vermeidung unsachlicher Ergebnisse die Gelegenheit gegeben werden, sich rechtzeitig auf die neue Rechtslage einzustellen.

Verstoß des §1 Abs1 SH-SG gegen §1 DSG:

§1 Abs1 SH-SG genügt den in §1 Abs2 DSG normierten qualifizierten Anforderungen an die Determinierung von Grundrechtseingriffen nicht, weil die Bestimmung als eine spezifische materiengesetzliche Regelung keine klaren Begrenzungen und Vorgaben hinsichtlich des Eingriffs vorsieht. Die Bestimmung legt vielmehr pauschal und ohne Einschränkungen fest, dass (neben ausdrücklich genannten staatlichen Stellen) "sämtliche Behörden" verpflichtet sind, den Ländern "die zu Zwecken der Aufrechterhaltung und Vollziehung des österreichischen Sozialhilfewesens erforderlichen Daten" elektronisch zur Verfügung zu stellen. Damit wird weder hinreichend klar abgegrenzt, wer konkret zur Datenverarbeitung verpflichtet ist, noch ausreichend determiniert, welche personenbezogenen Daten von der Übermittlung erfasst sein sollen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Mindestsicherung, Grundversorgung, Sozialhilfe, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, Rechtspolitik, Determinierungsgebot, Datenschutz, Subsidiaritätsprinzip, Versteinerungstheorie, Armenwesen, Kinder, Behinderte, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:G164.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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