TE Vwgh Erkenntnis 2019/11/28 Ra 2018/19/0633

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
EURallg
MRK Art2
MRK Art3
32013L0033 Aufnahme-RL Art21

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision der B M, vertreten durch Dr. Robert Hirschmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Börseplatz 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Oktober 2018, G306 2205993-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige der Republik Kosovo, wurde am 27. Juni 2018 im Bundesgebiet geboren. Sie stellte am 3. Juli 2018, vertreten durch ihre Mutter, einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei sie keine eigenen Fluchtgründe vorbrachte, sondern auf jene ihrer Mutter verwies.

2 Mit Bescheid vom 14. August 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Revisionswerberin sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt II.), erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Kosovo zulässig sei (Spruchpunkt V.), sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.), und erkannte einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.).

3 Gegen die Spruchpunkte II. bis VII. dieses Bescheides erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Das BVwG stellte fest, dass "das Verfahren" der Mutter sowie der vier Geschwister der Revisionswerberin durch ein näher zitiertes Erkenntnis des BVwG vom 15. März 2018 bereits rechtskräftig abgeschlossen sei. Ein konkreter Anlass für das Verlassen des Herkunftsstaates durch die Mutter habe nicht festgestellt werden können. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass die Revisionswerberin im Fall der Rückkehr in den Kosovo mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre oder dass sonstige Gründe vorlägen, die einer Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegenstünden.

6 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG unter der Überschrift "Zum Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide" aus, die Revisionswerberin habe keine eigenen Fluchtgründe, sondern beziehe sich ausschließlich auf jene ihrer Mutter, die bereits in einem anderen Beschwerdeverfahren überprüft worden seien. Daran anschließend wird die Begründung des Erkenntnisses des BVwG vom 15. März 2018, insoweit damit die Beschwerde der Mutter und der Geschwister der Revisionswerberin gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten und des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, auszugsweise wiedergegeben. Weitere, auf die Revisionswerberin Bezug nehmende Ausführungen zu ihrer Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (betreffend die Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten) enthält das angefochtene Erkenntnis nicht.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision erweist sich im Hinblick auf das darin erstattete Vorbringen zu den Anforderungen an die Begründung einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts als zulässig und auch begründet.

9 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die Revisionswerberin den verwaltungsbehördlichen Bescheid lediglich im Umfang der Spruchpunkte II. bis VII., nicht aber hinsichtlich des Spruchpunktes I. (betreffend die Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten) angefochten hat. Zwar handelt das BVwG im Rahmen der Entscheidungsgründe des angefochtenen Erkenntnisses auch die Fluchtgründe der Revisionswerberin ab. Da jedoch der Spruch für sich allein an seinem Inhalt keine Zweifel lässt (vgl. dazu etwa VwGH 25.10.2018, Ra 2018/09/0110, mwN) - das BVwG hat "(d)ie Beschwerde" abgewiesen -, ist davon auszugehen, dass mit dem angefochtenen Erkenntnis nicht auch (in unzuständiger Weise) über den nicht bekämpften Spruchpunkt I. des verwaltungsbehördlichen Bescheides abgesprochen wurde.

10 Die Begründung eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Danach erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheids geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0149, mwN).

11 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis schon deswegen nicht gerecht, weil es keine auf die Revisionswerberin selbst Bezug nehmende Begründung enthält, insoweit damit über ihre Beschwerde gegen die Abweisung ihres Antrags auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgesprochen wird. Auch besteht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor allem unter dem Gesichtspunkt der besonderen Vulnerabilität von Kindern die Verpflichtung, eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahren, die eine Familie mit minderjähren Kindern bei einer Rückkehr zu erwarten habe, durchzuführen (vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2018/18/0229 bis 0232; 19.6.2019, Ra 2019/18/0084 bis 0093). Dieser Verpflichtung entspricht das angefochtene Erkenntnis auch nicht durch die Wiedergabe von Auszügen aus jenem Erkenntnis des BVwG, mit dem die Anträge der Mutter und der Geschwister der Revisionswerberin auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in der Sache abgewiesen wurden, zumal sich aus diesen Auszügen keine Rückschlüsse auf die von der Revisionswerberin tatsächlich vorzufindende Rückkehrsituation ziehen lassen.

12 Diesen, auf den konkreten Revisionsfall überhaupt nicht Bezug nehmende Ausführungen fehlt jeder Begründungswert. Die angefochtene Entscheidung ist damit auch einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich, wodurch das BVwG seine Entscheidung mit einem Verfahrensmangel belastet hat.

13 Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass das mit Erkenntnis des BVwG vom 15. März 2018 entschiedene Beschwerdeverfahren der Mutter der Revisionswerberin zum Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz durch die Revisionswerberin (3. Juli 2018) bereits rechtskräftig beendet war, sodass schon aus diesem Grund kein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vorliegt.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 28. November 2019

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190633.L01

Im RIS seit

21.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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