TE Vwgh Erkenntnis 2019/12/11 Ra 2019/02/0189

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Veröffentlicht am 11.12.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
90/02 Kraftfahrgesetz

Norm

KFG 1967 §103 Abs2
MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §44 Abs1
VwGVG 2014 §44 Abs2
VwGVG 2014 §44 Abs3
VwGVG 2014 §44 Abs4
VwGVG 2014 §44 Abs5

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 14. August 2019, Zl. E 003/04/2019.026/002, betreffend Übertretung des KFG (mitbeteiligte Partei: G in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 12. Februar 2019 wurde dem Mitbeteiligten zu Last gelegt, er habe es als Geschäftsführer einer näher genannten Gesellschaft zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Zulassungsbesitzerin auf schriftliches Verlangen der Behörde vom 4. August 2016 bekannt zu geben, wer das Kraftfahrzeug an einem näher konkretisierten Ort am 4. Mai 2016 gelenkt habe, diese Auskunft nicht erteilt und auch keine andere Person benannt habe, die die Auskunft hätte erteilen können. Dadurch habe der Mitbeteiligte § 103 Abs. 2 KFG verletzt, weshalb die nunmehr revisionswerbende Behörde über ihn eine Geldstrafe von EUR 150,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 1 Tag 6 Stunden) gemäß § 134 Abs. 1 KFG verhängte.

2 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde wurde vom Landesverwaltungsgericht Burgenland (LVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt. Die Revision wurde für "unzulässig" erklärt. 3 Begründend führte das LVwG aus, die Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft habe den Anforderungen des § 103 Abs. 2 KFG nicht entsprochen, weil die vom Mitbeteiligten vertretene Gesellschaft "falsch" als Zulassungsbesitzerin des KFZ hiezu aufgefordert worden sei. Aus dem Akt der Behörde, konkret der Anzeige, ergebe sich, dass das Kennzeichen ein Probefahrtkennzeichen für Probefahrten im Sinne des § 48 Abs. 3 KFG gewesen sei. Dieses sei "offenbar" am KFZ angebracht gewesen. Die Behörde wäre daher gemäß § 103 Abs. 2 KFG verpflichtet gewesen, die Lenkerauskunft an den Inhaber der Bewilligung des Probefahrtkennzeichens zu richten. Die beantragte Verhandlung entfalle gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

5 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht gemäß § 44 Abs. 2 zweiter Fall VwGVG von einer Verhandlung abgesehen, weil die Aktenlage widersprüchlich sei, als zulässig. Sie ist auch berechtigt:

8 Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung ist nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen (VwGH 14.12.2018, Ra 2018/02/0294).

9 Gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfällt die Verhandlung, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

10 Das LVwG war im vorliegenden Fall der Auffassung, die vom Mitbeteiligten beantragte Verhandlung könne entfallen, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststehe, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben sei, weil aus der Anzeige hervorgehe, dass es sich um ein Probefahrtkennzeichen gehandelt habe.

11 Aus den vorgelegten Akten ergibt sich, dass mit Anonymverfügung vom 31. Mai 2016 dem Lenker eines bestimmten Fahrzeuges zur Last gelegt wurde, am Tatort zur Tatzeit die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um durchschnittlich 18 km/h (Section Control) überschritten zu haben.

12 In der Folge erging mit Datum 4. August 2016 eine Lenkererhebung an eine näher bezeichnete Gesellschaft als Zulassungsbesitzerin.

13 In der Anzeige der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 22. März 2019 scheint folgender Text auf: "310326 § 103 Abs. 2 KFG Lenkerauskunft als § 9 VStG Verantwortlicher nicht erteilt - Probefahrt (Bundesweit)". Hinsichtlich des Fahrzeuges ist in der Anzeige vermerkt: Zulassungsbesitzer/in (juristische Person): G OG Offene Gesellschaft.

14 Die Amtsrevisionswerberin führt in der Revision dazu aus, dass der zum Deliktscode angeführte Erfassertext hinsichtlich der Probefahrt fehlerhaft gewesen sei.

15 Angesichts dieser widersprüchlichen Aktenlage kann jedoch keineswegs davon ausgegangen werden, dass bereits aus der Aktenlage feststeht, dass das Straferkenntnis aufzuheben war. Das Verwaltungsgericht war aufgrund dieses Widerspruchs vielmehr gehalten, ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, ob tatsächlich eine Probefahrt vorgelegen hat und in der Folge nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung seine Entscheidung zu treffen. 16 Es lagen damit die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 zweiter Fall VwGVG für ein Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht vor. Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art. 6 EMRK jedenfalls wesentlich (vgl. erneut VwGH 14.12.2018, Ra 2018/02/0294).

17 Das angefochtene Erkenntnis war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 11. Dezember 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019020189.L00

Im RIS seit

10.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.01.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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