TE Vfgh Erkenntnis 2019/9/24 E1979/2019 ua

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Veröffentlicht am 24.09.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §34 Abs4, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Abweisung von Anträgen auf internationalen Schutz betreffend eine Familie von Staatsangehörigen der Russischen Föderation; keine ausreichende Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit der Fluchtangaben

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973).

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.139,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine Mutter mit drei minderjährigen Kindern russischer Staatsangehörigkeit und islamischen Glaubens. Die Mutter (Erstbeschwerdeführerin) stellte für sich, ihre ältere Tochter (Zweitbeschwerdeführerin) und ihren Sohn (Drittbeschwerdeführer) nach illegaler Einreise in Österreich am 19. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund für sich und ihre Kinder gab die Erstbeschwerdeführerin an, ihr Ex-Mann wolle ihr wegen ihrer Wiederverehelichung die Kinder wegnehmen bzw die Erstbeschwerdeführerin töten. Nach rechtskräftigem (negativen) Abschluss dieses Verfahrens tauchte die Erstbeschwerdeführerin mit ihren Kindern zwischenzeitig unter. Die jüngste Tochter der Erstbeschwerdeführerin (Viertbeschwerdeführerin) wurde im Jahr 2017 als Tochter eines in Österreich lebenden, asylberechtigten russischen Staatsbürgers geboren, mit dem die Erstbeschwerdeführerin nach muslimischen Ritus als "Zweitfrau" verheiratet ist. Für die Viertbeschwerdeführerin wurde am 24. Februar 2017 ein "Antrag auf Familienverfahren" gestellt, wobei für die Viertbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht wurden. Nach rechtskräftigem (negativen) Abschluss dieses Verfahrens stellte die Erstbeschwerdeführerin für sich und die übrigen Beschwerdeführer am 9. Oktober 2017 neuerlich Anträge auf internationalen Schutz.

2.       Mit Bescheiden vom 11. März 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russland (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat fest (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).

3.       Mit Erkenntnis vom 19. April 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden der beschwerdeführenden Parteien gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11. März 2019 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

4.       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht legte die bezughabenden Gerichts- und Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der es der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der Erstbeschwerdeführerin aus den im Erkenntnis dargelegten Gründen entgegentritt.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1.    Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Erstbeschwerdeführerin führte das Bundesverwaltungsgericht in der Beweiswürdigung Folgendes aus:

"Das Bundesamt ging unter Zugrundelegung der Angaben der BF1 davon aus, dass ihr Vorbringen, einer realen Gefährdung durch ihren Ex-Mann ausgesetzt gewesen zu sein bzw zu sein, unglaubwürdig ist.

Wie das Bundesamt im Kern aufgezeigt hat und sich anhand der Einvernahmeprotokolle nachvollziehen lässt, konnte die BF1, obwohl sie sich seit der gerichtlichen Scheidung im Juni 2013 noch fast zweieinhalb Jahre – ohne sich zu verstecken – im Herkunftsland aufgehalten hat, bis auf Drohungen keinen einzigen tatsächlichen Übergriff oder einen sonstigen Vorfall schildern, der erkennen lässt, dass von ihrem Ex-Gatten nach der Scheidung tatsächlich eine reale Gefahr ausgeht. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die BF1 im Herkunftsland nicht allein auf sich gestellt ist, sondern auf den Schutz und die Unterstützung ihrer Familie zurückgreifen konnte. Angesichts der Scheidung kann zumindest hinsichtlich der BF1 auch keine Konstellation von häuslicher Gewalt mehr erkannt werden. Den Länderfeststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die russischen Sicherheitskräfte grundsätzlich nicht in der Lage oder unwillig wären, Schutz vor kriminellen Übergriffen Dritter zu gewähren. Im Übrigen steht es der qualifiziert ausgebildeten, aus einer wohlhabenden Familie stammenden und auch über Berufspraxis verfügenden BF1 – wie auch schon vom Bundesamt dargelegt – frei, ihren Wohnsitz im Herkunftsland hinreichend weit entfernt von ihrem Gatten zu verlegen, um allfälligen Nachstellungen zu entgehen. Bereits unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten konnte das Bundesamt sohin in einer Gesamtbetrachtung nachvollziehbar dartun, dass das Fluchtvorbringen der BF nicht geeignet war, glaubwürdig eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür darzutun, dass sie im Herkunftsland landesweit schutzlos Übergriffen des Ex-Gatten der BF1 ausgesetzt wären.

Hierzu ist der Vollständigkeit halber noch zu ergänzen, dass eine von der BF1 ursprünglich bei der Erstbefragung am 20.01.2016 anlässlich ihres ersten Antrages behauptete Morddrohung in ihrem zweiten, gegenständlichen Asylverfahren mit keinem Wort mehr thematisiert wurde."

3.2.    Das Bundesverwaltungsgericht übernimmt im Hinblick auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Erstbeschwerdeführerin – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – im Wesentlichen die Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei – wie auch bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zuvor –, dass die Erstbeschwerdeführerin die von ihr geschilderte Bedrohung durch ihren Ex-Mann nicht als Folge der im Juni 2013 erfolgten Scheidung behauptet hatte, sondern im Zusammenhang mit dessen Kenntnisnahme der Wiederverehelichung der Erstbeschwerdeführerin, welche ihren neuen Ehemann erst ein Jahr vor der im Jänner 2016 erfolgten Einreise nach Österreich kennengelernt hatte. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes als willkürlich, die geschilderte Verfolgung sei nicht glaubhaft, weil sich die Erstbeschwerdeführerin nach der Scheidung noch fast zweieinhalb Jahre im Herkunftsstaat aufgehalten habe und keinen Übergriffen ihres Ex-Mannes ausgesetzt gewesen sei.

Im Hinblick auf die Ausführungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid betreffend die Erstbeschwerdeführerin, diese sei bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen bei ihrem Vorbringen geblieben, ihr Ex-Mann sei mit ihrer neuen Ehe nicht einverstanden gewesen und hätte gedroht, sie zu töten, vermögen an diesem Ergebnis auch die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes nichts zu ändern, dass die "behauptete Morddrohung in ihrem zweiten, gegenständlichen Asylverfahren mit keinem Wort mehr thematisiert wurde", zumal das Bundesverwaltungsgericht diesen Widerspruch keiner Klärung – insbesondere im Rahmen einer mündlichen Verhandlung – zugeführt hat.

4.       Die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher mit Willkür behaftet und somit aufzuheben. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidungen betreffend die Zweitbeschwerdeführerin, den Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014; VfGH 24.11.2016 ua). Das Erkenntnis ist daher auch betreffend die Zweitbeschwerdeführerin, den Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin aufzuheben.

III.    Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 523,20 sowie Umsatzsteuer in Höhe von € 523,20 enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Verhandlung mündliche, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E1979.2019

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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