TE Vwgh Erkenntnis 1998/9/25 95/21/0221

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Veröffentlicht am 25.09.1998
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §58 Abs2;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Baur und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des (am 10. März 1972 geborenen) G D, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 6. Februar 1995, Zl. St 325/94, betreffend Ausweisung und Feststellung gemäß § 54 FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Ausweisung) richtet, als unbegründet abgewiesen; im übrigen, d.h. im Umfang des Spruchpunktes II. (Feststellung gemäß § 54 FrG) wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, aus (Spruchpunkt I) und stellte gemäß § 54 Abs. 1 iVm § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG fest, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei (Spruchpunkt II).

Begründend führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt I. im wesentlichen aus, der Beschwerdeführer halte sich seit 17. Juli 1992 (somit seit rechtskräftiger Abweisung seines Asylantrages durch den Bundesminister für Inneres) "illegal" im Bundesgebiet auf, da ihm seit diesem Zeitpunkt weder eine (allenfalls bis dahin bestehende) Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zukomme, noch jemals ein Sichtvermerk oder eine Aufenthaltsbewilligung erteilt worden sei. Die Tatsache seines unberechtigten Aufenthaltes im Bundesgebiet - der Beschwerdeführer sei am 9. Jänner 1992 "illegal" zu Fuß über die grüne Grenze bei Spielfeld in das Bundesgebiet eingereist - sei von diesem auch nicht bestritten worden.

Im Fall eines Eingriffes durch eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 FrG in das Privat- oder Familienlebens eines Fremden sei ein Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten sei (§ 19 FrG). Unbestritten sei, daß durch die verfügte Ausweisung zwar in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen werde, jedoch lebe er mit seiner Ehegattin in Scheidung. Er sei mit der österreichischen Staatsangehörigen Sabine Schinagl seit eineinhalb Jahren befreundet und wolle diese heiraten. Auch sei der Beschwerdeführer nach seinen Angaben derzeit erwerbstätig.

Dem stehe gegenüber, daß sich der Beschwerdeführer zumindest seit 17. Juli 1992, also seit zweieinhalb Jahren, "illegal" in Österreich aufhalte. Ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß; die Ausweisung sei demnach zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten (Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 30. September 1993, Zl. 93/18/0419).

Weiters sei dem Beschwerdeführer vorzuwerfen, daß er sich nicht um die Legalisierung seines Aufenthaltes bemüht habe.

Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stelle die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Diesbezüglich habe der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Jänner 1994, Zl. 93/18/0584, ausgeführt, daß ein geordnetes Fremdenwesen für den österreichischen Staat von eminentem Interesse sei. Dies gelte "umsomehr in einer Zeit, in der, wie in jüngster Vergangenheit unübersehbar geworden, der Zuwanderungsdruck kontinuierlich zugenommen" habe. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Demgemäß sei die Ausweisung auch im Sinn des § 19 FrG dringend geboten, daran vermöge auch das Vorliegen einer geregelten Beschäftigung des Beschwerdeführers nichts zu ändern.

Zu Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde aus, gemäß § 37 Abs. 1 FrG sei eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, daß er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Der Beschwerdeführer habe anläßlich seiner Ersteinvernahme im Asylverfahren am 7. Februar 1992 angegeben, er hätte am 23. oder 24. Jänner 1992 zur jugoslawischen Bundesarmee einrücken müssen. Dies setze voraus, daß der Beschwerdeführer einen Einberufungsbefehl erhalten habe. Der Beschwerdeführer habe jedoch weder einen Einberufungsbefehl vorgelegt noch glaubhaft dargetan, daß er tatsächlich zur Bundesarmee hätte einrücken müssen. Es sei daher äußerst zweifelhaft, ob die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers der Wahrheit entsprächen.

Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, könne die belangte Behörde keine stichhaltigen Gründe dafür finden, daß der Beschwerdeführer in seinem Heimatland der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung, Strafe oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Der Beschwerdeführer habe lediglich angegeben, aus Furcht vor dem Militärdienst seinen Arbeitsplatz gekündigt und in weiterer Folge sein Land verlassen zu haben. Eine konkrete Gefährdung im vorerwähnten Sinn habe er nicht angeben können. Jedem Staat stehe es grundsätzlich zu, seine Staatsbürger zum Militärdienst (aus welchen Gründen auch immer) einzuberufen. Eine wegen Nichtbefolgung dieser Einberufung verhängte Strafe könne in der Regel nicht als Verfolgung bzw. Gefährdung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG gesehen werden.

Die vom Beschwerdeführer angeführte Tatsache, daß nach ihm gefahndet worden sei bzw.die jugoslawischen Behörden nach ihm suchen würden, stehe im Zusammenhang mit der von ihm behaupteten Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles.

Wie dem Beschwerdeführer bereits mit Schreiben der belangten Behörde vom 10. Jänner 1995 mitgeteilt, würden Albaner aus dem Kosovo kaum mehr einberufen, weil ihre Loyalität angezweifelt würde. Es fehlten auch Anhaltspunkte dafür, daß die Desertion von Kosovo-Albanern strenger bestraft werde als die Desertion von Angehörigen anderer Volksgruppen. Desertion werde als Übertretung von Art. 77 Abs. 1 oder Abs. 2 des jugoslawischen Militärpflichtgesetzes - also als administratives Vergehen - bzw. als Straftatbestand nach Art. 214 oder 217 des jugoslawischen Strafgesetzbuches gesehen; während das Militärpflichtgesetz Bußen oder eine Gefängnisstrafe bis 30 Tagen vorsehe, sei nach dem jugoslawischen Strafgesetzbuch eine Gefängnisstrafe von drei Monaten bis zehn Jahren möglich. Die Todesstrafe sei abgeschafft worden. Die verhängten Höchststrafen für Desertionen hätten die Dauer von ein bis höchstens zwei Jahren nicht überstiegen. Wesentlich häufiger seien bedingte Strafen oder gar Freisprüche, selbst wenn die ursprüngliche Anklage auf "Desertion und Untergraben der Wehr- und Verteidigungskraft" gelautet habe. Derartige Strafen könnten auch in "fast allen westlichen Ländern aus gegebenem Anlaß" verhängt werden.

Grundsätzlich bestehe nun auch nach jugoslawischem Recht die Möglichkeit, anstatt des Wehrdienstes den Zivildienst abzuleisten. Diese verfassungsmäßigen Rechte seien im Gesetz über die Armee Jugoslawiens (Amtsblatt der Bundesrepublik Jugoslawien Nr. 67/93) geregelt. Die vom Beschwerdeführer beigebrachten Dokumente seien zwar geeignet, eine nicht zu befürwortende menschenrechtliche Situation in der Bundesrepublik Jugoslawien zu vermitteln. Die belangte Behörde wolle sich der allgemeinen gesellschaftlichen und menschenrechtlichen Situation in den Nachfolgestaaten des "ehemaligen Jugoslawien" nicht verschließen, zugleich müsse jedoch betont werden, daß im vorliegenden Fall keine stichhaltigen Gründe im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG hätten glaubhaft gemacht werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zu Spruchpunkt I bringt der Beschwerdeführer vor, auch wenn er sich "illegal" in Österreich aufhalte, hätte bei Bedachtnahme auf § 19 FrG ein Ausweisungsbescheid nicht erlassen werden dürfen. Er habe sich bemüht, seinen unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu legalisieren, was sein Antrag gemäß § 54 FrG dokumentiere. Darüber hinaus habe die belangte Behörde keine hinreichenden Feststellungen zur Anwendung des § 19 FrG getroffen, weiters fehlten Feststellungen und Beweisaufnahmen zur Frage, inwiefern der Beschwerdeführer konkret eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle und weshalb aus diesem Grund seine Ausweisung dringend geboten sei.

Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten: Gemäß § 19 FrG ist im Fall eines Eingriffs durch die Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 leg.cit. in das Privat- oder Familienleben des Fremden diese Maßnahme nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Ansicht vertrat, daß die Ausweisung zwar einen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers bewirkte, dieser Eingriff aber zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenrechts dringend geboten sei. Für diese Beurteilung ist nicht ausschlaggebend, ob - wie die belangte Behörde annahm - "in jüngster Vergangenheit der Zuwanderungsdruck unübersehbarerweise kontinuierlich zunahm"; wesentlich ist vielmehr - wie von der belangten Behörde zutreffend hervorgehoben - der den Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet regelnden Vorschriften zukommende hohe Stellenwert aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (vgl. etwa für viele das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1996, Zl. 96/21/0341-0343). Der (lange andauernde) unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich beeinträchtigt erheblich die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenrechts. Gegenüber diesem beträchtlichen öffentlichen Interesse an der Beendigung seines unrechtmäßigen Aufenthaltes haben die im Hinblick auf die aufrechte Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin von der belangten Behörde anerkannten privaten Beziehungen im Inland zurückzutreten; die gegen den Beschwerdeführer verfügte Ausweisung ist somit im Grunde des § 19 FrG nicht rechtswidrig.

Soweit der Beschwerdeführer Feststellungs- und Begründungsmängel behauptet, unterläßt er es darzutun, zu welchen Feststellungen die belangte Behörde bei Vermeidung der behaupteten Verfahrensfehler hätte gelangen können, die zu einer für den Beschwerdeführer günstigen Entscheidung geführt hätten, und verabsäumt es damit, die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen.

Die Beschwerde war daher, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II führt die Beschwerde aus, bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde zum Ergebnis gelangen müssen, daß der Beschwerdeführer in seinem Heimatland aus Gründen des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei. Es sei für ihn unverständlich, daß die belangte Behörde bestreite, er wäre seinem Einberufungsbefehl zur jugoslawischen Bundesarmee nicht nachgekommen. Aus dem Umstand, daß er einen Einberufungsbefehl nicht habe vorlegen können, dürfe keinesfalls die Unglaubwürdigkeit seiner Angaben abgeleitet werden. Seine Angehörigen hätten ihm mitgeteilt, daß er von der Militärpolizei nach wie vor gesucht werde und er werde auch weiterhin versuchen, diesbezüglich Dokumente beizubringen, die er entweder im gegenständlichen Beschwerdeverfahren oder im Wege eines Wiederaufnahmeantrages den zuständigen Behörden vorlegen werde. Die Verweigerung der Wehrpflicht stehe in Jugoslawien unter strenger Strafe. Dazu komme, daß die Verweigerung der Wehrpflicht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes asylrelevant sei, wenn sie "eine ethnische Begründung" habe. Dies träfe auf den Beschwerdeführer, der als Kosovo-Albaner in Jugoslawien in allen Lebensbereichen benachteiligt sei, zu.

Die Ausführungen der belangten Behörde, denen zufolge Kosovo-Albaner kaum mehr einberufen würden, da ihre Loyalität seitens des Staates angezweifelt werde, seien unrichtig. Die Desertion von Kosovo-Albanern werde strenger bestraft als die Desertion von Angehörigen anderer Volksgruppen. Überdies bestünden erschwerte Haftbedingungen für Kosovo-Albaner. Die Möglichkeit, den Zivildienst abzuleisten, sei für den Beschwerdeführer nicht gegeben. Er hätte der Einberufung zur Bundesarmee durch Antragstellung auf Ableistung des Zivildienstes nicht entgehen können. Die belangte Behörde habe es unterlassen, Feststellungen zur konkreten politischen Situation im Kosovo und zur Behandlung von Kosovo-Albanern im Zusammenhang mit der sie treffenden Wehrpflicht zu treffen. Wären derartige Beweisaufnahmen durchgeführt worden, so hätte sich ergeben, daß im Kosovo Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung stünden, die sich auch auf den Bereich der jugoslawischen Bundesarmee erstreckten. Kosovo-Albaner würden in der Bundesarmee erheblich schlechter behandelt als Angehörige anderer Volksgruppen, "Kosovo-Deserteure" strenger bestraft als Wehrpflichtverweigerer anderer Volksgruppen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Der Beschwerdeführer hat sowohl im Asylverfahren als auch im fremdenpolizeilichen Verfahren vorgebracht, daß er im Hinblick auf seine bereits erfolgte Einberufung zum Militärdienst geflüchtet sei, weil er wegen seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe eine gegenüber anderen Staatsangehörigen in asylerheblicher Weise schlechtere Behandlung befürchtet habe. Aus solchen ethnischen Gründen habe er auch eine gegenüber anderen Staatsangehörigen härtere Bestrafung zu erwarten. Die belangte Behörde hat dazu nur ausgeführt, daß es "äußerst zweifelhaft" sei, ob diese Angaben der Wahrheit entsprächen. Der Beschwerdeführer habe weder einen Einberufungsfehl vorgelegt noch glaubhaft dargetan, daß er tatsächlich zur Bundesarmee hätte einrücken müssen. Demgegenüber hat aber der Beschwerdeführer bereits anläßlich seiner Ersteinvernahme im Asylverfahren darauf hingewiesen, daß er den Einberufungsbefehl erhalten habe, wovon auch die Asylbehörden ausgegangen sind. Auch die Behörde erster Instanz im fremdenpolizeilichen Verfahren hat ihren Ausführungen die Feststellung zugrundegelegt, daß der Beschwerdeführer bereits einen Einberufungsbefehl erhalten habe. Auch noch in ihrem Schreiben vom 22. November 1994 ist die belangte Behörde selbst von der Annahme ausgegangen, der Beschwerdeführer habe sich in seinem Heimatland dem Wehrdienst entzogen, wobei dieser Umstand jedoch angesichts der in diesem Schreiben dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Sachverhaltsannahme und Rechtsauffassung aus näher angeführten Gründen nicht hinreiche, eine Gefährdung im Sinne der bezogenen Gesetzesstellen zu begründen. Zur Vorlage eines schriftlichen Einberufungsbefehls wurde der Beschwerdeführer nicht aufgefordert. Wenn nun die belangte Behörde im bekämpften Bescheid die von ihr ausgedrückten "Zweifel" an der Behauptung, der Beschwerdeführer sei zum Militärdienst einberufen worden, im wesentlichen - und ohne ihm Gelegenheit zur Stellungnahme hiezu zu geben - nur damit begründet, der Beschwerdeführer habe im Verfahren keinen Einberufungsbefehl vorgelegt, so hat sie damit ihr Verfahren mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet.

Nach den im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A, aufgestellten Grundsätzen stellt die Furcht vor Ableistung des Militärdienstes grundsätzlich keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar, ebensowenig wie eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung (vgl. als Beispiel für viele die hg. Erkenntnisse vom 30. November 1992, Zl. 92/01/0718, vom 21. April 1993, Zlen. 92/01/1121, 1122; vom 27. Juli 1995, Zl. 94/19/1369, und vom 28. November 1995, Zl. 95/20/0134). Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Auffassung auch in Fällen vertreten, in denen in den betroffenen Heimatstaaten Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden haben, insbesondere auch betreffend die frühere Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (so auch im bereits zitierten Erkenntnis des verstärkten Senates vom 29. Juni 1994).

Nach den in diesen Erkenntnissen festgelegten Kriterien kann allerdings die Furcht, wegen Desertion bestraft zu werden, dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung zum Militärdienst aus einem der in Art. I Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt oder aus solchen Gründen eine strengere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung als bei anderen Staatsangehörigen zu befürchten wäre. Einen derartigen Umstand hat der Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren behauptet, denn er hat auf das Aufforderungsschreiben der belangten Behörde vom 22. November 1994 in seinem Antwortschreiben vom 5. Dezember 1994 ausdrücklich erwidert, daß er als Albaner einer in der Bundesrepublik Jugoslawien unterdrückten ethnischen Minderheit angehöre. Das hat auch die belangte Behörde in ihrem Bescheid angenommen, wenn sie zum Ausdruck brachte, daß in der Bundesrepublik Jugoslawien "eine nicht zu befürwortende menschenrechtliche Situation" im Hinblick auf die albanischen Volksangehörigen bestehe. Der Beschwerdeführer hat ausdrücklich behauptet, daß in der Verwaltungspraxis Albaner entgegen der von der belangten Behörde angenommenen Rechtslage wegen Verweigerung des Militärdienstes überproportional hart bestraft würden. Er behauptete sohin eine aufgrund der Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe härtere Bestrafung wegen Desertion als sie die anderen Staatsangehörigen zu erwarten hätten. Träfen diese Behauptungen des Beschwerdeführers zu, so dürfte ihnen nicht ohne Durchführung von Ermittlungen darüber, welche Praxis betreffend die Bestrafung von Deserteuren albanischer Herkunft im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Jugoslawien im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides gepflogen wurde, die Relevanz im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG abgesprochen werden. Dazu hatte der Beschwerdeführer auch diverse Urkunden vorgelegt, mit denen sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt hat. Die von ihr getroffenen anderslautenden Feststellungen - die wegen Desertion verhängten Strafen seien mangels anderer Anhaltspunkte für alle Staatsangehörigen gleich - sind nicht weiter begründet, insbesondere ist nicht ersichtlich, auf welche Ermittlungsergebnisse die belangte Behörde ihre Feststellungen gestützt hat, und auch dem Akteninhalt läßt sich nicht entnehmen, daß die belangte Behörde zu den konkret vorgebrachten Einwendungen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren Erhebungen durchgeführt hätte. Die belangte Behörde hat ihre Feststellungen offensichtlich nur auf Basis von eingeholten Informationen über die in der Bundesrepublik Jugoslawien bestehende Gesetzeslage getroffen. Ausgehend von den Behauptungen des Beschwerdeführers hätte sich aber die belangte Behörde nicht mit der Wiedergabe der Gesetzeslage im Heimatstaat des Beschwerdeführers begnügen dürfen, sondern sie hätte Erhebungen über die nach den Beschwerdebehauptungen nicht vereinzelt gebliebene, sondern generelle gesetzwidrige Praxis der Behörden im Heimatstaat des Beschwerdeführers pflegen müssen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 96/21/0285).

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Spruchpunkt II infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung lediglich die Vorlage von zwei Beschwerdeausfertigungen und einer Bescheidausfertigung erforderlich war.

Wien, am 25. September 1998

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung der Wertung einzelner Beweismittel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995210221.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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