TE Vwgh Erkenntnis 2019/10/24 Ra 2018/15/0097

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Veröffentlicht am 24.10.2019
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag
32/04 Steuern vom Umsatz

Norm

BAO §303 Abs1
BAO §303 Abs1 litb
LiebhabereiV 1993 §2 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Salzburg-Stadt in 5026 Salzburg, Aignerstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 23. Mai 2018, Zl. RV/6100091/2016, betreffend Wiederaufnahme hinsichtlich Einkommensteuer 2008 bis 2012 (mitbeteiligte Partei: Dr. H K in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte erklärte in den Streitjahren - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - neben seinen Einkünften als pensionierter Beamter (Bundesdienstpension) negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die Erklärungen langten jeweils elektronisch beim Finanzamt ein, woraufhin dieses jeweils Einkommensteuerbescheide erließ.

2 Nach einer Außenprüfung im Juli 2014 nahm das Finanzamt die gegenständlichen Einkommensteuerverfahren wieder auf. Begründend wies es darauf hin, dass im Zuge der Außenprüfung festgestellt worden sei, dass der Mitbeteiligte in den streitgegenständlichen Jahren nicht nur einer Sachverständigen/Gutachtertätigkeit (für Wohnhäuser und Baugründe) nachgegangen, sondern auch als Immobilienvermittler und Buchhalter aufgetreten sei, er jedoch in den streitgegenständlichen Jahren nur eine (gemeinsame) Einnahmen/Ausgaben-Rechnung für einen Gewerbebetrieb erstellt und dem Finanzamt als Veranlagungsgrundlage vorgelegt habe. Die vom Mitbeteiligten erstellten Einnahmen/Ausgaben-Rechnungen beinhalteten sämtliche Einnahmen und Ausgaben eines Veranlagungsjahres. Damit lägen Einnahmen und Ausgaben vor, welche nicht nur der bisher bekannt gewesenen gewerblichen Tätigkeit als Gutachter/Sachverständiger zuzuordnen seien, sondern den zusätzlich ausgeübten Tätigkeiten der Immobilienvermittlung bzw der Buchhaltertätigkeit, wobei die Tätigkeit als Immobilienvermittler und die Tätigkeit als Immobiliengutachter/Sachverständiger einander ergänzten und damit - neben dem Gewerbebetrieb als Buchhalter - als ein Gewerbebetrieb anzusehen seien.

3 Die Außenprüfung habe auch festgestellt, dass der Mitbeteiligte Ausgaben geltend gemacht habe, bei welchen sich anlässlich der Außenprüfung erstmals gezeigt habe, dass diese entweder privat veranlasst seien oder Mischaufwand darstellten. Im Zeitpunkt der Erlassung der Bescheide sei nicht bekannt gewesen, dass private Fahrten vorlägen.

4 Die Außenprüfung sei im Übrigen schließlich zum Ergebnis gekommen, dass die beiden gewerblichen Tätigkeiten als Liebhaberei zu beurteilen und die daraus erzielten Verluste (Immobiliengutachter-Sachverständiger/Immobilienvermittler) bzw. Gewinne (Buchhaltung) nicht anzuerkennen seien, weshalb letztlich sowohl die Einkünfte als Immobiliengutachter-Sachverständiger/Immobilienvermittler als auch jene aus Buchhaltung unter den Einkünften aus Gewerbebetrieb mit Null festzusetzen seien.

5 Die von der Außenprüfung getroffenen Feststellungen (Liebhaberei; zwei voneinander unabhängige Gewerbebetriebe; mangelnde betriebliche Veranlassung bei Ausgabenpositionen) würden ausreichen, um die Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer 2008 bis 2012 gemäß § 303 Abs. 1 BAO wiederaufzunehmen.

6 Der Mitbeteiligte erhob sowohl gegen die Wiederaufnahme als auch gegen die Sachbescheide Beschwerde.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BFG der Beschwerde des Mitbeteiligten betreffend Wiederaufnahme Folge und hob die Bescheide ersatzlos auf. Begründend führte es aus, die vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegründe würden eine Wiederaufnahme nach dem Neuerungstatbestand nicht tragen. 8 Betreffend Liebhabereifeststellung der Außenprüfung habe der Mitbeteiligte im Erstverfahren bereits alle für eine richtige rechtliche Subsumtion maßgeblichen Umstände des Sachverhaltes und zwar durch Offenlegung der (aus den Verwaltungsakten auch unstrittig ersichtlichen) Verluste bekanntgegeben und damit der Abgabenbehörde nicht nur ein richtiges und vollständiges, sondern auch ein klares Bild der für die Abgabenerhebung maßgeblichen Umstände verschafft. Neben der erfolgten Offenlegung der Verluste sei auch aktenmäßig erkennbar gewesen, dass der Mitbeteiligte neben seinen laufenden Einkünften aus dem Bundesdienst seit 1993 überwiegend negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb erklärt habe, die zu entsprechenden Abgabengutschriften geführt hätten. Der Umstand, dass der Mitbeteiligte einer steuerlich unbeachtlichen Liebhabereibetätigung nachgehen könne, sei daher nicht erst durch die abgabenbehördliche Prüfung bekannt geworden.

9 Die vom Finanzamt weiter herangezogenen Wiederaufnahmegründe gingen insofern ins Leere, als sie Feststellungen beträfen, die zwar der Behörde erst im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung zur Kenntnis gelangt seien, aber im hier zu beurteilenden Verfahren zu keinem anderen Ergebnis - als, dass der Mitbeteiligte einer steuerlich unbeachtlichen Liebhabereibetätigung nachgehe - geführt hätten.

10 So sei die Abgabenbehörde aus der Kenntnis heraus, dass der Mitbeteiligte eigentlich zwei voneinander unabhängige Gewerbebetriebe geführt habe, zu keinem anderen Schluss gekommen, als dass diese beide steuerlich unbeachtliche Liebhabereibetätigungen darstellten. Die Abgabenbehörde sei aufgrund der Außenprüfung zwar zur Ansicht gelangt, dass die (ausschließlich für Tochter und Schwiegersohn erbrachte) Buchhaltertätigkeit einen eigenständigen Betrieb darstelle, sie habe diese aber als Leistung im Familienverband rechtlich eingeordnet und damit ohnehin wiederum der "Liebhaberei" und somit jenem Sachverhaltselement, das nicht erst durch die Außenprüfung bekannt geworden sei, zugeordnet.

11 Den Feststellungen der Außenprüfung in Bezug auf die mangelnde betriebliche Veranlassung diverser Ausgabenpositionen fehle schließlich die Entscheidungswesentlichkeit, weil sich deren Auswirkungen lediglich auf die Höhe der schon im Erstverfahren bekannten negativen Einkünfte beschränkten.

12 Das Finanzamt habe daher lediglich einen ihm bereits aus dem Erstverfahren bekannten Sachverhalt im Rahmen einer Außenprüfung rechtlich neu gewürdigt. Die Wiederaufnahme des Verfahrens diene jedoch nicht dazu, die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung zu beseitigen. 13 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die (außerordentliche) Amtsrevision des Finanzamts. Zur Zulässigkeit der Revision macht das Finanzamt geltend, das Erkenntnis des BFG weiche in zweierlei Hinsicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab. Zum einen widerspreche die Sichtweise des BFG, wonach es für die Liebhabereibeurteilung ausreiche, dass der Verlust offengelegt werde, der ständigen Rechtsprechung des VwGH, wonach maßgebend sei, dass der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen sei, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können (Hinweis auf VwGH 19.9.2013, 2011/15/0157; 31.5.2011, 2009/15/0135).

14 Zum anderen sehe das BFG in den als Betriebsausgabe geltend gemachten Privataufwendungen neue Tatsachen iSd § 303 Abs. l lit b BAO, spreche ihnen jedoch die Entscheidungswesentlichkeit ab, weil sich deren Auswirkungen lediglich auf die Höhe der schon im Erstverfahren bekannten negativen Einkünfte beschränkten. Diese Ansicht widerspreche der ständigen Rechtsprechung des VwGH, wonach eine Wiederaufnahme von Amts wegen in allen Fällen zulässig sei, in denen Tatsachen und Beweismittel neu hervorkämen, die im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden seien und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten (Hinweis auf VwGH 31.5.2011, 2009/15/0135; 24.2.2011, 2009/15/0161). Dass die Nichtanerkennung von Privatausgaben als Betriebsausgaben schon für sich allein zu einem im Spruch anders lautenden Bescheid führe, sei evident. 15 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, wonach sich bei richtiger Berechnung der gesamten Gewinne und Verluste seines Gewerbebetriebs seit 1993 ein Gesamtgewinn zum Zeitpunkt der Schlussbesprechung der Außenprüfung ergeben hätte.

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

17 Die Revision ist zulässig und begründet.

18 Gemäß § 303 Abs. 1 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen u. a. zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

19 Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung allein oder iVm dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften (vgl. VwGH 23.11.2016, Ra 2014/15/0006, mwN).

20 Eine Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können (vgl. VwGH 23.11.2016, Ra 2014/15/0006, mwN). 21 Das revisionswerbende Finanzamt hat im Rahmen der durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung u. a. festgestellt, dass sich ungeachtet der anhaltenden Verluste des Mitbeteiligten "ein Bemühen durch Verbesserungsmaßnahmen und ein

Ertragsstreben ... aus den Feststellungen der Betriebsprüfung"

nicht ergeben habe. Aus der Sachverständigen/Gutachtertätigkeit des Mitbeteiligten hätten sich im Prüfzeitraum nur Verluste ergeben, wobei mit Ablauf des Jahres 2008 auch die Eintragung des Mitbeteiligten als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger geendet habe. Den Aufwendungen aus seiner Tätigkeit als Immobilienvermittler (für Akquirierungen, Besichtigungen, Lageerkundungen, Fotos, Behördenfahrten, Besprechungen,...) seien im gesamten Prüfungszeitraum überhaupt keinerlei Erlöse gegenüber gestanden. Mit der Art und Weise, wie der Mitbeteiligte seine Tätigkeit betrieben habe, sei jedenfalls bereits im Prüfzeitraum festgestanden, dass die Erwirtschaftung eines künftigen Gesamterfolgs in einem angemessenen Zeitraum nicht möglich sei. Die unterschiedlich ausgeübten Tätigkeiten des Mitbeteiligten seien der Behörde im Einzelnen erst durch die abgabenbehördliche Prüfung bekannt geworden und berechtigten sie zur Wiederaufnahme.

22 Wie die Amtsrevision zutreffend vorbringt, steht die Bekanntgabe von Verlusten in der Einkommensteuererklärung bzw. der Einnahmen/Ausgaben-Rechnung des Mitbeteiligten einer amtswegigen Wiederaufnahme durch das Finanzamt nicht entgegen, weil die im Rahmen der Beurteilung der Liebhaberei anzuwendende Kriterienprüfung der Liebhabereiverordnung (§ 2 Abs. 1 LVO) sich nicht auf das Feststellen des Vorliegens von Verlusten beschränkt, sondern eine umfassendere Prüfung der Betätigung voraussetzt. 23 Im Revisionsfall wurden dem Finanzamt erst durch die durchgeführte abgabenbehördliche Prüfung die näheren Umstände der Betätigung des Mitbeteiligten, seine unterschiedlichen Tätigkeitsfelder und die damit jeweils in Zusammenhang stehenden Aufwendungen bekannt. Diese Umstände stellen - entgegen der Ansicht des BFG - einen Wiederaufnahmegrund gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar.

24 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben.

Wien, am 24. Oktober 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018150097.L00

Im RIS seit

11.12.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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