TE Vwgh Erkenntnis 2019/11/4 Ra 2019/18/0187

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Veröffentlicht am 04.11.2019
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §8 Abs1
EURallg
MRK Art2
MRK Art3
32013L0033 Aufnahme-RL Art21

Betreff

Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der M M, vertreten durch Mag. Nicolaus Mels-Colloredo, Rechtsanwalt in Wien, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Armin Windhager, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2019, G306 2179522-1/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten richtet.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine irakische Staatsangehörige, stammt aus Bagdad und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Sie stellte am 2. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen damit begründete, ihr Vater sei aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit für die Regierung von Anhängern einer Miliz geschlagen und die gesamte Familie mit dem Tod bedroht worden.

2 Mit Bescheid vom 31. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte das BFA mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. 3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten und einer subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt A. I.), stellte fest, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, und erteilte der Revisionswerberin unter einem einen Aufenthaltstitel nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005 (Spruchpunkt A. II.). Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig (Spruchpunkt B.).

4 Begründend führte das BVwG - zusammengefasst - aus, das Fluchtvorbringen der Revisionswerberin sei aus näher genannten Gründen nicht glaubhaft. Auch lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten nicht vor. Es werde nicht verkannt, dass die Sicherheitslage in Teilen Iraks prekär sei, es könne jedoch nicht erkannt werden, dass bereits aufgrund der bloßen Präsenz der Revisionswerberin in ihrem Herkunftsstaat davon ausgegangen werden müsse, dass sie wahrscheinlich Opfer eines Anschlages werden würde. Die Revisionswerberin sei eine arbeitsfähige und gesunde Frau mit langjähriger Schulbildung. Daher sei sie grundsätzlich in der Lage, sich mit diversen Tätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Darüber hinaus könne sie von ihrer Mutter und Schwester unterstützt werden. Hinsichtlich der erteilten Aufenthaltsberechtigung legte das BVwG dar, dass die Revisionswerberin schwanger sei. Da der Vater des ungeborenen Kindes, ein irakischer Staatsangehöriger, mit dem die Revisionswerberin eine traditionelle Ehe eingegangen sei, in Österreich als Asylberechtigter lebe, erweise sich eine Ausweisung der Revisionswerberin als unverhältnismäßig.

5 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, dass der Revisionswerberin im Familienverfahren Asyl gewährt hätte werden müssen, weil sie mit einem Asylberechtigten verheiratet sei. Zudem beanstandet die Revision die Nichtgewährung subsidiären Schutzes und bringt dazu unter Nennung konkreter Beispiele vor, dass eine nach der Rechtsprechung vorgesehene einzelfallbezogene Beurteilung der Gefährdung der Revisionswerberin unterblieben sei.

6 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision ist teilweise zulässig und teilweise begründet. 9 Zu Spruchpunkt I.:

Soweit sich die Revision gegen die Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten richtet, gelingt es ihr nicht, eine Rechtsfrage darzulegen, der - entgegen dem Ausspruch des BVwG - im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. 10 Wenn die Revision diesbezüglich vermeint, der Revisionswerberin hätte gemäß § 34 AsylG 2005 Asyl zuerkannt werden müssen, da sie mit einem Asylberechtigten verheiratet sei, ist ihr zu entgegnen, dass einerseits die in Wien nach islamischem Ritus geschlossene Ehe die Formvorschriften des Ortes der Eheschließung nicht erfüllt und sohin nach österreichischem Recht nicht gültig ist (vgl. VwGH 7.5.2019, Ra 2019/20/0144, mwN), und andererseits von der Definition des Familienangehörigen gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 Ehegatten nur erfasst sind, sofern die Ehe bereits vor der Einreise bestanden hat.

11 Zu Spruchpunkt II.:

Berechtigung kommt der Revision jedoch insoweit zu, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten richtet.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation der betroffenen Person in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0315 bis 0320, mwN). 13 Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass eine besondere Vulnerabilität bei der Beurteilung, ob einer revisionswerbenden Partei bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen ist (vgl. VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479, mwN). 14 Gegenständlich ist daher insbesondere der Umstand miteinzubeziehen, dass es sich bei der Revisionswerberin um eine im Entscheidungszeitpunkt des BVwG schwangere Frau, sohin um eine besonders vulnerable und schutzbedürftige Person im Sinne des Art. 21 der EU-Richtlinie 2013/33/EU ("Aufnahmerichtlinie") handelt.

15 Diesbezüglich führt die Revision zu Recht ins Treffen, dass das Erkenntnis eine einzelfallbezogene Beurteilung der Gefährdung vermissen lässt. Den Ausführungen des BVwG ist nämlich nicht zu entnehmen, dass es bei der Beurteilung der Versorgungslage in ausreichender Weise berücksichtigt hätte, dass es sich bei der Revisionswerberin um eine schwangere Frau handelt, die ohne ihren Ehemann nach islamischem Ritus, der in Österreich asylberechtigt ist, in den Irak zurückkehren müsste. Den Umstand der Schwangerschaft bzw. des zukünftigen Lebens als alleinstehende Mutter mit einem Kleinstkind im Irak überging das BVwG auch hinsichtlich anderer Aspekte der Art. 3 EMRK-Prüfung und kam so zu dem Schluss, dass es sich bei der Revisionswerberin um eine "arbeitsfähige und gesunde Frau handle, deren Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne".

16 Damit hat das BVwG seine Entscheidung mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, weil nicht auszuschließen ist, dass das BVwG nach konkreter Auseinandersetzung mit der tatsächlich vorzufindenden Rückkehrsituation zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass der Revisionswerberin subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen wäre.

17 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten jedoch gemäß § 34 Abs. 1 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.

18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 4. November 2019

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180187.L00

Im RIS seit

04.12.2019

Zuletzt aktualisiert am

04.12.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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