TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/27 W152 1425102-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.05.2019
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Entscheidungsdatum

27.05.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 130 Abs1 Z3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
VwGVG §8 Abs1

Spruch

W152 1425102-2/48E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Walter KOPP nach Übergang der Entscheidungspflicht infolge einer Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl über den am 03.11.2011 gestellten Antrag auf internationalen Schutz, Zl. 11 13.265-BAW, des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.12.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Antrag von XXXX auf internationalen Schutz wird bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wird der Antrag von XXXX auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.

III. Eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ist gemäß § 52 FPG idgF iVm § 9 BFA-VG idgF auf Dauer unzulässig. XXXX wird gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG idgF nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Asylwerber reiste am 02.11.2011 (illegal) in das Bundesgebiet ein und stellte am 03.11.2011 Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, worauf er am 03.11.2011 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes und am 07.11.2011 und 16.02.2012 vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen wurde.

Das Bundeasylsamt, Außenstelle Wien, wies dann den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit Bescheid vom 16.02.2012, Zahl: 11 13.265-BAW, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgesprochen (Spruchpunkt III). Einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde hiebei gemäß § 38 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV).

Gegen diesen Bescheid erhob der Asylwerber fristgerecht Beschwerde.

Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 12.03.2012, Zl. C8 425102-1/2012/2Z, wurde der Beschwerde gemäß § 38 Abs. 2 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Der Asylgerichtshof behob in weiterer Folge mit Erkenntnis vom 13.08.2013, Zl. C8 425102-1/2012/4E, in Erledigung der Beschwerde den bekämpften Bescheid und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Dieses Erkenntnis wurde dem Bundesasylamt am 29.08.2013 rechtswirksam zugestellt, wo die diesbezüglichen Verwaltungsakten am 30.08.2013 wieder einlangten.

Mit undatiertem Schriftsatz, der am 10.11.2014 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebracht wurde, erhob der Asylwerber Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Säumnisbeschwerde).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte schließlich mit mit "22.02.2014" (richtig wohl: 22.02.2015) datiertem Schreiben - ohne die Möglichkeit der Nachholung des Bescheides genutzt zu haben - die Säumnisbeschwerde einschließlich der Verwaltungsakten vor, wobei insbesondere ausgeführt wurde, dass die Finalisierung des gegenständlichen Asylverfahrens innerhalb von drei Monaten aufgrund des hohen Aktenaufkommens in der Regionaldirektion Wien nicht möglich erschiene, weshalb der Akt vorgelegt werde.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen (Sachverhalt):

Feststellungen zur Person des Asylwerbers:

Der Asylwerber ist Staatsangehöriger von Afghanistan, trägt den Namen XXXX und wurde im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Paktia in Afghanistan geboren, wo er sein gesamtes Leben verbrachte. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und gehört der Religionsgemeinschaft der Sunniten an.

Die Angaben zu seinen Fluchtgründen konnten der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit jedoch nicht zugrunde gelegt werden.

Der Asylwerber konnte keine relevante schwerwiegende bzw. lebensbedrohende Krankheit ins Treffen führen.

Der strafgerichtlich unbescholtene Asylwerber lebt nunmehr seit 02.11.2011 - somit seit mehr als sieben Jahren - ohne Unterbrechung im Bundesgebiet, wobei seinem (legalen) Aufenthalt ausnahmslos sein Asylverfahren zu Grunde lag. Der Asylwerber ist der Lebensgefährte der österreichischen Staatsangehörigen XXXX , geb. XXXX , die er seit November/Dezember 2014 kennt, und hat mit dieser einen gemeinsamen Sohn namens XXXX , der am XXXX in XXXX geboren wurde, wobei auch eine Eheschließung angestrebt wird. Der Asylwerber hilft im Haushalt, kümmert sich um einen weiteren leiblichen Sohn seiner Lebensgefährtin und ist auch in deren Familie integriert.

Der Asylwerber erwarb am 20.07.2017 das ÖSD Zertifikat A1 (Sprachzertifikat) und am 21.12.2017 das ÖSD Zertifikat A2. Er verfügt jedenfalls über Deutschkenntnisse, die eine Kommunikation durchaus ermöglichen, wobei er dies im Rahmen der Verhandlung bewies. Der Asylwerber betätigt sich auch rege im Rahmen des gemeinnützigen Vereines " XXXX .

Feststellungen zur Lage in Afghanistan:

Nach Jahrzehnten gewaltsamer Konflikte befindet sich Afghanistan in einer schwierigen Aufbauphase und einer weiterhin volatilen Sicherheitslage. Die staatlichen Strukturen sind noch nicht voll arbeitsfähig. Tradierte Werte stehen häufig einer umfassenden Modernisierung der afghanischen Gesellschaft entgegen.

Seit Ende 2014 sind die afghanischen Sicherheitskräfte für die Sicherheit im Land selbst verantwortlich. Auf dem Weg zu einem voll funktionsfähigen und fiskalisch lebensfähigen Staat hat Afghanistan verstärkte eigene Anstrengungen unternommen, ist aber weiterhin auf umfangreiche internationale Unterstützung angewiesen. Zukunftsängste und Unsicherheit hinsichtlich der wirtschaftlichen und Sicherheitsentwicklung des Landes sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Generell wird in Afghanistan keine vom Staat organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung ausgeübt. Im Gegenteil ist sich die Regierung ihrer Schutzverantwortung für die eigene Bevölkerung bewusst, ist allerdings nicht immer in der Lage, diese auch effektiv umzusetzen.

Die Sicherheitslage in Afghanistan weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist.

Das Justizsystem funktioniert nur sehr eingeschränkt; der Zugang zur Justiz ist nicht umfassend gewährleistet. Trotz großer Fortschritte in der Gesetzgebung seit 2002 gibt es keine einheitliche und durchgängig korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht). Die Verwaltung ist nur eingeschränkt handlungsfähig; die Ausbildung von Justiz- und Vollzugsbeamten weist erhebliche Mängel auf. Die humanitäre Lage bleibt schwierig. Die Versorgung von hunderttausenden Rückkehrern, vor allem aus den Nachbarländern Iran und Pakistan, und Binnenvertriebenen stellt das Land vor große Herausforderungen. Hinzu kommt die chronische Unterversorgung der Bevölkerung in Konfliktgebieten. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Ernteerträge 2018 aufgrund der geringen Niederschlagsmengen deutlich geringer ausfallen werden.

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Afghanistan wurde erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für den Zeitraum 2018-2020 gewählt.

Allgemeine politische Lage

In Folge der umstrittenen Präsidentschaftswahlen 2014 und der Bildung der Regierung der Nationalen Einheit (RNE) wurde am 29. September 2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist.

Trotz umfangreicher Reformvorhaben und aufwendiger Konsultationsmechanismen bleiben Qualität und Transparenz der Regierungsführung und der demokratischen Prozesse weiterhin oft mangelhaft. Allerdings ist Staatspräsident Ghani bemüht, notwendige Reformen, insbesondere Anti-Korruptionsmaßnahmen, umzusetzen u. a. durch das Anti Corruption Justice Center (ACJC), das Fälle erheblicher Korruption auch unter hochrangigen Funktionären der afghanischen Regierung verfolgt.

Unzureichende personelle und administrative Kapazitäten der Regierung sowie die schwierige Haushaltslage beeinträchtigen weiterhin vor allem die strategische Planung und Umsetzung von Politikvorhaben und Regierungsbudgets, insbesondere auf subnationaler Ebene. Fortschritte sind allerdings durchaus erkennbar.

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament aber seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit gezielt zu behindern, Personalvorschläge der Regierung zum Teil über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern.

Das noch im Entstehen befindliche afghanische Parteiensystem weist mit über 50 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen.

Im Sommer 2018 bestimmt die Vorbereitung der anstehenden Parlaments- und Distriktratswahlen die Innenpolitik. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlaments abgelaufen. Seine verlängerte Amtszeit (per Präsidialdekret) trägt zur Politikverdrossenheit der Bevölkerung und zu wachsender Kritik an der Regierung bei. Die Neuwahlen sind nach aktuellem Stand für Oktober 2018 angesetzt. Im Vorfeld und während der Wahlen sind landesweit Zwischenfälle und Anschläge seitens regierungsfeindlicher Kräfte sowie Einwirken auf und Drohungen gegenüber der Bevölkerung, den Kandidaten und verantwortlichen staatlichen Stellen zu erwarten. In den von den Taliban kontrollierten Landesteilen wird die Bevölkerung von ihrem Wahlrecht nur mit Schwierigkeiten, unter Umständen gar nicht Gebrauch machen können.

Korruption ist nach wie vor ein Problem, das sich durch alle Bereiche des öffentlichen Lebens zieht. Auf dem Transparency International Corruption Perception Index belegte Afghanistan 2017 Platz 177 von 180.

Afghanistan steht vor erheblichen Entwicklungsherausforderungen. Allen voran ist das Land durch eine anhaltend komplexe Sicherheitslage geprägt, die Elemente terroristischer Gewalt ebenso einschließt wie organisierte Kriminalität und lokale Stammeskonflikte. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Perspektive einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung und die potentielle Verbesserung der Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung. Korruption, Nepotismus und tradierte Machtstrukturen prägen vielfach die Gesellschaft. Zugleich ist Afghanistan einem rasanten Veränderungs- und Modernisierungsprozess ausgesetzt. Der Kapazitätsaufbau in der öffentlichen Verwaltung und die zunehmende Verrechtlichung weiter Bereiche verbessern die Ausgangsbedingungen für eine positive Entwicklung. Auch wenn Afghanistan weiterhin auf einem der untersten Plätze des Human Development Index (169 von 188) rangiert, haben sich für viele Afghanen die Lebensbedingungen in absoluten Zahlen über die letzten 15 Jahre deutlich verbessert.

Staatliche Repressionen

In Afghanistan gibt es keine systematische, staatlich organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung. Die Regierung ist allerdings häufig nicht in der Lage, ihre Schutzverantwortung effektiv wahrzunehmen. Die Zentralregierung hat seit je nur beschränkten Einfluss auf lokale Machthaber und Kommandeure, die häufig ihre Macht missbrauchen. In vielen Regionen Afghanistans besteht auf lokaler und regionaler Ebene ein komplexes Machtgefüge aus Ethnien, Stämmen, sogenannten Warlords und privaten Milizen, aber auch Polizei- und Taliban- Kommandeuren.

Die Lebensbedingungen des Einzelnen hängen häufig von seiner Stellung im örtlich herrschenden Machtgefüge sowie seinem Verhältnis zu den jeweils daran beteiligten Gruppierungen ab und werden von der Stabilität der örtlichen Machtverhältnisse beeinflusst. Seine Bedrohung kann nur unter Berücksichtigung regionaler und lokaler Gegebenheiten und "unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls" (UNHCR) wie Ethnie, Stamm, Konfession, Geschlecht, Familienstand und Herkunft beurteilt werden.

Die staatlichen Sicherheitskräfte Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) bestehen aus Afghan National Army (ANA), Afghan Border Force und Afghan Border Police (ABP), Afghan National Police (ANP), Afghan National Civil Order Police (ANCOP), Afghan Local Police (ALP), Afghan Special Forces und dem National Directorate of Security (NDS). Daneben existiert eine Vielzahl bewaffneter Milizen. Diese werden in der Regel von lokalen Machthabern oder Warlords angeführt. Zwischen ihnen kommt es immer wieder zu Kämpfen um Einfluss. Diesen Gruppen werden immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

Zudem gibt es vor allem über die ALP kritische Berichte. Ihre Mitglieder werden durch die lokalen Dorfführer bestellt. Sie sollen Gemeinden vor Angriffen schützen, wichtige Strukturen bewachen und Gegenangriffe gegen regierungsfeindliche Milizen führen. Die Mitglieder erhalten ein geringeres Gehalt als Mitglieder der ANA oder der ANP und müssen in vielen Fällen ihre Ausrüstung selbst beschaffen. Der ALP werden häufig Korruption sowie Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

Der NDS ist der afghanische Inlandsgeheimdienst, der von den oben genannten Sicherheitsbehörden getrennt ist, aber sowohl nachrichtendienstliche als auch polizeiliche Aufgaben wahrnimmt. Er ist daher auch befugt, Festnahmen durchzuführen und betreibt eigene Gefängnisse.

Die afghanischen Gerichte sind weitgehend unabhängig von offizieller staatlicher Einflussnahme, aber personell schlecht ausgestattet und wiederholten Berichten zufolge besonders korruptionsanfällig. Die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung hat kein Vertrauen in die Justiz.

Politische Opposition

Regierung und Opposition sind in Afghanistan nicht ohne weiteres voneinander zu trennen. Kriterien wie Ethnie und Stammeszugehörigkeit spielen eine wichtigere Rolle als ideologische Aspekte. Politische Allianzen werden schnell geschlossen, gehen aber ebenso schnell wieder auseinander. Die Regierung der Nationalen Einheit (RNE) wird regelmäßig aus verschiedenen Lagern scharf kritisiert. Auch Mitglieder der Regierung kritisieren diese zum Teil öffentlich, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Auf lokaler Ebene gibt es allerdings Berichte von Übergriffen bis hin zur Verhaftung durch lokale Polizeieinheiten nach Kritik an lokalen Machthabern.

Versammlungsfreiheit

Die Versammlungsfreiheit ist in Afghanistan grundsätzlich gewährleistet. Es gibt regelmäßig - genehmigte wie spontane - Demonstrationen, v. a. gegen soziale Missstände, die schlechte Sicherheitslage oder auch für die Gewährleistung von Frauenrechten. So fanden beispielsweise infolge des Anschlags auf eine Sportveranstaltung in Lashkar Gar am 23. März 2018 mit 17 getöteten und 38 verletzten Zivilisten Friedensdemonstrationen in den Provinzen Helmand, Herat, Bamyan, Khost, Paktika, Kunar, Zabul und Nangarhar statt.

Trotz erheblicher Anstrengungen ist die Regierung jedoch nicht immer in der Lage, die Sicherheit der Teilnehmenden zu gewährleisten. So kam es bei größeren Demonstrationen wiederholt zu tödlichen Zwischenfällen.

Vereinigungsfreiheit

Die afghanische Verfassung erlaubt in Art. 35 die Gründung von Vereinigungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen. Gemäß entsprechendem Gesetz von 2009 müssen sich politische Parteien beim Justizministerium registrieren. Dafür müssen sie nachweisen, dass sie den Zielen und Werten des Islam und der Verfassung verpflichtet sind, und Organisationsstrukturen und Finanzen offenlegen. Militärische und paramilitärische Organisationen fallen nicht unter die Vereinigungsfreiheit. Ferner dürfen afghanische Parteien und Organisationen nicht von ausländischen Parteien oder ausländischer Finanzierung abhängen. Die Gründung und Tätigkeit einer Partei auf ethnischer, geographischer, sprachlicher und islamischrechtlicher Basis (mazhabe fiqhi) ist nicht zulässig. In den letzten Jahren wurden die Anforderungen zur Registrierung erhöht: So muss eine Partei mindestens 10.000 Mitglieder vorweisen und lokale Büros in mindestens 20 Provinzen eröffnen.

Meinungs- und Pressefreiheit

Die afghanische Verfassung garantiert in Art. 34 Meinungs- und Pressefreiheit. Die Freiheiten sind in einem Maß verwirklicht, das grundsätzlich im regionalen Vergleich positiv hervorsticht.

In den vergangenen Jahren hat die afghanische Medienlandschaft unregelmäßige Entwicklung erfahren. Während der Boomjahre 2007 bis 2012 sind mehr Medien entstanden als der afghanische Markt erhalten kann, es gibt allein 75 TV- und über 200 Radio-Sender. Nur die größten Sender und die Kanäle lokaler Mäzene können dem wirtschaftlichen Druck standhalten. Sicherheitserwägungen, eine konservative Medienpolitik und religiöse Forderungen schränken die Medienfreiheit ein. Zugleich übernehmen afghanische Medienvertreter zunehmend politische Verantwortung und gehen bewusst Risiken ein, um Missstände anzuprangern.

Journalisten beklagen eine wachsende Kontrolle des Staates über die Berichterstattung. Zwar stieg Afghanistan in der Rangliste der Pressefreiheit seit 2011 stetig bis auf Platz 120 von 180 im Jahr 2017 (Press Freedom Index der Organisation "Reporter ohne Grenzen"), doch sind Einflussnahme und Drohungen durch Parlamentarier, Mitarbeiter der Ministerien und Sicherheitsorgane sowie lokale Machthaber weiter an der Tagesordnung. Es gibt Berichte, denen zufolge Regierungsmitarbeiter Journalisten aktiv an Recherchen hindern.

Neben inhaltlichen Einschränkungen stellt die Sicherheitslage eine besondere Herausforderung dar. Laut "Reporter ohne Grenzen" zählt Afghanistan zu den fünf Staaten mit der höchsten Bedrohungslage für Journalisten weltweit. Besonders gefährlich sei die Situation für Journalistinnen, die neben der Bedrohungslage auch gesellschaftlichen Anfeindungen und Ausgrenzungen, teilweise sogar durch ihre Familien, ausgesetzt seien.

Das Afghan Journalists Safety Committee bezeichnet 2017 als das bislang blutigste Jahr für afghanische Medien mit 20 Ermordungen von Medienschaffenden, 61 Verletzten, 23 Fällen von gewalttätigen Übergriffen und zwölf Verhaftungen. Reporter ohne Grenzen berichtet für 2017 von neun getöteten Journalistinnen und Journalisten. Damit hat sich die Situation für Journalistinnen und Journalisten gegenüber 2016 noch einmal verschlechtert. Journalisten sind immer häufiger Ziel von Angriffen durch militante Gruppen wie die Taliban oder den sog. Islamischen Staat in der Provinz Khorasan (ISKP). Am 7. November 2017 kam es zu einem Angriff auf den Fernsehsender Shamshad TV in Kabul, bei dem zwei Personen getötet und rund 20 Personen verletzt wurden. Der ISKP bekannte sich zu der Tat. Am 30. April 2018 tötete ein Selbstmordattentäter in Kabul acht Journalisten, die zum Ort eines kurz vorher durchgeführten Anschlags gekommen waren, um über diesen zu berichten.

Internetseiten mit nach afghanischem Verständnis unmoralischen oder pornographischen Inhalten sind gesperrt. Darunter fallen tatsächlich pornographische Seiten ebenso wie Webangebote für homo-, bi-, inter- oder transsexuelle User und Kennenlernportale bis hin zu Verkaufsseiten mit Alkoholangebot.

Eine systematische Politik der Einschränkung der Arbeit von Menschenrechtsverteidigern oder zivilgesellschaftlichen Akteuren von Seiten der Regierung gibt es in Afghanistan nicht. Gleichwohl sind sie regelmäßig Behinderungen bei der Informationsbeschaffung ausgesetzt; ihre Beteiligung an wichtigen Vorhaben (Gesetzesentwürfe, Ratsversammlungen/ Jirgas) wird nicht selten nur auf internationalen Druck ermöglicht. Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen Afghan Women's Network berichtet von Behinderungen der Arbeit ihrer Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen aus konservativen und religiösen Kreisen.

Minderheiten

Der Anteil der Volksgruppen im Vielvölkerstaat Afghanistan wird in etwa wie folgt geschätzt (zuverlässige Zahlen liegen hierzu nicht vor): Paschtunen ca. 40 %, Tadschiken ca. 25 %, Hazara ca. 10 %, Usbeken ca. 6 % sowie zahlreiche kleinere ethnische Gruppen (Aimak, Turkmenen, Belutschen, Nuristani, Kuchi u. a.). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status dort eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser anderen Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri.

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert.

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert. Ihre Zahl wird auf etwa drei Millionen geschätzt. Hauptsiedlungsgebiet der Hazara ist die Region um Bamyan. Hazara sind in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Sie gehören, anders als die übrigen ethnischen Gruppen Afghanistans, überwiegend der schiitischen Konfession an. Das hat zur Folge, dass Hazara zunehmend Opfer von Anschlägen des ISKP werden. Im Jahr 2017 kam es mehrfach zu tödlichen Angriffen auf schiitische Moscheen und Kulturzentren in Kabul und anderen Städten des Landes. Am 9. März 2018 wurde ein Selbstmordanschlag vor einer schiitischen Moschee in Kabul verübt, bei dem neun Menschen ums Leben kamen. Am 25. März 2018 kam es in Herat ebenfalls zu einem Angriff auf eine schiitische Moschee, bei der ein Mensch getötet und 14 verletzt wurden. Am 22. April 2018 wurde ein Anschlag vor einer afghanischen Behörde verübt, welche für die Wahl notwendige Ausweispapiere ausgibt. Dabei starben mindestens 60 Menschen und 129 wurden verletzt. Der betroffene Stadtteil ist schiitisch geprägt. Der ISKP bekannte sich zu den Anschlägen.

Die ca. 1,5 Millionen Nomaden (Kutschi), die mehrheitlich Paschtunen sind, leiden in besonderem Maße unter den ungeklärten Boden- und Wasserrechten. Dies schließt die illegale Landnahme durch mächtige Personen ein - ein mangels funktionierenden Katasterwesens in Afghanistan häufiges und alle Volksgruppen betreffendes Problem. De facto kommt es immer wieder zu Diskriminierungen dieser Gruppe, da sie aufgrund ihres nomadischen Lebensstils als Außenseiter gelten. Nomaden werden öfter als andere Gruppen auf bloßen Verdacht hin einer Straftat bezichtigt und verhaftet, sind aber oft auch rasch wieder auf freiem Fuß. Angehörige der Nomadenstämme sind aufgrund bürokratischer Hindernisse dem Risiko der (faktischen) Staatenlosigkeit ausgesetzt. Die Verfassung sieht vor, dass der Staat Maßnahmen für die Verbesserung der Lebensgrundlagen von Nomaden ergreift. Einzelne Kutschi sind als Parlamentsabgeordnete oder durch politische und administrative Ämter Teil der Führungselite Afghanistans.

Zu den am stärksten marginalisierten Gruppen gehört die ethnische Minderheit der Jat, die die Gemeinschaften der Jogi, Chori Frosh und Gorbat umfasst. Die Jat sind wie die Kutschi eine nomadische Minderheit. Es gibt unbestätigte Berichte, wonach diese Gruppen keine Tazkiras (Identitätsdokument) erhalten und damit nur beschränkten Zugang zu staatlichen Einrichtungen haben.

Religionsfreiheit

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Die Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind jedoch allesamt im Lichte des generellen Scharia-Vorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionswahl beinhaltet, gilt daher de facto in Afghanistan nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Allerdings sind dem Auswärtigen Amt in jüngerer Vergangenheit keine Fälle bekannt, in denen die Todesstrafe aufgrund von Apostasie verhängt wurde. Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld.

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die hanafitische Rechtsprechung (eine der Rechtsschulen des sunnitischen Islams) für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion. Nach offiziellen Schätzungen sind 80 % der Bevölkerung sunnitische und 19 % schiitische Muslime, einschließlich Ismailiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1 % der Bevölkerung aus.

Schiiten

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema) als auch im Hohen Friedensrat sind auch Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe. Allerdings wurden seit Anfang 2016 mehrere Anschläge gezielt gegen schiitische religiöse Einrichtungen wie bspw. Moscheen ausgeführt; der ISKP bekannte sich zum Großteil dieser Anschläge. Aus Angst vor derartigen Übergriffen beobachten NROs eine verstärkte Ausgrenzung von Schiiten im gesellschaftlichen Bereich. So würden immer weniger interreligiöse Ehen geschlossen, Beziehungen zu Anhängern der anderen Konfession von den jeweiligen Familien verurteilt.

Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis

Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die systematisch nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht erkennbar. Laut EASO kommt es insbesondere in paschtunischen Siedlungsräumen weiter auch zu traditionellen Formen privater Strafjustiz, bis hin zu Blutfehden. Darüber hinaus sind Fälle von Sippenhaft durch die Taliban bekannt. Zur Verhängung von Sippenhaft durch andere regierungsfeindliche Organisationen liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse vor.

Verwaltung und Justiz sind nur eingeschränkt wirkmächtig. Hier zeigt sich auch der stete Drahtseilakt zwischen Islamvorbehalt in der Verfassung, tradierten Moralvorstellungen und ratifizierten internationalen Abkommen, deren Umsetzung ebenfalls in der Verfassung festgeschrieben ist. Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt. Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte und Zahlung von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems. Personen in Machtpositionen können sich oft der strafrechtlichen Verfolgung entziehen. Der Großteil der Bevölkerung hat unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen, sozialen oder religiösen Gruppe kein Vertrauen in die afghanischen Sicherheitskräfte und die Justizorgane. Sie werden als korrupt und zum Teil auch gefährlich wahrgenommen, weshalb ihre Hilfe in Notfällen oft nicht in Anspruch genommen wird.

Militärdienst

Das afghanische Recht sieht keine Wehrpflicht vor. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Rekrutierung beträgt 18 Jahre. Die Vereinten Nationen berichten (Report of the Secretary-General on Children and armed Conflict, S/2017/821) über die Rekrutierung von Minderjährigen durch staatliche afghanische Sicherheitskräfte (Polizei und Armee, elf Fälle im Jahr 2016). Die Regierung bestreitet dies jedoch und verweist dazu auf die Ergebnisse einer eigenen Untersuchung. Die Tätigkeit als Soldat oder Polizist stellt für einen großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten dar, weshalb grundsätzlich kein Anlass für Zwangsrekrutierungen zu staatlichen Sicherheitskräften besteht. Fahnenflucht kann gemäß Gesetz mit bis zu fünf Jahren Haft, in besonders schweren Fällen mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen es zu einer strafrechtlichen Verurteilung oder disziplinarischen Maßnahmen allein wegen Fahnenflucht gekommen ist. Ein gängiges Phänomen ist, dass Soldaten und Polizisten, die z. B. fern ihrer Heimat eingesetzt sind, das Militär bzw. den Polizeidienst vorübergehend verlassen, um zu ihren Familien zurückzukehren. Diese "Deserteure" werden schon aufgrund der sehr hohen Schwundquote (sog. "attrition rate) nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen. Fälle strafrechtlicher Verfolgungen sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt.

Geschlechtsspezifische Verfolgung

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt verbessert hat, können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit.

Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor:

Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50 % für Frauen bestimmt. Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses.

Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mind. 25 % in den Provinzräten vor. Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit zwei Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern). Die Regierung veröffentlichte im Januar 2018 ein Strategiepapier zu Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2 % für das Jahr 2018.

Im Justiz- und Polizeisektor bleiben Frauen weiterhin unterrepräsentiert. So stellen Richterinnen nur etwa 15 % der Richterschaft. Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen (derzeit 2 %), allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt und Mobbing gegen Frauen berichtet. Polizistinnen sind massiven Belästigungen und auch Gewalttaten, einschließlich Vergewaltigungen durch Arbeitskollegen oder im direkten privaten Umfeld, ausgesetzt.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. EASO geht davon aus, dass 87 % der Frauen Gewalt erfahren; 62 % mehrfach. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90 % innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord. Insbesondere durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, das Eliminating Violence Against Women (EVAW) Gesetz, im Jahr 2009 wurde eine wichtige Grundlage geschaffen, Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt - unter Strafe zu stellen. Das durch Präsidialdekret erlassene Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Scharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt.

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1325 auf den Weg gebracht, allerdings fehlt es bisher am notwendigen Budget für die Umsetzung.

UNAMA dokumentierte 2017 insgesamt 58 Fälle (36 Tote, 22 Verletzte), in denen Zivilistinnen Opfer gezielt gegen sie gerichteter Gewalt durch regierungsfeindliche Gruppen wurden. Hintergrund ist häufig die soziale Ablehnung von Frauen in Rollen außerhalb der traditionellen Normen. Berufstätige Frauen sind häufig Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit und ist den Umfrageergebnissen der Asia Foundation 2016 zufolge unter den Hazara am höchsten (84,6 %), gefolgt von Usbeken (82,6 %) und Tadschiken (75,6 %), unter Paschtunen dagegen am niedrigsten (66,2 %). Entsprechend tragen in der zentralen Hochlandregion laut Studie 46 % der Frauen durch Erwerbsarbeit zum Haushaltseinkommen bei; in den östlichen, südwestlichen und nordöstlichen Regionen dagegen sind es nur zwischen 11 % und 14 %.

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus geschieht es, dass Frauen, die entweder eine Straftat zur Anzeige bringen oder aber von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, wegen sog. Sittenverbrechen (wie z. B. "zina" - außerehelicher Geschlechtsverkehr - im Fall einer Vergewaltigung) verhaftet oder wegen "Von-zu-Hause-Weglaufens" (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der "zina" gewertet) inhaftiert werden.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren auch die im Zusammenhang mit "zina"-Anklagen oft einhergehenden, gesetzlich abgeschafften, aber in der Praxis weiterhin durchgeführten, erzwungenen "Jungfräulichkeitstests". Auch Männer werden wegen "zina"-Anschuldigungen strafrechtlich verfolgt. Zum Teil ergehen in diesen Fällen Morddrohungen der beiden Familien gegen beide Partner. Für nähere Einzelheiten hierzu wird auf den EASO-Bericht "EASO Country of Origin Information Report - Afghanistan, Individuals targeted under societal and legal norms" von Dezember 2017 verwiesen.

Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter. Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet. Die Datenlage hierzu ist sehr schlecht. Eine Erhebung des zuständigen Ministeriums von 2006 zeigt, dass über 50 % der Mädchen unter 16 Jahren verheiratet wurden und dass 60 - 80 % aller Ehen in Afghanistan unter Zwang zustande kamen.

Das Recht auf Familienplanung wird nur von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, so nutzen jedoch nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter.

In der Tradition des Paschtunwali (paschtunischer Ehrenkodex) werden Frauen als Objekt der Streitbeilegung ("baad" und "ba'adal") missbraucht. Die Familie des Schädigers bietet der Familie des Geschädigten ein Mädchen oder eine Frau zur Begleichung der Schuld an, womit die Frau zugleich indirekt zum Symbol der Tat wird, oder Familien tauschen Frauen aus. Dies ist nach afghanischem Recht verboten und wird zum Teil auch verfolgt, jedoch insbesondere in traditionell paschtunischen Gebieten im Süden und Osten Afghanistans, aber auch in den Provinzen Kabul, Parwan und Panjshir weiterhin praktiziert. Zeitungsberichten zufolge haben einzelne Stammesälteste in Balkh, Khost und Paktika die Tradition des "baad" verboten.

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für "unmoralische Handlungen" und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden.

Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben.

Repressionen Dritter

Ergänzend zu den folgenden Ausführungen wird auf den Bericht Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, Stand Dezember 2017 des European Asylum Support Office (EASO) verwiesen, der die Sicherheitslage nach Provinzen aufgeschlüsselt darstellt.

Bedrohungslage für afghanische Sicherheitskräfte, Amtsträger und lokale Mitarbeiter internationaler Organisationen

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban-Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017, "Operation Mansouri", lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats."

Regierungsfeindliche, militante Kräfte, insbesondere die Taliban, zeigen v. a. in Süd- und Westafghanistan in den Provinzen Farah, Helmand, Kandahar und Uruzgan, in Nordafghanistan in den Provinzen Faryab und Kunduz verstärkte Präsenz. Auch die Hauptstadt Kabul ist immer wieder Ziel von Anschlägen. Die Aktivitäten des sog. Islamischen Staats in der Provinz Khorasan (Islamic State in Khorasan Province, ISKP) konzentrieren sich auf den Osten Afghanistans, insbesondere die Provinzen Kunar und Nangarhar. Einzelne militante Gruppen, die sich zum ISKP bekannt haben, konnten im Distrikt Darzab in der Provinz Jowzjan an Einfluss gewinnen und werden dort sowohl von den Taliban als auch den ANDSF bekämpft. Gegen Polizei- und Militärfahrzeuge werden insbesondere in Kabul Anschläge mit sog. Magnetischen improvisierten Sprengvorrichtungen (magnetic improvised explosive device, MIED) verübt. Zudem werden besonders medienwirksame, größere Ziele der Sicherheitskräfte angegriffen. Landesweit sind insbesondere Einrichtungen der Sicherheitskräfte sowie polizeiliche Kontrollpunkte Ziele von Angriffen. Am 21. Oktober 2017 wurden bei zwei Angriffen auf polizeiliche Kontrollpunkte in den Provinzen Kunar und Ghasni rund 20 Polizisten getötet. Am 27. Januar 2018 verübten die Taliban an einem Kontrollposten in Kabul einen Selbstmordanschlag. Hierdurch kamen 103 Menschen ums Leben, mindestens 235 weitere wurden verletzt. Am 29. Januar 2018 griffen Angehörige des ISKP den Komplex der im Westen Kabuls gelegenen Marschall Fahim National Defence University (MFNDU) an. Am 2. März 2018 wurde in Kabul eine Kolonne der australischen Botschaft angegriffen. Bei dem Anschlag starb eine afghanische Zivilperson.

Außerhalb Kabuls kam es am 21. April 2017 zu einem komplexen Angriff gegen das 209. Korps der Afghan National Army im Camp Shaheen in Mazar-e Scharif. Rund 140 Soldaten starben bei dem Angriff, weitere 60 wurden verletzt. Am 22. Juni 2017 griffen vermutlich Taliban in Lashkar Gah (Helmand) mittels einer Autobombe eine Bankfiliale an, in der afghanische Sicherheitskräfte ihren Sold abholten. 34 Personen wurden getötet und mindestens 50 weitere verletzt. Bei einem Überfall durch die Taliban in Farah kamen am 24. Februar 2018 25 Mitglieder der ANDSF zu Tode. Diese Vorfälle sind besonders opferreiche Beispiele einer Vielzahl von Anschlägen auf afghanische Sicherheitskräfte.

Afghanische Regierungsmitarbeiter und sonstige Amtsträger stehen ebenfalls im Fokus der Aufständischen und sonstiger krimineller Organisationen. Dabei kommt es den Angreifern nicht darauf an, ausschließlich hochrangige Regierungsmitarbeiter zu treffen. So zündete am 10. Januar 2017 ein Selbstmordattentäter seinen Sprengsatz in unmittelbarer Nähe zu einem Arbeitsgebäude des afghanischen Parlaments in Kabul und tötete 24 Personen, 70 weitere wurden verletzt. Ferner kam es am 7. Februar 2017 zu einem Selbstmordanschlag vor dem Obersten Gerichtshof in Kabul, bei dem rund 20 Personen getötet und weitere 40 verletzt wurden. Bei einem Selbstmordanschlag in der Nähe der Verwaltungsbüros des Präsidentenpalasts in Kabul am 12. April 2017 starben fünf Mitarbeiter; zehn weitere wurden verwundet. Afghanische Mitarbeiter von nationalen und internationalen Hilfsorganisationen sind ebenfalls Ziel von Anschlägen regierungsfeindlicher Gruppen. Am 24. Januar 2018 wurde in Jalalabad ein Büro von Save the Children überfallen, wobei es zu elf Verletzten kam. Auch Angriffe durch Milizen politischer Gegner stellen eine Bedrohung dar. Am 10. April 2017 wurden zwei Mitarbeiter der zur Anti-Korruptionsbehörde Anti Corruption Justice Center (ACJC) gehörenden Major Crimes Task Force in Kabul auf offener Straße von Unbekannten erschossen, nachdem sie mehrfach über Drohungen berichtet hatten. Das ACJC verfolgt Korruptionsvorwürfe gegen besonders hochrangige Beamte oder über besonders hohe Beträge.

Bedrohungslage für afghanische Zivilisten

Eine Bedrohung für Leib und Leben von Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Blindgängern und Munitionsrückständen, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. UNAMA veröffentlicht seit 2008 eigene Berichte zum "Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt", die Schätzungen von zivilen Opfern der Auseinandersetzungen enthalten. UNAMA nimmt ausschließlich Fälle in die Statistik auf, über die von mindestens drei voneinander unabhängigen Quellen berichtet wurde. Für Vorfälle in für die Berichterstattung wenig zugänglichen Gebieten ist daher von einer nicht mit eingerechneten Dunkelziffer auszugehen. 2017 gab es in Afghanistan nach UNAMA-Angaben 10.453 zivile Opfer (-9 % im Vergleich zu 2016), davon 7.015 (-11% im Vergleich zu 2016) Verletzte und 3.438 Tote (-2% im Vergleich zu 2016) bei einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von etwa 27 Millionen (andere Schätzungen gehen von 32 Millionen Einwohnern aus). 2017 waren mehr als 43 % der zivilen Opfer Frauen (359 Tote; 865 Verletzte) und Kinder (861 Tote; 2.318 Verletzte). Der Rückgang der Opferzahlen wird darauf zurückgeführt, dass 2017 weniger Zivilisten von Kampfhandlungen am Boden betroffen waren. Allerdings stieg die Zahl von zivilen Opfern bei komplexen Angriffen und Anschlägen um 17 % gegenüber dem Vorjahr.

Im ersten Quartal 2018 gab es 2.258 zivile Opfer (763 Tote, 1.495 Verletzte). Dies entspricht den Opferzahlen im gleichen Zeitraum 2017. Während die Zahl der Opfer durch Kämpfe am Boden weiter zurückging (-15 %), hat sich die Zahl der zivilen Opfer von komplexen Angriffen und Selbstmordattentaten gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vorjahr verdoppelt. Während die Regierungsgegner laut UNAMA weiterhin mit 65 % für die meisten zivilen Opfer verantwortlich waren (42 % zu Lasten der Taliban; 10 % zu Lasten des ISKP, 13 % zu Lasten anderer regierungsfeindlicher Gruppen), wurden 16 % den Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF), 2 % internationalen Kräften, sowie 2 % weiteren regierungsfreundlichen Gruppen zugeordnet. Im Vergleich zum Vorjahr ist damit deren Anteil um 23 % gesunken. 11 % fielen nicht zuzuordnendem Kreuzfeuer zwischen den verschiedenen Gruppen zum Opfer.

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Taliban zivile Opfer in Stellungnahmen zwar ablehnen, sie aber zumindest billigend in Kauf nehmen. Anschläge des ISKP richten sich immer wieder auch direkt gegen Zivilisten. Einer erhöhten Gefährdung sind zudem diejenigen ausgesetzt, die öffentlich gegen die Taliban Position beziehen, wie zum Beispiel Journalisten und Menschenrechtsverteidiger, oder die in ihrer Lebensweise erkennbar von ihrer islamistischen Ideologie abweichen, wie zum Beispiel Konvertiten, Angehörige sexueller Minderheiten oder berufstätige Frauen.

Kampfhandlungen am Boden finden vor allem im paschtunisch besiedelten Süden Afghanistans (vor allem Helmand, Kandahar, Uruzgan) und Osten des Landes (Nangarhar, Laghman, Kunar) statt. Entsprechend sind die von UNAMA dokumentierten Zahlen ziviler Opfer in diesen Regionen vergleichsweise hoch: Helmand, Kandahar, Nangarhar und Uruzgan gehörten 2017 zu den Provinzen mit den höchsten Opferzahlen.

Das subjektive Sicherheitsempfinden vieler Afghanen bestätigt die regional unterschiedliche Bedrohungslage, wie eine Umfrage der Asia Foundation ("Afghanistan in 2017 - A Survey of the Afghan People") zeigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Befragte bei der Frage nach den zwei größten lokalen Problemen auch die Sicherheitslage, Anschläge oder Gewalt nannten, war in den Provinzen Uruzgan (62,9 %), Faryab (55,5 %) und Farah (52,6 %) am höchsten, in den Provinzen Panjshir (3,2 %), Bamyan (1,4 %) und Daikundi (4,3 %) am niedrigsten. In fast allen Regionen wurde Arbeitslosigkeit als das größte Problem genannt.

Während zivile Opfer in ländlichen Gebieten vor allem auf Kampfhandlungen, Landminen, improvisierte Sprengsätze und Übergriffe von nichtstaatlichen Gruppen zurückzuführen sind, stellen für die städtische Bevölkerung vor allem Selbstmordanschläge, komplexe Attacken, gezielte Tötungen und Entführungen Bedrohungen dar. Dies gilt besonders für die Stadt Kabul, wo sich der Hauptsitz der Zentralregierung, ihrer Repräsentanten und zahlreicher staatlicher Einrichtungen und damit klassische und medienwirksame Ziele der Taliban befinden. Die Provinz Kabul wies in 2017 die höchste absolute Opferzahl unter den afghanischen Provinzen auf; mit 4,4 Millionen Einwohnern hat Kabul allerdings auch die höchste Einwohnerzahl. Die Bedrohungslage für Zivilisten in Kabul lag mit vier zivilen Opfern auf 10.000 Einwohner im Jahr 2017 leicht über dem landesweiten Durchschnitt, war aber dennoch weniger angespannt als in der südlichen oder der östlichen Region.

Im Gegensatz zu den Selbstmordanschlägen und komplexen Attacken der Taliban richten sich vom sogenannten ISKP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) durchgeführte Anschläge auch unmittelbar gegen Zivilisten, insbesondere gegen die schiitische Minderheit der Hazara, die auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Brennpunkt des ISKP steht. Landesweit schreibt UNAMA dem ISKP 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) im Jahr 2017 zu. Die Opferzahlen, die dem ISKP zugeschrieben werden, sind damit im Jahr 2017 um weitere 11 % gestiegen. Anschläge des ISKP auf Hazara in deren angestammtem Siedlungsgebiet in der zentralen Hochlandregion sind bislang nicht bezeugt.

Die Häufigkeit von Angriffen auf religiöse Stätten steigt weiter. UNAMA (Protection of Civilians in Armed Conflicts: Attacks against Places of Worship, Religious Leaders and Worshippers vom 7. November 2017) dokumentiert im Zeitraum Januar 2016 bis Anfang November 2017 51 Vorfälle mit 850 Opfern (283 Tote, 577 Verletzte), fast doppelt so viele wie im Zeitraum 2009 bis 2015. Der überwiegende Anteil der Angriffe richtete sich gegen religiöse Stätten der Shia (737 Opfer, davon 242 Tote, 495 Verletzte).

Militärische Lage

Seit dem Ende der ISAF-Mission zum Jahreswechsel 2014/15 tragen die afghanischen Streitkräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan. Die aktuelle Sollstärke beträgt 352.000 Soldaten (Afghan National Army, ANA) und Polizisten (Afghan National Police, ANP) zuzüglich 30.000 Afghan Local Police (ALP). Die Stellen der ANA sind zu etwa 86 %, die der ANP zu etwa 95 % besetzt. Aufgrund von Führungsmängeln, unzureichender Ausbildung und des ständigen Einsatzes ihrer Spezialkräfte ohne ausreichende Ruhephasen stehen die afghanischen Sicherheitskräfte unter äußerster Anspannung.

Seit dem Abzug des Großteils der internationalen Truppen bei Beendigung der ISAF-Mission agieren die Aufständischen mit größerer Bewegungsfreiheit. Mit rund 20 unterschiedlichen Gruppierungen findet sich in Afghanistan die höchste Konzentration an bewaffneten Widerstands- und Terrororganisationen weltweit. Die stärkste Kraft der Aufständischen bilden weiterhin die Taliban. Sie versuchen den Einfluss in ihren Kernräumen - paschtunisch geprägten ländlichen Gebieten, vornehmlich in den Provinzen Helmand, Kandahar, Uruzgan und zunehmend auch Farah im Westen und Süden sowie Kunduz und Faryab im Norden - zu konsolidieren und auszuweiten. Nach Einschätzungen zum Jahresende 2017 üben die Taliban in 39 der 408 Distrikte Afghanistans die alleinige Kontrolle aus. In 123 Distrikten üben sie trotz fortdauernder Präsenz von staatlichen Sicherheitskräften und Verwaltungsstrukturen Einfluss aus. Nach einem abweichenden Schema stufte der US-Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) im Januar 2018 12 Distrikte als von Aufständischen kontrolliert, 45 als beeinflusst und 120 als umstritten ein. Demnach leben 64 % der Bevölkerung im Einflussbereich der Regierung, 12 % im Einflussbereich der Aufständischen und 24 % in umstrittenen Gebieten. Weitere Quellen arbeiten mit anderen Methoden und Kategorisierungen, kommen aber zu ähnlichen Ergebnissen.

Nach Einschätzung der NATO lässt sich die gegenwärtige militärische Lage als Patt beschreiben. Die Initiative ergreifen aber bisher noch, wie in einem asymmetrischen Konflikt nicht unüblich, primär die Aufständischen. Es gelingt den Taliban oft für längere Zeiträume, wichtige Überlandstraßen zu blockieren. Die Einnahme einer Provinzhauptstadt konnten sie allerdings - abgesehen von einem kurzen Eindringen in Kundus im Jahr 2015 - bislang nicht erreichen:

Alle 34 Provinzhauptstädte befinden sich weiterhin unter der Kontrolle der Regierung. 2017 und zu Beginn des Jahres 2018 konzentrieren sich die Angriffe der Taliban vielmehr auf einzelne Distriktzentren in den Provinzen Farah, Kandahar, Ghor, Faryab, Paktiya, die zum Teil von den ANDSF zurückgewonnen werden konnten. Auch die Aufständischen mussten in den vergangenen Jahren hohe Verluste verzeichnen.

Als weiterer Faktor sind seit 2015 militante Gruppen hinzugekommen, die sich zum ISKP bekennen und in einzelnen Distrikten in den Provinzen Nangarhar und Kunar die Kontrolle bzw. Einfluss ausüben. Hinzu kommen Gruppen, die sich zum ISKP bekennen, in den nördlichen Landesteilen, insbesondere in der Provinz Jowzjan. Hier kommt es regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen dem ISKP und den Taliban.

Folter

Afghanistan ist Vertragsstaat der Convention against Torture and Other Cruel Inhuman and Degrading Treatment or Punishment. Laut der afghanischen Verfassung (Art. 29) sowie dem afghanischen Strafgesetzbuch (Penal Code) und dem afghanischen Strafverfahrensrecht (Criminal Procedure Code) ist Folter verboten. Die afghanische Regierung hat im Februar 2015 einen National Action Plan on the Elimination of Torture verabschiedet.

Obwohl es Fortschritte gab, ist Folter in afghanischen Haftanstalten weiterhin verbreitet. Insbesondere Personen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen wurden, sind häufig von Folter betroffen. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger.

Fälle von Folter in Haftanstalten des NDS sowie von Häftlingen in Gewahrsam der ANP, der ALP und der ANA sind nachgewiesen und werden von den jeweiligen Behörden als Problem anerkannt. Es gibt keine Berichte über Folter in Haftanstalten, die der Kontrolle des General Directorate for Prison an Detention Centres des afghanischen Innenministeriums unterliegen. Die afghanische Regierung hat Kontrollmechanismen eingeführt, um Fälle von Folter verfolgen und verhindern zu können. Allerdings sind diese weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig. Daher erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten. Laut UNAMA besteht ein "almost total lack of accountability". Die Lage von Häftlingen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen wurden, scheint sich insgesamt verschlechtert zu haben:

39 % der Befragten gaben an, gefoltert worden zu sein (im Gegensatz zu 35 % im UNAMA-Bericht vom Februar 2015).

Auch der im Juni 2017 vorgestellte Bericht der VN-Folterkommission beklagt eine "Kultur der Straflosigkeit" in Fällen von Folter. Nur bei den wenigsten Vorwürfen über Folter werden die Täter ermittelt, angeklagt oder verurteilt.

Zu weiteren Einzelheiten wird auf den UNAMA-Bericht "Treatment of Conflict Related Detainees in Afghan Custody: Implementation of Afghanistan's National Plan on the Elimination of Torture" vom April 2017 verwiesen.

Todesstrafe

Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen. Es gibt ein Präsidialdekret aus dem Jahr 1992, welches die Anwendung der Todesstrafe auf f

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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