TE Lvwg Beschluss 2019/10/8 VGW-172/092/7106/2019-3

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Veröffentlicht am 08.10.2019
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Entscheidungsdatum

08.10.2019

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
36 Wirtschaftstreuhänder

Norm

B-VG Art. 10 Abs1 Z8
B-VG Art. 102
B-VG Art. 120b Abs2
B-VG Art. 131
B-VG Art. 140 Abs1
WTBG 2017 §111 Abs1
WTBG 2017 §152 Abs3 Z7
WTBG 2017 §154 Abs2 Z1

Text

Das Verwaltungsgericht Wien fasst durch seinen Richter Mag. Dr. Kienast über die Beschwerde des Herrn Mag. A. B., vertreten durch den Verfahrenshelfer Mag. Dr. C., Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Präsidenten der Kammer der Wirtschaftstreuhänder vom 28.03.2019, Zl. ..., betreffend Widerruf der durch öffentliche Bestellung erteilten Berechtigungen zur selbständigen Ausübung von Wirtschaftstreuhandberufen, den

BESCHLUSS:

Gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG wird an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt, er möge folgende Teile des Wirtschaftstreuhandberufsgesetzes 2017 (WTBG 2017), BGBl. I 2017/137, als verfassungswidrig aufheben:

in § 152 Abs. 3 Z 7 die Wortfolge „Widerrufs- und“;

in eventu (1. Eventualantrag)

1. in § 152 Abs. 3 Z 7 die Wortfolge „Widerrufs- und“ sowie

2. § 154 Abs. 2 Z 1 (zur Gänze);

in eventu (2. Eventualantrag)

1. in § 111 Abs. 1 die Wortfolge „1. eine der allgemeinen Voraussetzungen für die öffentliche Bestellung nicht mehr gegeben ist oder 2.“,

2. in § 152 Abs. 3 Z 7 die Wortfolge „Widerrufs- und“ sowie

3. § 154 Abs. 2 Z 1 (zur Gänze).

Begründung

I.     Sachverhalt:

Mit Bescheid vom 28.3.2018 widerrief der Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 iVm § 8 Abs. 1 Z 3 WTBG 2017 die durch öffentliche Bestellung erteilten Berechtigungen des Beschwerdeführers zur selbständigen Ausübung der Wirtschaftstreuhandberufe „Wirtschaftsprüfer“ und „Steuerberater“ mit dem Datum der Zustellung dieses Bescheids (4.4.2018).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 15.5.2019 durch seinen mit Bescheid der RAK Wien vom 31.1.2019 bestellten Verfahrenshelfer (rechtzeitig) Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien mit dem Antrag, dem bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben und das Verfahren einzustellen.

Aus Anlass der Behandlung der Beschwerde sind dem Verwaltungsgericht Wien Bedenken ob der Verfassungsgemäßheit des die Zuständigkeit des Präsidenten der Kammer der Wirtschaftstreuhänder regelnden § 154 Abs. 2 Z 1 WTBG 2017 entstanden, die insbesondere durch das den Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer betreffende Erkenntnis des VfGH vom 13.3.2019, G 242/2018-16, entfacht wurden. Das Verwaltungsgericht Wien ist nämlich nur dann zur Entscheidung über die Beschwerde zuständig, wenn der Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder bei der dem hg. Verfahren zugrunde liegenden Angelegenheit (Widerruf der durch öffentliche Bestellung erteilten Berechtigungen zur selbständigen Ausübung von Wirtschaftstreuhandberufen) in mittelbarer Bundesverwaltung tätig war. Wie zu zeigen sein wird (siehe unten Punkt IV.), ist allerdings davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang eine Vollziehung unmittelbar durch Bundesbehörden iSd Art. 131 Abs. 2 B-VG vorsah, was zur Zuständigkeit des BVwG zur Entscheidung in dieser Angelegenheit führt. Eine derartige (einfachgesetzliche) Rechtslage begegnet aber verfassungsrechtlichen Bedenken (siehe unten Punkt V.).

II. Die maßgeblichen Rechtsvorschriften:

1. Das B-VG lautet (auszugsweise):

Artikel 102.

(1) Im Bereich der Länder üben die Vollziehung des Bundes, soweit nicht eigene Bundesbehörden bestehen (unmittelbare Bundesverwaltung), der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Landesbehörden aus (mittelbare Bundesverwaltung). Soweit in Angelegenheiten, die in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt werden, Bundesbehörden mit der Vollziehung betraut sind, unterstehen diese Bundesbehörden in den betreffenden Angelegenheiten dem Landeshauptmann und sind an dessen Weisungen (Art. 20 Abs. 1) gebunden; ob und inwieweit solche Bundesbehörden mit Akten der Vollziehung betraut werden, bestimmen die Bundesgesetze; sie dürfen, soweit es sich nicht um die Betrauung mit der Vollziehung von im Abs. 2 angeführten Angelegenheiten handelt, nur mit Zustimmung der beteiligten Länder kundgemacht werden.

(2) Folgende Angelegenheiten können im Rahmen des verfassungsmäßig festgestellten Wirkungsbereiches unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden:

Grenzvermarkung; Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland; Zollwesen; Regelung und Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm; Aufenthaltsrecht aus berücksichtigungswürdigen Gründen; Passwesen; Aufenthaltsverbot, Ausweisung und Abschiebung; Asyl; Auslieferung; Bundesfinanzen; Monopolwesen; Geld-, Kredit-, Börse- und Bankwesen; Maß- und Gewichts-, Normen- und Punzierungswesen; Justizwesen; Pressewesen; Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit einschließlich der ersten allgemeinen Hilfeleistung, jedoch mit Ausnahme der örtlichen Sicherheitspolizei; Vereins- und Versammlungsrecht; Fremdenpolizei und Meldewesen; Waffen-, Munitions- und Sprengmittelwesen, Schießwesen; Kartellrecht; Patentwesen sowie Schutz von Mustern, Marken und anderen Warenbezeichnungen; Verkehrswesen; Strom- und Schifffahrtspolizei; Post- und Fernmeldewesen; Bergwesen; Regulierung und Instandhaltung der Donau; Wildbachverbauung; Bau und Instandhaltung von Wasserstraßen; Vermessungswesen; Arbeitsrecht; Sozial- und Vertragsversicherungswesen; Pflegegeldwesen; Sozialentschädigungsrecht; geschäftlicher Verkehr mit Saat- und Pflanzgut, Futter-, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sowie mit Pflanzenschutzgeräten, einschließlich der Zulassung und bei Saat- und Pflanzgut auch der Anerkennung; Denkmalschutz; Organisation und Führung der Bundespolizei; militärische Angelegenheiten; Angelegenheiten des Zivildienstes; Bevölkerungspolitik, soweit sie die Gewährung von Kinderbeihilfen und die Schaffung eines Lastenausgleiches im Interesse der Familie zum Gegenstand hat; land- und forstwirtschaftliches Schul- und Erziehungswesen in den Angelegenheiten des Art. 14a Abs. 2 sowie Zentrallehranstalten; Universitäts- und Hochschulwesen sowie das Erziehungswesen betreffend Studentenheime in diesen Angelegenheiten; Ausbildungspflicht für Jugendliche; öffentliches Auftragswesen.

(3) […]

(4) Die Errichtung von eigenen Bundesbehörden für andere als die im Abs. 2 bezeichneten Angelegenheiten kann nur mit Zustimmung der beteiligten Länder erfolgen.

(5) […]

„Artikel 120b.

(1) [...]

(2) Den Selbstverwaltungskörpern können Aufgaben staatlicher Verwaltung übertragen werden. Die Gesetze haben derartige Angelegenheiten ausdrücklich als solche des übertragenen Wirkungsbereiches zu bezeichnen und eine Weisungsbindung gegenüber dem zuständigen obersten Verwaltungsorgan vorzusehen.

(3) [...]

Artikel 131. (1) Soweit sich aus Abs. 2 und 3 nicht anderes ergibt, erkennen über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 die Verwaltungsgerichte der Länder.

(2) Soweit sich aus Abs. 3 nicht anderes ergibt, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. Sieht ein Gesetz gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 2 eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte vor, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens, die gemäß Art. 14b Abs. 2 Z 1 in Vollziehung Bundessache sind. Sieht ein Gesetz gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 3 eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte vor, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Streitigkeiten in dienstrechtlichen Angelegenheiten der öffentlich Bediensteten des Bundes.

(3) – (5) [...]

(6) Über Beschwerden in Rechtssachen, in denen ein Gesetz gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 und 4 eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte vorsieht, erkennen die in dieser Angelegenheit gemäß den Abs. 1 bis 4 dieses Artikels zuständigen Verwaltungsgerichte. Ist gemäß dem ersten Satz keine Zuständigkeit gegeben, erkennen über solche Beschwerden die Verwaltungsgerichte der Länder.“

2. Das WTBG 2017, BGBl. I 2017/137, lautet – in dieser auch für den vorliegenden Beschwerdefall maßgebenden Fassung - auszugsweise (die angefochtenen Teile sind fettgedruckt):

„Öffentliche Bestellung – Anerkennung
§ 5.

(1) Wirtschaftstreuhandberufe dürfen selbständig durch Berufsberechtigte, das sind entweder natürliche Personen oder Gesellschaften, ausgeübt werden.

(2) Eine natürliche Person ist berufsberechtigt und somit zur selbständigen Ausübung eines Wirtschaftstreuhandberufes berechtigt, nachdem sie durch die Kammer der Wirtschaftstreuhänder öffentlich bestellt wurde.

(3) […]

[…]2. Hauptstück
Natürliche Personen1. Abschnitt
AllgemeinesVoraussetzungen
§ 8.

(1) Allgemeine Voraussetzungen für die öffentliche Bestellung sind:

     1. – 2. […]

3.

geordnete wirtschaftliche Verhältnisse,

     4. –5. […]

(2) – (4) […]

Widerruf der öffentlichen Bestellung
§ 111.

(1) Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder hat eine durch öffentliche Bestellung erteilte Berechtigung zur selbständigen Ausübung eines Wirtschaftstreuhandberufes zu widerrufen, wenn

1.

eine der allgemeinen Voraussetzungen für die öffentliche Bestellung nicht mehr gegeben ist oder

2.

die Einholung der Genehmigung gemäß § 82 Abs. 4 unterlassen wurde.

(2) Über den Widerruf der Bestellung ist ein schriftlicher Bescheid zu erlassen. In dem Bescheid, mit dem die öffentliche Bestellung widerrufen wird, ist gleichzeitig die Ausübung der Berufsbefugnis vorläufig gemäß § 106 zu untersagen. Einer Beschwerde gegen die vorläufige Untersagung der Ausübung der Berufsbefugnis kommt abweichend von § 13 Abs. 1 VwGVG keine aufschiebende Wirkung zu.

(3) […]

[…]

Aufgaben
§ 152.

(1) Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder hat ihre Aufgaben entweder im eigenen oder im übertragenen Wirkungsbereich zu besorgen.

(2) In den eigenen Wirkungsbereich der Kammer der Wirtschaftstreuhänder fallen insbesondere folgende Aufgaben:

1.

–11. […]

(3) In den übertragenen Wirkungsbereich der Kammer der Wirtschaftstreuhänder fallen insbesondere folgende Aufgaben:

1.

– 6. […]

7.

die Durchführung von Widerrufs- und Entziehungsverfahren und

     8. […].

(4) Der Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder ist bei der Besorgung von Aufgaben, die in den übertragenen Wirkungsbereich der Kammer der Wirtschaftstreuhänder gemäß Abs. 3 fallen, an die Weisungen des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft gebunden.

Präsident
§ 154.

(1) Der Präsident ist der gesetzliche Vertreter der Kammer der Wirtschaftstreuhänder.

(2) Der Präsident hat insbesondere folgende Aufgaben wahrzunehmen:

1.

die Besorgung der laufenden Geschäfte, insbesondere jene Aufgaben, die in den übertragenen Wirkungsbereich der Kammer der Wirtschaftstreuhänder gemäß § 152 Abs. 3 fallen,

2.

–4. […]

(3) – (4) […]“

III.   Zur Präjudizialität:

Das Verwaltungsgericht Wien geht aus folgenden Erwägungen davon aus, dass es aus Anlass der Behandlung der Beschwerde die angefochtenen Teile des WTBG 2017 anzuwenden hat:

Das Verwaltungsgericht Wien darf über die Beschwerde nur entscheiden, wenn es zur Behandlung der Beschwerde zuständig ist.

Art. 131 B-VG sieht eine Aufteilung der (sachlichen) Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte in Form von Generalklauseln zugunsten der Landesverwaltungsgerichte (Abs. 1 und Abs. 6 const. cit.) iVm. einer taxativen Aufzählung jener Angelegenheiten vor, über die die Verwaltungsgerichte des Bundes entscheiden (Abs. 2 und 3 const. cit.). Gemäß Art. 131 Abs. 2 erster Satz B-VG ist das BVwG zuständig „in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden". Die Zuständigkeit des BVwG knüpft also, wie die Wortwahl zeigt, daran an, dass eine Angelegenheit in unmittelbarer Bundesverwaltung iSd. Art. 102 Abs. 2 B-VG erledigt wird. Umgekehrt sind die Landesverwaltungsgerichte dann zuständig, wenn es sich um Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung (und freilich der Landesverwaltung) handelt.

 

Die Besonderheit des Beschwerdefalles liegt darin, dass der belangte Präsident keine Bundesbehörde im organisatorischen Sinn ist. Er ist ein Organ eines im Vollziehungsbereich des Bundes nach Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG („Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie") eingerichteten Selbstverwaltungskörpers, dem der Bundesgesetzgeber, gestützt (nunmehr:) auf Art. 120b Abs. 2 B-VG, Aufgaben staatlicher Verwaltung übertragen hat, vorliegendenfalls die Entscheidung gemäß § 154 Abs. 1 Z 1 WTBG 2017 über den Widerruf der Berufsberechtigung. Eine solche Entscheidung hat der belangte Präsident mit dem durch Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien bekämpften Bescheid vom 28.03.2018 getroffen.

Entscheidend ist daher, ob die Besorgung der in Rede stehenden Angelegenheit – Widerruf der Berufsberechtigung – durch den belangten Präsidenten als solche unmittelbar durch eine Bundesbehörde iSd. Art. 131 Abs. 2 B-VG zu qualifizieren ist und gegebenenfalls unmittelbare Bundesverwaltung vorliegt.

 

Um beurteilen zu können, ob der Bundesgesetzgeber in der dem Beschwerdefall zugrunde liegenden Angelegenheit (Widerruf einer Berufsberechtigung) eine Besorgung in unmittelbarer Bundesverwaltung vorgesehen hat, woraus sich nach Art. 131 Abs. 2 B-VG die Zuständigkeit des BVwG (und damit die Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts Wien) ergäbe, hat das Verwaltungsgericht Wien die angefochtenen Teile der §§ 111 Abs. 1 und 152 Abs. 3 sowie § 154 Abs. 1 WTBG 2017 anzuwenden.

IV.    Auslegung der einfachgesetzlichen Rechtslage:

Weder § 152 Abs. 3 noch eine andere Bestimmung des WTBG 2017 deuten darauf hin, dass der Bundesgesetzgeber mit der Zuweisung der in Rede stehenden Aufgabe an die Kammer der Wirtschaftstreuhänder (Durchführung von Widerrufsverfahren) in deren übertragenen Wirkungsbereich anderes als eine unmittelbare Unterordnung der Kammer der Wirtschaftstreuhänder unter den Bundesminister verwirklichen wollte. Der Landeshauptmann wird im Zusammenhang mit den in Rede stehenden Aufgaben der Kammer der Wirtschaftstreuhänder nicht erwähnt. Bei Besorgung von Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereichs ist gemäß § 152 Abs. 4 WTBG 2017 eine ausdrückliche Weisungsbindung nur gegenüber dem Bundesminister angeordnet.

Auf der Grundlage dieses einfachgesetzlichen Auslegungsergebnisses ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien davon auszugehen, dass eine Besorgung unmittelbar durch Bundesbehörden iSd. Art. 131 Abs. 2 B-VG vorgesehen ist und folglich eine Zuständigkeit des BVwG zur Entscheidung über die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des belangten Präsidenten besteht.

V.     Verfassungsrechtliche Bedenken:

Trifft dieses Auslegungsergebnis zu, so begegnen § 111 Abs. 1 und § 152 Abs. 4 im Zusammenhalt mit § 152 Abs. 3 Z 7 WTBG 2017 nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien folgenden verfassungsrechtlichen Bedenken:

1. Trotz des Umstands, dass der Bundesgesetzgeber nach Maßgabe des Art. 120b Abs. 2 B-VG Organe eines nichtgemeindlichen Selbstverwaltungskörpers in dessen übertragenem Wirkungsbereich zur Vollziehung von Bundesgesetzen berufen darf, hat er dabei nach dem Erkenntnis des VfGH vom 13.3.2019, G 242/2018-16, auch die durch Art. 102 B-VG gezogenen Grenzen zu beachten.

2. Für den Beschwerdefall ergibt sich daraus Folgendes:

Das WTBG 2017 stützt sich, jedenfalls soweit es das in Rede stehenden Widerrufsverfahren betrifft, auf den Kompetenztatbestand „Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" in Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG (vgl. RV-Vorblatt 1669 BlgNR 25. GP, 2).

„Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" sind in Art 102 Abs. 2 B-VG nicht angeführt. Diese sind – da auch keine sonstige verfassungsgesetzliche Ermächtigung vorliegt – somit nicht in unmittelbarer Bundesverwaltung zu besorgen, sondern in mittelbarer.

§ 152 Abs. 4 WTBG 2017 ordnet – in Umsetzung der Vorgaben des Art 120b Abs. 2 B-VG – an, dass der Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder bei der Besorgung von Aufgaben, die in den übertragenen Wirkungsbereich der Kammer der Wirtschaftstreuhänder gemäß Abs. 3 fallen, an die Weisungen des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (jetzt: Bundesminister für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) gebunden ist.

Diese (alleinige) Weisungsbefugnis des Bundesministers ist einer verfassungskonformen Interpretation – im Sinne einer unausgesprochenen Weisungsbefugnis des zuständigen Landeshauptmanns – nicht zugänglich: Ein mit hoheitlichen Aufgaben betrauter Selbstverwaltungskörper ist iSd Art 120b Abs. 2 B-VG ausdrücklich an Weisungen des zuständigen obersten Organs der Vollziehung zu binden. Da § 152 Abs. 4 WTBG 2017 eine Weisungsbefugnis des (zuständigen) Landeshauptmanns nicht ausdrücklich anordnet, sie vielmehr ausdrücklich (nur) dem Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (jetzt: Bundesminister für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) zuweist, kann eine unausgesprochene Zuständigkeit des Landeshauptmanns, die im Ergebnis eine Besorgung von Aufgaben der Bundesvollziehung in Unterordnung unter diesen und damit in mittelbarer Bundesverwaltung bewirken würde, nicht angenommen werden.

Da das WTBG 2017 normiert, dass der Präsident der Kammer der Wirtschaftstreuhänder den Widerruf einer durch öffentliche Bestellung erteilten Berechtigung zur Ausübung eines Wirtschaftstreuhandberufs – als Angelegenheit des Gewerbes und der Industrie – nur unter Bindung an Weisungen des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (jetzt: Bundesminister für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) vollzieht, umgeht es somit den in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung zentralen Landeshauptmann schlechthin. Dies wäre nur mit Zustimmung der beteiligten Länder gemäß Art. 102 Abs. 4 B-VG zulässig, denn diese Bestimmung kommt dann zur Anwendung, wenn eine Bundesbehörde – wie hier – an die Stelle des Landeshauptmanns tritt (vgl. nur Bußjäger, Art. 102 B-VG, in: Kneihs/ Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 14. Lfg., 2014, Rz 16).

Diese Zustimmung scheint aber nicht erteilt worden zu sein: Art. 42a B-VG sieht zwar eine Zustimmungsfiktion bei Verstreichen der achtwöchigen Frist vor, innerhalb derer der Landeshauptmann dem Bundeskanzler mitteilen kann, dass die Zustimmung verweigert wird, auch ist nach herrschender Auffassung in der Kundmachung von Gesetzesbeschlüssen auf die Tatsache dieser Zustimmung nicht hinzuweisen (vgl. Bußjäger, Art. 42a B-VG, in: Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 11. Lfg., 2013, Rz 13); den Materialien dieser Verfassungsbestimmung (RV 1618 BlgNR 24. GP, 8) zufolge, ist aber auf eine allenfalls erforderliche Zustimmung der Länder im Vorblatt zu den Erläuterungen unter den „Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens“ hinzuweisen. Bezüglich des WTBG 2017 findet sich dort (RV-Vorblatt 1669 BlgNR 25. GP, 2) der Hinweis auf das Zustimmungserfordernis „der Länder zur Kundmachung gemäß Art. 102 Abs. 1 letzter Halbsatz B-VG“. Diese Verfassungsnorm betrifft allerdings Fälle, in denen Bundesbehörden in Unterordnung unter dem Landeshauptmann mit der Vollziehung betraut werden, was hier gerade nicht zutrifft. Es ist daher davon auszugehen, dass die Länder eine Zustimmung nach Art. 102 Abs. 4 B-VG mangels diesbezüglicher Anfrage auch nicht erteilt haben.

3. Diese vom Gesetzgeber gewählte Konstruktion erweist sich somit als Eingriff in das System der mittelbaren Bundesverwaltung gemäß Art. 102 B-VG (vgl. nochmals VfGH 13.3.2019, G 242/2018).

VI. Zum Umfang der Anfechtung:

Zur Herstellung eines Rechtszustandes, gegen den das angeführte Bedenken nicht besteht, ist es nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Wien erforderlich, dem Präsidenten der Kammer der Wirtschaftstreuhänder die Zuständigkeit zur Durchführung des Widerrufsverfahrens zu entziehen. Dies kann nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Wien am gelindesten durch Beseitigung der Durchführung von Widerrufsverfahren bei der Aufzählung jene Aufgaben erreicht werden, die in den übertragenen Wirkungsbereich der Kammer der Wirtschaftstreuhänder fallen. Das Hauptbegehren richtet sich daher auf die Aufhebung der diesbezüglichen Wortfolge in § 152 Abs. 3 Z 7 WTBG 2017.

Sollte jedoch damit die Zuständigkeit des Präsidenten der Kammer der Wirtschaftstreuhänder zum Widerruf der Berufsberechtigungen noch nicht beseitigt sein, weil sie ihm (auch) im Wege der in § 154 Abs. 2 Z 1 WTBG 2017 genannten „Besorgung der laufenden Geschäfte“ zufällt, dann hat die Aufhebung neben der in § 152 Abs. 3 Z 7 genannten Wortfolge auch die Ziffer 1 des § 154 Abs. 2 WTBG 2017 zu umfassen; darauf ist der 1. Eventualantrag gerichtet.

Für den Fall, dass auch bei Wahrnehmung der Zuständigkeit des Widerrufsverfahrens durch jedes andere Organ der Kammer der Wirtschaftstreuhänder das dargestellte Bedenken – obwohl die Bindung an die Weisungen des Bundesministers für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (jetzt: Bundesminister für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) nach § 152 Abs. 4 WTBG 2017 allein den Präsidenten (be)trifft – nicht beseitigt sein sollte, ist zur Herstellung eines diesbezüglich unbedenklichen Rechtszustandes auch die im 3. Eventualantrag angegebene den § 111 Abs. 1 WTBG 2017 betreffende Wortfolge mit anzufechten, damit der Weg zur Durchführung der Widerrufsverfahren durch die dann nach §§ 2 und 3 AVG zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden, denen jeweils der Landeshauptmann übergeordnet ist, frei ist.

Schlagworte

Normprüfungsantrag; Gesetzesprüfung; Wirtschaftstreuhandberuf; Widerrufsverfahren; sachliche Zuständigkeit ; Kompetenzverteilung; Selbstverwaltungskörper; mittelbare Bundesverwaltung; unmittelbare Bundesverwaltung; übertragener Wirkungsbereich

Anmerkung

VfGH v. 17.6.2021, G 251/2019, G 246/2020, G 17/2021; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.172.092.7106.2019.3

Zuletzt aktualisiert am

09.07.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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