TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/29 G311 2181750-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.07.2019
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Entscheidungsdatum

29.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

G311 2181756-1/16E

G311 2181750-1/15E

G311 2181746-1/15E

G311 2209537-1/15E

Schriftliche Ausfertigung des am 05.04.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX, geboren am XXXX, 2.) des minderjährigen XXXX (alias: XXXX), geboren am XXXX,

3.) der minderjährigen XXXX (alias: XXXX), geboren am XXXX, und 4.) des minderjährigen XXXX, geboren am XXXX, alle Staatsangehörigkeit:

Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.12.2017, Zahlen: zu 1.) XXXX, zu 2.) XXXX, zu 3.) XXXX, und vom 09.10.2018, Zahl zu 4.) XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.04.2019, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen

Bescheide werden gemäß

§ 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX, geboren am XXXX, der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wird XXXX, geboren am XXXX, XXXX, geboren am XXXX, und XXXX, geboren am XXXX, jeweils der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX, XXXX, XXXX, und XXXX jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerden werden die jeweiligen Spruchpunkte

III. bis VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen Zweit- und Viertbeschwerdeführers sowie der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin.

Die Erstbeschwerdeführer reiste gemeinsam mit ihrem damaligen Ehegatten, der auch der Vater des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin ist, sowie dem Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie gemeinsam am 19.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 stellten.

Am 21.12.2014 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin und ihres damaligen Ehegatten statt. Die Erstbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt lediglich an, dass sie als Friseurin gearbeitet hätten und sowohl Islamisten als auch Milizeinheiten in ihr Geschäft gekommen seien und ihr verboten hätten, weiter als Friseurin zu arbeiten. Weiters habe sie auch Frauen tätowiert. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie, von Islamisten getötet zu werden, da sie nicht verschleiert sei. Die Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Anfang des Jahres 2015 kehrte der damalige Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin freiwillig und alleine in den Irak zurück. Die Erstbeschwerdeführerin weigerte sich, mit ihm zurückzukehren, da er ihr und den minderjährigen Beschwerdeführern gegenüber immer wieder gewalttätig gewesen war. Daraufhin kehrte der Ehegatte wieder nach Österreich zurück. Die Erstbeschwerdeführerin beantragte deswegen beim Bundesamt die Trennung der Verfahren sowie beim Pflegschaftsgericht die Übertragung der alleinigen Obsorge für den Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2015, XXXX, wurde gegen den damaligen Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin eine einstweilige Verfügung für die Dauer eines Jahres erlassen, wonach dieser einen Umkreis von 200 Metern zu dort genannten Adressen, darunter der Unterkunft und der Volksschule der Beschwerdeführer, nicht betreten durfte und weiters gegen ihn ein absolutes Kontaktverbot mit den Beschwerdeführern verhängt wurde.

Der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin kehrte im Februar 2016 neuerlich freiwillig in den Irak zurück.

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX.2016, XXXX, wurde die am XXXX.2004 vor dem Zivilgericht Bagdad XXXX geschlossene Ehe der Erstbeschwerdeführerin aus alleinigem Verschulden ihres Ehegatten und unter Bestellung eines Abwesenheitskurators geschieden. Das Urteil erwuchs am XXXX.2016 in Rechtskraft.

Die niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, fand am 02.08.2017 statt.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin zusammengefasst an, sie gehöre der Religionsgemeinschaft der Sunniten an und habe in Bagdad als Frisörin im eigenen Frisörgeschäft gearbeitet. Eines Tages seien zwei verschleierte Frauen in das Frisörgeschäft gekommen und hätten die Erstbeschwerdeführerin bedroht und gesagt, sie müsse ihr Geschäft zusperren. Dabei hätten sie Koran-Verse zitiert und gesagt, dass Menschen, die schlechte Sachen machen würden, die Hände und Füße abgeschnitten werden würden. Zu den Kunden der Erstbeschwerdeführerin hätten auch Christen gehört und habe sie auch Tätowierungen in Form eines [christlichen, Anm.] Kreuzes vorgenommen. Sie habe mit ihrer Tätigkeit das Einkommen der gesamten Familie gesichert, der (Ex-)Ehegatte habe nicht gearbeitet. Als Schneiderin habe sie zu wenig Einkommen erwirtschaftet. Tätowierer(innen) und Frisöre/innen hätten im Irak keinen guten Ruf und vermute die Erstbeschwerdeführerin insbesondere wegen ihrer Tätigkeit bedroht worden zu sein. Etwa zur selben Zeit sei auch eine ebenfalls als Frisörin arbeitende Freundin der Erstbeschwerdeführerin bedroht worden. Diese habe sich geweigert, ihr Geschäft zuzusperren und sei in der Folge enthauptet worden, sodass die Erstbeschwerdeführerin am 15.09.2014 ihr eigene Geschäft zugesperrt habe. Nachdem ihr (Ex-)Ehegatte nicht gearbeitet habe und die Erstbeschwerdeführerin ebenso kein Einkommen mehr erwirtschaften habe können, seien ihnen die finanziellen Mittel ausgegangen. Weiters sei die allgemeine Lage im Irak instabil. Es käme ständig zu Tötungen und Explosionen. Auch in der Wohnstraße der Beschwerdeführer sei eine Autobombe explodiert. Bei einer Anzeige erhalte man keine Unterstützung. Da die Beschwerdeführer den Sunniten angehören würden, bestünde auch keine innerstaatliche Fluchtalternative, da die Lage für alle Sunniten gleich sei. Der (Ex-)Ehegatte habe keine eigenen Fluchtgründe gehabt. Die Erstbeschwerdeführerin fürchte sich nunmehr auch vor der Familie des (Ex-)Ehegatten im Fall einer Rückkehr in den Irak. Zuhause habe sie ein Kopftuch getragen, was sie nunmehr nicht mehr tue. Sie würde deshalb auch von der eigenen Familie abgelehnt werden. Der (Ex-)Ehegatte sei in den Irak zurückgekehrt und lebe ihres Wissens nach an der ehemaligen gemeinsamen Adresse in Bagdad. Die Erstbeschwerdeführerin habe an keinem bewaffneten Konflikt teilgenommen, sei nicht politisch tätig gewesen und habe keinerlei Probleme mit Behörden oder Gerichten. Sie habe hingegen Probleme aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Sunniten und der Bedrohung durch zwei verschleierte Frauen im Friseursalon.

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes jeweils vom 01.12.2017 wurden die gegenständlichen Anträge der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (jeweils Spruchpunkt III.), gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1a FPG eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im gegenständlichen Fall keine konkrete und individuelle Bedrohung im Herkunftsland festgestellt habe werden können. Ebenso habe nicht festgestellt werden können, dass die Erstbeschwerdeführerin als Sunniten von unbekannten Dritten verfolgt worden wäre. Auch eine Bedrohungssituation im Fall der Rückkehr habe nicht festgestellt werden können. Die Beschwerdeführer könnten nach Bagdad zurückkehren, da sie dort über ein familiäres Netz (Mutter und acht Geschwister der Erstbeschwerdeführerin) verfügen würden und die Erstbeschwerdeführerin im Irak auch bisher schon berufstätig gewesen sei. Aufgrund des Umstandes, dass Bagdad mit rund acht Millionen Einwohnern über enorm viele Bürger verfüge, sei ein Zusammentreffen der Beschwerdeführer mit dem Ex-Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin beinahe ausgeschlossen, sodass sich dadurch auch keine Gefährdung durch den Ex-Ehegatten ergebe. Es sei glaubwürdig, dass die Erstbeschwerdeführerin als Frisörin tätig gewesen sei. Jedoch werde das konkrete Viertel ("XXXX") in Bagdad zumindest seit 2010 schiitisch dominiert, sodass die Erstbeschwerdeführerin dort in einem relativ sicheren Umfeld ihr Frisörgeschäft habe betreiben können. Tatsächlich sei die Erstbeschwerdeführerin aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist. Es sei davon auszugehen, dass bei der Erstbeschwerdeführerin keine derartige westliche Orientierung eingetreten sei, die eine Rückkehr unzumutbar machen würde. Es sei davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin die im Irak herrschenden Gepflogenheiten wieder aufnehmen könnte. Die Rückkehr sei weiters auch nicht schon aufgrund der allgemeinen Lage per se unzumutbar. Es sei anzuerkennen, dass im Irak schwierige Lebensbedingungen für alleinstehende, geschiedene und alleinerziehende Frauen bestünden. Diese würden dennoch keine soziale Gruppe iSd Genfer Flüchtlingskonvention darstellen. Allgemein schwierige Lebensumstände wären hinzunehmen. Für den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer und die minderjährige Drittbeschwerdeführerin wären keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden.

Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.

Die Bescheide wurden den Beschwerdeführern am 07.12.2017 zugestellt.

Mit dem am 28.12.2017 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhoben die Erst- und die Drittbeschwerdeführerin sowie der Zweitbeschwerdeführer gemeinsam durch ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die sie betreffenden Bescheide des Bundesamtes. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge die Bescheide dahingehend abändern, dass den Anträgen auf internationalen Schutz stattgegeben und den Beschwerdeführern der Status von Asylberechtigten, in eventu subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird; in eventu die angefochtenen Bescheide beheben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückverweisen; den Beschwerdeführern in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55, 57 AsylG erteilen; die Rückkehrentscheidung sowie den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung aufheben sowie eine mündliche Verhandlung durchführen.

Die Beschwerdeführer seien tatsächlich Sunniten. Die Erstbeschwerdeführerin sei aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit von Islamisten bedroht worden, da sie als Friseurin und Tätowiererin tätig gewesen sei und zu ihren Kunden auch Christen gezählt hätten, die sich Kreuze tätowieren lassen hätten. Diesbezüglich sei weiters problematisch gewesen, dass die Erstbeschwerdeführerin auch keiner pro-schiitischen Gruppierung angehört habe. Eine Freundin der Erstbeschwerdeführerin, die ebenfalls als Friseurin erwerbstätig gewesen sei, sei getötet worden, da sie sich geweigert habe, ihr Geschäft zuzusperren. Nach diesem Vorfall habe sie um ihr Leben und das Leben ihrer Kinder gefürchtet. Die Erstbeschwerdeführerin habe ihre Fluchtgründe ausführlich geschildert und habe das Bundesamt ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und eine mangelhafte Beweiswürdigung vorgenommen. Die Erstbeschwerdeführerin sei bei der Erstbefragung nach ihrem Ex-Ehegatten einvernommen worden. Sie habe selbst nie angegeben, Schiitin zu sein und sei danach auch nicht gefragt worden. Auch sei ihr nicht erinnerlich, dass ihr das Protokoll rückübersetzt worden wäre. Die Divergenz zwischen Erstbefragung und den Angaben der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt sei ihr nie vorgehalten worden und habe das Bundesamt dazu keine näheren Fragen gestellt. Das Bundesamt verkenne weiters die allgemeine Situation der Beschwerdeführer im Irak sowie im kulturellen und religiösen Kontext. Die Erstbeschwerdeführerin pflege einen deutlich westlichen Lebensstil. Sie besuche alle ihr angebotenen Deutschkurse und würden ihr auch Menschen in der Umgebung dabei helfen, Deutsch zu lernen. Sie habe viele Kontakte zu Österreichern, könne alleine einkaufen und zum Arzt gehen bzw. die Kinder zur Schule begleiten. Es sei ihr nunmehr auch möglich, alleine darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form sie ein Kopftuch trage. Deswegen habe sie bereits im Asylheim Probleme mit anderen islamischen Flüchtlingen gehabt, die sie zum Tragen eines Kopftuches hätten zwingen wollen. Im Irak habe sie das Haus nur in Begleitung verlassen können und dadurch quasi keine Möglichkeit gehabt, ihren eigenen Interessen nachzugehen. Ihr Leben im Irak sei von gesellschaftlichen Zwängen beherrscht gewesen und wolle sie nicht mehr dorthin zurückkehren. Auch aus den Länderfeststellungen der belangten Behörde gehe hervor, dass sich die Lage von Frauen seit dem Sturz des Saddam-Regimes deutlich verschlechtert habe. Darüber hinaus sei die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Ehegatten in Österreich zwar amtlich geschieden worden, traditionell bestehe die Ehe aber nach wie vor und stehe der Erstbeschwerdeführerin als Frau nach islamischem Recht keine Scheidung zu. Aufgrund der von ihr in Österreich forcierten Scheidung habe nunmehr auch ihre eigene Familie mit ihr gebrochen. Der Name der Erstbeschwerdeführerin sei am Flughafen Bagdad deponiert worden, da der Ex-Schwager im Innenministerium über entsprechende Kontakte verfüge. Davon abgesehen, dass der Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Irak sofort der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin entzogen werden würden, würde ihr im höchsten Ausmaß Gefahr eines Ehrenmordes drohen. Darüber hinaus sei die Erstbeschwerdeführerin erneut schwanger. Über den Kindesvater wolle sie keine Angaben machen, es handle sich jedoch nicht um ihren Ex-Ehegatten. Auch die Schwangerschaft von einem anderen Mann würde im Falle der Rückkehr einen maßgeblichen Grund für eine Gefährdung darstellen. Es sei zudem auf die Situation minderjähriger Kinder im Irak hinzuwiesen. Den Beschwerdeführern hätte zumindest der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden müssen.

Mit der Beschwerde wurden eine Kopie des Mutter-Kind-Passes der Erstbeschwerdeführerin sowie fünf Unterstützungserklärungen vorgelegt.

Die gegenständlichen Beschwerden der Erst- und Drittbeschwerdeführerin sowie des Zweitbeschwerdeführers und die jeweils Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 04.01.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Schreiben vom 10.01.2018, beim Bundesverwaltungsgericht am 11.01.2018 einlangend, wurde ein weiteres Unterstützungsschreiben sowie ein medizinischer Befund eines Lungenfacharztes vom 28.12.2017 übermittelt, wonach die Erstbeschwerdeführerin an Asthma bronchiale leidet und ihr ein Atemspray nach Bedarf verordnet wurde.

Am 02.07.2018 wurde im Bundesgebiet der minderjährige Viertbeschwerdeführer geboren. Am 13.07.2018 stellte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin des Viertbeschwerdeführers einen Antrag auf Durchführung eines Familienverfahrens und gab an, dass der Viertbeschwerdeführer über keine eigenen Asylgründe verfügt.

Per E-Mail vom 24.07.2018 wurden die österreichische Geburtsurkunde und die Meldebestätigung des Viertbeschwerdeführers beim Bundesamt nachgereicht.

Mit dem gegenständlich ebenso angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 09.10.2018 wurde auch hinsichtlich des minderjährigen, in Österreich geborenen, Viertbeschwerdeführers der Antrag auf internationalen Schutz vom 13.07.2018 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) abgewiesen, dem Viertbeschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (jeweils Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1a FPG eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass hinsichtlich des Viertbeschwerdeführers keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden seien und sich sein Antrag auf jene seiner Mutter, der Erstbeschwerdeführerin, stützte, deren Antrag auf internationalen Schutz (ebenso wie jene der beiden Halbgeschwister, dem Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin) vom Bundesamt bereits abgewiesen worden seien. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Viertbeschwerdeführer oder seine Mutter im Falle einer Rückkehr in den Irak irgendeiner Verfolgung ausgesetzt wären oder in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden. Er würde über familiäre Anknüpfungspunkte und ein soziales Netz im Irak verfügen. Der Viertbeschwerdeführer sei minderjährig und stehe in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Erstbeschwerdeführerin, welche für seine notwendigen und grundlegenden Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft aufkomme. Auch der Viertbeschwerdeführer könne gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin, dem Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin in den Irak zurückkehren, ohne einer besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein.

Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.

Der Bescheid wurde der Erstbeschwerdeführer als gesetzlicher Vertreterin des minderjährigen Viertbeschwerdeführers nach Zustellversuch am 12.10.2018 durch Hinterlegung beim Zustellpostamt zugestellt.

Auch gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 09.10.2018 wurde mit Schriftsatz der bevollmächtigten Rechtsvertretung der Erstbeschwerdeführerin als gesetzlicher Vertreterin des Viertbeschwerdeführers das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den Bescheid dahingehend abändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz stattgegeben und dem Viertbeschwerdeführer der Status des Asylberechtigten, in eventu subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird; in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückverweisen; dem Viertbeschwerdeführer in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55, 56, 57 AsylG erteilen; die Rückkehrentscheidung sowie den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung aufheben sowie eine mündliche Verhandlung durchführen.

Begründend wurde vollinhaltlich auf das Beschwerdevorbringen der Erstbeschwerdeführerin verwiesen und ausgeführt, dass es sich beim Viertbeschwerdeführer um deren nachgeborenes Kind handle.

Die ebenso gegenständliche Beschwerde des Viertbeschwerdeführers sowie die Bezug habenden Verwaltungsakten wurde vom Bundesamt vorgelegt und langten am 15.11.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.03.2019 wurden den Beschwerdeführern aktuelle Länderberichte bezüglich ihres Herkunftsstaates Irak vorweg zur Durchsicht unter Einräumung einer Möglichkeit zur Stellungnahme bis zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte sodann am 05.04.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Erstbeschwerdeführerin, ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung und ein Dolmetscher für die arabische Sprache teilnahmen. Die Teilnahme des Zweit- und Viertbeschwerdeführers sowie der Drittbeschwerdeführerin konnte aufgrund ihrer unmündigen Minderjährigkeit unterbleiben. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Eine Vertrauensperson der Erstbeschwerdeführerin wurde als Zeugin einvernommen.

Die Erstbeschwerdeführerin gab auf Befragen an, dass sie in Bagdad im Stadtteil XXXX geboren sei. Sie habe sechs Jahre die Grundschule besucht und erst nach Heirat und Geburt des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin etwa im Jahr 2009 eine Ausbildung zur Friseurin im Institut "XXXX" im Bezirk XXXX gemacht habe. Die Ausbildung habe etwa ein Jahr gedauert und hätten insgesamt fünf Frauen daran teilgenommen. Sie habe die Ausbildung mit einem Zeugnis abgeschlossen, dieses und andere Dokumente seien ihr vom Schlepper aber abgenommen worden. Den irakischen Reisepass habe sie etwa einen Monat nach der Einreise nach Österreich nachgesendet erhalten. Darum habe sich damals der (Ex-)Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin gekümmert, da er mit den Beschwerdeführern in den Irak habe zurückkehren wollen. Den Beruf als Frisörin habe sie in Bagdad etwa für sechs Jahre ausgeübt. Sie sei mit einem eigenen Geschäft selbstständig gewesen und habe sich dieses in derselben Straße wie das Wohnhaus der Familie in XXXX befunden. Die Erstbeschwerdeführerin sei Sunnitin, ihr Ex-Ehegatte jedoch Schiite und würden in XXXX überwiegend Schiiten leben. Es befände sich dort glaublich lediglich eine einzige Moschee für Sunniten. Gelegentlich habe die Erstbeschwerdeführerin ihre Religion ausgeübt (gebetet und gefastet), aber weder sie noch ihr Ex-Ehegatte hätten ihre jeweiligen Moscheen besucht. Der Ex-Ehegatte sei nicht besonders religiös gewesen. Er habe auch nicht gearbeitet, die Erstbeschwerdeführerin sei für das Familieneinkommen aufgekommen und habe sich und ihren Kindern dadurch ein gutes Leben ermöglicht. Kurz vor der Ausreise aus dem Irak seien drei ungepflegte und unfrisierte Frauen in das Geschäft der Erstbeschwerdeführerin gekommen. Sie hätten ihre Gesichter mit Tüchern verdeckt gehabt. Erst nachdem die Erstbeschwerdeführerin darum ersucht habe, sie mögen die Tücher abnehmen, habe sie gesehen, dass es Frauen und keine Männer gewesen seien. Die Erstbeschwerdeführerin habe erst Kunden vermutet, jedoch hätten die Frauen ihr auf Hocharabisch gesagt, das Geschäft müsse zugesperrt werden. Es würden hier Dinge passieren, die sie nicht zulassen würden. Sie hätten weiters eine Sure aus dem Koran vorgelesen, aus dem sich ergeben habe, dass Frauen die Füße und Hände abgetrennt werden würden, wenn sie schlechte Sachen machen. Dann seien die Frauen aus dem Geschäft gegangen. Die Erstbeschwerdeführerin habe Angst bekommen, denn es würde täglich jemand getötet werden und es kümmere niemanden. Aus den Nachrichten würde sich ergeben, dass zuletzt im Irak viele Friseurinnen getötet worden seien. Am selben Tag habe die Erstbeschwerdeführerin das Geschäft geschlossen und sich nicht getraut, es wieder zu öffnen. Sie habe immer wieder gehört, dass Frauen getötet werden würden, die als Friseurinnen arbeiten, sodass sie selbst zuhause geblieben sei. Friseure würden im Irak nicht nur Haare schneiden oder färben. Die Erstbeschwerdeführerin habe auch geschminkt, Maniküren und Pediküren gemacht sowie tätowiert, dabei auch christliche Symbole (wie etwa Kruzifixe). Sie habe viele Christinnen als Freundinnen gehabt. Sie selbst habe zwar keine Probleme gehabt, aber sie sei immer wieder von den Frauen der schiitischen Milizen aufgefordert worden, in diversen Gruppierungen zu arbeiten, was sie immer abgelehnt habe. Es habe sich diesbezüglich aber um Bitten und keine Drohungen gehandelt. Weiters sei die allgemeine Lage im Irak immer noch prekär und gäbe es immer noch Anschläge. Knapp vor der Ausreise aus dem Irak sei in der Wohnstraße eine Bombe explodiert. Es gäbe keine Sicherheit im Irak. Zu ihrem Ex-Ehegatten habe sie keinen Kontakt.

Auf Befragen der Rechtsvertretung gab die Erstbeschwerdeführerin weiters an, dass sie nach den traditionellen islamischen Regeln noch mit ihrem Ex-Ehegatten verheiratet sei. Die traditionelle Heirat mit dem Kindesvater des Viertbeschwerdeführers sei nach islamischem Recht eine ungültige Ehe, die zur Konsequenz habe, dass sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der minderjährige Viertbeschwerdeführer enthauptet werden würden.

Auf weiteres Befragen der erkennenden Richterin gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie habe den Kindesvater des Viertbeschwerdeführers in Österreich kennengelernt und sei dieser algerischer Staatsangehöriger. Die Beziehung sei aktuell nicht mehr aufrecht und würden sie nicht mehr gemeinsam leben, nachdem er sie plötzlich verlassen habe. Auch der Kindesvater des Viertbeschwerdeführers sei Asylwerber in Österreich und sei über sein Verfahren noch nicht rechtskräftig entschieden. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin sei schon vor vielen Jahren gestorben. Mit ihrer Mutter habe sie seit vier Jahren keinen Kontakt mehr, ebenso wenig mit den Geschwistern. Sie wisse nicht, was mit ihnen geschehen sei. Der Kontakt zur Familie sei gut gewesen, bis sie das Friseurgeschäft in Bagdad eröffnet habe. Von da an hätte sie ihre eigene Familie gehasst. Sie habe dann noch nur von der Mutter und einer Schwester Besuch bekommen, nicht jedoch von ihren Brüdern. Zur Zeit des Saddam-Regimes habe es diese Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten nicht gegeben. Sie habe ihren Ex-Ehegatten 2004 geheiratet, damals hätten die religiösen Probleme noch nicht bestanden. Die Probleme zwischen Sunniten und Schiiten hätten insbesondere 2007 begonnen.

In weiterer Folge wurde die Vertrauensperson der Erstbeschwerdeführerin auf deren Wunsch als Zeugin einvernommen. Diese gab auf Befragen durch die erkennende Richterin an, dass sie Sozialpädagogin und bereits zwei Jahre in Pension gewesen sei, als Flüchtlinge in ihren Heimatort gekommen seien. Sie habe der Leiterin des örtlichen Flüchtlingsheimes angeboten, zwei Flüchtlingskinder beim Lernen zu unterstützen. Vor etwa vier Jahren habe sie dann die Familie der Erstbeschwerdeführerin kennengelernt. Anfangs habe sie mit der Erstbeschwerdeführerin nicht kommunizieren können. Etwa nach einem Jahr habe aber auch sie darum gebeten, dass die Zeugin mit ihr Deutsch lerne. Während der Ferien sei sie dann einmal wöchentlich bei der Erstbeschwerdeführerin gewesen, und habe mit ihr gelernt. Ab Herbst habe diese dann einen Deutschkurs besucht. Sie habe sowohl den Zweitbeschwerdeführer als auch die Drittbeschwerdeführerin betreut.

Auf Befragen des Rechtsvertreters gab die Zeugin an, sie habe auch andere Asylwerber betreut. Die Erstbeschwerdeführerin würde sich von anderen insofern unterscheiden, als dass sie eine Frau mit westlicher Einstellung sei. Sie trage kein Kopftuch und bemühe sich, unsere Sitten und Gebräuche anzunehmen. Sie lerne mit ihren Kindern, was andere teilweise nicht machen würden. Inzwischen seien sie befreundet und hätten jede Woche ein bis drei Mal Kontakt. Hauptsächlich komme die Zeugin zum Lernen, sie sei mit der Erstbeschwerdeführerin aber auch schon beim Arzt gewesen und habe die Kinder betreut, als der Viertbeschwerdeführer geboren worden sei. Sie unterstütze sie bei Behördengängen und beim Einkaufen und unternehme Ausflüge mit der Familie. Diese wohne in einer privaten Wohnung und habe die Zeugin ihnen auch schon Möbel geschenkt. Es hätten etwa vier oder fünf Leute beim Umzug geholfen und würden diese die Beschwerdeführer auch immer wieder finanziell unterstützen.

Seitens der erkennenden Richterin wurde auf die bereits übermittelten Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat verwiesen und deren Bedeutung das Zustandekommen erklärt sowie wesentliche Inhalte dargelegt. Es wurde den Parteien neuerlich Möglichkeit zur Einsichtnahme und Stellungnahme gewährt. Weiters wurde ein Auszug aus dem Buch "Mörderische Freiheit" von Birgit Svensson sowie das Radiointerview dieser Journalistin vom 04.10.2018 beim SWR2 in das Verfahren eingebracht. Seitens der Rechtsvertretung erfolgte keine Stellungnahme und wurde auch keine Frist für eine schriftliche Stellungnahme beantragt.

Im Anschluss wurde das gegenständliche Erkenntnis gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG mündlich verkündet und die Rechtsmittelbelehrung erteilt.

Am 15.04.2019 langte der Antrag der Beschwerdeführer auf schriftliche Ausfertigung des gegenständlichen Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige des Irak und Angehörige der Volksgruppe der Araber. Die Erstbeschwerdeführerin bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung (vgl etwa Erstbefragung Erstbeschwerdeführerin vom 21.12.2014, S 1 ff; Reisepasskopien der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin samt Untersuchungsberichten vom 16.09.2015;

Geburtsurkunde Viertbeschwerdeführer, AS 5 Viertbeschwerdeführer;

Angaben Erstbeschwerdeführerin, Niederschrift Bundesamt vom 02.08.2017, S 3 ff; Angaben Erstbeschwerdeführerin, Verhandlungsprotokoll vom 05.04.2019, S 4; Entscheidungsgründe des aktenkundigen Scheidungsurteils des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2016, XXXX, S 1).

Die Erstbeschwerdeführerin heiratete am XXXX.2004 im Irak ihren ersten Ehegatten, XXXX, geboren am XXXX, irakischer Staatsangehöriger, sowohl standesamtlich als auch traditionell. Aus dieser Ehe stammen der minderjährige Zweitbeschwerdeführer und die minderjährige Drittbeschwerdeführerin (vgl etwa Entscheidungsgründe des aktenkundigen Scheidungsurteils des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2016, XXXX; Erstbefragung Erstbeschwerdeführerin vom 21.12.2014, S 1 ff; Angaben Erstbeschwerdeführerin, Niederschrift Bundesamt vom 02.08.2017, S 3 ff; Angaben Erstbeschwerdeführerin, Verhandlungsprotokoll vom 05.04.2019, S 4)

Die Erst- und die Drittbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und der (Ex-)Ehegatte bzw. Vater verließen den Irak am 13.10.2014 vom Flughaften Bagdad aus und reisten am selben Tag nach Istanbul in die Türkei (vgl Aus- und Einreisestempel in den aktenkundigen Kopien der irakischen Reisepässe der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin). In weiterer Folge reisten sie schlepperunterstützt über Griechenland, den Beschwerdeführern unbekannte Länder sowie schließlich Ungarn illegal nach Österreich, wo sie die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten (vgl Erstbefragung Erstbeschwerdeführerin vom 21.12.2014, S 1 ff).

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2015, XXXX, wurde gegen den damaligen Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin eine einstweilige Verfügung für die Dauer eines Jahres erlassen, wonach dieser einen Umkreis von 200 Metern zu dort genannten Adressen, darunter der Unterkunft und der Volksschule der Beschwerdeführer, nicht betreten darf und weiters gegen ihn ein absolutes Kontaktverbot mit den Beschwerdeführern verhängt wurde. Bereits zuvor sprach die Polizei am 11.07.2015 ein polizeiliches Betretungsverbot gemäß § 38a SPG aus (vgl aktenkundiger Beschluss, Verwaltungsakt Erstbeschwerdeführerin; Entscheidungsgründe des aktenkundigen Scheidungsurteils des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2016, XXXX, S 3).

Der Ex-Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin kehrte bereits vor Erlassung der angefochtenen Bescheide und des Scheidungsurteils am 23.02.2016 in den Irak zurück. Bei der Wohnadresse der Beschwerdeführer in Bagdad/XXXX im Irak handelt es um den Familienwohnsitz ihres Ex-Ehegatten (vgl Angaben Erstbeschwerdeführerin, Niederschrift Bundesamt vom 02.08.2017, S 7 ff; Angaben Erstbeschwerdeführerin, Verhandlungsprotokoll vom 05.04.2019, S 4; Entscheidungsgründe des aktenkundigen Scheidungsurteils des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2016, XXXX, S 2).

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX.2016, XXXX, wurde die am XXXX.2004 vor dem Zivilgericht Bagdad XXXX geschlossene Ehe der Erstbeschwerdeführerin aus alleinigem Verschulden ihres Ehegatten und Bestellung eines Abwesenheitskurators geschieden. Das Urteil erwuchs am XXXX.2016 in Rechtskraft (vgl aktenkundiges Urteil, Verwaltungsakt Erstbeschwerdeführerin).

In Österreich lernte die Erstbeschwerdeführerin einen algerischen Asylwerber kennen, dessen konkrete Identität nicht festgestellt werden konnte. Mit diesem führte sie über einen nicht näher feststellbaren Zeitraum eine Beziehung, aus welcher der am XXXX in Österreich geborene Viertbeschwerdeführer stammt. Es konnte weder festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin den Kindesvater des Viertbeschwerdeführers nach traditionellem islamischen Recht geheiratet hätte noch, dass zu diesem nach wie vor irgendeine Form von Kontakt besteht. Die Beziehung ist beendet (vgl Angaben Erstbeschwerdeführerin, Verhandlungsprotokoll vom 05.04.2019, S 6; Geburtsurkunde Viertbeschwerdeführer, AS 5 Viertbeschwerdeführer).

Der Erstbeschwerdeführerin kommt die Obsorge für alle ihre Kinder zu. Für den Viertbeschwerdeführer stellte sie am 13.07.2018 einen Antrag auf ein Familienverfahren (vgl hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin etwa Erstbefragung Erstbeschwerdeführerin vom 21.12.2014, S 5; Entscheidungsgründe des aktenkundigen Scheidungsurteils des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2016, XXXX, S 3; aktenkundiger Antrag auf Familienverfahren, AS 1 Viertbeschwerdeführer).

Die Erstbeschwerdeführerin hat im Irak sechs Jahre die Grundschule besucht und hat nach der Eheschließung mit ihrem Ex-Ehegatten als Schneiderin gearbeitet. Da das daraus von ihr erwirtschaftete Einkommen nicht ausreichte, absolvierte die Erstbeschwerdeführerin nach der Geburt des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin im Jahr 2009 in Bagdad eine einjährige Ausbildung zur Friseurin und schloss diese auch ab. In weiterer Folge hat sie bis kurz vor ihrer Ausreise in Bagdad selbstständig im eigenen Salon als (Frauen-)Friseurin und Tätowiererin gearbeitet und mit ihrem Einkommen die ganze Familie erhalten, da der Ex-Ehegatte keiner Beschäftigung nachging. Bis zu ihrer Ausreise lebten die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin im Elternhaus des Ex-Ehegatten in einem überwiegend schiitisch bewohnten Viertel Bagdads ("XXXX"). Der Vater der Erstbeschwerdeführerin ist bereits seit vielen Jahren verstorben. Im Irak leben noch ihre Mutter, vier Schwestern und vier Brüder, davon alle - bis auf zwei Schwestern - in Bagdad. Die Schwestern sind allesamt verheiratete Hausfrauen, drei Brüder sind Landwirte, der vierte ist im Personentransport tätig. Bereits infolge der Aufnahme der Erwerbstätigkeit als selbstständige Frisörin brachen die Brüder und drei der Schwestern der Erstbeschwerdeführerin mit ihr den Kontakt ab, da sie mit dieser Tätigkeit nicht einverstanden gewesen sind. Bereits während die Erstbeschwerdeführerin noch in Bagdad lebte, bestand lediglich Kontakt zu ihrer Mutter und einer Schwester. Seitdem die Erstbeschwerdeführerin mit ihren beiden Kindern diesen verlassen hat, hat sie keinerlei Kontakt mehr zu ihren Familienangehörigen im Irak (vgl Angaben Erstbeschwerdeführerin, Niederschrift Bundesamt vom 02.08.2017, S 3 ff; Angaben Erstbeschwerdeführerin, Verhandlungsprotokoll vom 05.04.2019, S 4 und 6).

Es ist daher festzustellen, dass die Beschwerdeführer im Irak über kein familiäres Auffangnetz verfügen.

Die Beschwerdeführer halten sich seit ihrer Einreise ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Der Viertbeschwerdeführer wurde in Österreich geboren. Die Erstbeschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten (vgl Einsicht in das Strafregister der Erstbeschwerdeführerin).

Die Beschwerdeführer sind alle gesund, die Erstbeschwerdeführerin arbeitsfähig und der minderjährige Zweitbeschwerdeführer und die minderjährige Drittbeschwerdeführerin auch schulfähig. Bei der Erstbeschwerdeführerin wurde Ende des Jahres 2017 "Asthma bronchiale" diagnostiziert und ihr dafür ein Atemspray bei Bedarf verschrieben. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin nach wie vor daran leidet, deswegen aktuell behandelt wird und dass die Diagnose irgendwelche erhebliche Einschränkungen zur Folge hätte (vgl aktenkundiger Befund Dris. XXXX, Facharzt für Pneumologie vom 28.12.2017 für die Erstbeschwerdeführerin; Erstbefragung Erstbeschwerdeführerin vom 21.12.2014, S 3; Angaben Erstbeschwerdeführerin, Niederschrift Bundesamt vom 02.08.2017, S 2; Angaben Erstbeschwerdeführerin, Verhandlungsprotokoll vom 05.04.2019, S 3 ff).

Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer generellen Verfolgungsgefahr oder Bedrohung aufgrund ihrer Religion oder der Berufstätigkeit der Erstbeschwerdeführerin und durch schiitische Milizen, den IS oder von staatlicher Seite ausgesetzt sind.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde bereits im Irak von ihrem (Ex-)Ehegatten immer wieder geschlagen und hat dieser die gegenüber der Erstbeschwerdeführerin und auch gegenüber dem Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin ausgeübte Gewalt auch in Österreich fortgesetzt. Der (Ex)-Ehegatte kehrte bereits im Februar 2015 alleine in den Irak zurück und wollte von dort aus die Beschwerdeführer ebenfalls zur Rückkehr zwingen, indem er insbesondere die Erstbeschwerdeführerin von zwei in Deutschland lebenden Irakern im Februar 2015 bedrohen ließ. Diesbezüglich erstattete die Erstbeschwerdeführerin eine Anzeige, erhielt in der Folge mit ihren Kindern von der Volkshilfe eine andere Unterkunft und wechselte auch ihre Telefonnummer. In weiterer Folge reiste der (Ex-)Ehegatte wieder in das Bundesgebiet ein und machte die Telefonnummer der Beschwerdeführer ausfindig und bedrohte die Erstbeschwerdeführerin in einem Zeitraum von fünf Tagen telefonisch etwa 42 Mal, sodass die Erstbeschwerdeführerin am 12.05.2015 erneut Anzeige erstattete. Am 11.07.2015 kam der (Ex-)Ehegatte nachts in die Wohnung der Beschwerdeführer und hielt der Erstbeschwerdeführerin den Mund zu, schlug und würgte sie und bedrohte sie mit dem Umbringen. Die alarmierte Polizei sprach ein Betretungsverbot für die Wohnung und einen Umkreis von 200 Metern sowie der Volksschule der Kinder und einen Umkreis von 200 Metern aus. In der Folge wurde auch - wie bereits festgestellt - eine entsprechende einstweilige Verfügung gegen den (Ex-)Ehegatten erlassen. Schlussendlich kehrte der (Ex-)Ehegatte im Februar 2016 in den Irak zurück. Die Beschwerdeführer hätten im Falle einer Rückkehr zum (Ex-)Ehegatten/Vater erneut mit Drohungen und Gewalt zu rechnen (vgl etwa aktenkundige Zeugenvernehmung der Erstbeschwerdeführerin als Opfer, LPD XXXX, vom 12.05.2015, S 2 f; Beschluss Bezirksgericht XXXX vom XXXX.2015, XXXX; Scheidungsurteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX.2016, XXXX). Da die Erstbeschwerdeführerin von diesem aber nunmehr geschieden ist und er alleine in den Irak zurückkehrte, liegt eine aktuelle Verfolgungsgefahr nicht vor.

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 28.03.2019 in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktueller Länderberichte samt den angeführten Quellen (basierend auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 20.11.2018) auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.

Daraus ergibt sich:

"1. Allgemeine Sicherheitslage:

1.1. Allgemeine Sicherheitslage und Islamischer Staat (IS):

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt Mossul der Provinz Ninava gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen Anbar, Diyala und Salah al-Din im Zentral- und Südirak voraus. Die kriegerischen Ereignisse im Irak seit 2014 brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von Kirkuk, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein geringer Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Vor dem Hintergrund einer längerfristigen Tendenz unter den Binnenvertriebenen zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete waren mit 31.03.2018 noch ca. 2,2 Mio. (seit 2014) Binnenvertriebene innerhalb des Iraks registriert, diesen standen wiederum ca. 3,6 Mio. Zurückgekehrte gegenüber. Ca. 90% der bis Ende März 2018 in ihre Herkunftsregion zurückgekehrten ca. 124.000 Binnenvertriebenen stammten aus den Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninava und Salah al-Din, 107.000 kehrten alleine in die Provinz Ninava, ca. 77.000 in den Bezirk Mossul zurück.

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), sowie mit Unterstützung alliierter ausländischer Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze westlich von Mossul. Ab November 2016 wurden sukzessive die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tel Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk. Mit Beginn des Dezember 2017 musste der IS seine letzten territorialen Ansprüche innerhalb des Iraks aufgeben, am 01.12.2017 erklärte Premier Abadi den gesamtem Irak für vom IS befreit.

Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).

Ab dem 03.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 60.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 05.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium (Harrer 24.11.2017).

Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 09.-11.2017).

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018).

Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).

Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).

Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

1.2. Allgemeine Sicherheitslage in Kurdistan:

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Am 25.09.2017 hielt die kurdische Regionalregierung ein Referendum für eine mögliche Unabhängigkeitserklärung der Autonomieregion mitzustimmendem Ausgang ab. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk.

Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25. September 2017 deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.9.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).

Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.2.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018).

Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.2.2018).

Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018).

Am 30.9.2018 fanden in der kurdischen Autonomieregion Wahlen zum Regionalparlament statt (Tagesschau 30.9.2018). Mit einer Verzögerung von drei Wochen konnte die regionale Wahlkommission am 20.10.2018 die Endergebnisse veröffentlichen. Zahlreiche Parteien hatten gegen die vorläufigen Ergebnisse Widerspruch eingelegt. Gemäß der offiziellen Endergebnisse gewann die KDP mit 686.070 Stimmen (45 Sitze), vor der PUK mit 319.912 Stimmen (21 Sitze) und Gorran mit

186.903 Stimmen (12 Sitze) (ANF 21.10.2018; vgl. Al Jazeera 21.10.2018, RFE/RL 21.10.2018). Die Oppositionsparteien lehnen die Abstimmungsergebnisse ab und sagen, dass Beschwerden über den Wahlbetrug nicht gelöst wurden (Al Jazeera 21.10.2018).

Eine Einreise in die Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist aktuell aus Österreich auf dem Luftweg ausgehend vom Flughafen Wien via Amman und via Dubai nach Erbil und auf indirektem Weg via Bagdad möglich.

1.3. Sicherheitslage und Versorgungslage in den südirakischen Provinzen (insbesondere Basra):

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte vorerst eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte. Aktuell sind im Gefolge der Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak keine maßgeblichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen für die Region bekannt.

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontroll

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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