TE Vfgh Erkenntnis 2019/9/23 E969/2019

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Veröffentlicht am 23.09.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz eines afghanischen Staatsangehörigen; keine Auseinandersetzung mit der Gefährdung von Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.        Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.        Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 12. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu gab er an, dass er bei einer gesellschaftskritischen Zeitung mit sieben Mitarbeitern in der Provinz Kabul als Berichterstatter und Berater ua an Beiträgen zu frauenpolitischen Themen gearbeitet habe. Bei der Zeitung sei man unter Druck gestanden und ständig bedroht worden. Als Folge unerwünschter Berichterstattung über die Tötung von sieben Personen durch Anhänger einer radikalislamischen Gruppierung bei einer Demonstration seien der Beschwerdeführer und sein Vorgesetzter im Jahr 2014 von dieser Gruppierung eingesperrt worden, hätten aber schließlich nach Kabul fliehen können. Der Beschwerdeführer habe fortan nicht mehr direkt in den Dörfern Berichtsmaterial gesammelt, sondern nur noch von Kabul aus für die Zeitung gearbeitet. Daneben sei er auch als Chemielehrer an einer Schule tätig gewesen. Nach einem Jahr in Kabul habe er sich 2015 entschlossen, Afghanistan zu verlassen.

2.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22. Februar 2018 wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan nach einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise zulässig ist.

3.       Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 1. Februar 2019 wurde die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere Folgendes aus:

Der Beschwerdeführer habe in plausibler Weise vorzubringen vermocht, von 2011 bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 als Berater und Berichter für eine Zeitschrift tätig gewesen zu sein, im Zuge derer er über eine Demonstration im Jahr 2013 berichtet habe, bei welcher sieben Personen von Anhängern einer radikalislamischen Gruppierung getötet worden seien. Auch den Umstand, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vorgesetzten von dieser Gruppierung im Jahr 2014 eingesperrt worden sei, wobei für beide die Möglichkeit bestanden habe zu fliehen, habe er glaubhaft schildern können.

Der Beschwerdeführer sei jedoch nicht in der Lage gewesen, glaubhaft und nachvollziehbar darzulegen, warum konkret er in Afghanistan einer Gefährdung durch die Anhänger der genannten Gruppierung ausgesetzt sein sollte. Es sei zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer auch nach Anhaltung und Flucht noch ca. ein Jahr in Kabul aufhalten und während dieser Zeit sogar als Chemielehrer arbeiten habe können, ohne irgendwelchen Verfolgungshandlungen bzw Bedrohungssituationen ausgesetzt gewesen zu sein. Auch die Familie des Beschwerdeführers sei in Afghanistan keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt. Nach über drei Jahren seit der Ausreise aus Afghanistan sei überdies nicht davon auszugehen, dass seitens der Anhänger dieser Gruppierung (weiterhin) ein besonderes Interesse an der Person des Beschwerdeführers bestehen könnte, zumal eine Wiedererkennung des Beschwerdeführers – auch mangels eines Meldesystems – geradezu unwahrscheinlich sei. Dabei sei, so das Bundesverwaltungsgericht, zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer selbst davon ausgehe, im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan weiter als Journalist zu arbeiten.

Dem Beschwerdeführer komme demnach zwar hinsichtlich seines Vorbringens zu seiner Tätigkeit als Journalist und seiner dadurch hervorgerufenen Anhaltung durch die Anhänger einer radikalislamischen Gruppierung Glaubwürdigkeit zu, jedoch habe nicht festgestellt werden können, dass er nach einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan Verfolgungshandlungen oder Bedrohungssituationen ausgesetzt wäre.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten seien nicht gegeben. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Lebensumstände sei dem Beschwerdeführer eine Ansiedlung in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat möglich und zumutbar. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, lediger, arbeitsfähiger und junger Mann, der auf eine mit Matura abgeschlossene achtjährige Schulbildung und auf ein Universitätsstudium zurückgreifen könne. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer mehrere Jahre als Journalist und zuletzt als Chemielehrer tätig gewesen. Seine Mutter und seine Geschwister lebten nach wie vor in Afghanistan.

4.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Insbesondere wird darin die fehlende Auseinandersetzung in der angefochtenen Entscheidung mit dem Umstand, dass UNHCR Journalisten in Afghanistan einer besonderen Risikogruppe zuordne, bemängelt.

5.       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II.      Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Im Lichte der in Afghanistan bestehenden Gefährdungssituation für Journalisten durch nichtstaatliche Akteure, deren Gewaltakte häufig nicht geahndet würden, ist UNHCR der Auffassung, dass "für Journalisten und andere in der Medienbranche tätige Personen, die kritisch über von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren als sensibel betrachtete Themen berichten, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen ihrer (ihnen zugeschriebenen) politischen Überzeugung […] in Verbindung mit der Unfähigkeit des Staates, Schutz vor dieser Verfolgung zu bieten, bestehen kann" (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018, 59).

2.2.    Das Bundesverwaltungsgericht legt seiner Entscheidung das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als glaubhaft zugrunde und erhebt die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Journalist sowie einen damit in Zusammenhang stehenden Vorfall, bei dem der Beschwerdeführer von Anhängern einer radikalislamischen Gruppierung in Gefangenschaft gehalten worden sei bis er fliehen habe können, zu seinen Feststellungen.

Der Beschwerdeführer habe aber nicht vermocht, "glaubhaft und nachvollziehbar darzulegen, warum konkret er in Afghanistan einer Gefährdung durch die Anhänger der […]Gruppierung ausgesetzt sein sollte". Wie das Bundesverwaltungsgericht gerade im vorliegenden Fall, in dem sich eine einschlägige, von UNHCR beschriebene Gefährdungssituation bereits manifestiert hat, und der Beschwerdeführer – wie das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls festhält – einer journalistischen Tätigkeit im Falle der Rückkehr auch weiterhin nachgehen würde, zu dieser Beurteilung gelangt, ist für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar. Allein der Verweis auf eine Zeitspanne von einem Jahr, in dem es dem Beschwerdeführer gelang, sich unbehelligt in Kabul aufzuhalten, vermag – schon angesichts der Tatsache, dass auch der vom Bundesverwaltungsgericht als glaubhaft beurteilte Übergriff auf den Beschwerdeführer erst ein Jahr nach der einschlägigen Berichterstattung erfolgte – eine Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen vor dem Hintergrund der von UNHCR aufgezeigten Gefährdungssituation für Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen nicht zu ersetzen.

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E969.2019

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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