TE Vwgh Erkenntnis 1998/10/29 96/20/0820

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Veröffentlicht am 29.10.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AsylG 1997 §14 Abs1 Z1 impl;
AsylG 1997 §7;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des MC in Linz, geboren am 20. Dezember 1963, vertreten durch Dr. Michael Metzler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 49, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Jänner 1996, Zl. 4.337.043/11-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 6. April 1992 in das Bundesgebiet ein. Am 16. April 1992 beantragte er, ihm Asyl zu gewähren. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 4. Juni 1992 wurde dieser Asylantrag infolge Verneinung seiner Flüchtlingseigenschaft abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 7. Jänner 1994 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Mit Erkenntnis vom 29. November 1994 hob der Verwaltungsgerichtshof diesen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge unrichtiger Anwendung des Asylgesetzes 1991 anstelle des Asylgesetzes 1968) auf, wodurch das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig wurde. Im Zuge des fortgesetzten Berufungsverfahrens wurde der Beschwerdeführer über Anordnung der belangten Behörde am 27. Dezember 1995 durch das Bundesasylamt neuerlich einvernommen. Dabei sollte ihm u.a. vorgehalten werden, er hätte sich durch den mittlerweile über seinen Antrag vom türkischen Generalkonsulat in Salzburg ausgestellten Reisepaß freiwillig wieder unter den Schutz seines Heimatstaates gestellt. Anläßlich dieser Einvernahme wurde ihm vorgehalten, daß er sich beim türkischen Generalkonsulat in Salzburg am 1. März 1994 einen Reisepaß habe ausstellen lassen, worin eine Unterschutzstellung zu sehen sei. Der Beschwerdeführer wurde dazu befragt, wie er in den Besitz des türkischen Reisedokumentes gelangt sei, und er wurde aufgefordert, mit Bezug auf die beantrage Ausstellung des Reisepasses zu dem daraus von der belangten Behörde gezogenen rechtlichen Schluß Stellung zu nehmen. Darauf antwortete der Beschwerdeführer, daß ihm

"ein Polizeibeamter mitteilte, daß (er) auf diesem Wege einen Reisepaß erhalten könnte. Ich (der Beschwerdeführer) reiste ca. nach dem 22. Februar 1994 nach Salzburg, ging dort zum türkischen Konsulat, legte meinen Personalausweis vor und stellte gleichzeitig einen Antrag auf die Ausstellung eines türkischen Reisepasses. Diesen erhielt ich dann anstandslos, ohne einen abgelaufenen Reisepaß bzw. eine Verlustbestätigung vorzulegen".

Der Beschwerdeführer wies darauf hin, daß "in der Türkei Militärangehörige während des Dienstes einfach getötet (werden) und im nachhinein behauptet (werde), es sei ein Unfall gewesen" und deshalb nicht gesagt werden könne, "so ein Staat würde einen menschlichen Schutz gewähren". Sodann erklärte der Beschwerdeführer weiter, "ich ging diesen Weg (gemeint: beim Generalkonsulat den Reisepaß zu beantragen), damit ich in Österreich meinen Aufenthalt nehmen kann, da hier meine Familie aufhältig ist". Auf die Aufforderung, weitere Gründe anzugeben, bzw. eine weitere Stellungnahme abzugeben, gab er an:

"Sie sagten zu mir, daß ich mich wieder unter den Schutz meines Heimatstaates gestellt habe und ich frage Sie, weshalb meine Wohnung in der Türkei jeden Tag von der Polizei überfallen wird.

Trotz neuerlicher Befragung habe ich nichts hinzuzufügen.

In der Türkei werden tag-täglich Menschen getötet und dies ohne gesetzlichen Rahmen. In der Türkei werden Menschen auch die verschiedensten Foltermethoden getötet, desweiteren herrscht ein schmutziger Krieg in der Türkei."

Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid sprach die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968). Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer habe sich am 1. März 1994 einen Reisepaß vom türkischen Generalkonsulat in Salzburg ausstellen lassen und er habe damit den Tatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention verwirklicht. Die Ausstellung eines Reisepasses sei eine der Formen, in denen ein souveräner Staat seinen im Ausland weilenden Bürgern seinen Schutz angedeihen lasse, werde "doch durch die Innehabung eines solchen Passes dokumentiert, daß es sich bei der betreffenden Person nicht um einen Staatenlosen handelt, sondern um eine solche, hinter der ein Völkerrechtsubjekt steht, welches ihr in casu konsularischen und diplomatischen Schutz angedeihen lassen" könne und werde. Es könne "somit durchaus davon gesprochen werden, daß die Ausstellung eines Reisepasses eine der Formen ist, in der staatlicher Schutz sich manifestiert". Durch die Antragstellung auf Ausstellung eines Reisepasses habe der Beschwerdeführer diesen Schutz begehrt und durch den ausgestellten nationalen Reisepaß auch tatsächlich erhalten. Es fehle jeglicher Hinweis dafür, daß seine Antragstellung nicht freiwillig erfolgt sein könnte, "zumal Sie dem diesbezüglichen Vorhalt des Bundesasylamtes - Außenstelle Linz - nichts Einschlägiges entgegensetzen, was diese Freiwilligkeit zu verneinen vermag".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst ist festzuhalten, daß infolge der zutreffenden Anwendung des Asylgesetzes 1968 im angefochtenen Bescheid kein Fall des Außerkrafttretens gemäß § 44 Abs. 2 Asylgesetz 1997 vorliegt.

Gemäß § 1 des Asylgesetzes 1968, BGBl. Nr. 126, idF der Novelle BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 (im folgenden: FlKonv), unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und bei ihm ein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv nicht vorliegt.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses den Tatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z 1 der Flüchtlingskonvention erfüllt, wenn nicht im konkreten Einzelfall ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird (vgl. auch das Erkenntnis vom 24. Oktober 1996, Zl. 96/20/0587, und die dort wiedergegebene Judikatur). Was zu einem anderen Ergebnis führen kann, sind vor allem Umstände, die die Freiwilligkeit des zu beurteilenden Verhaltens in Frage stellen.

Der belangten Behörde stand als Berufungsbehörde im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG grundsätzlich die Entscheidung in der Sache selbst (meritorisch) zu und sie war berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Dabei war die belangte Berufungsbehörde berechtigt, auch auf neue, erst nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eingetretene Umstände Bedacht zu nehmen, sofern sie dem Grundsatz auf Wahrung des Parteiengehörs ausreichend Rechnung trug. Indem die belangte Behörde dem Beschwerdeführer in der ergänzenden Einvernahme am 27. Dezember 1995 ihre Annahme vorhielt, daß er sich infolge der von ihm beantragten Ausstellung eines türkischen Reisepasses beim Generalkonsulat in Salzburg wieder unter den Schutz seines Heimatstaates gestellt habe, hat sie zwar dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, dabei allerdings ihrer Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung nicht ausreichend Rechnung getragen.

Die Behörde hat gemäß den §§ 37, 39 Abs. 2 AVG in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß die Behörde das Vorliegen eines Beendigungsgrundes im Sinn des Art. I Abschnitt C Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention annimmt. Der Beschwerdeführer hatte auf den ihm von der Behörde gemachten Vorhalt ausdrücklich erklärt, ein Polizeibeamter habe ihm mitgeteilt, daß er im Wege des türkischen Generalkonsulates in Salzburg einen Reisepaß ausgestellt erhalten könne, und er sei diesen Weg gegangen, um in Österreich seinen Aufenthalt nehmen zu können, weil hier seine Familie aufhältig sei. Der belangten Behörde mußte bekannt sein, daß dem Beschwerdeführer nach rechtskräftiger Abweisung seiner Berufung im ersten Rechtsgang (im Jänner 1994) vor Einbringung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mit dem damit verbundenen Antrag, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen (hier im August 1994), eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet nicht zugekommen war. Damit drohten dem Beschwerdeführer grundsätzlich entsprechende fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu seiner Außerlandesschaffung. Dieser Sachlage entsprechend hätte die belangte Behörde gemäß ihrer Pflicht zur vollständigen Ermittlung des für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhaltes angesichts des Hinweises des Beschwerdeführers, ein "Polizist" hätte ihn angehalten, sich seinen Reisepaß vom türkischen Generalkonsulat in Salzburg ausstellen zu lassen, nachfragen müssen, in welchem Zusammenhang diese Mitteilung eines Polizeiorganes dem Beschwerdeführer gegenüber ergangen war. Überdies ist in diesem Zusammenhang anzumerken, daß die die ergänzende Einvernahme durchführende Behörde dem Beschwerdeführer entgegen dem Auftrag der belangten Behörde nicht vorgehalten hatte, er hätte sich "freiwillig" wieder unter den Schutz seines Heimatstaates gestellt, sodaß der Beschwerdeführer nicht unmittelbar veranlaßt wurde, von sich aus die näheren Umstände dieser Mitteilung darzulegen. Mit seinem Beschwerdevorbringen, daß er am 22. Februar 1994 bei der Bundespolizeidirektion Linz, Fremdenpolizei, wegen seines illegalen Aufenthaltes in Österreich befragt und ihm von einem Polizeiorgan mitgeteilt worden sei, "daß er bis 30. April 1994 Zeit hat, um eine Aufenthaltsberechtigung zu erwirken, wobei ihm aber auch mitgeteilt wurde, daß er zu diesem Zweck einen gültigen Reisepaß benötige 'sowie' .... daß er sich über das türkische Generalkonsulat in Salzburg eben einen Reisepaß verschaffen könne", unterliegt daher der Beschwerdeführer nicht dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot. Dieses Vorbringen hat der Beschwerdeführer durch Vorlage der Kopie eines Auszuges über seine Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Linz am 22. Februar 1994 bei Einbringung seines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe bescheinigt. Aus diesem Protokoll geht hervor, daß dem Beschwerdeführer eine Frist "bis zum 30. April 1994 für die Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung für Österreich, gesetzt" wurde, andernfalls gegen ihn "fremdenpolizeiliche Maßnahmen gesetzt" würden. Die Beschwerdeausführungen sind somit für die Frage, ob die Erwirkung des Reisepasses freiwillig erfolgte und ob damit tatsächlich beabsichtigt war, sich wieder unter den Schutz des Heimatlandes zu stellen, von maßgeblicher Bedeutung. Dort nämlich, wo die Behörden des Schutzstaates selbst die Vorlage von Identitätspapieren für nötig erachten, wurde auch bereits vom Verwaltungsgerichtshof die "Freiwilligkeit" der Unterschutzstellung verneint (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1996, Zl. 95/20/0628).

Aus den dargelegten Gründen hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet, bei dessen Vermeidung sie zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. Oktober 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996200820.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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