TE Vwgh Erkenntnis 1998/11/4 98/13/0115

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Veröffentlicht am 04.11.1998
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/04 Steuern vom Umsatz;

Norm

BAO §224 Abs1;
BAO §245 Abs2;
BAO §248;
BAO §289 Abs2;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
BAO §93 Abs3 lita;
UStG 1972 §12;
UStG 1972 §21;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Repa, über die Beschwerde des Dipl.-Ing. G in W, vertreten durch Proksch & Partner OEG, Rechtsanwälte in Wien III,

Am Heumarkt 9/1/11, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 12. Mai 1998, Zl RV/314-07/02/97, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war im Zeitraum Juni 1988 bis Jänner 1990 Geschäftsführer einer GmbH.

Mit Schreiben vom 21. Juni 1995 wurde dem Beschwerdeführer vom Finanzamt mitgeteilt, daß auf dem Abgabenkonto dieser Gesellschaft Abgabenrückstände in Höhe von rund S 3,9 Millionen aushafteten, deren Einbringung bisher vergeblich versucht worden sei. Sollte die Abgabenschuld nicht abgestattet werden können, so würde der Beschwerdeführer gemäß § 9 BAO als Geschäftsführer zur Haftung herangezogen werden, es sei denn, er könne beweisen, daß er ohne Verschulden daran gehindert gewesen sei, für die Entrichtung der Abgaben zu sorgen.

Der Beschwerdeführer äußerte sich im Juli 1995 dazu dahingehend, daß die Gesellschaft bereits 1988 zahlungsunfähig gewesen und ein Konkursantrag mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden sei. Die Gesellschaft habe schon seit 1986 keinerlei Gewinne gemacht, sodaß sich die Frage stelle, wie es zu den aushaftenden Steuerrückständen gekommen sein soll. Da dem Beschwerdeführer die schuldhafte Nichterfüllung abgabenrechtlicher Pflichten nicht habe vorgeworfen werden können, sei konsequenterweise ein gegen ihn eingeleitetes Finanzstrafverfahren eingestellt worden.

Mit Bescheid vom 31. Oktober 1995 wurde der Beschwerdeführer als Haftungspflichtiger für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Gesellschaft im Ausmaß von rund S 3,65 Millionen herangezogen und zu deren Entrichtung aufgefordert. Begründend wurde u.a. ausgeführt, für die Zeiträume 1988, 1989 sei die gemeldete bzw. rechtskräftig vorgeschriebene Umsatzsteuer (1988: S 3,074.160,-, 1989: S 574.408,--) nicht entrichtet worden. Gemäß § 21 UStG 1972 sei der Haftungspflichtige verpflichtet, spätestens am 15. Tag des auf den betreffenden Kalendermonat (= Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Monats die aufgrund der getätigten Umsätze entstandenen Umsatzsteuervorauszahlungen abzustatten. Dies habe der Haftungspflichtige unterlassen. In diesem Zusammenhang sei auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach regelmäßig davon auszugehen sei, daß die Umsatzsteuer mit den Preisen für erbrachte Lieferungen und sonstige Leistungen eingenommen werde und daher für die Abfuhr an das Finanzamt zur Verfügung stehe.

In einer dagegen eingebrachten Berufung vom 17. November 1995 bestritt der Beschwerdeführer unter Hinweis auf seine Äußerung vom Juli 1995 abermals eine Pflichtverletzung mangels jeglicher liquider Mittel, verwies (inhaltlich) auf das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 18. Oktober 1995, Zlen 91/13/0037, 0038, worin der Verwaltungsgerichtshof von seiner bisherigen Rechtsprechung zur bevorzugten Entrichtung der Umsatzsteuer abgegangen sei, und wandte überdies Verjährung ein.

Nach Ablauf der Berufungsfrist teilte das Finanzamt dem Beschwerdeführer in einem mit "Ersuchen um Ergänzung" überschriebenen Schriftsatz vom 1. Februar 1996 mit, daß die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1988 und 1989 aus der Aberkennung von in beiden Jahren geltend gemachten Vorsteuern resultiere, weil im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 1988 bis 1990 vom Notgeschäftsführer Dr. H. keine dem § 11 UStG entsprechenden, zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnungen hätten vorgelegt werden können. Wenn im Namen der Gesellschaft in den "fraglichen Jahren die strittigen Vorsteuern - aus Sicht der Betriebsprüfung - nicht ungerechtfertigt geltend gemacht worden wären, wäre der gegenständliche Haftungsrückstand nicht entstanden". Einwendungen gegen die Unrichtigkeit der Abgabenfestsetzung hätten mit Berufung gemäß § 248 BAO geltend gemacht werden müssen. Wegen der Nichtvorlage von zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnungen könne die Haftungsschuld jedenfalls nicht als offenkundig unrichtig vorgeschrieben bezeichnet werden. In der Folge bezweifelte das Finanzamt, daß vor dem Eintritt der gesetzlichen Fälligkeiten der angesprochenen Abgabenschuldigkeiten ein Antrag auf Konkurseröffnung wegen Vermögenslosigkeit abgewiesen worden sei und ersuchte um Nachweis "der Einnahmen aus Umsatzgeschäften der Jahre 1988 und 1989 sowie der daraus bezahlten Abgabenschuldigkeiten sowie der an andere Gläubiger bezahlten Schulden". Der Beschwerdeführer teilte mit, daß der bereits aus dem Jahr 1989 datierende Antrag auf Konkurseröffnung mit Beschluß vom 13. März 1990 abgewiesen worden sei. Die Verbindlichkeiten, die in den Konkursantrag gemündet hätten, hätten bereits aus dem Jahr 1988 resultiert. In weiterer Folge übermittelte der Beschwerdeführer dem Finanzamt drei Aktenordner mit Überweisungsbelegen, wonach Zahlungen im Ausmaß von rund 10 Millionen getätigt worden seien, die zum Vorsteuerabzug von rund 2 Millionen berechtigt hätten.

Nach Erlassung einer Berufungsvorentscheidung und rechtzeitigem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz, in welchem der Beschwerdeführer u. a. rügte, daß ihm erstmals in dem Ersuchen um Ergänzung zur Kenntnis gebracht worden sei, daß die Abgabenschuld auf zu Unrecht geltend gemachte Vorsteuer gestützt werde, er daher nie die Möglichkeit gehabt hätte, innerhalb der Berufungsfrist gegen den Haftungsbescheid auch den Abgabenanspruch gemäß § 248 BAO zu bekämpfen, gab die belangte Behörde der Berufung mit dem angefochtenen Bescheid insofern teilweise Folge, als der Betrag, für welchen der Beschwerdeführer zur Haftung herangezogen wurde, um rund S 900.000,-- herabgesetzt wurde, im übrigen wies sie die Berufung aber ab. Dies u.a. mit der Begründung, daß es dem Beschwerdeführer sehr wohl möglich gewesen wäre, eine Berufung gegen den Abgabenanspruch einzubringen, eine solche aber nicht Gegenstand des Verfahrens sei, weshalb eine allfällige Behinderung der Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers keinen Einfluß auf die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides habe. Die belangte Behörde verwies in diesem Zusammenhang auf das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 1995, Zlen 91/13/0037, 0038. Abgesehen davon stelle "das - durch schuldhafte Verletzung der Kontrollpflichten des Beschwerdeführers bewirkte - Ausgehen von einer falschen Voraussetzung" keinen triftigen Grund dafür dar, nicht dennoch die Mitteilung des noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches zu beantragen bzw. sich durch Akteneinsicht von der Richtigkeit seiner Meinung zu überzeugen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 248 BAO kann der nach Abgabenvorschrift Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Berufung gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224 Abs 1) innerhalb der für die Einbringung der Berufung gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch berufen. Beantragt der Haftungspflichtige die Mitteilung des ihm noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches, so gilt § 245 Abs 2 und 4 sinngemäß.

Gemäß § 245 Abs 2 wird durch einen Antrag auf Mitteilung der einem Bescheid ganz oder teilweise fehlenden Begründung (§ 93 Abs 3 lit a) der Lauf der Berufungsfrist gehemmt.

Der Haftungspflichtige hat somit das Recht, innerhalb der zur Berufung gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch zu berufen. Dieses Berufungsrecht setzt jedoch die Kenntnis der zur Festsetzung des Abgabensanspruches führenden Grundlagen voraus. Sind diese Grundlagen unbekannt, so ist zwar dennoch die Einbringung einer Berufung formal möglich, die Berufungsgründe können aber - in Unkenntnis der Besteuerungsgrundlagen - in aller Regel nicht sinnvoll ausgeführt werden, sodaß sich diesfalls ein Rechtsschutzdefizit ergäbe. Dem trägt § 248 letzter Satz BAO in Verbindung mit § 245 Abs 2 BAO Rechnung. Diese Bestimmungen sollen sicherstellen, daß der zur Haftung Herangezogene in Kenntnis der relevanten Grundlagen des Abgabenbescheides innerhalb offener Rechtsmittelfrist eine begründete Berufung gegen den Abgabenbescheid erheben kann. Diese somit als Rechtsschutzvorschrift anzusehenden gesetzlichen Bestimmungen können aber in Fällen nicht greifen, in welchen dem Haftungspflichtigen unrichtige oder unvollständige Grundlagen für den Abgabenanspruch mitgeteilt werden. Diesfalls ist der Haftungspflichtige nämlich nicht in der Lage, die allenfalls gebotenen Verteidigungsmittel richtig zu beurteilen und einzusetzen. Ein berufungsfristhemmender Antrag im Sinn des § 245 Abs 2 BAO auf Mitteilung des dem Haftungspflichtigen noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches wäre verfehlt, weil der Abgabenanspruch - wenn auch unrichtig oder unvollständig - zur Kenntnis gebracht wurde.

Im Beschwerdefall begründete das Finanzamt die Heranziehung des Beschwerdeführers zur Haftung insbesondere damit, daß der Beschwerdeführer für bestimmte Zeiträume die "gemeldete bzw. rechtskräftig vorgeschriebene" Umsatzsteuer nicht entrichtet habe. Erst nach Ablauf der Berufungsfrist gegen den Haftungsbescheid - und damit gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch - teilte das Finanzamt dem Beschwerdeführer mit, daß die Umsatzsteuer in Wahrheit nicht auf der unterlassenen Entrichtung von "gemeldeter bzw. rechtskräftig vorgeschriebener" Umsatzsteuer, sondern - durch Versagung des Vorsteuerabzuges - auf anders als gemeldet festgesetzter Umsatzsteuer beruhte. Damit hat das Finanzamt und in Bestätigung dieser Vorgangsweise des Finanzamtes die belangte Behörde den Beschwerdeführer von einem gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutz ausgeschlossen. Dem Beschwerdeführer ist daher im Ergebnis zuzustimmen, daß er durch die Vorgangsweise des Finanzamtes in seinen Verteidigungsrechten in einer Weise verletzt wurde, die mangels Sanierbarkeit im Berufungsverfahren - wie erwähnt, war die Frist zur Einbringung einer Berufung gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch zum Zeitpunkt der erstmaligen Mitteilung über die tatsächlichen Gründe für die Heranziehung zur Haftung abgelaufen - zu einer Aufhebung des Haftungsbescheides hätte führen müssen.

Es trifft zwar auch im Beschwerdefall - wie oben ausgeführt - zu, daß der Beschwerdeführer formal eine Berufung gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch hätte erheben können. Mangels Kenntnis des Umstandes, daß die Umsatzsteuerfestsetzung aus der Versagung geltend gemachter Vorsteuern resultierte, hatte der Beschwerdeführer nach seinem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides aber keine Veranlassung, die Bescheide, welche nach dem Inhalt der Begründung des Haftungsbescheides auf "gemeldeter bzw. rechtskräftig festgesetzter Umsatzsteuer" beruhten, zu bekämpfen. War aber allenfalls die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Jahre 1988 und 1989 - vom Beschwerdeführer nach Mitteilung der in Wahrheit vorliegenden Gründe für die Heranziehung zur Haftung nicht mehr bekämpfbar - durch die Versagung der geltend gemachten Vorsteuern unrichtig, so läge naturgemäß keine Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten durch den Beschwerdeführer vor. Insoweit ist daher im Beschwerdefall dadurch, daß dem Beschwerdeführer, wie von ihm zu Recht gerügt wurde, die Grundlagen des Abgabenanspruches jedenfalls unvollständig zur Kenntnis gebracht wurden, eine Behinderung seiner Verteidigungsrechte auch im Berufungsverfahren gegen den Haftungsbescheid zu sehen.

Es kann aber auch der Ansicht der belangten Behörde nicht gefolgt werden, in dem Umstand, daß der Beschwerdeführer von falschen Voraussetzungen ausging und sich nicht von der Richtigkeit der Begründung im Haftungsbescheid überzeugt hat - sei es durch Akteneinsicht, sei es durch einen Antrag auf Mitteilung des "noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches" -, sei eine zur grundsätzlichen Abweisung der Berufung berechtigende schuldhafte Verletzung der Kontrollpflichten des Beschwerdeführers zu sehen. Dies schon deshalb, weil ein solches "Verschulden" des ehemaligen Geschäftsführers einer Gesellschaft in keiner Weise für die Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten der Gesellschaft kausal wäre.

Die belangte Behörde hat daher dadurch, daß sie den mit Berufung angefochtenen Haftungsbescheid in Verkennung der Rechtslage nicht aufgehoben hat, den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 416/1994.

Wien, am 4. November 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998130115.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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