TE Vwgh Erkenntnis 1998/11/10 98/08/0236

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Veröffentlicht am 10.11.1998
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AVG §37;
AVG §66 Abs4;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Michael Hasberger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 8/9, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 30. März 1998, Zl. LGS-W Abt. 12/1218/56/1998, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 10 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde ausgesprochen, daß der Beschwerdeführer für die Zeit vom 1. September 1997 bis 12. Oktober 1997 gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 AlVG 1977 den Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe und dies damit begründet, daß dem Beschwerdeführer am 7. August 1997 eine Beschäftigung bei einem näher bezeichneten Unternehmen als Wäschereiarbeiter mit Arbeitsbeginn 1. September 1997 angeboten worden sei. Dieses Dienstverhältnis sei nach den Angaben des Unternehmens nicht zustande gekommen, da sich der Beschwerdeführer erst am 25. August 1997, also mehr als zwei Wochen später, vorgestellt habe und "somit für die Firma nicht arbeitswillig" erschienen sei. Der Beschwerdeführer habe in einer Niederschrift angegeben, sich telefonisch vorgestellt zu haben, wobei ihm allerdings gesagt worden sei, daß die Stelle bereits vergeben sei. Aus diesem Grund hätte er sich auch erst zweieinhalb Wochen später "den Stempel geholt". Im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei das Unternehmen gebeten worden, eine Stellungnahme zu den Ausführungen des Beschwerdeführers abzugeben, worin dargelegt worden sei, daß der Beschwerdeführer dem Unternehmen weder aufgrund eines Telefonates, noch eines persönlichen Vorstellungsgespräches bekannt sei. Auf eine nochmalige Aufforderung, den Verlauf des Vorstellungsgespräches darzulegen und Auskunft über die finanziellen Belastungen zu geben, habe der Beschwerdeführer innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht reagiert. Die belangte Behörde - so die Begründung des angefochtenen Bescheides - halte die Angaben des Unternehmens für glaubwürdig, da davon auszugehen sei, daß ein Unternehmen, welches dem Arbeitsmarktservice einen Vermittlungsauftrag erteile, an der Einstellung dieses Arbeitslosen interessiert sei und nicht "an der Sperre dessen Notstandshilfe". Da das Dienstverhältnis durch das Verhalten des Beschwerdeführers nicht zustande gekommen sei, lägen die Voraussetzungen für die verhängte Sperrfrist vor. Da der Beschwerdeführer Umstände, die als Nachsichtsgründe beachtet werden könnten, nicht bekanntgegeben habe, werde eine Nachsicht nicht gewährt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (u.a.) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen.

Gemäß § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm vom Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Diese Bestimmung ist gemäß § 38 AlVG auch auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 92/08/0132, in Fortführung seiner seit dem Erkenntnis vom 23. Februar 1984, Slg. Nr. 11.337/A, ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, sind die genannten Bestimmungen Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zugrundeliegenden Gesetzeszwecke, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muß sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene, zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h., bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein.

Um sich in bezug auf eine vom Arbeitsamt vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits (und deshalb) aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern (zum zuletzt erwähnten Gesichtspunkt vgl. neben dem Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 92/08/0132, schon das Erkenntnis vom 12. Mai 1992, Zl. 92/08/0051).

Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen somit auf zwei Wegen verschuldet (d.h. dessen Zustandekommen vereitelt) werden: Nämlich dadurch, daß der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermines, Nichtantritt der Arbeit), oder aber, daß er den Erfolg seiner (nach außen zutage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht.

Im vorliegenden Beschwerdefall wurde dem Beschwerdeführer - wie er auch in seiner Beschwerde nicht bestreitet - am 7. August 1997 eine Beschäftigung als Wäschereiarbeiter bei einem näher bezeichneten Unternehmen mit Arbeitsbeginn 1. September 1997 angeboten. Die belangte Behörde ist (insoweit zugunsten des Beschwerdeführers) im Rahmen ihrer Tatsachenfeststellungen davon ausgegangen, daß sich der Beschwerdeführer erst mehr als zwei Wochen später, also am 25. August 1997 bei dem genannten Unternehmen vorgestellt hat und - obwohl die Stelle an diesem Tag noch nicht vergeben gewesen ist - im Hinblick auf dieses Verhalten als nicht arbeitswillig angesehen und daher auch nicht eingestellt wurde. Die belangte Behörde ist daher insoweit nicht den späteren - mit früheren Angaben in Widerspruch stehenden - Angaben des Unternehmens gefolgt, wonach der Beschwerdeführer dort weder aufgrund eines Telephonates noch eines Vorstellungsgespräches bekannt sei.

Die Einschätzung der belangten Behörde, daß ein Arbeitsloser, der sich um eine namhaft gemachte Beschäftigung mehr als zwei Wochen lang nicht bewirbt, als "nicht sonderlich arbeitswillig" erscheint und ein Arbeitgeber dadurch abgehalten werden kann (und nach dem von der belangten Behörde hier als erwiesen angenommenen Sachverhalt:

auch tatsächlich abgehalten wurde), die offene Stelle mit diesem Arbeitnehmer zu besetzen, widerspricht nicht der Lebenserfahrung. Soweit daher die von der belangten Behörde festgestellte Unterlassung des Beschwerdeführers für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich gewesen sein sollte, läge - im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung - ein Verschulden des Arbeitslosen an dessen Nichtzustandekommen darin, daß ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst verspätet und dadurch auf eine ersichtlich wirkungslose Weise entfaltet wurde.

Der Beschwerdeführer rügt jedoch die diesbezüglichen Feststellungen der belangten Behörde unter mehreren Gesichtspunkten und bekämpft vor allem die Feststellungen des angefochtenen Bescheides, er habe zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht fristgerecht Stellung genommen.

Schon dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg: Nach der Aktenlage ist die Stellungnahme des Beschwerdeführers, in welcher er das von ihm behauptete, unverzüglich geführte Telephonat, in welchem ihm aufgrund seiner Bewerbung mitgeteilt worden sein soll, daß die Stelle schon besetzt sei, im Detail schildert, ausweislich des in Ablichtung vom Beschwerdeführer vorgelegten Aufgabescheines am 23. Februar 1998 zur Post gegeben und auch nach der Aktenlage am 24. Februar 1998 (also Wochen vor der Abfertigung des angefochtenen Bescheides) bei der belangten Behörde eingelangt. Wie die belangte Behörde in einem Schreiben an den Beschwerdeführer vom 23. April 1998, aber auch in ihrer Gegenschrift im verwaltungsgerichtlichen Verfahren selbst einräumt, wurde diese Stellungnahme durch ein Versehen von der belangten Behörde nicht berücksichtigt.

Da im Hinblick auf den Inhalt der Stellungnahme des Beschwerdeführers nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, daß bei Unterbleiben dieses Verfahrensfehlers die belangte Behörde zu einem im Ergebnis anderslautenden Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Frage, ob die Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers (welches unter anderem die Behauptung enthält, von einem namentlich genannten Mitarbeiter des Unternehmens mitgeteilt bekommen zu haben, daß die Arbeitsstelle am 7. August 1997 schon vergeben gewesen sei) tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zur Folge haben wird, ist erst im fortgesetzten Verfahren zu beurteilen. Die Unterlassung der Behörde kann nicht durch die Ausführungen in der Gegenschrift suppliert werden, daß auch dieses Vorbringen zu keinem anderen Ergebnis führen würde; ebensowenig dadurch, daß das (mögliche) Ergebnis des fortgesetzten Verfahrens (in welchem durch die erforderliche Beschlußfassung überdies der Ausschuss für Leistungsangelegenheiten und nicht der die Gegenschrift erstattende Landesgeschäftsführer des AMS auch neuerlich die Beweiswürdigung vorzunehmen haben wird) vorweggenommen wird.

Was die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Nachsichtsgründe betrifft, so wird diese die belangte Behörde - sofern sie erneut zur Annahme der Vereitelung der zugewiesenen Beschäftigung gelangen sollte - zu prüfen und dazu auch den Regionalbeirat gemäß § 10 Abs. 2 letzter Satz AlVG anzuhören haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 10. November 1998

Schlagworte

Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche Entscheidungen Sachverhalt Verfahrensmängel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998080236.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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