TE Vwgh Erkenntnis 1998/11/10 97/11/0292

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Veröffentlicht am 10.11.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §69 Abs1 lita;
KFG 1967 §69 Abs1 litd;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der E in L, vertreten durch Dr. Werner Leimer, Rechtsanwalt in Linz, Landstraße 38, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 11. August 1997, Zl. VerkR-392.557/4-1997/Kl, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihr bis zur behördlichen Feststellung der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

In ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; sie beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die bekämpfte Entziehungsmaßnahme beruht auf der Annahme, die Beschwerdeführerin besitze nicht mehr die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B, es fehle ihr die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Verkehrsanpassung (§ 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967). Die belangte Behörde stützte sich hiebei auf das als schlüssig und nachvollziehbar bezeichnete Gutachten einer medizinischen Amtssachverständigen vom 3. Juni 1997. Diese kam unter Hinweis auf einen wegen des "Verdachtes auf chronischen Alkoholkonsum" eingeholten verkehrspsychologischen Befund zu der Auffassung, die Beschwerdeführerin sei wegen deutlicher Schwächen in den kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen, die derzeit nicht ausreichend kompensierbar seien, und mangels der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung im Straßenverkehr zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B nicht geeigent.

Der angefochtene Bescheid ist in Ansehung der Annahme des Fehlens der in § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967 genannten Eignungskomponenten mit wesentlichen Verfahrensmängeln behaftet. Zum einen wurde der Beschwerdeführerin der von der ärztlichen Amtssachverständigen übernommene und damit einen wesentlichen Bestandteil ihres Gutachtens bildende verkehrspsychologische Befund vom 20. Mai 1997 nicht zur Kenntnis gebracht. Sie hatte daher keine Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Zum anderen weist der besagte Befund Mängel auf, die die Unschlüssigkeit der darin enthaltenen Beurteilung der Eignung der Beschwerdeführerin zum Lenken von Kraftfahrzeugen zur Folge haben. Diese Mängel wurden auch im Gutachten der medizinischen Amtssachverständigen nicht behoben.

In Ansehung der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen heißt es zusammenfassend, diese wiesen Schwächen in den Bereichen der visuellen Auffassung, des Reaktionsverhaltens in Einfach- und Mehrfachwahlsituationen, der Reaktionssicherheit sowie der Sensomotorik auf. Die festgestellten Leistungsminderungen seien gegenwärtig nicht ausreichend kompensierbar, zumal auch im Persönlichkeitsbereich Einschränkungen vorlägen. Die Intelligenz sei reduziert. Im einzelnen finden sich die Beurteilungen, die visuelle Auffassung sei "vermindert", die mittlere Reaktionszeit sei "verlängert", die Reaktionssicherheit und die reaktive Dauerbelastbarkeit seien "beeinträchtigt", die Koordination der Muskelbewegungen sei "erschwert", der abstrakt-logische Intelligenzmeßwert sei "unterdurchschnittlich". Grundlage dieser Beurteilungen sind offenbar die in einer Beilage zum Befund angegebenen, bei den einzelnen Tests erzielten Werte. Die daraus abgeleiteten Beurteilungen der einzelnen Leistungsfunktionen sind allerdings mangels Angabe der der jeweiligen Beurteilung zugrunde gelegten, nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte nicht nachvollziehbar. Mangels Bezugnahme auf den jeweiligen Grenzwert ist nicht zu entnehmen, ob dieser erreicht oder verfehlt wurde (und in welchem Ausmaß).

Das Fehlen der Eignungskomponente der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung wird mit dem "stark erhöhten Rückfallrisiko hinsichtlich weiterer Alkoholauffälligkeiten im Straßenverkehr" begründet. Diese Beurteilung beruht offenbar unter anderem auf dem "objektivierten Persönlichkeitsbefund" aufgrund dreier näher bezeichneter standardisierter Testverfahren, aus dem sich deutlich Hinweise auf eine sozial wenig eigenständige Grundhaltung (erhöhte Beeinflußbarkeit im sozialen Kontext, insbesondere ein leichteres Nachgeben gegenüber sozialen Trinkzwängen) ergäben. Grundlage dieser auf den Ergebnissen der durchgeführten Tests beruhenden Beurteilung sind offenbar die in einer Beilage angegebenen, bei den jeweiligen Tests erzielten Werte. Die daraus abgeleitete Beurteilung ist allerdings mangels Angabe der dieser Beurteilung zugrunde gelegten, nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte nicht nachvollziehbar. Mangels Bezugnahme auf die hier maßgebenden Grenzwerte ist nicht zu erkennen, ob diese erreicht oder verfehlt wurden (und in welchem Ausmaß).

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht (im Rahmen des gestellten Begehrens) auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 10. November 1998

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997110292.X00

Im RIS seit

19.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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