TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/3 W191 2110767-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.06.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.06.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §69 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W191 2110767-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Edward Daigneault, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2019, Zahl 1002040502-14123170, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 69 Abs. 1 AVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Vorverfahren:

Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 21.02.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Der BF wurde am 21.02.2014 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und am 28.03.2014, 26.05.2014 und 11.08.2014 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) niederschriftlich einvernommen.

Bei seinen Befragungen gab er im Wesentlichen an, dass er afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Moslem sei. Er sei im Iran geboren und habe dort bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester gelebt. In Afghanistan sei er noch nie gewesen, er kenne dort auch niemanden. Als Fluchtgrund gab er an, dass er im Iran laufend diskriminiert und schikaniert worden sei.

Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 26.06.2015 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Er habe nicht glaubhaft gemacht, dass er in Afghanistan asylrelevant verfolgt werde und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Indien.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge BVwG) vom 02.12.2015, W191 2110767-1/7E, hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich Spruchpunkt II. und III. wurde der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass sich das BFA nicht in ausreichender Weise mit den verfahrensrelevanten Umständen des BF auseinandergesetzt und es verabsäumt habe, den Sachverhalt hinreichend zu klären. So sei genauer zu prüfen, ob im Falle einer Rückverbringung des BF nach Afghanistan, wo er seinen Angaben zufolge noch nie gewesen sei und über keinen familiären Anschluss verfüge, eine ernsthafte Bedrohung des Lebens aufgrund seiner individuellen Situation ausgeschlossen werden könne.

Im fortgesetzten Verfahren erkannte das BFA - ohne weitere Einvernahme des BF - diesem mit Bescheid vom 29.01.2016 gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 29.01.2017 (Spruchpunkt III.). Einen Spruchpunkt I. enthält der Bescheid nicht.

Begründend wurde ausgeführt, dass der BF im Iran geboren und aufgewachsen sei und ihm aufgrund der Tatsache, dass auch seine Familienangehörigen ihren Lebensmittelpunkt im Iran hätten, jeglicher familiärer und sozialer Bezug zu Afghanistan fehlen würde. Er wäre somit bei einer Rückkehr in seine Heimatregion völlig auf sich alleine gestellt und es sei nicht auszuschließen, dass er ohne Kenntnis über die örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in eine die Existenz bedrohende Lage geraten könnte. Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass sich die Situation im Fall seiner Rückkehr zum einen aus dem Länderinformationsblatt [der Staatendokumentation des BFA] und zum anderen aus der glaubwürdigen Erklärung des BF ergebe, wonach er in Afghanistan über keine geeigneten familiären Anknüpfungspunkte mehr verfüge, zumal sich sein gesamtes familiäres Umfeld auf den Iran erstrecke und er keinerlei Bezug zu Afghanistan habe.

Auf Antrag des BF vom 21.12.2016 wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des BFA vom 24.01.2017 verlängert und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 29.01.2019 erteilt. Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat in Verbindung mit seinem Vorbringen bzw. seinem Antrag die Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden konnten.

1.2. Gegenständliches Verfahren:

Am 20.12.2018 brachte der BF einen Antrag auf neuerliche Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ein und legte mehrere Unterlagen zu seiner Integration vor (darunter Pflichtschulabschlusszeugnis, Arbeitsvertrag in einem Gastronomiebetrieb und Lohnbestätigungen).

In seiner Einvernahme am 24.01.2019 vor dem BFA wiederholte der BF seine bisherigen Angaben zu seinen Lebensumständen im Iran und gab auf die Frage nach seinen Familienverhältnissen zusammengefasst an, dass seine Eltern und seine Schwester Richtung Europa gereist seien und sich zum Zeitpunkt des letztmaligen Kontaktes im Jahr 2016 in der Türkei aufgehalten hätten. Wo sie nun seien, wisse er nicht, er habe derzeit keinen Kontakt. Nach dem Verbleib seiner übrigen Angehörigen befragt gab der BF an, dass er in seinem Verfahren bereits erwähnt habe, dass er weder Onkel noch Tanten habe. Seine Großeltern hätten im Iran gelebt und seien bereits verstorben. Auf genauere Nachfragen gab der BF an, dass sein Vater nie etwas über Geschwister gesagt und er sich sicher sei, dass sein Vater ihm - hätte er welche gehabt - von Geschwistern erzählt bzw. mit diesen Kontakt gehabt hätte. Auch seine Mutter habe ihm gesagt, dass sie keine Geschwister habe, er wisse daher von keinen weiteren Verwandten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 30.01.2019 wurde das Asylverfahren des BF gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG wiederaufgenommen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.) und ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA aus, dass der BF persönlich unglaubwürdig sei und über soziale und familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge. Er habe den Status des subsidiär Schutzberechtigten im Verfahren hinsichtlich des Antrags auf internationalen Schütz "vom 29.01.2016" erschlichen und in seinem gesamten Asylverfahren offensichtlich verleugnet, dass er in Afghanistan über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Eine Gefährdungslage in Afghanistan habe er nicht glaubhaft vorgebracht und könne er den Lebensunterhalt sowohl in Mazar-e Sharif als auch in Herat bestreiten.

Dagegen erhob der BF mit Schreiben seines Vertreters vom 22.02.2019 fristgerecht Beschwerde und führte im Wesentlichen aus, dass die Behörde mit der Wiederaufnahme des Verfahrens im Unrecht sei. Es gebe keine Hinweise darauf, dass der BF bei den Angaben, in Afghanistan keine Angehörigen mehr zu haben, die Unwahrheit gesagt hätte. Da das Verfahren zu Unrecht wiederaufgenommen worden sei, bestehe auch kein Raum für einen Eingriff in seine Rechte als subsidiär Schutzberechtigter, sodass die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheides ebenfalls rechtswidrig seien.

2. Rechtliche Beurteilung und Beweiswürdigung:

2.1. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang ergibt sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten des BFA sowie den Gerichtsakten des BVwG.

2.2. Anzuwendendes Recht:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das BVwG über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Nach § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.

Nach § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht (in der Folge VwG) die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das VwG über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das VwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

2.3. Rechtlich folgt daraus:

Die gegenständliche, zulässige und rechtzeitige Beschwerde ist am 22.02.2019 beim BFA eingelangt und beim BVwG am 05.04.2019 eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde und Behebung des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.

Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

Im gegenständlichen Verfahren stützte das BFA die amtswegige Wiederaufnahme des gegenständlichen Verfahrens auf § 69 Abs. 1 Z 1 AVG und sieht die nunmehr plötzlich als unglaubhaft beurteilten Angaben des BF zu seinen Familienverhältnissen im Herkunftsstaat als Erschleichung im Sinn der zitierten Gesetzesstelle.

Unter Erschleichung eines Bescheides ist die Herbeiführung des Bescheids durch die Partei mittels verpönter Einflussnahme auf die Entscheidungsgrundlagen zu verstehen. Ein Erschleichen liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (in der Folge VwGH) vor, wenn der Bescheid in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dem Bescheid zugrunde gelegt wurden, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (VwGH 22.03.2012, 2011/07/0228; VwGH 20.09.2011, 2008/01/0777).

Zur Annahme einer Erschleichung müssen drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen, nämlich objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung, ein Kausalitätszusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde und letztlich die Irreführungsabsicht der Partei, nämlich eine Behauptung wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen (VwGH 08.06.2006, 2004/01/0470 mwN). Ob Irreführungsabsicht vorliegt, kann nur aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen geschlossen werden (VwGH 17.05.2011, 2007/01/1144 mwN).

Im gegenständlichen Fall führte das BFA zur amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens aus, dass der BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten im Verfahren hinsichtlich des Antrags auf internationalen Schutz "vom 29.01.2016" [gemeint wohl 20.04.2014] erschlichen und in seinem gesamten Asylverfahren offensichtlich verleugnet habe, dass er in Afghanistan über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge.

Damit übersieht die Behörde, dass sie - bei gleichbleibenden Aussagen des BF und unverändertem Sachverhalt - diese Angaben noch im Jahr 2016 sowohl bei der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als auch im Zuge der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung noch als glaubhaft erachtete und sich beweiswürdigend auf die "glaubwürdige Erklärung" des BF stützte, wonach er über keine Angehörigen in Afghanistan mehr verfüge. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände hielt das BFA diese Angaben im Zuge des Verlängerungsverfahrens nach Durchführung einer neuerlichen Einvernahme plötzlich für unglaubwürdig und gelangte zu dem Schluss, dass der BF entgegen seinen Angaben in Afghanistan über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge.

Das Rechtsinstitut der amtswegigen Wiederaufnahme eines Verfahrens kann jedoch nicht dafür herangezogen werden, um - wie das BFA - nach einigen Jahren bei unverändertem Sachverhalt und gleichbleibenden Angaben des BF ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine neue (anderslautende) Beweiswürdigung durchzuführen und somit die Rechtskraft vorangegangener Entscheidungen zu durchbrechen.

So ist insbesondere festzuhalten, dass der BF seine Angaben zu seinen Familienangehörigen stets aufrecht hielt und in all seinen Einvernahmen gleichbleibend angab, in Afghanistan keine familiären Bezugspunkte zu haben. Von objektiv unrichtigen Angaben, die im Sinne der oben dargestellten Judikatur für die Annahme einer Erschleichung im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG gemeinsam mit weiteren Voraussetzungen kumulativ gegeben sein müssen (vgl. dazu VwGH 09.08.2018, Ra 2018/22/0076), kann daher im gegenständlichen Fall nicht gesprochen werden.

Zusammenfassend bleibt daher festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme des bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG im gegenständlich zu beurteilenden Verwaltungsverfahren vom BFA zu Unrecht angenommen wurden. Der angefochtene Bescheid ist somit im vollen Umfang ersatzlos zu beheben, womit die mit der Verfügung der Wiederaufnahme außer Kraft getretene Entscheidung wiederhergestellt wird und das Verfahren in die Lage zurücktritt, in der es sich vor der Erlassung dieses (Wiederaufnahme-) Bescheides befand.

Das BFA wird daher in weiterer Folge über den am 20.12.2018 eingebrachten Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abzusprechen haben.

2.4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Das Verwaltungsgericht (in der Folge VwG) hat gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann gemäß Abs. 2 Z 1 entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das VwG - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Da im gegenständlichen Verfahren weder die dem BVwG vorgelegten Verwaltungsakten noch die Beschwerde erkennen lassen, dass eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Erörterung zu erwarten ist und der angefochtene Bescheid zudem ersatzlos zu beheben ist, kann von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das VwG im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH zu den Voraussetzungen für die amtswegige Wiederaufnahme eines Verfahrens ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

amtswegige Wiederaufnahme, Behebung der Entscheidung, ersatzlose
Behebung, Voraussetzungen, Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W191.2110767.2.00

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten