TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/7 W178 2203479-1

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Veröffentlicht am 07.08.2019
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Entscheidungsdatum

07.08.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
GSVG §2 Abs1 Z4

Spruch

W178 2203479-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Drin Maria PARZER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Frau XXXX , vertreten durch Wirtschaftstreuhänderin und Steuerberaterin Maga Drin Ulrike PILSBACHER, gegen den Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Landesstelle Niederösterreich vom 20.04.2018, VSNR XXXX , betreffend Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung nach dem GSVG zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und festgestellt, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum von 03.08.2017 bis 31.12.2017 nicht der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG unterlag.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben vom 03.08.2017 und Fragebogen "Änderung der Einkommensprognose Beginn/Ende Opting in" für Freiberufler nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG vom 18.10.2017 hat Fr. XXXX bekanntgegeben, dass ihre Einkünfte für 2017 den Betrag von 5.108,40 Euro überschreiten werden.

2. Mit Bescheid vom 20.04.2018 hat die belangte Behörde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Tätigkeit als Trainerin, Supervisor und Coach vom 03.08.2017 bis 31.12.2017 der Pflichtversicherung in der Pension- und Krankenversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG unterliege.

In der Begründung wird drauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin in der Überschreitungserklärung angegeben habe, dass sie mit ihren Einkünften aus selbständiger Erwerbstätigkeit die in Betracht kommende Versicherungsgrenze für das Jahr 2017 überschreiten werde.

3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht im Wege ihrer ausgewiesenen Vertretung Beschwerde.

Es sei nachträglich eine Überprüfung der Pflichtversicherung von Seiten der GKK eingeleitet worden und dabei sei festgestellt worden, dass bestimmte Einkünfte nicht den selbständigen Erwerbstätigkeiten zuzuordnen seien, sondern ein Dienstverhältnis darstellen. Da somit die Versicherungsgrenze nicht überschritten werde, bitte die Beschwerdeführerin um Ausnahme von der Pflichtversicherung ab dem Jahr 2017 und die Folgejahre.

4. Seitens des BVwG wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, Unterlagen betreffend die Pflichtversicherung nach dem ASVG vorzulegen. Weiters wurde die Beschwerdeführerin ersucht, bekanntzugeben, wie hoch das Honorar für die Tätigkeit beim Verein

XXXX im Jahr 2017 war und aus welchen Aufträgen die in der Gewinn-Verlustrechnung 2017 angeführten Einkünfte stammen.

5. Die Beschwerdeführerin übermittelte am 27.03.2019 die ESt-Erklärung 2017, den ESt-Bescheid 2017, 2 Jahreslohnzettel vom Verein XXXX und eine Aufstellung der Umsätze 2017 aus der Selbständigkeit.

6. Der belangten Behörde wurden diese Unterlagen zur Kenntnis übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, binnen 3 Wochen eine Stellungnahme abzugeben. Die belangte Behörde brachte keine Stellungnahme ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Die Beschwerdeführerin (Bf) übermittelte mit 03.08.2017 bekannt gegeben, dass ihre selbstständigen Einkünfte für das Jahr 2017 die Versicherungsgrenze (Grenzbetrag 5.108,40 Euro) übersteigen werden (ON 3 im Akt der SVA).

Mit November 2001 hatte die Bf gegenüber der SVA bekannt gegeben, dass ihre Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit die Versicherungsgrenze nicht überschreiten werden.

Ein Verfahren nach § 412a ASVG (Überprüfung der Pflichtversicherung durch die GKK beim Auftraggeber/Dienstgeber der Bf, dem Verein XXXX) ergab, dass die Tätigkeit der Beschwerdeführerin dort nicht selbständig sei, sondern ein Dienstverhältnis bestehe. Diese Festlegung wurde von der Bf nicht in Frage gestellt. Die Umqualifizierung der Beschwerdeführerin als Dienstnehmerin erfolgte mit 16.04.2018, somit nach der Abgabe der Überschreitungserklärung (vgl. Endbericht der NÖGKK an die SVA vom 16.04.2018, ON 24 im Akt der SVA).

Die Beschwerdeführerin war im fraglichen Zeitraum (außer für den Verein XXXX ) für 3 weitere Auftraggeber selbständig tätig. Die Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit für diese 3 Auftraggeber im Jahr 2017 betrugen 1.996,67 Euro. In der Einkommenssteuererklärung 2017 wurden betriebliche Einkünfte aus selbständiger Arbeit in der Höhe von -5.347,52 Euro ausgewiesen, dieses Negativeinkommen ist in derselben Höhe auch im rechtskräftigen Einkommenssteuerbescheid 2017 vom 01.08.2018 erfasst.

2. Beweiswürdigung:

Der maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der SVA und den ergänzend vorgelegten Unterlagen der Bf; er ist unbestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gesetzliche Grundlagen (GSVG):

§ 2. (1) Auf Grund dieses Bundesgesetzes sind, soweit es sich um natürliche Personen handelt, in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen pflichtversichert:

(.....)

4. selbständig erwerbstätige Personen, die auf Grund einer betrieblichen Tätigkeit Einkünfte im Sinne der §§ 22 Z 1 bis 3 und 5 und (oder) 23 des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988), BGBl. Nr. 400, erzielen, wenn auf Grund dieser betrieblichen Tätigkeit nicht bereits Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz oder einem anderen Bundesgesetz in dem (den) entsprechenden Versicherungszweig(en) eingetreten ist. Solange ein rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid oder ein sonstiger maßgeblicher Einkommensnachweis nicht vorliegt, ist die Pflichtversicherung nur dann festzustellen, wenn der Versicherte erklärt, dass seine Einkünfte aus sämtlichen der Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz unterliegenden Tätigkeiten im Kalenderjahr die Versicherungsgrenze übersteigen werden. In allen anderen Fällen ist der Eintritt der Pflichtversicherung erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides oder eines sonstigen maßgeblichen Einkommensnachweises im Nachhinein festzustellen.

§ 4. (1) Von der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung sind ausgenommen:

(.....)

5. Personen hinsichtlich ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 4, deren Einkünfte (§ 25) aus sämtlichen der Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz unterliegenden Tätigkeiten im Kalenderjahr das Zwölffache des Betrages nach § 25 Abs. 4 nicht übersteigen; dies gilt nicht für Personen, die eine Erklärung nach § 2 Abs. 1 Z 4 zweiter Satz abgegeben haben;

3.2 Judikatur und Literatur:

Die Versicherungserklärung ist grundsätzlich bindend, vgl. Neumann in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm 3 2 GSVG Rz 63:

Der Versicherungserklärung kommt die Rechtswirkung eines Opting-In zu (VwGH 2003/08/0160, SVSlg 54.277). Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG hat der VTr ohne weitere Prüfung der Erklärung auf ihre Richtigkeit bzw Wahrscheinlichkeit die Einbeziehung in die Pflichtversicherung vorzunehmen, wodurch letztlich die Willenserklärung der betroffenen Person maßgebend ist und nicht das tatsächliche Überschreiten der Versicherungsgrenze. Stellt sich nach Abgabe der Versicherungserklärung daher heraus, dass die Versicherungsgrenze doch nicht überschritten wurde, ändert dies rückwirkend nichts am Versicherungsverhältnis. Der Versicherte steht für diesen Zeitraum trotzdem unter Versicherungsschutz. Die bezahlten Beiträge können nicht zurückgefordert werden (vgl. auch Brameshuber in Neumann, GSVG2 § 2 Rz 233).

3.3 Auf den Beschwerdefall bezogen:

Die Beschwerdeführerin hat unbestritten eine Versicherungserklärung für das Jahr 2017, des Inhalts, dass die selbstständigen Einkünfte die Versicherungsgrenze überschreiten werden, abgegeben, diese ist grundsätzlich bindend, vgl. Pkt. 3.2.

Die Beschwerdeführerin war zum Zeitpunkt der Erklärung der - berechtigten - Annahme, dass die Einkünfte, die sie von den (damals) 4 Auftraggebern erwirtschaftet, die Grenze von 5.108,40 Euro überschreiten werden.

Zu diesem Zeitpunkt war ihr nicht bekannt, dass sie diese Grenze durch die Umqualifzierung ihrer Tätigkeit für einen der Auftraggeber (der Summe nach dem Hauptauftraggeber) in ein ASVG-versicherungspflichtiges Dienstverhältnis nicht mehr überschreiten wird.

Dass die Beschäftigung als unselbstständige zu qualifizieren ist, war zumindestens nicht offensichtlich und - aus Sicht der Bf - war es vertretbar, sich der Einschätzung des Auftraggebers/Dienstgeber (Verein XXXX ) anzuschließen, dass sie selbstständig beschäftigt sei.

Die Willenserklärung der Beschwerdeführerin beruhte auf der Informationslage zu diesem Zeitpunkt und bringt den Willen zum Ausdruck, dass sie aufgrund der voraussichtlichen Überschreitung des Grenzbetrages versichert sein wolle.

Mit der erfolgten Umqualifizierung und Unterschreitung des Grenzbetrages ist die Grundlage für die getätigte Willenserklärung ohne Zutun der Beschwerdeführerin weggefallen. Die Erklärung der Bf ist daher mit einem Willensmangel behaftet, weil sich die Bf in einem Irrtum über die tatsächliche Höhe der selbstständigen Einkünfte befunden hat.

Der Irrtum allein macht die Willenserklärung nicht unwirksam. In bestimmten Fällen berechtigt der Irrtum aber dazu, die Folgen der irrtümlich abgegebenen Willenserklärung rückwirkend zu beseitigen bzw. wie im gegenständlichen Fall, eine rechtlich wirksame Rücknahme der Erklärung zu akzeptieren.

Auch der Grundsatz, dass der Wegfall der Grundlage der Willenserklärung schon aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben bei der Beurteilung des Sachverhaltes zu berücksichtigen ist, führt dazu, dass die rückwirkende Zurücknahme der Versicherungsklärung zuzulassen ist.

Daran ändert die Tatsache nichts, dass das GSVG keine Regelung enthält, die auf das Gleichbleiben bestimmter äußerer Umstände abstellt ("clausula rebus sic stantibus"). Es sind jedoch die allgemeinen Grundsätze der Interpretation anzuwenden.

Es war daher festzustellen, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum von 03.08.2017 bis 31.12.2017 nicht der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG unterlegen ist.

4. Zum Absehen von der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht beantragt.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG konnte das Gericht von der Verhandlung absehen, weil der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde. Die Schriftsätze der Parteien und die Akten des Verfahrens lassen erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Vielmehr erschien der Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus der Aktenlage geklärt. Dem steht auch Art 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegensteht, vgl. dazu auch das zuletzt das Erkenntnis des VwGH vom 21.02.2019, Ra 2019/08/0027.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Es fehlt zwar an Rechtsprechung zu der konkreten Frage, aber sie ist durch Interpretation zu lösen; auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Irrtum, Pflichtversicherung, Versicherungsgrenze, Willenserklärung,
Willensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W178.2203479.1.00

Zuletzt aktualisiert am

03.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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