TE Vfgh Beschluss 1996/11/26 G178/96, G179/96, G180/96

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Veröffentlicht am 26.11.1996
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AHG §1 Abs1
ProkuraturG §5
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit
ZPO §27, §28, §29

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung von Bestimmungen der ZPO über den Anwaltszwang, sowie von Regelungen des ProkuraturG und des AHG mangels Legitimation; Abweisung der Verfahrenshilfeanträge wegen Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung

Spruch

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

Die übrigen Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit Beschluß vom 4. März 1996, G 1384-1386/95-3, wies der Verfassungsgerichtshof Anträge des Einschreiters auf Aufhebung der §§27 Abs1, 2, 3 und 4, 28 Abs1 und 2, 29 Abs1, 2 und 3 sowie 75 Z3 ZPO, weiters des §5 Abs1 und 2 ProkuraturG und der Wortfolge "am Vermögen oder an der Person" und des Wortes "schuldhaft" im §1 Abs1 AHG mangels Legitimation zurück und einen in dieser Rechtssache gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der angestrebten Rechtsverfolgung ab.

2. Mit selbstverfaßter, beim Verfassungsgerichtshof am 17. Juli 1996 eingelangter Eingabe brachte der Einschreiter die mit dem oben genannten Beschluß zurückgewiesenen Anträge neuerlich ein und ergänzte sein Vorbringen um Ausführungen betreffend einen behaupteterweise unmittelbaren Eingriff der bekämpften Gesetzesstellen in seine "verfassungsmäßig geschützten Rechte".

Außerdem wurde mit näherer Begründung begehrt, die Eingabe ohne anwaltliche Unterfertigung in Bearbeitung zu nehmen.

3. Die angefochtenen Vorschriften haben folgenden Wortlaut:

3.1. Die Bestimmungen der ZPO idF BGBl. Nr. 628/1991:

"§27. (1) Vor den Bezirksgerichten in Sachen, deren Streitwert an Geld oder Geldeswert 30 000 S übersteigt, und vor allen höheren Gerichten müssen sich die Parteien durch Rechtsanwälte vertreten lassen (absolute Anwaltspflicht).

(2) Der Abs1 findet - vorbehaltlich des §29 Abs1 - keine Anwendung auf die Angelegenheiten, die von Gesetzes wegen ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes vor die Bezirksgerichte gehören, auf die erste Tagsatzung und, soweit dieses Gesetz nicht etwas anderes bestimmt, auch nicht auf diejenigen Prozeßhandlungen, welche vor einem ersuchten oder beauftragten Richter, vor dem Gerichtsvorsteher oder Vorsitzenden eines Senates vorgenommen werden; der Abs1 gilt auch nicht für die in der Gerichtskanzlei vorzunehmenden Erklärungen und Handlungen.

(3) Der Abs1 findet ferner keine Anwendung auf eine Tagsatzung, in der ein Klagebegehren mit einem Streitwert bis 30 000 S auf einen solchen über 30 000 S erweitert wird, und schließlich auch nicht auf Vergleiche vor einem Bezirksgericht, selbst wenn deren Betrag oder Geldeswert 30 000 S übersteigt.

(4) Die Vertretungsbefugnis der Finanzprokuratur bleibt auch in den Fällen, in welchen die Vertretung der Parteien durch Rechtsanwälte geboten ist, unberührt.

§28. (1) Rechtsanwälte, Notare, zur Ausübung des Richteramts befähigte Personen und Beamte der Finanzprokuratur, die die Rechtsanwaltsprüfung abgelegt haben, bedürfen, wenn sie in einem Rechtsstreit als Partei einschreiten, weder in der ersten noch in einer höheren Instanz der Vertretung durch einen Rechtsanwalt.

(2) Wird gegen eine solche Partei während der Dauer des Prozesses die Disziplinarstrafe der Streichung von der Rechtsanwaltsliste, der Entsetzung vom Amte, der Versetzung in den Ruhestand oder der Dienstentlassung verhängt, so ist von ihr für das weitere Verfahren, sofern in demselben die Vertretung durch Rechtsanwälte geboten ist, ein Rechtsanwalt zu bestellen. Eine Unterbrechung des Verfahrens findet deshalb nicht statt.

§29. (1) Soweit eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, kann jede eigenberechtigte Person zum Bevollmächtigten bestellt werden, jedoch sind in Ehesachen (§49 Abs2 Z2 b JN) und in Sachen, deren Streitwert an Geld oder Geldeswert 30 000 S übersteigt, an Orten, an denen wenigstens zwei Rechtsanwälte ihren Sitz haben, nur Rechtsanwälte als Bevollmächtigte zuzulassen (relative Anwaltspflicht).

(2) Der §27 Abs3 gilt sinngemäß.

(3) Personen, welche dem Richter als Winkelschreiber bekannt sind, dürfen weder zur Verhandlung, noch zu anderen Prozeßhandlungen als Bevollmächtigte zugelassen werden. Gegen diese Verweigerung der Zulassung ist ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statthaft."

" §75. Jeder Schriftsatz hat zu enthalten:

1.

...

2.

...

3.

die Unterschrift der Partei selbst oder ihres gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten, im Anwaltsprozesse aber, wenn nicht die Bestimmung des §28 Absatz 1 zur Anwendung kommt, die Unterschrift des Rechtsanwalts."

3.2. §5 ProkuraturG idF BGBl. Nr. 154/1948:

"§5. (1) Der Prokuratur gebührt der Zuspruch der Kosten gleich einem Rechtsanwalt, und zwar auch dann, wenn sie sich durch ein Organ einer anderen Dienststelle vertreten läßt.

(2) Der gleiche Kostenzuspruch gebührt auch im Falle des §3, Abs(1)."

3.3. §1 Abs1 AHG, BGBl. Nr. 20/1949 (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

"§1. (1) Der Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden, sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Träger der Sozialversicherung - im folgenden Rechtsträger genannt - haften nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben; dem Geschädigten haftet das Organ nicht. Der Schaden ist nur in Geld zu ersetzen."

4. Der Antragsteller führt in seinem Schriftsatz zur Antragslegitimation hinsichtlich der §§27 - 29 und 75 Z3 ZPO aus, daß er am 5.12.1995 beim Landesgericht für ZRS Wien eine zu Z8 Cg 309/95k anhängige, nicht anwaltlich unterfertigte Klage eingebracht habe. Was das AHG anbelange, so plane er aufgrund einer fehlerhaften Anwendung des Gesetzes durch das Landesgericht für ZRS Wien die Einbringung einer auf Ersatz des ideellen Schadens gerichteten Amtshaftungsklage. Durch die angefochtenen Wortfolgen des §1 AHG werde unmittelbar und aktuell dadurch in die Grundrechte des Antragstellers eingegriffen, daß ohne Beseitigung der angefochtenen Normen nicht die Eigenzuständigkeit des Gerichtshofes in Amtshaftungssachen unabhängig vom Streitwert angerufen werden könne und überdies dem Grunde nach nur eine Abweisung der Klage wegen ideellen Schadens zu erwarten sei. Durch die Vorschrift des §5 ProkuraturG sei er bereits vor Einbringung einer allfälligen Amtshaftungsklage dadurch in Grundrechten verletzt, als der gesamte Aufwand der Finanzprokuratur aus den laufenden Steuereinnahmen des Bundes bestritten werde und damit bereits von ihm laufend mitfinanziert worden sei.

5. Die Anträge sind unzulässig.

5.1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 10511/1985, 11726/1988).

5.2. Hinsichtlich der Bestimmungen über den Anwaltszwang ist es offensichtlich, daß dem Antragsteller, soweit sie überhaupt in seine Rechtssphäre eingreifen, ein zumutbarer anderer Weg zur Geltendmachung seiner Bedenken zur Verfügung steht: Der Kläger kann in dem anhängigen Gerichtsverfahren dann, wenn ihm die ohne anwaltliche Unterschrift eingebrachte Klage zur Verbesserung zurückgestellt wird, diese Verbesserung nicht durchführen, gegen den dann ergehenden Zurückweisungsbeschluß Rekurs erheben (vgl. OGH vom 2.12.1969, Z8 Ob 239/69 = JBl. 1970, S. 617 f.), im Rahmen dieses Rekurses seine Bedenken gegen die den Anwaltszwang vorsehenden Vorschriften der ZPO vorbringen und beim Rekursgericht die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art89 Abs2 B-VG anregen.

5.3. Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers wird durch die bekämpften Wortfolgen des §1 AHG nicht unmittelbar in seine Rechtssphäre eingegriffen. Diese Wortfolgen könnten vielmehr nur durch eine gerichtliche Entscheidung für ihn wirksam werden. Darüber hinaus stünde ihm in einem solchen Fall die Möglichkeit offen, seine Bedenken gegen diese Wortfolgen im §1 AHG im Wege einer Berufung gegen eine erstinstanzliche Sachentscheidung an das Gericht zweiter Instanz heranzutragen und die Stellung eines Antrages an den Verfassungsgerichtshof anzuregen.

5.4. Was nun die bekämpften Bestimmungen des ProkuraturG betrifft, so ist es offensichtlich, daß diese nicht an den Antragsteller gerichteten Vorschriften ebenfalls nicht unmittelbar in seine Rechtssphäre eingreifen. Zu ihrer Aktualisierung bedarf es vielmehr der Fällung eines der Prokuratur Kosten zusprechenden Urteiles. Auch hier hat der Antragsteller die Möglichkeit, im Verfahren vor dem Gericht zweiter Instanz die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages anzuregen.

6. Damit erweist sich die vom Antragsteller angestrebte Rechtsverfolgung als offenbar aussichtlos, sodaß sein formell aufrecht gebliebener Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gemäß §63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG abzuweisen war.

Unter einem waren die Gesetzesprüfungsanträge aus den genannten Gründen (Punkt 5.2. bis 5.4.) wegen fehlender Legitimation zurückzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf den Antrag, die Eingabe ohne anwaltliche Unterfertigung in (gemeint offensichtlich: meritorische) Bearbeitung zu nehmen.

7. Diese Beschlüsse konnten gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG sowie gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:G178.1996

Dokumentnummer

JFT_10038874_96G00178_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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