TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/12 W192 2203657-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.06.2019
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Entscheidungsdatum

12.06.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55 Abs1a

Spruch

W192 2203659-1/7E

W192 2203657-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , und

2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Georgien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2018, Zahlen: 1.) 1074439510-150711422 und 2.) 1074440304-150711414, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerden werden gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10

Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., §§ 9, 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 Abs. 1a FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

II. Die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung werden als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführer und sein zum damaligen Zeitpunkt minderjährig gewesener Sohn, der Zweitbeschwerdeführer, reisten illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 21.06.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.07.2015 gab der Erstbeschwerdeführer an, er gehöre dem islamischen Glauben sowie der georgischen Volksgruppe an und sei im Herkunftsstaat zuletzt als Schuldirektor tätig gewesen. Seine Eltern, seine Schwestern, seine Frau und zwei Töchter hielten sich unverändert in Georgien auf. Der Erstbeschwerdeführer und sein Sohn seien über eine unbekannte Route schlepperunterstützt nach Österreich gelangt. Sie hätten ihre Heimat verlassen, da der Zweitbeschwerdeführer an Leukämie leide. Sie hätten im Heimatland eine Therapie gehabt, welche nicht geholfen hätte; jetzt wolle er versuchen, seinen Sohn, welcher derzeit in einem österreichischen Krankenhaus liege, zu heilen. Darüber hinausgehende Fluchtgründe habe er nicht. Für den Fall einer Rückkehr in sein Heimatland habe er keine Befürchtungen, er wolle nur, dass sein Sohn gesund wird.

Einem Schreiben einer österreichischen Krankenanstalt vom 29.10.2015 ist zu entnehmen, dass der damals minderjährige Zweitbeschwerdeführer wegen akuter lymphatischer Leukämie stationär aufgenommen worden sei und eine voraussichtlich rund ein Jahr dauernde Intensivbehandlung benötigen werde.

Am 24.05.2016 erfolgte die niederschriftliche Erstbefragung des damals minderjährigen Zweitbeschwerdeführers vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Zu den Gründen seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat führte der Zweitbeschwerdeführer aus, im Februar 2015 die Diagnose einer Leukämie-Erkrankung erhalten zu haben; die Behandlung in Georgien sei nicht ausreichend gewesen. Man habe ihnen geraten, zur Durchführung der Behandlung nach Europa zu fahren. Über das Internet hätten sie erfahren, dass Österreich in Frage käme. Die elfmonatige Behandlung in Österreich habe Erfolg gezeigt, dem Zweitbeschwerdeführer ginge es besser. Trotzdem sei noch eine weitere Behandlung hier in Österreich notwendig. Wie lange diese dauern werde, wisse er nicht. Er wolle zumindest solange hier bleiben, bis die Behandlung erfolgreich gewesen sei.

Am 05.04.2018 wurden der Erstbeschwerdeführer und der zwischenzeitig volljährige Zweitbeschwerdeführer niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

Der Erstbeschwerdeführer gab zusammengefasst zu Protokoll, er habe bislang die Wahrheit angegeben, sei nunmehr christlich-orthodoxen Glaubens, verheiratet und Vater eines Sohnes sowie zweier Töchter. Im Heimatland habe er zuletzt keine Probleme mit den dortigen Behörden, Sicherheitsbehörden und Gerichten gehabt, er habe nie eine strafbare Handlung begangen und es bestehe kein Haftbefehl gegen seine Person. Im Jahr 2012 habe es Unstimmigkeiten bei den Wahlen gegeben und der als Pädagoge und Rechtsanwalt tätig gewesene Erstbeschwerdeführer sei von den Mitarbeitern der neuen Regierung verdächtigt worden, an einem Rechtsverstoß beteiligt gewesen zu sein. Zu einer Gerichtsverhandlung sei es nicht gekommen, man habe ihn jedoch inoffiziell aufgefordert, seinen Dienst zu quittieren und sein Land zu verlassen. In diesem Zusammenhang sei er in den Jahren 2012 bis 2014 dreimal persönlich von verschiedenen Personen, welche sich nicht vorgestellt hätten, aufgesucht worden. Seine Arbeit als Schuldirektor habe er bis zu seiner Ausreise im Juni 2015 fortgeführt. Aktuell sei der Erstbeschwerdeführer in keiner politischen Organisation Mitglied, er sei jedoch Anhänger der vorherigen Regierung. Der Erstbeschwerdeführer habe Pädagogik und Jus studiert und habe den Lebensunterhalt seiner Familie durch seine berufliche Tätigkeit als Schuldirektor finanziert. Er habe gemeinsam mit seinen Eltern, seiner Frau und seinen Kindern in einem Eigentumshaus mit Grundstück gelebt. Weiters hielten sich in Georgien (Region Batumi) zwei Schwestern, drei Tanten und ein Onkel des Erstbeschwerdeführers auf.

Zu den Gründen seiner Flucht verwies der Erstbeschwerdeführer auf seine bisherigen Angaben; er habe das zuvor genannte Problem anlässlich der Erstbefragung nicht erzählt, da sein Sohn krank gewesen wäre und er ihn nicht alleine habe lassen wollen. Er habe nicht vorgehabt, Georgien zu verlassen, er hätte gewartet, bis sie ihn physisch verletzen, um sich dann an die Polizei wenden zu können. Sie hätten ihn immer wieder gewarnt, niemandem davon zu erzählen. Seine Ausreise habe sich aufgrund der Krankheit seines Sohnes ergeben. Der Erstbeschwerdeführer selbst habe eine bevorstehende Operation am Rückgrat, eine lebensbedrohliche Erkrankung liege nicht vor. Er nehme Beruhigungsmittel zu sich, um besser schlafen zu können, gelegentlich nehme er auch Schmerzmittel ein. Der Gesundheitszustand seines Sohnes habe sich während des Aufenthaltes in Österreich gebessert, doch es bestehe die Gefahr, dass die Krankheit wieder ausbrechen werde. Im Falle einer Rückkehr nach Georgien sei es möglich, dass der Erstbeschwerdeführer vernichtet werde. Ihm sei gesagt worden, dass seine Familie und er vernichtet werden würden.

In Österreich habe er außer seinem Sohn keine weiteren Familienangehörigen, er habe sich hier einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut und besuche gegenwärtig einen Deutschkurs auf dem Niveau B1. Seinen Lebensunterhalt finanziere er durch soziale Unterstützung, wenn er die Möglichkeit erhielte, wäre er bereit, in unterschiedlichen Berufsfeldern arbeiten.

Der Erstbeschwerdeführer legte seinen georgischen Personalausweis, seine georgische Heiratsurkunde sowie Bestätigungen über seine berufliche Tätigkeit als Direktor in Georgien vor. Weiters brachte er ein Konvolut an Belegen über seine Integrationsbemühungen im Bundesgebiet, Arbeitsbestätigungen der MA48, medizinische Unterlagen sowie Reisepasskopien seiner Frau und Töchter in Vorlage.

Der Zweitbeschwerdeführer gab im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst an, er sei christlich-orthodoxen Glaubens, gehöre der georgischen Volksgruppe an und habe in seiner Heimat keine Probleme mit den dortigen Behörden gehabt. Der Zweitbeschwerdeführer habe sich nie politisch oder religiös betätigt; sein Vater habe wegen seiner politischen Tätigkeiten vor dem Regierungswechsel 2012 Probleme gehabt, über die der Zweitbeschwerdeführer nichts Näheres wisse. Den Entschluss zur Ausreise habe er im Jahr 2015 gefasst, als er an Leukämie erkrankt sei. Bis zu seinem 18. Lebensjahr sei die Behandlung in Georgien kostenlos gewesen, danach habe er eine Chemotherapie in Georgien gehabt, die er nicht vertragen hätte und habe auch selber Medikamente kaufen müssen. Für seine Therapie hätte er 21 Infusionen zu je 5.000,- Lari benötigt, dieses Geld hätten sie nicht gehabt.

Sein Heimatland habe er ausschließlich aufgrund seiner Erkrankung verlassen, weitere Gründe habe er nicht. Die Behandlung seiner Leukämie-Erkrankung sei im Jahr 2017 abgeschlossen worden, danach habe er Medikamente erhalten. Zuletzt habe er die Klinik besucht, da er niedrige Blutwerte aufweise. Wegen seiner Hepatitis B-Erkrankung habe er monatliche Termine im AKH. Der Zweitbeschwerdeführer habe Knieschmerzen und benutze Krücken, um seine Knie zu entlasten. Wie lange er die Krücken noch benötigen werde, sei ungewiss, gegebenenfalls werde eine Operation erforderlich sein. In Georgien sei die Behandlung nicht so entwickelt wie hier. Auch wegen dieser Probleme seien andere Leute aus Georgien hierhergekommen; in Georgien wäre der Zweitbeschwerdeführer gestorben, hier fühle er sich sicherer. Der Zweitbeschwerdeführer nehme Schlafmittel ein und befinde sich in Behandlung bei einem Psychologen. Er habe immer noch Ängste, dass die Erkrankung wieder ausbrechen könnte. Einmal pro Monat ginge er ins Spital zur Blutuntersuchung wegen der Gefahr eines Rezidivs. Hierbei handle es sich um Nachuntersuchungen bzw. Kontrolltermine. In seine Heimat würde er nicht freiwillig zurückkehren, da seine Krankheit noch nicht auskuriert sei, er sei noch nicht ganz gesund. Seit seiner Asylantragstellung im Jahr 2015 habe sich sein Gesundheitszustand wesentlich gebessert.

Zu seinen Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr nach Georgien gab der Zweitbeschwerdeführer an, in Georgien sei das grundsätzliche Gesundheitssystem nicht in Ordnung. Die Ärzte würden alles für Geld machen und könnten die Grundanalysen nicht durchführen. Ein Bekannter von ihm, der auch an einer Krankheit leide, habe sich in Deutschland mit eigenen finanziellen Mitteln behandeln lassen und als er nach Georgien zurückgekehrt sei, hätten die Ärzte andere Ergebnisse festgestellt. Auf Vorhalt, dass dem Zweitbeschwerdeführer laut den behördlichen Länderfeststellungen nach einer Rückkehr eine kostenlose medizinische Versorgung zur Verfügung stünde, sämtliche stationären und ambulanten Behandlungen durch Onkologen, Hämatologen und Gastroentologen sowie die Nachbehandlung durch Chirurgen ebenso wie medizinische Untersuchungen und Eingriffe, sowie Blutuntersuchungen hinsichtlich Leukämie verfügbar seien und gewisse Kosten von staatlicher Seite gedeckt würden, gab der Zweitbeschwerdeführer an, man erhalte lediglich bis zum 18. Lebensjahr kostenlose Behandlung, danach müsse man alles selbst finanzieren, wodurch enorme Kosten verursacht würden. Der Zweitbeschwerdeführer würde gerne in Österreich bleiben, wolle gesund sein und lernen; in Georgien hätte er nicht die Möglichkeiten und die Chance wie hier.

Im Bundesgebiet habe der Zweitbeschwerdeführer eine Freundin sowie Schulfreunde; nach Abschluss seiner Behandlung habe er Ende 2016 einen Deutschkurs besucht, er habe dann einen Schulabschluss gemacht und besuche nunmehr ein Gymnasium. Ab September werde er eine HTL besuchen. Die deutsche Sprache beherrsche er auf Niveau B2. Seinen Lebensunterhalt bestreite er durch den Bezug sozialer Unterstützung. Momentan könne er aufgrund seiner Krankheit keiner Arbeitstätigkeit nachgehen, da er Schmerzmittel einnehme und an Knieschmerzen leide

Der Zweitbeschwerdeführer legte seinen georgischen Personalausweis sowie ein Konvolut an medizinischen Unterlagen und an Belegen seiner Integrationsbemühungen im Bundesgebiet vor.

Seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in Auftrag gegebenen polizeifachärztlichen Gutachten vom 28.06.2018 lässt sich entnehmen, dass beim Erstbeschwerdeführer laut vorgelegtem MRT-Befund ein Bandscheibenvorfall in Höhe der Lendenwirbelsäule bestehe. Dem Erstbeschwerdeführer sei bereits eine Operation im Februar angeraten worden, welche er aber selbst nicht durchführen lassen habe wollen. Aufgrund der vorgelegten Befunde ergebe sich keine lebensbedrohliche Erkrankung des Erstbeschwerdeführers, eine Operation sei derzeit nicht notwendig. Eine Weiterbehandlung der orthopädischen Beschwerden in Georgien sei möglich.

Betreffend den Zweitbeschwerdeführer wurde ausgeführt, dass laut Angaben des Genannten sowie den vorliegenden Befunden derzeit eine Remission einer hämatologischen Grunderkrankung im Sinne einer akuten lymphatischen Leukämie bestünde und dieser aktuell keine Medikamente einnehmen müsse. Kontrollen im AKH seien für Jahresende geplant, sodass insgesamt (nach Einsichtnahme in die Dokumente der Staatendokumentation zu Georgien) davon auszugehen sei, dass eine Weiterbehandlung in Georgien durchaus möglich sein werde.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2018 wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien (Spruchpunkte II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die beschwerdeführenden Parteien jeweils eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) sowie festgestellt, dass deren Abschiebung gem. § 46 FPG nach Georgien zulässig ist (Spruchpunkte V.) und eine Frist für die freiwillige Ausreise gem. § 55 Abs. 1a FPG nicht bestünde (Spruchpunkte VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidungen über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gem. § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkte VII.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass die beschwerdeführenden Parteien in Georgien der Gefahr einer individuellen, konkret gegen sie gerichteten Verfolgung durch den Staat oder durch Dritte ausgesetzt wären.

Die Beschwerdeführer seien zum Zweck der medizinischen Behandlung des Zweitbeschwerdeführers nach Österreich gereist. Die Angaben des Erstbeschwerdeführers zu den angeblichen Problemen in Zusammenhang mit dem Regierungswechsel im Jahr 2012 würden sich als nicht glaubhaft erweisen. Der Erstbeschwerdeführer habe die später vorgebrachten individuellen Gründe anlässlich der Erstbefragung noch nicht erwähnt, ferner habe er keine konkreten Angaben zum Zeitpunkt der angeblichen Drohungen sowie zu den Personen, welche die Drohungen angeblich ausgesprochen hätten, erstatten können. Der Erstbeschwerdeführer habe anlässlich seiner Einvernahme lediglich Vermutungen geäußert und es sei auch angesichts des Umstandes, dass dieser laut seinen Angaben zuletzt im Dezember 2014 zur Aufgabe seines Postens aufgefordert worden wäre, diesen jedoch bis zu seiner Ausreise weiterhin ausgeübt hätte, ersichtlich, dass dieser keiner ernsten Bedrohung ausgesetzt gewesen sei. Der Erstbeschwerdeführer habe keine Beweismittel für seine Angaben vorlegen können und habe offensichtlich keine wohlbegründete Furcht vor den Personen besessen, zumal er mit einer Anzeige bei der Polizei seinen Angaben zufolge noch zugewartet hätte.

Der Erstbeschwerdeführer, welcher einen Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule erlitten hätte und sich zudem in psychotherapeutischer Behandlung befände, sei nicht lebensbedrohlich erkrankt; dessen weitere medizinische Behandlung und Versorgung in Georgien sei gewährleistet. Der Zweitbeschwerdeführer, welcher an akuter lymphatischer Leukämie erkrankt gewesen sei, sei im Bundesgebiet medizinisch behandelt worden, die Haupttherapie sei im Februar 2017 abgeschlossen worden; momentan befinde sich der Genannte in der onkologischen Nachsorge und nehme deshalb monatliche Kontrolltermine wahr. Aufgrund von Knieproblemen (Osteonekrose) nutze der Zweitbeschwerdeführer Krücken; eine allfällige Operation in diesem Bereich sei momentan nicht konkret geplant. Der Zweitbeschwerdeführer befinde sich in psychotherapeutischer Behandlung. Derzeit benötige er keine Medikamente. Festzuhalten sei, dass die akute lymphatische Leukämie erfolgreich behandelt worden sei und beim Zweitbeschwerdeführer keine akut lebensbedrohliche Erkrankung mehr vorliege. Die Möglichkeit eines Wiederauftretens der Krebserkrankung sei zwar gegeben, jedoch sei eine etwaig notwendige medizinische Behandlung des Zweitbeschwerdeführers im Herkunftsstaat gewährleistet. Die medizinische Versorgung sei für alle georgischen Staatsbürger durch eine staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung kostenlos gewährleistet, im Falle ihrer Rückkehr seien die Beschwerdeführer als georgische Staatsbürger automatisch versichert. Stationäre und ambulante Behandlungen und Folgebehandlungen durch Onkologen, Hämatologen, Endokrinologen sowie Internisten inklusive Laboruntersuchungen des Blutes und der Schilddrüsenfunktion seien verfügbar. Die vom Zweitbeschwerdeführer benötigte onkologische Nachsorge sei demnach im Herkunftsstaat ebenfalls gewährleistet. Gleichermaßen sei ihm eine Fortsetzung seiner psychotherapeutischen Behandlung sowie eine Behandlung seiner Hepatitis B-Erkrankung in Georgien zugänglich. Das Bundesamt übersehe nicht, dass die medizinische Versorgung in Georgien möglicherweise nicht in allen Belangen österreichischen Standards entspreche. Nach der Judikatur des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und jener des Verfassungsgerichtshofes habe jedoch - aus dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK - im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden; dies selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich und kostenintensiver ist, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gäbe. Es würden nach wie vor zahlreiche Angehörige der Beschwerdeführer in der früheren georgischen Heimatstadt der Beschwerdeführer leben, welche sich knapp 33 Kilometer von der Stadt Batumi entfernt befände, sodass es dem Zweitbeschwerdeführer möglich wäre, die benötigte Behandlung in dieser Stadt in Anspruch zu nehmen. Die Beschwerdeführer könnten im Falle ihrer Rückkehr wieder Aufnahme in ihr familiäres Netz finden; die in Georgien lebenden Angehörigen seien in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbständig zu bestreiten, zudem stünde es dem Erstbeschwerdeführer, welcher über eine qualifizierte Ausbildung und langjährige Berufserfahrung verfüge, offen, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und so ein Einkommen für sich und den Zweitbeschwerdeführer zu erwirtschaften. Zusätzlich zu den Möglichkeiten der Unterstützung durch ein familiäres Netz und einer eigenen Erwerbstätigkeit könnten die Beschwerdeführer nach einer Rückkehr auf Reintegrations-Unterstützung durch internationale Organisationen zurückgreifen. Georgien gelte als sicherer Herkunftsstaat, etwaige Probleme mit staatlichen Stellen seien von den Beschwerdeführern negiert worden. Es sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer nach einer Rückkehr in keine aussichtslose Lage geraten werden.

Die unbescholtenen Beschwerdeführer hielten sich erst seit einem vergleichsweise kurzen Zeitraum in Österreich auf und hätten den überwiegenden Teil ihres Lebens in Georgien verbracht, wo nach wie vor deren engste Familienangehörige leben würden. Ihren Lebensunterhalt hätten die Beschwerdeführer bislang im Rahmen der Grundversorgung finanziert, der Erstbeschwerdeführer sei zudem fallweise geringfügig beschäftigt gewesen. Der Erstbeschwerdeführer besuche gegenwärtig einen Deutschkurs auf der Stufe B2, Zweitbeschwerdeführer verfüge bereits über Deutschkenntnisse, nehme am Schulunterricht im Bundesgebiet teil und habe hier eine Freundin und Freunde gefunden. Im Ergebnis würden die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen.

Da die Beschwerdeführer aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen und bei einer Rückkehr keiner realen Gefahr einer Menschenrechtsverletzung unterliegen würden, sei es ihnen zumutbar, den Ausgang ihrer Asylverfahren im Herkunftsstaat abzuwarten, weshalb den Beschwerden die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen sei.

3. Gegen die dargestellten Bescheide richtet sich die am 14.08.2018 durch die nunmehrige Rechtsvertretung fristgerecht eingebrachte vollumfängliche Beschwerde. Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, der Erstbeschwerdeführer, welcher aktives Mitglied der Partei "Vereinte Nationale Bewegung" sei, befürchte im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland erneut von Mitgliedern der Partei "Georgischer Traum" bedroht und verfolgt zu werden. Der Zweitbeschwerdeführer befürchte, im Falle einer Rückkehr nach Georgien nicht die nötige andauernde medizinische und psychiatrische Versorgung zu erhalten. Die Behörde habe das Ermittlungsverfahren mit Mängeln belastet, da die Länderberichte allgemein gehalten seien und keine Aussagen zu den tiefen Gräben zwischen der "Vereinten Nationalen Bewegung" und der Partei "Georgischer Traum" und den daraus resultierenden Hetzen gegen Anhänger der Partei "Vereinte Nationale Bewegung" enthalten würden. In diesem Zusammenhang wurde auf einen englischsprachigen Bericht der Jamestown Foundation vom 18.12.2015 verwiesen. Weiters zitierte Berichte würden belegen, dass Korruption und Willkür in Georgien in alle Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens eingedrungen seien. Dem Erstbeschwerdeführer drohe im Heimatland Verfolgung durch Mitglieder der Partei "Georgischer Traum", bezüglich derer der georgische Staat nicht in der Lage bzw. nicht willens sei, dem Erstbeschwerdeführer ausreichend Schutz zu bieten. Richtigerweise hätte die Behörde ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 zu führen gehabt, da der Zweitbeschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig gewesen wäre. Die beweiswürdigenden Ausführungen der Behörde zur Unglaubwürdigkeit der vom Erstbeschwerdeführer geschilderten Bedrohungssituation erwiesen sich als unzureichend. Weiters habe sich die Behörde unzureichend mit dem beim Zweitbeschwerdeführer vorliegenden Krankheitsbild auseinandergesetzt. Diesem sei kein Parteiengehör zur im Bescheid abgedruckten Anfragebeantwortung gewährt worden, welche überdies keinen Aufschluss darüber gebe, ob der Genannte in Georgien faktischen Zugang zur benötigten dauerhaften psychiatrischen und medizinischen Behandlung hätte, zumal sie sich auch nicht mit dem konkreten Krankheitsbild des Zweitbeschwerdeführers befasse. Der Zweitbeschwerdeführer benötige derzeit eine Intensivkontrolle; selbst wenn man davon ausginge, dass die benötigte Therapie und Medikation in Georgien grundsätzlich verfügbar seien, so sei dieser Umstand alleine nicht ausschlaggebend für eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK, zumal eine individuelle Prüfung insbesondere auch der finanziellen Zahlungsmöglichkeiten gefordert sei. Dem Zweitbeschwerdeführer drohe aufgrund seiner extrem vulnerablen Position infolge seiner komplexen Erkrankung unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung. Auch das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei mangelhaft durchgeführt worden, zumal die Behörde in diesem Zusammenhang die gesundheitliche Situation des Zweitbeschwerdeführers unberücksichtigt gelassen hätte. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung sei zu Unrecht ausgesprochen worden, weshalb u.a. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG beantragt werde.

Beiliegend übermittelt wurden ein Schreiben einer österreichischen Krankenanstalt vom 06.08.2018 sowie Befunde vom 10.07.2018 und vom 20.03.2018, eine Bestätigung der behandelnden Psychotherapeutin vom 03.04.2018, ein Schreiben eines Instituts für psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung vom 18.12.2017, ein Semesterzeugnis eines Bundesgymnasiums sowie ein ÖSD Zertifikat B1, jeweils betreffend den Zweitbeschwerdeführer. Betreffend den Erstbeschwerdeführer wurden ein Deutsch-Zertifikat der Stufe A2 sowie eine Kursbesuchsbestätigung auf dem Niveau B1 vorgelegt.

4. Infolge der am 17.08.2018 erfolgten Beschwerdevorlage hielt die damals zuständige Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichts L515 im Rahmen eines Aktenvermerks am 20.08.2018 fest, dass die Voraussetzungen für eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach Prüfung der Aktenlage nicht vorlägen. Aus der Berichtslage ergebe sich insbesondere, dass der Zweitbeschwerdeführer in Georgien Zugang zu lebenserhaltender Medikation haben würde und sich die vom Erstbeschwerdeführer zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt vorbrachten Repressalien aufgrund einer politischen Tätigkeit als nicht glaubhaft erwiesen.

5. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurden die gegenständlichen Verfahren der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

6. Am 30.10.2018 wurden die Beschwerdeführer auf dem Luftweg nach Georgien abgeschoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

1.1.1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Georgien und Angehörige der georgischen Volksgruppe sowie der christlich-orthodoxen Religionsgemeinschaft.

Der Erstbeschwerdeführer ist der Vater des zum Zeitpunkt der Einreise minderjährig gewesenen Zweitbeschwerdeführers, welcher Anfang des Jahres 2017 die Volljährigkeit erreichte. Die Beschwerdeführer sind gemeinsam illegal und schlepperunterstützt ins Bundesgebiet eingereist und haben am 21.06.2015 die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Im Herkunftsstaat halten sich unverändert die Ehefrau des Erstbeschwerdeführers/Mutter des Zweitbeschwerdeführers, zwei volljährige Töchter des Erstbeschwerdeführers/Schwestern des Zweitbeschwerdeführers sowie weitere Verwandte auf. Der Erstbeschwerdeführer hat Universitätsstudien im Bereich Pädagogik und Rechtswissenschaften absolviert und zuletzt als Direktor einer Schule gearbeitet. Die Familie der Beschwerdeführer war im Herkunftsstaat stets zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in der Lage.

1.1.2. Der damals minderjährige Zweitbeschwerdeführer wurde infolge seiner Einreise in das Bundesgebiet aufgrund der Diagnose einer akuten lymphatischen Leukämie-Erkrankung stationär in einer österreichischen Krankenanstalt aufgenommen. Die Intensiv- und Erhaltungstherapien wurden im Februar 2017 abgeschlossen. Zuletzt bestand eine Remission der hämatologischen Grunderkrankung, der Zweitbeschwerdeführer befand sich in onkologischer Nachbetreuung. Dieser wurde zuletzt in regelmäßigen Abständen wegen der Behandlung einer milden Thrombozytopenie und Osteonekrose der Kniegelenke zur medizinischen Behandlung in einer onkologischen sowie gastroenterologischen Ambulanz vorstellig. Desweiteren nahm er regelmäßige Arzttermine wegen einer Hepatitis B-Infektion wahr. Zudem befand er sich aufgrund der mit der schwerwiegenden Erkrankung einhergehenden Belastungssituation in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Diagnostiziert wurden eine Posttraumatische Belastungsstörung, eine Reaktion auf eine schwere Belastung sowie eine mittelgradige Depression mit vegetativen Begleiterscheinungen. Der Zweitbeschwerdeführer befand sich zuletzt in einem guten Allgemeinzustand und benötigte keine Medikamente.

In Georgien bestehen zugängliche Behandlungsmöglichkeiten für die beim Zweitbeschwerdeführer erforderliche onkologische Nachbehandlung, die Behandlung von Hepatitis B sowie die Fortsetzung seiner psychotherapeutischen Behandlung. Der Zweitbeschwerdeführer stand im Vorfeld seiner Ausreise aufgrund der damals vorgelegenen Leukämie-Erkrankung in Behandlung und hat nicht konkret vorgebracht, dass ihm eine benötigte Behandlung verweigert worden wäre oder individuell respektive finanziell nicht zugänglich gewesen wäre. Der Zweitbeschwerdeführer befand sich nach Abschluss der onkologischen Behandlung im Bundesgebiet zuletzt in keinem lebensbedrohlichen Krankheitszustand und durchlief keine lebensnotwenige Behandlung. Er hat nicht begründet dargelegt, dass eine Rückkehr in den Heimatstaat für ihn mit einer signifikant verkürzten Lebenserwartung einhergehen würde.

Beim Erstbeschwerdeführer wurde ein Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule diagnostiziert, eine Operation war zuletzt nicht unmittelbar erforderlich. Zudem befand er sich ebenfalls in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Er nahm gelegentlich Beruhigungs- sowie Schmerzmittel ein. Eine Fortsetzung der Behandlung der vorliegenden Beschwerden im Bewegungsapparat sowie im psychischen Beriech wird dem Genannten auch im Herkunftsstaat möglich sein.

Die Beschwerdeführer haben ihren Herkunftsstaat aufgrund des Wunsches nach einer qualitativ hochwertigen Behandlung für den Zweitbeschwerdeführer verlassen haben. Die vom Erstbeschwerdeführer vorgebrachte Bedrohung aufgrund politischer Motive erweist sich als nicht glaubhaft.

Es kann auch von Amts wegen nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr nach Georgien aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wären.

1.1.3. Es besteht für die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr nach Georgien jeweils keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit. Die beschwerdeführenden Parteien liefen jeweils nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die wirtschaftliche Situation der Familie - auch unter Berücksichtigung allenfalls künftig für die Beschwerdeführer notwendig werdender Behandlungs- und Medikamentenkosten - als derart desolat erwiesen hätte, als dass die beschwerdeführenden Parteien, welche im Herkunftsstaat zahlreiche familiäre und soziale Anknüpfungspunkte haben, im Falle einer Rückkehr Gefahr liefen, in eine Existenz bedrohende Notlage zu geraten. Der Erstbeschwerdeführer ist zu einer Teilnahme am Erwerbsleben fähig, es wäre den beschwerdeführenden Parteien zudem möglich, wieder an ihrer früheren Anschrift Wohnsitz zu nehmen, wo sie durch ihre im gleichen Haushalt lebenden Angehörigen auch auf Unterstützung im Alltag zurückgreifen könnten.

1.1.4. Die unbescholtenen beschwerdeführenden Parteien lebten in Österreich zuletzt in einem gemeinsamen Haushalt und bestritten ihren Lebensunterhalt aus Mitteln der Grundversorgung. Die beschwerdeführenden Parteien verfügen außerhalb ihrer Kernfamilie über keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführer zeigten sich um eine Integration im Bundesgebiet trotz der schwerwiegenden Erkrankung des Zweitbeschwerdeführers bemüht. Der Zweitbeschwerdeführer absolvierte nach Beendigung der onkologischen Behandlung den Pflichtschulabschluss, besuchte zuletzt ein Abendgymnasium und war für das Wintersemester 2018/2019 an einer HTL aufgenommen worden. Er eignete sich Deutschkenntnisse an, absolvierte eine ÖSD-Prüfung auf dem Niveau B1 und schloss Freundschaften im Bundesgebiet. Der Erstbeschwerdeführer ging fallweise geringfügigen Beschäftigungen nach, absolvierte eine ÖSD-Deutschprüfung auf dem Niveau A2 und schloss ebenfalls Freundschaften im Bundesgebiet. Festgehalten wird, dass die Bindungen der beschwerdeführenden Parteien in ihrem Herkunftsstaat die im Bundesgebiet erlangte Integrationsverfestigung deutlich überwiegen.

Die Beschwerdeführer wurden am 30.10.2018 auf dem Luftweg in den Herkunftsstaat abgeschoben.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

...

Politische Lage

Im Jahr 2017 begann Georgien mit einer grundlegenden Reform der Verfassung, mit welcher der Übergang von einem gemischten zu einem parlamentarischen System abgeschlossen wurde. Die Reform, die insgesamt positiv von der Venediger-Kommission des Europarates bewertet wurde, zielt darauf ab, die verfassungsmäßige Ordnung des Landes zu festigen, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes der Grundrechte beruht. Der vom Parlament angenommene Entwurf wurde von der Opposition nicht unterstützt, weil vor allem das rein-proportionale Wahlsystem erst bis 2024 eingeführt werden soll. NGOs und Oppositionsparteien sahen den Entscheidungsprozess als nicht inklusiv und zu voreilig (EC 9.11.2017).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wird durch Direktwahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Der Präsident ernennt den Premierminister, der vom Parlament ernannt wird. Nach den im Jahr 2017 beschlossenen Verfassungsänderungen wird der Präsident indirekt von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt, wobei diese Änderungen erst nach der Wahl 2018 wirksam werden (FH 1.2018). Nach der geänderten Verfassung wird Georgien ab 2024 auf ein Verhältniswahlsystem mit einer Fünf-Prozent-Hürde umstellen. Ab 2025 wird der Präsident nicht mehr vom Wahlvolk, sondern von einem speziellen Gesetzgebungsrat gewählt (RFE/RL 20.10.2017).

Bei den Präsidentschaftswahlen 2013 gewann Giorgi Margvelashvili, ein von der Partei "Georgischer Traum" unterstützter unabhängiger Kandidat, 62% der Stimmen, vor dem Kandidaten der Vereinigten Nationalen Bewegung (UNM), David Bakradze, der 22% gewann. Während Beobachter über einige Verstöße berichteten, bezeichneten sie den Wahlgang als kompetitiv und und vertrauenswürdig und lobten dabei die Zentrale Wahlkommission für ihre Professionalität. Giorgi Kvirikashvili von der Partei Georgischer Traum kehrte nach den Parlamentswahlen 2016 als Premierminister zurück; er war seit Ende 2015 in dieser Funktion tätig (FH 1.2018).

Am 8.10. und 30.10.2016 fanden Parlamentswahlen in Georgien statt. Die bislang regierende Partei "Georgischer Traum" sicherte sich die Verfassungsmehrheit, indem sie 115 der 150 Sitze gewann. Die "Vereinigte Nationale Bewegung" (UNM) des Expräsidenten Mikheil Saakashvili errang 27 und die "Allianz der Patrioten Georgiens" (APG) sechs Sitze (RFE/RL 1.11.2016). Mit der APG, die im ersten Wahlgang am 8.10.2016 knapp die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, ist erstmals eine pro-russische Partei im Parlament vertreten. In der notwendigen Stichwahl am 30.10.2016 in 50 Wahlkreisen, die nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, gewann der "Georgische Traum" 48 Wahlkreise (Standard 31.10.2016). Die übrigen zwei Sitze gingen jeweils an einen unabhängigen Kandidaten und einen Vertreter der "Partei der Industriellen" (VK 31.10.2016).

Die Wahlbeobachtungsmission der OSZE bewertete gemeinsam mit anderen internationalen Beobachtern die Stichwahl als kompetitiv und in einer Weise administriert, die die Rechte der Kandidaten und Wähler respektierte. Allerdings wurde das Prinzip der Transparenz sowie das Recht auf angemessene Rechtsmittel bei der Untersuchung und Beurteilung von Disputen durch die Wahlkommissionen und Gerichte oft nicht respektiert (OSCE/ODIHR 30.10.2016).

Am 21.10. und 12.11.2017 fanden Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen statt. In der ersten Runde am 21.10.2017 gewann die Regierungspartei, Georgischer Traum, in allen Wahlkreisen und sicherte sich 63 von 64 Bürgermeisterämter, darunter in der Hauptstadt Tiflis (RFE/RL 12.11.2017). Bei der Bügermeisterstichwahl am 12.11.2017 gewannen in fünf der sechs ausstehenden Städte ebenfalls die Kandidaten des Georgischen Traums. Nur in Ozurgeti siegte ein unabhängiger Kandidat (Civil.ge 13.11.2017). Die Wahl verlief reibungslos und professionell, wobei die Stimmabgabe, die Auszählung und das Wahlermittlungsverfahren von Beobachtern positiv beurteilt wurden, obwohl Hinweise auf mögliche Einschüchterungen und Druck auf die Wähler Anlass zur Besorgnis gaben (OSCE 13.11.2017).

Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Die Menschen sind in der Regel in der Lage, politische Parteien zu gründen und ihre eigenen Kandidaturen mit wenig Einmischung durch Dritte umzusetzen. Allerdings hat ein Muster der Einparteiendominanz in den letzten zehn Jahren die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt. Die Partei Georgischer Traum dominiert den politischen Raum. Entscheidend dafür ist die Rolle von Ivanishvili, dem Schöpfer und Finanzgaranten der Partei, der maßgeblichen Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung in Georgien hat. Die finanziellen und geschäftlichen Interessen von Ivanishvili sind auch im politischen Bereich von großer Bedeutung (FH 1.2018).

Quellen:

? Civil.ge (13.11.2017): GDDG Wins Most Mayoral Runoff Races, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=30622, Zugriff 26.3.2018

? EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1426297.html, 26.3.2018

? OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (30.10.2016): International Election Observation Mission, Georgia - Parliamentary Elections, Second Round - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions,

http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/278146?download=true, Zugriff 26.3.2018

? OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-Operation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights (13.11.2017):

Election Observation Mission Georgia, Local Elections, Second Round, 12 November 2017,

http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/356146?download=true, Zugriff 26.3.2018

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (20.10.2017): Georgia's President Reluctantly Signs Constitutional Amendments, 26.3.2018

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.11.2016): Georgia's Ruling Party Wins Constitutional Majority, http://www.rferl.org/a/georgia-elections-second-round-georgian-dream-super-majority/28085474.html, Zugriff 26.3.2018

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (12.11.2017): Georgians

In Six Municipalities Vote In Local Election Runoffs, https://www.rferl.org/a/georgia-local-elections-second-round/28849358.html, Zugriff 26.3.2018

? Der Standard (31.10.2016): Regierungspartei kann Georgien im Alleingang regieren,

http://derstandard.at/2000046738001/Wahlsieg-von-Regierungspartei-in-Georgien-in-zweiter-Runde-bestaetigt, Zugriff 26.3.2018

? Vestnik Kavkaza (31.10.2016): Georgian Dream wins 48 districts out of 50,

http://vestnikkavkaza.net/news/Georgian-Dream-wins-48-districts-out-of-50.html, Zugriff 26.3.2018

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Georgien hat sich seit der militärischen Auseinandersetzung zwischen georgischen und russischen Truppen vom August 2008 weitgehend normalisiert. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen. Im Gali-Distrikt Abchasiens kommt es immer wieder zu Schusswechseln, Entführungen und anderen Verbrechen mit teilweise kriminellem Hintergrund. Trotz vordergründiger Beruhigung der Lage kann ein erneutes Aufflammen des Konfliktes zwischen Abchasien und Georgien nicht ausgeschlossen werden. Gleiches gilt im Falle Südossetiens. In den städtischen Zentren kann es gelegentlich zu Demonstrationen und Protestaktionen kommen, vor allem im Zusammenhang mit Wahlen. Straßenblockaden und Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften sind nicht ausgeschlossen. Das Risiko von terroristischen Anschlägen kann auch in Georgien nicht ausgeschlossen werden (EDA 6.6.2018).

Die Kriminalitätsrate ist in Georgien in den letzten Jahren deutlich gesunken. Auto- und andere Diebstähle sowie Einbrüche kommen vor, und sind gelegentlich von Gewalt begleitet. Übergriffe gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit als homosexuell zu erkennen geben, können vorkommen (AA 6.6.2018a, vgl. EDA 6.6.2018).

Bei einem Anti-Terroreinsatz in Tiflis sind am 22.11.2017 ein Polizist und drei mutmaßliche Terroristen getötet worden. Mehrere mutmaßliche Anhänger einer terroristischen Gruppe hatten sich der Festnahme widersetzt, indem sie das Feuer mit automatischen Waffen eröffneten und Handgranaten auf die Anti-Terror-Einheit warfen (Standard 23.11.2017). Einer der getöteten Terroristen war offenbar Achmed Tschatajew, ein tschetschenischer Befehlshaber des sog. Islamischen Staates (IS), der den georgischen Behörden bekannt war. Tschatajew stand seit 2015 auf der Terroristenliste der Vereinigten Staaten von Amerika und wurde auch von Russland und der Türkei wegen der Organisation des tödlichen Bombenanschlags auf den Flughafen von Istanbul im Juli 2016 gesucht. Die Prognose, dass sich die terroristische Bedrohung in Georgien auf die einheimischen und zurückkehrenden Kämpfer verlagert hat, wurde durch die Operation in Tiflis drastisch bestätigt (Jamestown 29.11.2017, GA 1.12.2017):

Die EU unterstützt aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung durch die Arbeit des EU-Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und die Krise in Georgien und die EU-Beobachtermission (EUMM), die zu Stabilität und Frieden beitragen. Georgien hat sich weiterhin den internationalen Gesprächen in Genf verschrieben. Der sog. "Incident Prevention Mechanisms (IPRM)", der 2009 geschaffen wurden, um Risiko- und Sicherheitsfragen zu erörtern, die die Gemeinden in Abchasiens bzw. Südossetiens betreffen, und die EUMM-Hotline arbeiten weiterhin effizient als wesentliche Instrumente, um lokale Sicherheitsfragen anzugehen und, um die weitere Vertrauensbildung zwischen den Sicherheitsakteuren zu fördern (EC 9.11.2017).

Anfang März 2018 wiederholte Premierminister Giorgi Kvirikashvili Georgiens Interesse, bei den internationalen Gesprächen in Genf konkrete Fortschritte zu erzielen. Hierzu erklärte er sich auch bereit, in einen direkten Dialog mit Vertretern der separatistischen Regionen Abchasien und Südssetien zu treten (Jamestown 26.3.2018, vgl. Civil.ge 9.3.2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (6.6.2018a): Landesspezifische Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/georgien-node/georgiensicherheit/201918#content_0, Zugriff 6.6.2018

? Civil.ge (9.3.2018): Prime Minister Appeals to Russian Authorities, Offers Direct Dialogue with Sokhumi, Tskhinvali, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=30935&search, Zugriff 12.4.2018

? EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

? EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (6.6.2018): Reisehinweise für Georgien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/georgien/reisehinweise-georgien.html, Zugriff 6.6.2018

? GA - Georgien aktuell (1.12.2017): Anti-Terror-Einsatz: getötete Terroristen offenbar illegal ins Land gekommen, http://georgien-aktuell.info/de/politik/innenpolitik/article/13430-illegal, Zugriff 9.4.2018

? Jamestown (26.3.2018): Georgian Government Insists on Direct Talk With Moscow-Backed Separatists, https://jamestown.org/program/georgian-government-insists-direct-talk-moscow-backed-separatists/, Zugriff 12.4.2018

? Jamestown (29.11.2017): Special Operation in Tbilisi Highlights Risk of Terrorism by Returning Fighters in Georgia, https://jamestown.org/program/special-operation-tbilisi-highlights-risk-terrorism-returning-fighters-georgia/, Zugriff 9.4.2018

? Der Standard (23.11.2017): Vier Tote bei Anti-Terror-Einsatz in Tiflis,

https://derstandard.at/2000068329714/Vier-Tote-bei-Anti-Terror-Einsatz-in-Tiflis, Zugriff 9.4.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Erhebliche Fortschritte gab es insbesondere im Justizwesen und Strafvollzug, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung, die in der Vergangenheit systemisch vorhanden war, in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann. Der Aufbau eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der aktuellen Regierung. Die dritte Reformwelle vom Dezember 2016 garantiert vor allem die unparteiische Zuteilung von Rechtsfällen an Richter. NGOs, die den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch begleiten, mahnen weiterhin die Ernennung von Richtern aufgrund von Qualifikation und Eignung in einem transparenten Verfahren an. Demgegenüber neigen Politiker und andere prominente Interessenvertreter aus Wirtschaft und Medien dazu, Richtern bei Gerichtsentscheidungen in brisanten Fällen pauschal politische Motive bzw. Korruption zu unterstellen. In einigen Fällen wurde der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg angerufen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und deutliche Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess. Die Praxis lang andauernder Untersuchungshaft wurde im Fall Ugulava, des ehemaligen Bürgermeisters von Tiflis vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt und verfassungskonform beschränkt (AA 11.12.2017).

Im Dezember 2016 wurde ein Paket von Gesetzesänderungen zur Justizreform verabschiedet. Die Änderungen betrafen insbesondere die Veröffentlichung aller Entscheidungen, die schrittweise Einführung der elektronischen Zufallszuweisung von Fällen sowie das Auswahlverfahren der Richterkandidaten und das Disziplinarverfahren (Schaffung der Institution des Untersuchungsinspektors). Die Änderungen betrafen jedoch nicht andere, seit langem bestehende Punkte, einschließlich der Anwendung der Probezeit. Eine erste umfassende Justizstrategie und ihr fünfjähriger Aktionsplan wurden vom Hohen Rat der Justiz im Mai 2017 angenommen. Dieser sieht spezifische Maßnahmen und Indikatoren in den Kapiteln Unabhängigkeit, Rechenschaftspflicht, Qualität und Effizienz sowie Zugang zur Justiz vor. In Bezug auf den Zugang zur Justiz sind die vom Hohen Rat der Justiz (HCoJ) eingeführten Verfahren zur Ernennung von Richtern und Gerichtspräsidenten sowie die Disziplinarverfahren allerdings nicht vollständig transparent und rechenschaftspflichtig. Die neue Verfassung führte die Ernennung von Richtern des Obersten Gerichtshofs durch das Parlament auf Vorschlag des Obersten Gerichtshofs sowie die Ernennung von Richtern auf Lebenszeit ein. Im Januar 2017 wurden die Geschworenenprozesse, die 2010 beim Stadtgericht von Tiflis eingeführt wurden, auf andere Regionen Georgiens und auf weitere Arten von Vergehen ausgeweitet. Anfang 2017 wurden die Strafverfolgungsstrategie, der neue Ethikkodex und ein Beurteilungssystem für Staatsanwälte verabschiedet (EC 9.11.2018).

Die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Justiz ist nach wie vor ein erhebliches Problem, ebenso wie der Mangel an Transparenz und Professionalität bei den Verfahren. Im Jahr 2017 äußerten sich Oppositionelle und andere besorgt darüber, dass die politische Einmischung ein wesentlicher Faktor in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gewesen sei, so die Rückgabe des TV Senders "Rustavi 2" an seinen ehemaligen Miteigentümer, der mit der Regierungspartei Georgischen Traum verbunden ist. Das Urteil wurde allerdings später vom Europäischen Gericht für Menschenrechte aufgehoben (FH 1.2018, vgl. AI 22.2.2018).

Ende Mai 2018 musste der Generalstaatsanwalt Georgiens vor dem Hintergrund von Protesten zurückgetreten, in denen tausende Demonstranten ihre Empörung über ein, ihrer Meinung nach, unfaires Gerichtsurteil im Mordfall von zwei Schülern in Tiflis zum Ausdruck brachten (CK 5.6.2018). Die Demonstranten glaubten, dass andere als die beiden Beschuldigten für den Tod verantwortlich waren und der Strafe entkamen, weil ihre Verwandten in der Generalstaatsanwaltschaft arbeiteten (RFE/RL 4.6.2018). Führende NGOs des Landes haben sich geweigert, sich an der Ernennung eines neuen Generalstaatsanwaltes unter der Leitung von Justizministerin Teya Tsulukiani zu beteiligen, sondern haben im Gegenteil deren Rücktritt gefordert (CK 5.6.2018, vgl. JAMnews 6.6.2018). Das Parlament hat am 31.5.2018 als Reaktion auf die Entlassung der Beschuldigten durch das Gericht in Tiflis eine Untersuchungskommission zum Mordfall eingerichtet (civil.ge 6.6.2018). Die Demonstrationen haben die Ansicht mancher Georgier über Korruption und eine Atmosphäre der Straflosigkeit in der herrschenden Elite des Landes widergespiegelt (RFE/RL 4.6.2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (11.12.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Georgia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425371.html, Zugriff 17.4.2018

? Caucasian Knot (5.6.2018): Activists demand resignation of Georgia's MoJ head, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43375/, Zugriff 7.6.2018

? Civil.ge (6.6.2018): Parliament Approves Teen Murder Probe Commission, https://civil.ge/archives/243789, Zugriff 7.6.2018

? EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1426297.html, 17.4.2018

? JAMnews (6.6.2018): Georgian NGOs demand resignation of Minister of Justice, https://jam-news.net/?p=106350, Zugriff 7.6.2018

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.6.2018): Georgian Protest Leader Gives Authorities Progress Ultimatum, https://www.rferl.org/a/tbilisi-subway-workers-strike-as-new-antigovernment-protests-expected/29270264.html, Zugriff 7.6.2018

Sicherheitsbehörden

Seit dem Regierungswechsel im Oktober 2012 ist von Machtmissbrauch von Amtsträgern nicht mehr die Rede. Bis 2012 waren Exekutivorgane, z. B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, als Machtinstrument oder als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung wirtschaftlicher Vorteile von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen missbraucht worden. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter von Regeln werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch als untätig wahrgenommen, was zu einem Verlust an Respekt geführt hat. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf. Eine von NGOs angemahnte organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium ist bisher aber nicht durchgeführt worden (AA 11.12.2017).

Meinungsumfragen zeigen einen Rückgang des Vertrauens der Öffentlichkeit in das Strafverfolgungssystem. Umfragen zufolge waren 2013 noch 60% der Georgier und Georgierinnen mit der Leistung der Polizei zufrieden. Dieser Wert fiel jedoch im April 2017 Jahres auf 38%. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Unzufriedenen mit der Polizei von einem einstelligen Prozentwert auf 14% (NDI/CRRC 4.2017).

Hochrangige Zivilbehörden üben nicht immer eine wirksame Kontrolle über das Innenministerium und den Staatssicherheitsdienst aus. Die zivilen Behörden behielten jedoch die effektive Kontrolle über das Verteidigungsministerium bei. Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungs- und Sicherheitskräfte ist begrenzt, und die nationale und internationale Aufmerksamkeit für Straflosigkeit hat zugenommen (USDOS 20.4.2018).

Georgien verfügt nicht über einen wirksamen unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden. Wenn Ermittlungen eingeleitet werden, führen sie häufig zu Anklagen, die geringere, unangemessene Sanktionen wie Amtsmissbrauch nach sich ziehen und selten zu Verurteilungen führen. Die Behörden weigern sich oft, denen, die Missbrauch vorwerfen, einen Opferstatus zu gewähren, und nehmen ihnen die Möglichkeit, die Ermittlungsakten einzusehen (HRW 18.1.2018).

Die Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Strafverfolgungsbeamte blieb bestehen, während die Regierung weiterhin einen unabhängigen Ermittlungsmechanismus versprach, aber nicht einführte. Im Juni 2017 schlug die Regierung statt eines unabhängigen Ermittlungsmechanismus eine neue Abteilung innerhalb der Staatsanwaltschaft vor, die den mutmaßlichen Missbrauch durch Strafverfolgungsbeamte untersuchen sollte (AI 22.2.2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (11.12.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Georgia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425371.html, Zugriff 18.4.2018

? Eurasianet (5.7.2017): Georgia: Are the Police Backsliding? https://eurasianet.org/s/georgia-are-the-police-backsliding, Zugriff 18.4.2018

? HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Georgia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422446.html, Zugriff 17.4.2018

? NDI/CRRC - National Democratic Institute/Caucasus Research Resource Centers (4.2017): Public attitudes in Georgia Results of a April 2017 survey carried out for NDI by CRRC Georgia, https://www.ndi.org/sites/default/files/NDI_April_2017_political%20Presentation_ENG_version%20final.pdf, Zugriff 18.4.2018

? USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practces 2017 - Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1430256.html, Zugriff 23.5.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Umfangreicher Personalaustausch insbesondere in den Behördenleitungen, die juristische Aufarbeitung (Strafverfahren gegen Verantwortliche) sowie durchgreifende Reformen bei Polizei und im Strafvollzug haben Vorfälle von Gewaltanwendung auf Einzelfälle reduziert, ein systemischer Charakter ist nicht mehr feststellbar. Ombudsmann und zivilgesellschaftliche Organisationen sprechen bekannt werdende Vorfälle von Gewaltanwendung und ggf. unzureichend betriebene Ermittlungen öffentlich an (AA 11.12.2017).

Die Analyse der vom Amt des Chefanklägers Georgiens erhaltenen Informationen zeigt, dass die Untersuchung anhängiger Strafverfahren mit Vorfällen angeblicher Misshandlung verzögert und unwirksam ist. Dennoch haben die Behörden keine positiven Anstrengungen unternommen, um einen unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung durch Strafverfolgungsbeamte einzurichten. Nach den Zehnmonatsdaten von 2017 ist im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Beschwerden wegen angeblicher Misshandlungen durch Polizeibeamte während und/oder nach Verhaftungen gestiegen. Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich allerdings die Einschätzung von Vorfällen angeblicher Misshandlung verbessert (PD 10.12.2017).

Seit November 2016 erhielt die Georgian Young Lawyers' Association (GYLA) mindestens 20 Beschwerden wegen Folter und Misshandlung durch die Polizei und fünf durch das Gefängnispersonal. Laut GYLA haben die Behörden die Vorwürfe nicht wirksam untersucht (HRW 18.1.2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (11.12.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

? HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Georgia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422446.html, Zugriff 6.6.2018

? PD - The Public Defender of Georgia (10.12.2017): 10 December Report on the Situation of the Protection of Human Rights and Freedoms in Georgia,

http://www.ombudsman.ge/uploads/other/4/4957.pdf, Zugriff 18.4.2018

Korruption

Während das Land bei der Bekämpfung der Kleinkriminalität erhebliche Fortschritte gemacht hat, bleibt die Korruption innerhalb der Regierung ein Problem.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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