TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/17 W117 2140273-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.06.2019
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Entscheidungsdatum

17.06.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z1
FPG §55 Abs1a

Spruch

W117 2140273-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Andreas DRUCKENTHANER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2016, Zl. 1054263802/150295992, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI.

I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 13 Abs. 2 Z 1 und § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 und § 18 Abs. 1 Z 1, 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, Abs. 9, 46, 53 Abs. 1 iVm Abs.3 Z 1 und 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Georgien aus XXXX in Abchasien und gehört der georgischen Volksgruppe an. Er reiste zuletzt im März 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 23.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, seinen Reisepass verloren zu haben.

Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 23.03.2015 brachte er als Fluchtgrund vor, er sei wegen der georgischen Abstammung seines Vaters, welcher gegen die Abchasier gekämpft habe und 1993 gefallen sei, aus ethnischen Gründen von Nachbarn bedroht worden und geflohen. Seine Mutter sei Abchasierin und lebe noch in XXXX . Er sei ledig und habe keine Kinder. Er habe in Tiflis 2005 ein Informatikstudium abgeschlossen und sei zuletzt Gelegenheitsarbeiter gewesen. Er habe wiederholt Asylanträge in Europa gestellt, zuletzt sei er 2014 von Polen aus nach Georgien abgeschoben worden und habe ca. ein Jahr dort gelebt.

Nach dem Schengener Informations-System am 23.03.2015 lag gegen den Beschwerdeführer bereits seit 10.11.2013 ein Einreise- /Aufenthaltsverbot im Schengengebiet gemäß Art. 24 EU-VO 1987/2006 bis zum 24.10.2016 vor.

Mit Beschluss des LG XXXX vom 15.08.2016 wurde über den Beschwerdeführer Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr gemäß § 173 Abs. 2 Z 1 StPO verhängt und begründend auf den Strafantrag der StA XXXX vom 14.08.2016 verwiesen.

Mit rechtskräftigem Urteil des LG XXXX vom 08.09.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen Diebstahls durch Einbruch zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt.

Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.10.2016 gab er an, an Hepatitis B zu leiden und auf eine Therapie zu warten. Er brachte weiters vor, georgischer Staatsbürger zu sein und ausschließlich in Abchasien Probleme zu haben. Er habe zuletzt in XXXX gemeinsam mit seiner Mutter in einem eigenen Haus gewohnt. Seine Mutter lebe noch immer dort und übe Gelegenheitsjobs aus. Er spreche neben Georgisch noch Russisch und Megrelisch (Dialekt). Er habe ab und zu als Handwerker gearbeitet und Gelegenheitsjobs wahrgenommen. Er habe seinen Lebensunterhalt damit bestritten und sei von seiner Mutter finanziell unterstützt worden. Er habe XXXX im März oder April 2015 verlassen, sei illegal nach Österreich eingereist und habe sofort Asyl beantragt. Die Ausreise habe er mit Unterstützung durch seinen Onkel aus XXXX finanziert. In Österreich habe er keine Familienangehörigen oder Verwandten und lebe auch nicht in einer Lebensgemeinschaft. Er kenne in Österreich georgische und russische Staatsangehörige, richtig gute Freunde habe er hier nicht, er warte auf seine Entscheidung. Seinen Lebensunterhalt bestreite er von gelegentlichen Schwarzarbeiten. Er sei hier nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Er beantrage internationalen Schutz, weil sein Vater auf der georgischen Seite gekämpft habe und seine Mutter Abchasierin sei, weshalb er Probleme bekommen habe. Die Abchasier hätten ihn mitgenommen und geschlagen, weil er Georgier sei und sein Vater abchasisches Blut vergossen habe. Dies sei vor ca. 12 Jahren gewesen. Sie seien zu dritt gewesen, ältere Herren. Sie hätten ihm auch gesagt, dass er wegen seines Vater geschlagen worden sei. Damals habe er fliehen können, sie hätten ihn dann wieder gefunden. Dieser Vorfall habe sich 2002 oder 2003 ereignet. Sein Vater sei 1992 oder 1993 im Krieg gefallen. Zum Vorhalt der Behörde, dass es unglaubwürdig sei, dass der Beschwerdeführer 10 Jahre nach dem Tod seines Vaters bedroht worden sei, antwortete der Beschwerdeführer, er wisse es nicht, er habe es auch nicht der Polizei gemeldet. Als Grund dafür gab er an, dass er sich zurückgezogen habe. Mit 16 Jahren hätte er einen Pass beantragen müssen, was er aus Angst aufzufallen nicht gemacht habe. Ein Jahr darauf hätten sie versucht, das Haus niederzubrennen, 2014 hätten sie es versucht. Zum Vorhalt dass dies zeitlich nicht zusammen passe, brachte er vor, 2005 in der Slowakei Asyl beantragt zu haben. Er sei von Abchasiern bedroht worden, zwei seien in Militäruniform und einer in Zivil gewesen. Zum Vorhalt, dass er in der Erstbefragung vorgebracht habe, von Nachbarn bedroht worden zu sein, bestätigte er, auch mit Nachbarn Konflikte gehabt zu haben; diese hätten ihm oft vorgeworfen, dass er Georgier sei. Zur Aufforderung die Verfolgungshandlung näher zu schildern, gab er an, dass er mitgenommen worden sei; mehr könne er nicht sagen, er könne sich nicht erinnern. Dies sei 2003 gewesen. Sie seien mit einem russischen Auto gekommen; sie hätten ihn mitgenommen und geschlagen. Während des einjährigen Aufenthalts in Georgien habe er derartiges nicht erlebt; er habe bei Verwandten gelebt. Seine Mutter wohne ohne Probleme im Haus. Zum Vorhalt, dass Georgien ein sicherer Drittstaat sei und in solchen Fällen von der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit auszugehen sei, brachte er vor, er habe nach seinem Studium in Georgien dort nicht mehr leben können. Er brachte zum diesbezüglichen Vorhalt, ob er Georgien aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe, vor, dass dies nicht der Fall sei. Er habe nicht versucht, in einem anderen Stadtteil zu leben. Im Fall der Rückkehr wolle und könne er nicht in Georgien leben.

Mit Verfahrensanordnung vom 28.10.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 AsylG der Verlust seines Aufenthaltsrechtes im Bundesgebiet wegen seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 08.09.2016 mitgeteilt.

Die Staatendokumentation beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte in der Anfragebeantwortung vom 06.10.2009 zusammengefasst mit, dass für Angehörige der georgischen Volksgruppe, welche in Abchasien gelebt haben, eine innerstaatliche Fluchtalternative in Georgien besteht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz in Bezug auf Asyl gemäß § 3 (Spruchpunkt I.) und in Bezug auf subsidiären Schutz gemäß § 8 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt III.), ferner gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen ihn ein auf 10 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 a FPG nicht besteht (Spruchpunkt V.), einer Beschwerde gegen den Bescheid gemäß § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und festgestellt, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 04.11.2016 verloren habe (Spruchpunkt VII.). In der Begründung legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dar, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe und er keine Befunde zur behaupteten Hepatitis B-Erkrankung vorgelegt habe. Er sei arbeitsfähig, verfüge über Schulbildung und ein Hochschulstudium und habe seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeiten finanziert. Er halte sich nach illegaler Einreise zumindest seit seiner Asylantragstellung am 23.03.2015 im Bundesgebiet auf. Es könne nicht festgestellt werden, dass er in Georgien asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder sein werde. Er sei mit inländischem rechtskräftigem Urteil vom 08.09.2016 eines Landesgerichtes wegen Diebstahls durch Einbruch zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt worden. Er werde auch in Deutschland wegen Diebstahls und illegalem Aufenthalts gesucht und sei das in der Schweiz 2008 verhängte Einreise- und Aufenthaltsverbot durch die deutschen Behörden für den Schengen-Raum bis zum 24.10.2016 verlängert worden. Trotzdem halte er sich weiterhin im Schengen-Raum auf. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nur vage und unkonkrete Angaben zu seiner Verfolgung habe machen können. Er habe weder den Tatzeitpunkt genau benennen können, noch habe er die Täter ausführlich beschreiben und auch keine detaillierten Angaben zum Tathergang machen können. Auch habe er uneinheitliche Angaben zum Zeitpunkt dieses einmaligen Vorgangs gemacht. Er habe andererseits vorgebracht, sein Vater sei bereits 1993 gefallen und hätte 10 Jahre danach keinerlei Bedrohung stattgefunden. Auch habe er diese Bedrohung der Polizei nicht gemeldet. Nach mehrmaliger Befragung habe er vorgebracht, dass zuletzt 2014 jemand versucht habe, das Haus anzuzünden. Der Beschwerdeführer sei zusammengefasst trotz mehrfacher Aufforderung nicht in der Lage gewesen ein stichhaltiges detailliertes und nachvollziehbares Vorbringen zu seinen Fluchtgründen zu erstatten. Mangels Glaubwürdigkeit seines Vorbringens zu den Fluchtgründen sei Asyl nicht zu gewähren gewesen. Die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz wurden mangels einer Gefährdung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat im Sinne des Art. 3 EMRK und mangels Vorliegens außergewöhnlicher Umstände (lebensbedrohliche Erkrankung udgl.) ebenfalls nicht als gegeben erachtet. Angemerkt wurde, dass Georgien als sicherer Herkunftsstaat im Sinne der Herkunftsstaaten-Verordnung gilt. Mangels Familienlebens bzw. ausgeprägten Privatlebens in Österreich wurde eine Rückkehrentscheidung nicht auf Dauer als unzulässig erachtet; ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht gewährt. In Anbetracht der strafgerichtlichen Verurteilung im Bundesgebiet wurden die Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes als gegeben erachtet. Auf Grund der Schwere des Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf sein Gesamtverhalten davonauszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, gerechtfertigt sei. Das Einreiseverbot in der angegebenen Dauer sei gerechtfertigt und notwendig, um die von ihm ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern und zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele notwendig. Das Einreiseverbot beziehe sich gemäß § 53 Abs. 1 FPG auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten und beginne mit dem Tag seiner Ausreise. Ferner seien die Voraussetzungen zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 BFA-VG erfüllt. Ferner ergebe sich der Verlust seines Aufenthaltsrechts als Asylwerber aus § 13 Abs.2 Z 1 AsylG, zumal er straffällig geworden sei.

Zur Situation im Herkunftsland wurde im bekämpften Bescheid wie folgt festgestellt:

"Aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines Sachverhalts erkannt werden, der gegen Ihre Abschiebung in Ihren Herkunftsstaat, nämlich Georgien, stünde. Ihr Herkunftsstaat Georgien ist ein sicherer Herkunftsstaat. Auch wurde aufgrund einer Anfrage an die Staatendokumentation bestätigt, dass es für georgische Staatsangehörige aus der Region Abchasien eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht und diese Binnenflüchtlinge durch den Staat Georgien gerne aufgenommen werden.

[...]

Sicherheitslage

Die Lage in Georgien ist - mit Ausnahme der Konfliktgebiete Abchasien und Südossetien - insgesamt ruhig. Beide genannte Gebiete befinden sich nicht unter der Kontrolle der Regierung in Tiflis. In den Gebieten und an ihren Verwaltungsgrenzen sind russische Truppen stationiert (AA 11.11.2015a).

Im Zuge der Auflösung der UdSSR erhöhten sich die Spannungen innerhalb Georgiens in den Gebieten Abchasien und Südossetien, als der autonome Status der Provinzen von georgischen Nationalisten in Frage gestellt wurde. Nach der georgischen Unabhängigkeit führten heftige Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung 1992 zu Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens, die aber von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurden. Der Konflikt um Südossetien wurde durch den Waffenstillstand von Sotschi 1992 vorübergehend befriedet; die OSZE erhielt ein Beobachtungsmandat. Seit 1994 galt ein insgesamt eingehaltener, im Moskauer Abkommen festgeschriebener Waffenstillstand, überwacht durch eine Beobachtergruppe der Vereinten Nationen (UNOMIG) in Zusammenarbeit mit einer GUS-Friedenstruppe. In Abchasien und Südossetien waren seither russische Truppen als sogenannte friedenserhaltende Kontingente präsent. Der Einfluss des nördlichen Nachbarlandes wuchs kontinuierlich, unter anderem durch Ausgabe russischer Pässe an die abchasische und südossetische Bevölkerung. Nach zahlreichen blutigen Zwischenfällen und Provokationen aller Seiten eskalierte der Konflikt um Südossetien am 7. August 2008 nach einem Vorstoß georgischer Truppen in die südossetische Hauptstadt Zchinwali zu einem georgisch-russischen Krieg, der nach fünf Tagen durch einen von der EU vermittelten Waffenstillstand beendet wurde. Am 26. August 2008 erkannte Russland Abchasien und Südossetien, einseitig und unter Verletzung des völkerrechtlichen Prinzips der territorialen Integrität Georgiens, als unabhängige Staaten an und schloss wenig später mit diesen Freundschaftsverträge ab, die auch die Stationierung russischer Truppen in den Gebieten vorsehen. Infolge des Krieges wurden nach Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen bis zu 138.000 Personen vorübergehend zu Vertriebenen und Flüchtlingen. Etwa 30.000 Georgier aus Südossetien konnten bis heute nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die zivile EU-Beobachtermission EUMM nahm Anfang Oktober 2008 in Georgien ihre Arbeit auf. Das OSZE-Mandat lief Ende 2008 aus, UNOMIG endete im Juni 2009. EUMM ist damit die einzige verbliebene internationale Präsenz zur Stabilisierung in Georgien (AA 11.11.2015b).

Der Rat der Europäischen Union verlängerte im Dezember 2014 das Mandat der EU-Beobachtermission EUMM für weitere zwei Jahre, bis Dezember 2016. Im Einklang mit dem russisch-georgischen Sechs-Punkte-Programm vom August 2008 soll die EUMM auch weiterhin die Stabilisierung und Normalisierung der Lage vor Ort unterstützen (EU-Council 16.12.2014).

Ein wichtiges diplomatisches Instrument zur De-Eskalierung des Konflikts sind die sogenannten "Geneva International Discussions - GID" (Genfer Internationale Gespräche). Diese finden seit 2008 unter Beteiligung der involvierten Konfliktparteien unter dem gemeinsamen Vorsitz von Vertretern der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der OSZE statt. Aus den Genfer Gesprächen resultierte der "Incident Prevention and Response Mechanism (IPRM)" sowie die Involvierung der EUMM, sodass die lokalen Sicherheitsbehörden der Konfliktparteien vor Ort in Kontakt treten können bzw. ihnen die Möglichkeit zum Dialog eröffnet wird. In einer Stellungnahme vom November 2014 beklagten die drei Ko-Vorsitzenden (UNO, EU, OSZE) die zunehmende Einschränkung der Bewegungsfreiheit hinsichtlich der Passierbarkeit der "Administrative Boundary Lines". Überdies betonten diese die Notwendigkeit erneuter Bemühungen seitens der Konfliktparteien humanitäre Probleme anzugehen, insbesondere die Lage der intern Vertriebenen (IDPs), der Flüchtlinge sowie der vermissten Personen (OSCE 6.11.2014).

Im Oktober 2015 äußerten sich die Mitglieder der GID anlässlich der Präsentation ihres Jahresberichtes positiv hinsichtlich der Entwicklung des Gesprächsklimas, das nun sehr viel inhaltorientierter sei, begleitet von der Öffnung von bilateralen Kontakten zwischen den Vertretern der Konfliktparteien (OSCE 22.10.2015).

Es gibt nur wenige Informationen über die Menschenrechtslage in Abchasien und Südossetien und es bleiben viele Missbrauchsvorwürfe bestehen. Insbesondere die facto-Machthaber in Südossetien erlauben lediglich dem Internationalen Roten Kreuz eingeschränkte Tätigkeit in der Region. (USDOS 25.6.2015).

Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, bestätigte 2014 die prekäre Situation während eines Besuches in Georgien. Trotz wiederholter Bemühungen sei dem UNO-Hochkommissariat die Einreise nach Abchasien und Südossetien stets verwehrt worden. Während im begrenzten Ausmaß Übertritte von und nach Abchasien auch für einige UNO-Agenturen möglich seien, besonders in den Bezirk Gali, sei Südossetien zu einem der unerreichbarsten Orte der Erde geworden. Nur das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) habe Zugang. Infolgedessen wisse man nur wenig, was innerhalb Südossetiens vorginge. Pillay besuchte auch das Dorf Khurwaleti an der administrativen Grenze, wo die örtliche Bevölkerung durch einen Stacheldrahtzaun, errichtet von den russischen Truppen, getrennt wurde, unter der gegebenen Situation leidet. Pillay versicherte an die russischen Behörden zu appellieren und sich um den Schutz der Menschenrechte zu kümmern (Civil.ge 22.5.2014, vgl. auch UN 21.5.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (11.11.2015a): Georgien, Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_8108DEE44ECFAF67827A2F89BA2ACDB3/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/GeorgienSicherheit_node.html, Zugriff 11.11.2015

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AA - Auswärtiges Amt (11.11.2015b): Staatsaufbau/Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 11.11.2015

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Civil.ge (22.5.2014): UN Human Rights Chief Sums Up Georgia Visit, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=27255, Zugriff 11.11.2015

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EU-Council - Council of the European Union (16.12.2014): EU Monitoring Mission in Georgia extended for two years (press release ST 16288/14),

http://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/?p=7, Zugriff 11.11.2015

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OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (6.11.2014): Geneva International Discussions remain unique and indispensable forum, Co-chairs tell OSCE Permanent Council, http://www.osce.org/cio/126442, Zugriff 11.11.2015

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OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (22.10.2015): Geneva International Discussions continue to provide unique platform for tackling issues of peace and stability, say Co-Chairs reporting to OSCE Permanent Council, http://www.osce.org/cio/193976, Zugriff 11.11.2015

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UN - United Nations in Georgia (21.5.2014): Pillay praises Georgia's plan to introduce comprehensive human rights reforms, http://www.ungeorgia.ge/eng/news_center/media_releases?info_id=237, Zugriff 11.11.2015

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014, Georgia, http://www.ecoi.net/local_link/306368/443643_de.html, Zugriff 11.11.2015

Regionale Problemzone: Abchasien

Die Autonome Republik Abchasien in Nordwest-Georgien gehört völkerrechtlich zu Georgien, steht seit 1993 aber nicht mehr unter der Kontrolle der georgischen Regierung. Die Sicherheitslage in diesem Landesteil ist seitdem prekär. Es kommt zu Zwischenfällen, auch krimineller Natur. In einigen Teilen der Region liegen teils nicht gekennzeichnete Minenfelder. Abchasien ist für den internationalen Reiseverkehr gesperrt. Eine legale Ein- und Ausreise in bzw. aus dem Gebiet heraus ist gemäß dem georgischen "Gesetz über die besetzten Gebiete" über die russisch-georgische Grenze in Abchasien nicht möglich. Ein Zuwiderhandeln in diesem Fall, aber auch wirtschaftliche Aktivitäten, und der Erwerb von Immobilien in Abchasien können von den georgischen Behörden mit Haftstrafen bis zu fünf Jahren geahndet werden (AA 11.11.2015).

Abchasien erstreckt sich auf einer Fläche von rund 8.600 Quadratkilometern. Nach offiziellen Angaben beträgt die Einwohnerzahl 240.000. Beobachter vor Ort rechnen mit maximal 190.000 Einwohnern (NZZ 31.5.2014).

Das Rote Kreuz schätzt die Opferzahl der kriegerischen Auseinandersetzungen der neunziger Jahre auf 10.000 bis 15.000. Andere Quellen führen bis zu 30.000 Tote an. Von den 200.000 geflüchteten ethnischen Georgiern, sind zwischen 40.000 und 60.000 zurückgekehrt, insbesondere in die Region Gali. Laut einer Volkszählung aus dem Jahr 2011 machen Georgier rund 19% der Einwohner Abchasiens aus (FP 26.8.2014).

Viele Abchasen besitzen einen russischen Pass. Nur nach Russland und in die Türkei können sie ohne erheblichen administrativen Aufwand reisen. Die politische, wirtschaftliche und militärische Schutzmacht Russland begleicht laut westlichen NGOs bis zu drei Vierteln des abchasischen Haushalts (NZZ 31.5.2014).

Die Unabhängigkeit von Abchasien wird nur von Russland, Venezuela, Nicaragua und dem Pazifikstaat Nauru anerkannt, nachdem zwei andere pazifische Inselstaaten ihre vormalige Anerkennung zurückgezogen haben (RFE/RL 31.3.2014).

Moskau hat seit 2008 mindestens 465 Mio. US-Dollar in den Erhalt und Ausbau der militärischen Infrastruktur investiert. Laut russischer offizieller Stellen umfasst das in Abchasien stationierte Militär- und Sicherheitspersonal 5.000 Personen. Nach der "Verfassung" von 1999 ist Abchasien eine Präsidialrepublik. Nur ethnische Abchasen können Präsident werden. Die 35 Parlamentssitze werden für fünf Jahre gewählt. Jene über 200.000 ethnischen Georgier, welche im Zuge der Kriegshandlungen 1992-93 flüchteten, sind von den abchasischen Wahlen ausgeschlossen. Im März 2012 wurden "Parlamentswahlen" in Abchasien abgehalten, wobei die mehr als 20.000 ethnischen Georgier, die noch im Bezirk Gali leben, aus dem Wählerregister gestrichen wurden. Die Wahlen markierten einen Wechsel hin zu unabhängigen Kandidaten, die 28 von 35 Parlamentssitzen errangen. Keine der Wahlen in der Separatistenrepublik wurde international anerkannt (FH 28.4.2015).

Nach Massenprotesten und einer deklarativen Absetzung durch das abchasische Parlament trat Ende Mai 2014 Alexander Ankwab als Präsident des Landes zurück. Kritiker warfen Ankwab zunehmend autoritäres Gebaren vor. Er hätte selbstherrlich über die Moskauer Subventionen verfügt und diese statt für die Realwirtschaft für Prestigeprojekte verwendet oder geradewegs in die eigene Tasche abgezweigt. Auch die Aussöhnung zwischen Abchasen und ethnischen Georgiern hätte er vernachlässigt. Kritik musste sich auch Russland gefallen lassen, das allerdings an Ankwab nicht festzuhalten schien. Teile der politischen Opposition forderten, dass das Verhältnis zu Russland neu definiert werden müsse. Denn die Abhängigkeit von Russland berge Gefahren (NZZ 1.6.2014).

Am 24.8.2014 gewann der Oppositionspolitiker und ehemalige KGB-Offizier Raul Chadschimba bereits im ersten Wahlgang die vorgezogenen Präsidentschaftswahl in Abchasien. Chadschimba war Anführer der Protestbewegung, die den amtierenden Präsidenten Alexander Ankwab drei Monate zuvor zu Fall brachte. Größte Herausforderung auch für Chadschimba bleibt die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage (NZZ 24.8.2014). Von den Präsidentschaftswahlen ausgeschlossen blieben schätzungsweise 22.000 ethnische Georgier, die nach Abchasien zurückkehrten. Ihnen wurde das Wahlrecht mit dem Argument entzogen, sie hätten ihre abchasischen Pässe illegal erworben (FP 26.8.2014).

Am 24. November 2014 unterzeichneten Russland und Abchasien in Sotschi ein Abkommen über "Verbündetenbeziehungen und strategische Partnerschaft". Dieses betrachtet künftig einen bewaffneten Angriff auf Abchasien als Angriff auf Russland und vice-versa. Weiters verpflichtet es Russland, sich für die internationale Anerkennung Abchasiens stark zu machen. Obgleich offiziell von gleichwertigen Beziehungen zweier souveräner Staaten gesprochen wird, gibt es in Abchasien kritische Stimmen, wonach Moskau damit zu viel Kontrolle über Abchasien zugestanden wurde. Anlässlich der Unterzeichnung sagte Russlands Präsident Putin eine Verdoppelung der Finanzhilfe für Suchumi zu (RFE/RL 24.11.2014).

Die abchasischen Behörden beschränken weiterhin die Rechte vorwiegend von ethnischen Georgiern. Dazu gehören insbesondere das Wahlrecht, das Eigentumsrecht, das Recht ein Gewerbe zu registrieren sowie das Reiserecht (USDOS 25.6.2015).

Mit Beginn des Schuljahres 2015/16 haben die abchasischen Behörden Georgisch als Unterrichtssprache im Bezirk Gali, der von ethnischen Georgiern bewohnt wird, abgeschafft (GT 3.9.2015). Die Europäische Union zeigte sich darüber besorgt und rief die abchasischen Behörden dazu auf, das universelle Kinderrecht auf Bildung zu schützen, denn es bedeute einen Bruch dieses Rechts, wenn weder Lehrer noch Schüler angemessen der Unterrichtssprache folgen können (EU 22.10.2015).

Die abchasischen Behörden inhaftieren weiterhin viele Personen, die die "Grenze" illegal überquert haben sollen. Russische Grenzwächter entlang der Verwaltungsgrenze zwischen Abchasien und Georgien setzen normalerweise die Regeln der abchasischen Machthaber um. Die Festgenommenen werden an die abchasischen Behörden übergeben, welche die meisten nach fünf Tagen wieder freilassen. Allerdings werden manche auch länger festgehalten. Es gab Berichte über willkürliche Verhaftungen von Georgiern in den abtrünnigen Gebieten. Ihnen wurden die Gründe für die Haft nicht mittgeteilt und sie wurden auch keinem Ankläger vorgeführt. Menschenrechtsgruppen zufolge inhaftieren die de facto-Machthaber willkürlich Georgier, um Gefangenenaustäusche mit Georgien zu verhandeln. Das abchasische Rechtssystem verbietet es Georgiern, die während oder nach dem Krieg 1992-93 geflohen sind, ihr Eigentum einzufordern, was einer Enteignung gleichkommt (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (11.11.2015): Georgien. Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_8108DEE44ECFAF67827A2F89BA2ACDB3/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/GeorgienSicherheit_node.html, Zugriff 11.11.2015

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EU - European Union (22.10.2015): OSCE Permanent Council No 1072 Vienna, 22 October 2015; EU Statement in Response to the Report of the Co-chairs of the Geneva International Discussions [PC.DEL/1400/15],

http://eeas.europa.eu/delegations/vienna/documents/eu_osce/permanent_council/2015/pc_1072_eu_reply_geneva_co-chairs.pdf, Zugriff 11.11.2015

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FH - Freedom House (28.4.2015): Freedom of the Press 2015 - Abkhazia, http://www.ecoi.net/local_link/309928/433834_en.html, Zugriff 11.11.2015

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FP - Foreign Policy (26.8.2014): You Can't Go Home Again, http://foreignpolicy.com/2014/08/26/you-cant-go-home-again-4/?wp_login_redirect=0, Zugriff 11.11.2015

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GT - Georgia Today (3.9.2015): Georgian Language Banned from Gali Schools,

http://georgiatoday.ge/news/1111/Georgian-Language-Banned-from-Gali-Schools, Zugriff 11.11.2015

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (1.6.2014): Machtwechsel im isolierten Abchasien,

http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/machtwechsel-im-isolierten-abchasien-1.18313552, Zugriff 11.11.2015

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (25.8.2014): Die Rolle der Schutzmacht Russland - Früherer KGB-Offizier Präsident Abchasiens, http://www.nzz.ch/international/frueherer-kgb-offizier-praesident-abchasiens-1.18369977, Zugriff 11.11.2015

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (31.5.2014): Frustration über Misswirtschaft - Politische Pattsituation in Abchasien, http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/kritik-an-der-schutzmacht-russlands-politische-pattsituation-in-abchasien-1.18313140, Zugriff 11.11.2015

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.11.2015): Russia Strengthens Grip On Abkhazia With New Pact, http://www.rferl.org/content/georgia-russia-abkhazia/26707329.html, Zugriff 11.11.2015

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (31.3.2014): Tuvalu Retracts Recognition Of Abkhazia, South Ossetia, http://www.rferl.org/content/tuvalu-georgia-retracts-abkhazia-ossetia-recognition/25315720.html, Zugriff 11.11.2015

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USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014, Georgia, http://www.ecoi.net/local_link/306368/443643_de.html, Zugriff 11.11.2015

Rechtsschutz/Justizwesen

Georgien unternimmt Anstrengungen, sich bei der Rechtsreform und der Wahrung der Menschen- und Minderheitenrechte den Standards des Europarats anzupassen. 1996 wurde ein Verfassungsgericht eingerichtet, 1997 die Todesstrafe abgeschafft und 2007 die Abschaffung der Todesstrafe in der Verfassung verankert. In den Jahren seit der "Rosenrevolution" 2003/2004 hat Georgien anerkennenswerte Fortschritte bei der Polizeireform, dem erfolgreichen Kampf gegen die "Kleine Korruption" (Korruption im alltäglichen Umgang), der Reform der Steuergesetzgebung und der Verbesserung der Investitionsbedingungen erzielt. Im Rahmen der Justizreform wurde der Instanzenzug neu geregelt und eine radikale Verjüngung der Richterschaft durchgesetzt. Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz bleiben bestehen. Reformen im Justizbereich und Strafvollzug gehören zu den Prioritäten der im Oktober 2012 ins Amt gewählten neuen Regierung und zielen insbesondere auf die Entpolitisierung des Justizsektors, die Sicherstellung der Unabhängigkeit der Richter, des Gerichtswesens und der Strafverfolgungsbehörden sowie die Stärkung der Rechte von Opfern (AA 11.11.2015; vgl. EC 25.3.2015).

Generell machte Georgien einige Fortschritte in der Implementierung der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) sowie der Assoziationsagenda. Merkliche Erfolge wurden in den Bereichen der Menschenrechte, der grundlegende Freiheiten und Prozesses der Visaliberalisierung. Anti-Diskriminierungsgesetze erzielt, und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft fortgesetzt. Allerdings ist der Raum für den Dialog zwischen Zivilgesellschaft und der Regierung, im Unterschied zum Parlament, enger geworden (EC 25.3.2015).

Verfassung und Gesetze garantieren eine unabhängige Justiz, aber die Einflussnahme von außen wie innen bleibt ein Problem. Verfassung und Gesetze garantieren einer Person, der aus Willkürakten, einschließlich Menschenrechtsverletzungen, Schaden entstanden ist, das Recht auf eine Zivilklage. Nach Ausschöpfung des Rechtsweges besteht das Recht beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ihr Recht einzuklagen. Trotz der verfassungsrechtlich verankerten Unabhängigkeit der Justiz und den Anzeichen, dass diese zugenommen hat, bestehen diesbezüglich weiterhin Herausforderungen. Laut der der NGO "Koalition für eine unabhängige und transparente Justiz" stellten der mangelhafte Auswahlprozess beim Obersten Gerichtshof sowie das unklare Prozedere bei möglichen Disziplinarmaßnahmen gegen Richter eine Herausforderung dar (USDOS 25.6.2015).

Nach dem Regierungswechsel 2012 nahm die Staatsanwaltschaft tausende Beschwerden entgegen, die sie in drei Kategorien unterteilte:

Verletzung von Eigentumsrechten, Folter und Misshandlungen sowie die missbräuchliche Anwendung von Prozessabsprachen. Daraufhin wurden Dutzende Fälle nach dem Strafgesetz initiiert, welche sich vor allem gegen ehemalige Offizielle richteten. Angesichts fehlender Bestimmungskriterien zur Verfolgung der Straffälle sowie des Eindrucks, dass überwiegend Beamte der vormaligen Regierungspartei "Vereinte Nationale Bewegung" betroffen waren, behauptete die Opposition, dass ihre Aktivisten aus politischen Gründen ins Visier genommen würden. Im Juli 2014 wurde Expräsident Micheil Saakaschwili für mehre Vergehen angeklagt, darunter Veruntreuung und Überschreitung der Amtsgewalt in mehreren Fällen. Über Saakaschwili, der im November 2013 in die USA emigrierte, wurde seitens des Gerichts die Untersuchungshaft in Abwesenheit verhängt. Georgien's internationale Partner, darunter die EU und die USA zeigten sich ob der Strafanzeigen gegen Saakaschwili besorgt. Sie drängten die Behörden, sich strikt an die Verfahrensvorschriften zu halten und zu gewährleisten, dass die Anklage frei von politischen Motiven ist (HRW 29.1.2015, vgl. auch UN-HRC 19.8.2014).

Die Untersuchungen gegen ehemalige Amtsträger wurden fortgesetzt. Bislang wurden 35 Amtsträger der ehemaligen Regierung wegen Straftaten angeklagt. Darüber hinaus gab es Anklagen gegen eine erkleckliche Anzahl von Beamten (EC 25.3.2015).

Im Mai 2013 wurde per Gesetzesänderung die Zusammensetzung des "Hohen Justizrates" neu bestimmt, einer Verfassungsinstitution, die das Justizsystem verwaltet. Die 15 Ratsmitglieder ernennen und entlassen unter anderem Richter und managen Reformen im Justizsystem. Der georgische Präsident verlor seine umfangreichen Rechte hinsichtlich der Ernennung der Mitglieder. Stattdessen werden acht Ratsmitglieder durch die Richterkonferenz, einer Selbstverwaltungskörperschaft aus neun Richtern, gewählt. Das Parlament wählt sechs Mitglieder, die jedoch nicht selbst Abgeordnete sein dürfen. Der Staatspräsident ernennt zwei Räte. Der Präsident des Obersten Gerichtshofes sitzt dem Gremium vor (zuvor war es der Staatspräsident gewesen). Dies wird als ein wesentlicher Schritt zur Befreiung des Hohen Justizrats von politischer Einflussnahme betrachtet (FH 12.6.2014, vgl. auch HCOJ 9.3.2015). Der Menschenrechtskommissar des Europarates Nils Muižnieks begrüßte 2014, dass der Hohe Justizrat damit gegenüber politischer Einflussnahme weniger verwundbar sei, empfahl aber weitere Verbesserungen in diesem Bereich (CoE-CommHR 12.5.2014).

Der georgische Ombudsmann sowie NGOs verurteilten Verfahrensverletzungen inklusive die Verletzung der Unschuldsvermutung sowie die Einschüchterungen während der Einvernahme, wobei sie sich wegen der verlängerten Untersuchungshaft besorgt zeigten (EC 25.3.2015).

Seit 2004 hat die Regierung die Ausgaben für die Justiz erhöht, was zu substantiellen Verbesserungen bei Gehältern, Infrastruktur und Personalausstattung führte. Trotz umgesetzter Reformen und einem Bekenntnis zum Modell der Europäischen Menschenrechtskonvention ist die Justiz bei Kriminalfällen weiterhin dem Einfluss der Staatsanwaltschaft und der Exekutive ausgesetzt, speziell wenn politische Interessen berührt werden. Waren früher Freisprüche in Kriminalfällen in Georgien sehr selten, was die große Lastigkeit der Justiz zugunsten der Staatsanwaltschaft demonstrierte, scheint sich eine Trendwende eingestellt zu haben. Seit 2013 gab es mehr Freisprüche in Fällen, die von der Staatsanwaltschaft eingeleitet wurden, als in früheren Jahren (FH 12.6.2014).

Der Menschenrechtskommissar des Europarates begrüßte 2014 die Reformen, welche auf die Liberalisierung der Strafjustiz, die Reduzierung der Anwendung der Untersuchungshaft und die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz abzielten. Allerdings seien weitere Anstrengungen nötig, das bestehende Ungleichgewicht zwischen Verteidigung und Strafverfolgungsbehörden anzugehen und hierbei die "Gleichheit der Waffen" in Gesetzgebung und Praxis zu stärken. Obgleich der Meinungsgleichklang zwischen Richtern und Staatsanwälten abgenommen habe, sei eine fortlaufende Wachsamkeit von Nöten, die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren und zu stärken. Letztendlich sei auch die Effizienz und die Professionalität des Büros des Generalstaatsanwaltes als Schlüsselinstitution des Justizsystems zu stärken (CoE-CommHR 12.5.2014).

Transparency International Georgia (TIG) stellt aus seiner vierjährigen Beobachtung der Gerichte einige positive Entwicklungen fest: Die Erfolgsquote der Staatsanwaltschaft sank von 85% zu Beginn auf 53% am Ende der Beobachtungsperiode. Hinsichtlich der Offenheit und Transparenz von Prozessen gab es laut TIG merkbare Verbesserungen. Gerichtsverhandlungen dürfen nun akustisch und visuell aufgezeichnet und übertragen werden. Sie sind für die Medien zugänglich. Schlussendlich begännen Verhandlungen pünktlicher, d.h. zum tatsächlich angesetzten Termin. Nichtsdestoweniger wurden auch bedenkliche Trends ausgemacht, insbesondere wenn es sich um für die Öffentlichkeit wichtige Fälle handelte. Die Richter hätten hierbei nicht nur im Sinne der Staatsanwaltschaft entschieden, sondern auch die Verfahrensregeln zugunsten letzterer gebrochen. Am Beispiel des Stadtgerichtes von Tiflis zeigte sich auch, dass die Gerichte im Allgemeinen infolge einer zu geringen Anzahl an Richtern schwer das gestiegene Ausmaß an Fällen bewältigen können (TI-G 4.12.2014, vgl. auch OSCE 9.12.2014).

Im August 2014 äußerten sich die OSZE und der Europarat gemeinsam zur Strafprozessordnung in Georgien. Trotz Übereinstimmung mit internationalen Standards bestehe der Bedarf, einerseits das Risiko exzessiver Prozessabsprachen (plea-bargaining) sowie Ungleichgewichte bei den Verurteilungen zu reduzieren. Andererseits sollten die Rechte der Beschuldigten in der vorprozessualen Phase, während des Gerichtsprozesses sowie bei Prozessen in Abwesenheit gestärkt werden. Letztere sollten abgeschafft oder auf ein Minimum reduziert werden (OSCE/CoE 22.8.2014). Die Verwaltungshaft wurde 2014 von drei Monate auf 15 Tage verkürzt (HRW 29.1.2015).

Das System der Prozessabsprachen wurde insbesondere von der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Navi Pillay, kritisiert. Nebst der extrem hohen Zahl an Straffällen, die durch Prozessabsprachen gelöst werden, führe dieses System dazu, dass Unschuldige keine andere Option hätten außer der Bezahlung der seitens der Staatsanwaltschaft geforderten exorbitant hohen Strafen. Dies auch, weil die Richter in diesen Fällen nur minimal involviert seien. Den Betroffenen drohe von vornherein die Bestrafung, wenn deren Fall vor Gericht käme. Das System der Prozessabsprachen stelle somit eine Form der behördlich sanktionierten Erpressung dar, die dazu führe, dass Menschen ihr Heim oder ihr Geschäft verlören (UN 21.5.2014).

Der Sonderbeauftragte der Europäischen Union Thomas Hammarberg, verfasste im Sommer 2014 seinen abschließenden Bericht zur Justizreform in Georgien. Hammarberg stellte zwar eine Zunahme der Unabhängigkeit und Transparenz der Justiz sowie eine Verbesserung der Gerichtsurteile in ihrer Substanz fest, doch bliebe der Fortschritt im Gerichtswesen fragil. Deshalb gelte es die Regeln zur Richterernennung weiter zu verbessern. Die mangelnde Rechenschaftspflicht seitens der Staatsanwaltschaft bleibe ein Problem. Nach der Trennung des Büros der Staatsanwaltschaft vom Justizministerium mangle es an der Aufsicht über Leistungen der Staatsanwaltschaft, sodass die Beschädigung des Ansehens des gesamten Justizsystems drohe. Die Aufsicht über die Rechtsvollzugsorgane sei ein generelles Problem. Es bestünde in diesem Zusammenhang der Bedarf nach einem unabhängigen und effektiven Beschwerdesystem. Denn die gegenwärtige Beschwerdepraxis trüge zu Misstrauen in das System bei. Hinsichtlich der Beschwerden gegen den Staat wie beispielsweise im Falle von "unfreiwilliger" Verstaatlichung privater Immobilien (ca. 700 Fälle) oder Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit sollte der Staat trotz finanzieller Bürden eine Strategie zur adäquaten Entschädigung aller Opfer schaffen (TH 9.7.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (11.11.2014): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 11.11.2015

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CoE-CommHR - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (12.5.2014): Report by Nils Muižnieks Commissioner for Human Rights of the Council of Europe following his visit to Georgia from 20 to 25 January 2014,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1400594411_com-instranetgeorgia.pdf, Zugriff 11.11.2015

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EC - European Commission (25.3.2015): Implementation Of The European Neighbourhood Policy In Georgia Progress In 2014 And Recommendations For Actions Accompanying The Document Joint Communication To The European Parliament, The Council, The European Economic And Social Committee And The Committee Of The Regions [SWD(2015) 66 final],

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1427816142_georgia-enp-report-2015-en.pdf, 11.11.2015

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FH - Freedom House (12.6.2014): Nations in Transit 2014 - Georgia, http://www.ecoi.net/local_link/277847/411144_de.html, Zugriff 11.11.2015

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HCOJ - High Council of Justice (10.2.2015): History of the HCOJ, http://hcoj.gov.ge/en/about/history-of-hcoj, Zugriff 11.11.2015

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HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Georgia, http://www.ecoi.net/local_link/295489/430521_de.html, Zugriff 11.11.2015

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OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (9.12.2014): Trial Monitoring Report Georgia,

http://www.osce.org/odihr/130676?download=true, Zugriff 11.11.2015

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OSCE/CoE - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, Council of Europe (22.8.2014): Joint Opinion on the Criminal Procedure Code of Georgia, http://www.legislationline.org/documents/id/19351, Zugriff 11.11.2015

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TH - Thomas Hammarberg (9.7.2014): Progress and Challenges on Human Rights in Georgia - Recommendations to the Government of Georgia,

http://eeas.europa.eu/delegations/georgia/key_eu_policies/human_rights/hammarber_reports/th_recomm072014_en.htm, Zugriff 11.11.2015

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TI-G - Transparency International Georgia (4.12.2014): Three years of court monitoring on administrative cases revealed significant improvements, but problems still remain, http://transparency.ge/en/post/report/three-years-court-monitoring-administrative-cases-revealed-significant-improvements-problems-still-remain, Zugriff 11.11.2015

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UN - United Nations in Georgia (21.5.2014): Pillay praises Georgia's plan to introduce comprehensive human rights reforms, http://www.ungeorgia.ge/eng/news_center/media_releases?info_id=237, Zugriff 11.11.2015

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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