TE Vwgh Erkenntnis 2019/7/4 Ra 2017/06/0210

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Veröffentlicht am 04.07.2019
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §66 Abs4
AVG §68 Abs1
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs3
VwGVG 2014 §28 Abs5
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Dr. Bayjones, Mag.a Merl, Mag. Rehak und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, über die Revision des Gemeinderates der Marktgemeinde Großpetersdorf in 7503 Großpetersdorf, vertreten durch Rechtsanwälte Steflitsch OG in 7400 Oberwart, Hauptplatz 14, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Burgenland vom 8. August 2017, E GB5/10/2017.019/002, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. F B und 2. E B, beide in G und vertreten durch Dr. Johannes Schuster und Mag. Florian Plöckinger, Rechtsanwälte in 1020 Wien, Praterstern 2/1.DG; weitere Partei:

Burgenländische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag des Revisionswerbers auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 Die mitbeteiligten Parteien sind je zur Hälfte Eigentümer des als "BM - Bauland-gemischtes Baugebiet" gewidmeten Grundstückes Nr. X EZ Y KG G. Auf diesem Grundstück soll eine überdachte Garage errichtet werden.

2 Nachdem ein erstes Bauansuchen der erstmitbeteiligten Partei vom 19. Oktober 2010 letztlich am 26. März 2014 zurückgezogen worden war und das Landesverwaltungsgericht Burgenland (LVwG) das diesbezügliche Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 2. April 2014 eingestellt hatte, brachte die erstmitbeteiligte Partei am 5. März 2015 ein weiteres Bauansuchen beim Bürgermeister der Marktgemeinde G. (im Folgenden: Bürgermeister) ein. Mit Eingabe vom 11. Juni 2015 an die Gemeinde urgierte die erstmitbeteiligte Partei die Erledigung ihres Antrages, weil die Frist von drei Monaten verstrichen sei.

3 Der Bürgermeister beraumte eine mündliche Bauverhandlung am 9. September 2015 an, in der der mit dem Bauansuchen vorgelegte Einreichplan vom Dezember 2014, Plan Nr. G 540.03, erörtert sowie ein weiterer Plan als Beilage A zum Protokoll genommen wurde, der die Ausführung der verfahrensgegenständlichen Garage mit einem Schrägdach vorsieht. (Anmerkung: Mit der Ausführung der Garage mit Schrägdach laut Beilage A wären die Anrainer einverstanden gewesen.) Das Protokoll wurde von der erstmitbeteiligten Partei nicht unterfertigt.

4 Der Bürgermeister versagte mit Bescheid vom 5. November 2015 die Erteilung der Baubewilligung für das beantragte Vorhaben gemäß dem (Einreich-)Plan Nr. G 540.03 (Spruchpunkt I.) und erteilte der erstmitbeteiligten Partei die Baubewilligung gemäß dem Plan Beilage A zum Protokoll vom 9. September 2015 (Spruchpunkt II.). 5 Mit Schreiben vom 16. November 2015 an den Bürgermeister erklärte die erstmitbeteiligte Partei, mit dem Bescheid "nicht einverstanden" zu sein.

6 Der Bürgermeister teilte der erstmitbeteiligten Partei hierauf mit Schreiben vom 17. November 2015 mit, dass die Eingabe vom 16. November 2015 nicht als Berufung anerkannt werde, weil sie keinen begründeten Berufungsantrag enthalte.

7 In einem Schreiben vom 27. November 2015 führte die erstmitbeteiligte Partei als Berufungsantrag an: "Besitzstörung, Bauordnung und Seelische Belastung."

8 Der Bürgermeister setzte die erstmitbeteiligte Partei sodann mit Schreiben vom 17. Dezember 2015 in Kenntnis, dass die "Beschwerden" laut dem Schreiben vom 27. November 2015 kein begründeter Berufungsantrag seien und das Berufungsverfahren nicht weitergeführt werde.

9 Das nunmehr verfahrensgegenständliche, von beiden mitbeteiligten Parteien eingereichte Bauansuchen vom 1. August 2016 auf Errichtung einer Garage wurde vom Bürgermeister mit Bescheid vom 14. Dezember 2016 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, weil im Vergleich zum Bauansuchen vom 5. März 2015 nur geringfügige Änderungen vorlägen.

10 Die dagegen von den mitbeteiligten Parteien erhobene Berufung wies der Revisionswerber mit Bescheid vom 9. Jänner 2017 ab.

11 In ihrer Beschwerde an das LVwG machten die mitbeteiligten Parteien geltend, das nunmehrige Bauvorhaben sei nicht ident mit dem früheren, es lägen wesentliche Sachverhaltsänderungen vor. 12 Mit dem angefochtenen Beschluss gab das LVwG der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien gemäß § 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG statt, hob den Bescheid des Revisionswerbers auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an diesen zurück. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei. 13 In seiner Begründung gab das LVwG zunächst als Sachverhalt den Grundbuchsstand sowie die Eigentumsverhältnisse am Baugrundstück sowie den angrenzenden Grundstücken wieder, referierte den bisherigen Verfahrensverlauf und stellte dies als entscheidungsrelevanten Sachverhalt fest. Nach Wiedergabe des Beschwerdevorbringens und Darstellung von Rechtsgrundlagen führte das LVwG (zusammengefasst) aus, es liege keine rechtskräftig entschiedene Sache vor. Der Bescheid des Bürgermeisters vom 5. November 2015 sei nicht in Rechtskraft erwachsen, weil das als Berufung zu wertende Schreiben der erstmitbeteiligten Partei vom 16. November 2015 weder zurück- noch abgewiesen worden sei. Im Übrigen sei die im Spruchpunkt II. dieses Bescheides erteilte Baubewilligung unzulässig, weil diesbezüglich kein schriftliches Bauansuchen vorlegen sei. Die erstmitbeteiligte Partei habe dem Bauvorhaben (auf Ausführung des Vorhabens mit einem Schrägdach) zwar mündlich zugestimmt, die Verhandlungsschrift jedoch nicht unterfertigt. Auch sei der Bürgermeister zur Erlassung des Bescheides vom 5. November 2015 auf Grund des zulässigen und begründeten "Devolutionsantrages" der erstmitbeteiligten Partei vom 11. Juni 2015 nicht mehr zuständig gewesen. Die Zuständigkeit sei mit dem Einlangen des Devolutionsantrages auf den Revisionswerber übergegangen.

Da keine rechtskräftig entschiedene Sache vorliege, sei es nicht von Relevanz, ob der Gegenstand des Bauansuchens vom 5. März 2015 mit jenem vom 1. August 2016 ident sei (Hinweis auf § 13 Abs. 8 AVG). Die Baubehörde werde im fortzusetzenden Verfahren zu klären haben, für welches Bauvorhaben um baubehördliche Bewilligung angesucht worden sei. Bei ausdrücklicher Aufrechterhaltung des späteren Bauansuchens sei das frühere als zurückgezogen zu werten.

Die Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 1 bis 3 VwGVG begründete das LVwG nach Wiedergabe von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes damit, dass die Baubehörde erster Instanz das Bauansuchen zurück- und die Baubehörde zweiter Instanz die Berufung ohne weiteres Verfahren abgewiesen habe. Dem LVwG käme vorliegendenfalls daher "nicht nur die Überprüfung und Ergänzung" des Bauverfahrens zu. (Es folgen Ausführungen, welche Verfahrensschritte im fortzusetzenden Verfahren vorzunehmen seien:

Erledigung des Devolutionsantrages vom 11. Juni 2015, Berücksichtigung der Berufung der erstmitbeteiligten Partei gegen den Bescheid vom 5. November 2015, Klärung der Frage, für welches Bauvorhaben um baubehördliche Bewilligung angesucht worden sei, Nachholung des unterbliebenen Bauverfahrens).

14 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision, in der eine Entscheidung in der Sache, in eventu die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

15 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der die kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16 Die Revision erweist sich angesichts der Ausführungen zum Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichts in Verbindung mit dem gerügten Verfahrensmangel als zulässig.

17 "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist - ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs - jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. VwGH 17.12.2014, Ra 2014/03/0049). Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, dann ist "Sache" sowohl eines Berufungsverfahrens vor einer im administrativen Instanzenzug übergeordneten Berufungsbehörde als auch eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die "Rechtmäßigkeit der Zurückweisung" (vgl. VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002, 0003, mwN).

18 Die Zurückweisung des Bauansuchens vom 1. August 2016 mit Bescheid des Bürgermeisters vom 14. Dezember 2016 wurde mit der Identität dieses Bauvorhabens mit jenem, das bereits dem Bescheid vom 5. November 2015 zu Grunde lag, begründet. "Sache" des Verfahrens vor dem LVwG war daher ausschließlich diese Frage. Die Prüfung, ob das neuerliche Bauansuchen deshalb zurückzuweisen war, setzte jedoch entgegen der Auffassung des LVwG die Beurteilung voraus, ob es sich bei dem am 1. August 2016 neu beantragten Projekt um ein mit dem im Jahr 2015 beantragten Vorhaben identisches Projekt handelte. Gleichgültig, ob das Verfahren über den Antrag vom 5. März 2015 im Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Antrag vom 1. August 2016 bereits abgeschlossen war oder nicht, erwiese sich die Zurückweisung als rechtmäßig, wenn es sich um einen identischen Antrag handelte. 19 Sollte nämlich das Verfahren über den Antrag vom 5. März 2015 tatsächlich bereits rechtskräftig abgeschlossen gewesen sein, wäre ein auf dasselbe Vorhaben bezogenes Ansuchen gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen.

In gleicher Weise wäre aber ein identischer Antrag während laufendem Verfahren über den am 5. März 2015 eingebrachten Antrag zurückzuweisen gewesen.

20 Das LVwG hat verkannt, dass Sache seines Verfahrens lediglich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des neuen Antrags durch die Verwaltungsbehörde war. Diese Prüfung setzt lediglich die Beurteilung der Identität der Vorhaben voraus, nicht jedoch die Führung eines Bauverfahrens oder die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Erörterung des neuen Antrags in der Sache. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Zurückweisung eines Bauantrags nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben werden könnte, kommt dem Umstand, dass noch kein inhaltliches Verfahren über den Bauantrag geführt wurde, im Revisionsfall keine Relevanz zu. Eine Aufhebung des bekämpften Bescheids der Verwaltungsbehörde und Zurückverweisung der Sache kommt im Fall der Bekämpfung der gegenständlichen Zurückweisung nur in Betracht, wenn die Unterlassung der Prüfung der Identität der Anträge ausnahmsweise die Aufhebung und Zurückweisung iSd § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigte. Da nach der hg. Rechtsprechung auch die allfällige Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bereits zur Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG berechtigt, hätte das LVwG auch im vorliegenden Fall die Prüfung der Identität der Anträge selbst vorzunehmen gehabt. Im Revisionsfall kommt hinzu, dass das LVwG ohnehin festgestellt hat, dass ZT Bmstr. Architekt M mit dem Vergleich der Einreichunterlagen vom 1. August 2016 und jenem Plan, hinsichtlich dessen es bereits zur Abweisung des Bauantrags vom 5. März 2015 gekommen sei, beauftragt worden sei. Es hat es jedoch aufgrund seiner verfehlten Rechtsansicht, dass es auf die Identität der Anträge nicht ankäme, verabsäumt, Feststellungen dazu zu treffen, ob nun tatsächlich Identität vorlag oder nicht.

21 Zur Vermeidung von Missverständnissen ist hinzuzufügen:

Eine Aufhebung der Zurückweisung eines Antrags, weil das LVwG der Meinung ist, dass die Zurückweisung zu Unrecht erfolgte, wäre keine Aufhebung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG. Sie würde gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG die Verpflichtung der Verwaltungsbehörden auslösen, das Bauverfahren über den Antrag durchzuführen (insofern ist zu beachten, dass die gelegentlich vorgenommene Bezeichnung einer solchen Aufhebung als "ersatzlose Aufhebung" nur im Hinblick auf ein als selbständig verstandenes "Zurückweisungsverfahren" berechtigt ist, im Übrigen aber gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG das Verfahren über den zunächst unzulässiger Weise zurückgewiesenen Antrag zu führen ist; vgl. in diesem Sinne VwGH 9.9.2016, Ro 2016/12/0002, Rn 48).

22 Das LVwG hat in mehrfacher Verkennung der Rechtslage somit ohne die erforderlichen Feststellungen über die Identität der betreffenden Anträge eine Aufhebung und Zurückverweisung vorgenommen, aus welcher sich das Erfordernis der Verwaltungsbehörden ergab, in Bindung an die Rechtsansicht des LVwG ein Bauverfahren über einen Antrag durchzuführen, welcher möglicherweise zurückzuweisen war (sodass die vor dem LVwG bekämpfte Entscheidung sich als rechtmäßig erwiese). 23 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 24 Der Antrag des Revisionswerbers auf Zuerkennung von Aufwandersatz war abzuweisen, weil gemäß § 47 Abs. 4 VwGG im Fall des Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG diesem kein Aufwandersatz gebührt. Wien, am 4. Juli 2019

Schlagworte

Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz (siehe auch Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung)Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017060210.L00

Im RIS seit

02.09.2019

Zuletzt aktualisiert am

02.09.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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