TE Vwgh Erkenntnis 1998/12/15 95/20/0619

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Veröffentlicht am 15.12.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des ÖC, vertreten durch Dr. Gabriel Liedermann, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Gudrunstraße 143, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. August 1995, Zl. 4.338.772/1-III/13/92, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 11. März 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 13. März 1992 Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 18. März 1992 gab er nach dem Inhalt der darüber aufgenommenen Niederschrift u.a. an, als Angehöriger der kurdischen Minderheit in seinem Heimatort in der "Zwickmühle" zwischen der türkischen Miliz und den kurdischen Partisanen gewesen zu sein, wobei er weder die eine noch die andere Seite unterstützen wolle. Für einen Kurden sei es unmöglich, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Lebensbedingungen seien in mehrfacher Hinsicht schlecht und als Kurde stoße man überall auf Ablehnung. In das Haus, in dem der Beschwerdeführer gewohnt habe, seien mehrmals türkische Soldaten gekommen, um es nach Waffen zu durchsuchen. Der Beschwerdeführer und andere Personen seien verhört worden und hätten die Verstecke der kurdischen Partisanen verraten sollen. Dabei seien der Beschwerdeführer und andere Personen "auch öfters geschlagen" worden. Der Beschwerdeführer habe deshalb keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als das Land zu verlassen. Vor seiner Abreise habe sein Vater Hab und Gut verkauft, um die Flucht des Beschwerdeführers ermöglichen zu können. Der Beschwerdeführer sei am 10. Februar 1992 nach Istanbul gefahren. "Da" er "auch in Istanbul keine Arbeit" bekommen habe, habe er sich an einen Schlepper gewandt, der versprochen habe, ihn nach Österreich zu bringen.

Mit Bescheid vom 29. Mai 1992 sprach die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien aus, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling. Die formularmäßige Begründung enthielt keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer erst am 15. Juli 1992 (und somit nach dem 1. Juni 1992) zugestellt.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien abgewiesen und erneut ausgesprochen, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde hat auf den vorliegenden Fall - nach § 25 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, im Hinblick auf das Datum der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides zu Recht - das Asylgesetz, BGBl. Nr. 126/1968 (im folgenden: AsylG 1968) angewendet, weshalb der angefochtene Bescheid nicht gemäß § 44 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76, außer Kraft getreten und nicht gemäß dem dritten Absatz dieser Bestimmung vorzugehen ist.

Nach § 1 AsylG 1968 (in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 796/1974) ist ein Fremder Flüchtling, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (im folgenden: FlKonv), erfüllt, und bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 FlKonv ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Nach Art. 1 Abschnitt C Z. 1 FlKonv ist dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr anzuwenden, wenn sie "sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat".

Die belangte Behörde meint in der Begründung des angefochtenen Bescheides, den vom Beschwerdeführer behaupteten Beeinträchtigungen, welche sich aus der allgemeinen Situation ergeben und "jedermann" betroffen hätten, fehle die "vom Verfolgungsbegriff geforderte Eingriffsintensität", und es könne aus ihnen keine individuell konkret gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgungsintention der türkischen Behörden abgeleitet werden. Für die belangte Behörde hätten sich aber auch keine Gründe für die Annahme ergeben, die geltend gemachten Umstände, die sich "ja ausschließlich aus der Topographie" des Heimatortes des Beschwerdeführers ergäben (dies mit der Beifügung, es handle sich um bürgerkriegsähnliche Zustände in einem Staatsgebiet), bezögen sich auf das gesamte Gebiet seines Heimatstaates, sodaß er nicht "Schutz vor etwaigen Fährnissen" in einem anderen Teil der Türkei hätte finden können oder während seines etwa einmonatigen Aufenthaltes in Istanbul sogar schon gefunden habe. Dies insbesondere deshalb, weil er keinerlei Verfolgungshandlung "daselbst" releviert habe und seinen eigenen Angaben nach Istanbul nur verlassen habe, weil er dort keine Arbeit gefunden habe.

Der erste Teil dieser Ausführungen scheint mit den nicht näher bezeichneten "Beeinträchtigungen" die vom Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren behaupteten zu meinen. Die - im angefochtenen Bescheid auch in der Darstellung des Verfahrensganges nicht wiedergegebene - Berufungsbehauptung des Beschwerdeführers, er sei nicht nur wiederholt von türkischen Soldaten mißhandelt worden, sondern auch "immer wieder von der türkischen Polizei abgeholt, verhört und gefoltert" worden, wird mit Stillschweigen übergangen. Es wird im besonderen nicht beweiswürdigend dargetan, daß und aus welchen Gründen dieser erst in der Berufung erhobenen Behauptung nicht zu folgen sei. Was die Ausführungen zur "Topographie" und einem anzunehmenden "Schutz vor etwaigen Fährnissen" in Istanbul betrifft, so ist ihnen entgegenzuhalten, daß dem Beschwerdeführer die Annahme einer inländischen Fluchtalternative im Verwaltungsverfahren nicht vorgehalten wurde und er in der Beschwerde unter Hinweis auf diesen Verfahrensmangel geltend macht, er habe sich in Anbetracht des auf ihm lastenden Verdachtes, kurdische Partisanen unterstützt zu haben, in Istanbul vor der Polizei verbergen müssen und dort nicht "offiziell" Aufenthalt nehmen können (vgl. zur Relevanz dieses Gesichtspunktes etwa die Erkenntnisse vom 27. Juni 1995, Zlen. 94/20/0859, 0860, vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0263, und vom 23. Jänner 1997, Zlen. 95/20/0303, 0304). Auf diese Behauptung wird im fortgesetzten Verfahren - vor dem Hintergrund der ursprünglichen Angaben des Beschwerdeführers - beweiswürdigend einzugehen sein.

Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung schließlich auch die Annahme zugrunde gelegt, beim Beschwerdeführer sei der Ausschließungsgrund (im System der FlKonv: der Beendigungstatbestand) des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 FlKonv gegeben, weil ihm die türkische Botschaft in Wien aufgrund einer "wohl vorausgegangenen" Antragstellung mit Datum vom 28. Dezember 1993 einen Reisepaß ausgestellt habe. Dafür, daß seine "wie ausgeführt:

vorauszusetzende" Antragstellung "etwa nicht freiwillig erfolgt sein könnte", fehle "jeglicher Hinweis".

Auch zu dieser Annahme der belangten Behörde, er habe sich durch die erfolgreiche Beantragung eines Reisepasses freiwillig wieder unter den Schutz seines Heimatstaates gestellt, wurde dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren kein rechtliches Gehör gewährt. In der Beschwerde und dem sie ergänzenden Schriftsatz bringt der Beschwerdeführer unter Hinweis auf diesen Verfahrensmangel vor, er habe den Antrag bei der türkischen Botschaft in Wien nur über Aufforderung einer Sachbearbeiterin der Aufenthaltsbehörde gestellt. Auch auf dieses Vorbringen wird - für den Fall, daß die über die erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers hinausgehenden Behauptungen über die ihm in seiner Heimatregion und auch in Istanbul drohende Verfolgung als glaubwürdig erachtet werden sollten - unter dem Gesichtspunkt der Freiwilligkeit der Antragstellung im fortgesetzten Verfahren einzugehen sein.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 15. Dezember 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995200619.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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