TE Vwgh Beschluss 2019/7/10 Ra 2019/14/0140

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Veröffentlicht am 10.07.2019
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verfassungsgerichtshof
10/07 Verwaltungsgerichtshof
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

ABGB §1332
BVwGG 2014 §19 Abs2 idF 2019/I/044
BVwGG 2014 §27 Abs7
GO BVwG 2014 §20
GO BVwG 2014 §20 Abs1
GO BVwG 2014 §20 Abs6
VwGG §46 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über den Antrag der X Y, vertreten durch Mag. Dominik Leiter, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 8/Top 34, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 2019, W237 1415578-6/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG und in der Revisionssache gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde der Revisionswerberin, einer Staatsangehörigen der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 5. April 2017, mit dem der Antrag der Revisionswerberin auf internationalen Schutz vom 20. Dezember 2016 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt worden war, dass die Abschiebung der Revisionswerberin in die Russische Föderation zulässig sei, als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gegen dieses Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 Innerhalb offener Revisionsfrist beantragte die Revisionswerberin die Gewährung von Verfahrenshilfe zur Erhebung einer außerordentlichen Revision gegen dieses Erkenntnis. 3 Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. April 2019 wurde der Revisionswerberin die Verfahrenshilfe - unter anderem durch Beigebung eines Rechtsanwaltes - für die außerordentliche Revision bewilligt. Der Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 18. April 2019 über die Bestellung zum Verfahrenshelfer wurde diesem Rechtsanwalt am 29. April 2019 zugestellt. Der bestellte Verfahrenshelfer erteilte der einschreitenden Rechtsanwälte GmbH, welcher dieser als Geschäftsführer und Gesellschafter angehört, eine Substitutionsvollmacht.

4 Am 11. Juni 2019 wurde beim BVwG im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eine außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des BVwG (in zwei Teilen) um 19:38:33 Uhr bzw. um 19:43:20 Uhr eingebracht.

5 Über Vorhalt des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Revision nach der Aktenlage am letzten Tag der Revisionsfrist außerhalb der in § 20 Abs. 1 Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichtes (GO-BVwG) festgesetzten Amtsstunden eingebracht worden und somit verspätet sei, erstattete die Revisionswerberin eine Stellungnahme und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist.

6 In der Stellungnahme bzw. im Wiedereinsetzungsantrag brachte die Revisionswerberin vor, der zum Verfahrenshelfer bestellte Rechtsanwalt habe die Frist zur Einbringung der Revision von der Kanzleileiterin eintragen lassen und diese Eintragung überprüft. Die Frist sei korrekt mit 11. Juni 2019 eingetragen worden. Die Erledigung der Verfahrenshilfe habe ein näher bezeichneter Rechtsanwaltsanwärter übernommen. Dieser habe einen Entwurf der außerordentlichen Revision verfasst und diesen dem Verfahrenshelfer am 5. Juni 2019 zur Kontrolle und allfälligen Korrektur übermittelt. Nach der Kontrolle durch den Verfahrenshelfer sei der Entwurf am 6. Juni 2019 per E-Mail an die Betreuerinnen der Revisionswerberin von einem näher genannten Verein übermittelt worden. Um es diesen zu ermöglichen, sich zu dem Entwurf der Revision zu äußern, sei mit der Einbringung bis zum 11. Juni 2019 zugewartet worden. Da keine Rückmeldung erfolgt sei, sei die Kanzleileiterin beauftragt worden, die Revision einzubringen. Aufgrund von Problemen bei der Einbringung per Web-ERV wegen der Größe des der Revision beigefügten Erkenntnisses habe sich die Einbringung verzögert. Der Verfahrenshelfer habe darauf vertrauen dürfen, dass die einer Kanzleiangestellten für einen bestimmten Tag angeordnete Einbringung eines Schriftsatzes per WebERV tatsächlich durchgeführt werde. Die Kanzleileiterin sei schon 13 Jahre für den Verfahrenshelfer tätig und habe bisher sämtliche Fristeintragungen und Einbringungen von Schriftsätzen stets zur vollsten Zufriedenheit durchgeführt. Es liege somit ein erstmaliges Versehen der Kanzleileiterin vor. Die technischen Probleme bei der Einbringung sowie das erstmalige Versehen der ansonsten stets zuverlässigen Kanzleileiterin seien unabwendbare und unvorhergesehene Ereignisse für die hierdurch einen Rechtsnachteil erleidende Revisionswerberin. Die Frist zur Einbringung der Revision sei nicht aufgrund eines Verschuldens der Revisionswerberin, des Verfahrenshelfers oder der substituierenden Rechtsanwälte GmbH versäumt worden. Nach der Judikatur sei ein derartiger Fehler lediglich als minderer Grad des Versehens zu qualifizieren, der auch einer äußerst verlässlichen Kanzleikraft und einer bestens organisierten Kanzlei unterlaufen könne. 7 Der Stellungnahme bzw. dem Wiedereinsetzungsantrag sind jeweils als "Aussage" bezeichnete Schreiben des bestellten Verfahrenshelfers, des mit der Ausarbeitung der Revision beauftragten Rechtsanwaltsanwärters und der Kanzleileiterin beigelegt. Letztere legt darin dar, ihr sei zum Zeitpunkt der Einbringung der Revision nicht bewusst gewesen, dass nach der Geschäftsordnung des BVwG - im Gegensatz zu anderen Gerichten - Einbringungen per WebERV außerhalb der Amtsstunden von 09:00 Uhr bis 15:00 Uhr erst mit Beginn der Amtsstunden des darauffolgenden Tages als eingebracht gelten.

Zur Rechtzeitigkeit der Revision

8 Gemäß § 19 Abs. 2 BVwGG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 44/2019 gelten Schriftsätze, die im elektronischen Verkehr übermittelt oder im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebracht worden sind, mit dem Tag ihrer Einbringung als eingebracht, und zwar auch dann, wenn sie nach dem Ende der Amtsstunden eingebracht wurden. Diese Bestimmung ist mit 1. Juli 2019 in Kraft getreten (§ 27 Abs. 7 BVwGG). Mangels einer anderslautenden Übergangsbestimmung ist sie nur auf Schriftsätze anwendbar, die ab dem 1. Juli 2019 beim BVwG eingebracht werden. Im vorliegenden Fall, in dem die außerordentliche Revision unstrittig am 11. Juni 2019 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs beim BVwG eingebracht worden ist, gelangt diese Bestimmung daher nicht zur Anwendung.

9 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der hier anwendbaren Rechtslage, dass eine am letzten Tag der Revisionsfrist mittels elektronischen Rechtsverkehrs beim BVwG nach Ablauf der in § 20 Abs. 1 GO-BVwG festgesetzten Amtsstunden eingebrachte Revision gemäß § 20 Abs. 6 GO-BVwG erst mit Beginn der Amtsstunden des nächsten Arbeitstages als eingebracht gilt (vgl. VwGH 17.11.2015, Ra 2014/01/0198).

10 Die am letzten Tag der Revisionsfrist nach 15:00 Uhr eingebrachte Revision erweist sich daher als verspätet. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 11 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht. 12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hierbei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinn der obigen Ausführungen dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. VwGH 17.12.2018, Ra 2018/14/0208, mwN).

13 Die Revisionswerberin stützt ihren Wiedereinsetzungsantrag darauf, dass ihr Rechtsvertreter die Übermittlung der Revision an das BVwG gegenüber der Kanzleileiterin am letzten Tag der Frist angeordnet habe. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in der Vergangenheit bereits mit vergleichbaren Vorbringen auseinandergesetzt und darauf hingewiesen, dass - gerade unter Beachtung der gegenteiligen Rechtslage und Praxis in Zivil- und Strafverfahren vor den ordentlichen Gerichten - der Rechtsvertreter davon ausgehen muss, dass sein Auftrag so verstanden werden würde, dass auch eine Einbringung beim BVwG im Laufe des Kalendertages ausreichend wäre. Die Frage, binnen welcher Frist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof einzubringen ist, bedarf aber jedenfalls einer Beurteilung durch den einschreitenden Rechtsanwalt selbst. Das Unterbleiben einer allgemeinen oder einzelfallbezogenen, die diesbezügliche Rechtslage klarstellenden Anweisung an Kanzleimitarbeiter ist dem Rechtsvertreter als eine einen minderen Grad des Versehens übersteigende Sorglosigkeit anzulasten (vgl. VwGH 2.8.2018, Ra 2018/19/0147, mwN).

Nach dem ausdrücklichen Vorbringen der dem vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag beigelegten Aussage der Kanzleileiterin war dieser das Erfordernis der Einbringung der Revision vor 15:00 Uhr nicht bewusst. Es hätte daher auch im vorliegenden Fall einer entsprechenden Klarstellung durch den Rechtsvertreter bedurft. Dass selbst bei Kenntnis dieser unmittelbaren Dringlichkeit der Einbringung der Revision eine rechtzeitige Einbringung nicht möglich gewesen wäre, wird in der Revision nicht dargetan.

Ergebnis

14 Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 Abs. 1 und Abs. 4 VwGG abzuweisen und die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 10. Juli 2019

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019140140.L00

Im RIS seit

09.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

16.08.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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