TE Vfgh Erkenntnis 2019/6/11 E3138/2018

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Veröffentlicht am 11.06.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §52
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz eines der Volksgruppe der Nuba zugehörigen Staatsangehörigen des Sudan; keine Auseinandersetzung mit der Situation der Nuba anhand aktueller Länderberichte

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Sudan, stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 31. Jänner 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer gab an, dass es auf Grund des Bürgerkrieges in seinem Herkunftsstaat keine Sicherheit gebe und er Angst um sein Leben habe.

2. Am 10. März 2017 erhob der Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Am 28. März 2017 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Dabei führte der Beschwerdeführer aus, dass er aus dem Nubagebirge in Südkordofan, einer Provinz im Süden des Sudan, stamme und dem Stamm der Nuba angehöre. Die sudanesische Regierung nehme jeden Angehörigen der Nuba fest, weil diese als politische Aktivisten wahrgenommen werden würden.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. März 2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Asylstatus gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005 (in Folge: AsylG 2005) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Sudan abgewiesen. Ferner erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005. Zudem erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in Folge: FPG) und stellte gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan gemäß §46 FPG zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

4. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 25. Juni 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur Gänze ab. Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich aus dem widersprüchlichen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers kein nachvollziehbares, plausibles Fluchtgeschehen erkennen lasse. Binnenvertriebene aus den Nubabergen begegneten folglich den Länderberichten rüdem polizeilichen Handeln in der Hauptstadt Khartum, es finde sich jedoch kein Hinweis, dass seitens der Regierung jeder festgenommen werde, der den Nuba angehöre. Auch hinsichtlich seiner Volksgruppenzugehörigkeit sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird ua dazu ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers und der damit einhergehenden Assoziation der Nuba zu oppositionellen Gruppen jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe.

6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die Verwaltungsakten vor und das Bundesverwaltungsgericht die Gerichtsakten. Auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde jeweils verzichtet.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinen Entscheidungen vom 23. September 2016, E1796/2016 und vom 9. Juni 2017, E3223/2016, klargestellt, dass die Volksgruppenzugehörigkeit zu einer nicht-arabischen Volksgruppe im Sudan einen wesentlichen Aspekt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes darstellt, mit dem es sich zwingend auseinanderzusetzen hat.

2.2. Das angefochtene Erkenntnis enthält keine hinreichend aktuellen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers. Länderberichte zum Sudan und insbesondere zur Lage von Angehörigen der Nuba finden sich zwar im angefochtenen Erkenntnis, doch stammen jene aus dem Jahr 2015 und waren daher im Zeitpunkt des hier angefochtenen Erkenntnisses bereits drei Jahre alt.

2.3. Dabei wäre es dem Bundesverwaltungsgericht leicht möglich gewesen, seine Entscheidung auf aktuelle Länderberichte zu stützen. Insbesondere zur Frage der Situation von Angehörigen der Nuba wurden einschlägige Informationen vor Erlassung der angefochtenen Entscheidung veröffentlicht (18. April 2018: Anfragebeantwortung zur Bevölkerung der Nuba-Berge [Siedlungsgebiete und sozioökonomische Lage; gesellschaftliche Behandlung; Bewegungsfreiheit], COI Query, European Asylum Support Office, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431345.html.).

2.4. Vor dem Hintergrund dieser – im Zeitpunkt des angefochtenen Erkenntnisses bereits drei Jahre alten – Länderberichte hätte sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung mit der Situation der Volksgruppe der Nuba im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers auseinandersetzen und aktuelle Feststellungen treffen müssen.

2.5. Folglich ist dem Verfassungsgerichtshof eine nachprüfende Kontrolle des angefochtenen Erkenntnisses zur Frage, ob der Beschwerdeführer infolge seiner Volksgruppenzugehörigkeit eine asylrelevante Verfolgung im Sudan erlitten hat bzw dem Beschwerdeführer eine solche droht und ob ihm auf Grund dessen eine innerstaatliche Fluchtalternative verschlossen ist, nicht möglich (vgl auch VfSlg 19.235/2010).

3. Folglich ist das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E3138.2018

Zuletzt aktualisiert am

07.06.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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