TE Vwgh Erkenntnis 2019/6/17 Ra 2019/22/0055

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Veröffentlicht am 17.06.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §293 Abs1
NAG 2005 §11 Abs2 Z4
NAG 2005 §11 Abs5
NAG 2005 §46 Abs1 Z2
VwGG §42 Abs2 Z1

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/22/0056Ra 2019/22/0057

Betreff

?

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revisionen 1. der P A, 2. des M A und

3. des M A, alle vertreten durch Dr. Teresa Müller, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schulerstraße 1-3/1/48, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes Wien jeweils vom 28. Dezember 2018, 1. VGW- 151/060/6939/2018-18 (protokolliert zu Ra 2019/22/0055), 2. VGW- 151/060/6942/2018-3 (protokolliert zu Ra 2019/22/0056) und 3. VGW- 151/060/6946/2018-3 (protokolliert zu Ra 2019/22/0057), jeweils betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter des Zweit- und Drittrevisionswerbers; alle sind pakistanische Staatsangehörige. Der Ehemann bzw. Vater (Zusammenführender) der revisionswerbenden Parteien verfügt über einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus".

2 Mit Bescheiden vom 11. April 2018 wies der Landeshauptmann von Wien (Behörde) die Anträge der revisionswerbenden Parteien auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab, weil das Einkommen des Zusammenführenden nicht ausreichend sei, sodass der Aufenthalt der revisionswerbenden Parteien zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.

3 Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Landesverwaltungsgericht Wien (VwG) mit den angefochtenen

Erkenntnissen - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung -

als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das VwG aus, um den Unterhalt der revisionswerbenden Parteien gewährleisten zu können, müsste der Zusammenführende ein Einkommen in der Höhe von EUR 2.172,72 (= Richtsatz für Ehegatten nach § 293 Abs. 1 ASVG für das Jahr 2019 in der Höhe von EUR 1.398,97 zuzüglich EUR 269,94 als doppelter Richtsatz für zwei Kinder, zuzüglich EUR 599,43 für die Miete und EUR 200,-- für die Monatsrate für die Sozialversicherung, abzüglich EUR 294,65 als "Wert der freien Station") erzielen. Der Zusammenführende verfüge aus seiner unselbständigen und selbständigen Tätigkeit über ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von EUR 1.340,-- und EUR 337,--, insgesamt somit über EUR 1.677,--. Damit unterschreite er das erforderliche Einkommen von mehr als EUR 2.000,-- jedoch deutlich, sodass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung ausreichender Unterhaltsmittel nicht erfüllt werde.

Unter Bezugnahme auf § 11 Abs. 3 NAG führte das VwG aus, es seien unter Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens keine Gründe hervorgekommen, die eine Unterstützung bzw. Betreuung des Zusammenführenden vor Ort durch seine Angehörigen erforderlich mache.

4 Dagegen richten sich die außerordentlichen Revisionen.

5 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

6 In ihren Zulässigkeitsbegründungen rügen die Revisionen ua. ein Abweichen der angefochtenen Erkenntnisse von der hg. Rechtsprechung, wonach die Anträge aller Familienmitglieder nicht deshalb abgewiesen werden dürften, weil die zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel zwar für einen Revisionswerber, nicht jedoch für alle drei revisionswerbenden Parteien gemeinsam ausreichten (Hinweis auf VwGH 30.4.2009, 2007/21/0445). 7 Im Hinblick darauf ist die Revision zulässig und auch berechtigt.

8 Gemäß § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) beträgt der Richtsatz im Jahr 2019 für im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegatten EUR 1.398,97 und gemäß § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG für jedes weitere Kind EUR 143,97. Bei einem geplanten gemeinsamen Haushalt ist unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen zu prüfen, ob das Haushaltsnettoeinkommen diesen Haushaltsrichtsatz erreicht (vgl. VwGH 29.3.2019, Ra 2018/22/0080, Pkt. 6.2.).

9 Das VwG legte seiner Entscheidungen die Einkünfte des Zusammenführenden aus seiner unselbständigen und selbständigen Tätigkeit zugrunde und errechnete ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.677,--. Da dieses Einkommen - unter Berücksichtigung der sonstigen Zahlungsverpflichtungen des Zusammenführenden - nicht den erforderlichen Haushaltsrichtsatz erreiche und der Zusammenführende somit keine ausreichenden Unterhaltsmittel nachweisen konnte, wies das VwG die Anträge der revisionswerbenden Parteien ab.

Dabei ließ das VwG jedoch unberücksichtigt, dass es nicht ohne Weiteres alle drei Anträge hätte abweisen dürfen, auch wenn die zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel des Zusammenführenden nicht ausreichen, den Bedarf aller drei revisionswerbenden Parteien gemeinsam zu decken (vgl. VwGH 24.6.2010, 2008/21/0329). Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Zweit- und der Drittrevisionswerber nicht mehr in einem Alter sind, in dem eine Trennung von der Mutter unzumutbar wäre.

Für das Folgeverfahren wird weiter darauf hingewiesen, dass die Rechtsvertreterin der revisionswerbenden Parteien in der Verhandlung vor dem VwG für den Fall, dass nicht alle drei Aufenthaltstitel erteilt werden könnten, beantragte, es solle den Anträgen des Zweit- und des Drittrevisionswerbers stattgegeben werden. Weiter wird zu beachten sein, dass der Zweitrevisionswerber inzwischen volljährig und daher nicht mehr Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG ist. 10 Da das VwG dies verkannte, waren die angefochtenen Erkenntnisse bereits aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

11 Die Revision zeigt auch zutreffend auf, dass das der Prognoseentscheidung des VwG zugrunde gelegte monatliche Nettoeinkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit in Höhe von EUR 337,-- nicht nachvollziehbar ist, weil weder die Höhe der steuerlichen Abgaben noch die Sozialversicherungsbeiträge dargelegt wurden, sodass nicht nachprüfbar ist, ob das der Entscheidung zugrunde gelegte monatliche Nettoeinkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit in Höhe von EUR 337,-- zutreffend ermittelt wurde.

12 Die Zuerkennung des Aufwandersatzes beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 17. Juni 2019

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220055.L00

Im RIS seit

19.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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