TE Vwgh Erkenntnis 2019/6/25 Ra 2018/19/0459

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Veröffentlicht am 25.06.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8
AVG §58 Abs2
AVG §60
MRK Art3
VwGG §42 Abs2 Z3
VwGVG 2014 §29 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler, die Hofrätin Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des W K, vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2018, G305 2179024-1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Kurden an und bekennt sich zur jesidischen Glaubensgemeinschaft. Er stellte am 29. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er sei wegen seiner Religionszugehörigkeit als Jeside bedroht worden und aus seinem Heimatdorf vor dem Islamischen Staat, der ihn auch zur Konversion zum Islam aufgefordert habe, geflohen.

2 Mit Bescheid vom 8. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. 3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Stellungnahme vom 20. Juni 2018 brachte der Revisionswerber u.a. unter Berufung auf verschiedene Länderberichte vor, ein Aufenthalt in den auf Grund der Vielzahl an Binnenflüchtlingen überfüllten Flüchtlingslagern in der autonomen Region Kurdistan genüge nicht den Anforderungen an eine innerstaatliche Fluchtalternative.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Das Bundesverwaltungsgericht stellte - soweit für das Revisionsverfahren maßgeblich - zur Person des Revisionswerbers fest, die Landwirtschaft der Familie des Revisionswerbers liege in seinem Heimatdorf Snuni in der Nähe von Shangal und zwei Autostunden von Mossul entfernt.

6 In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht aus, beim Revisionswerber handle es sich um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Er verfüge über eine Schul- und Berufsausbildung und habe in der elterlichen Landwirtschaft in seinem Heimatdorf mitgearbeitet, sodass davon ausgegangen werden könne, dass er in seinem Herkunftsstaat, dessen Sprache er mächtig sei, grundsätzlich in der Lage sein werde, ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Dem Vorbringen des Revisionswerbers, dass ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative offen stehe, sei zu entgegnen, dass "nach den aktuellen Länderberichten" zahlreiche Jesiden aus Sindshar wieder in ihre Herkunftsgebiete zurückgekehrt seien. Bei einer Rückkehr nach Snuni könne er sich den Lebensunterhalt wieder in der dort gelegenen elterlichen Landwirtschaft verdienen. Es stehe dem Revisionswerber aber auch offen, in die als sicher geltenden Provinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniya zu ziehen und sich dort niederzulassen. Es könne nicht erkannt werden, dass ihm bei einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Der Revisionswerber habe auch nicht vorgebracht, dass er im Fall einer Rückkehr in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Nahrungsmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:

Zu I.:

8 Die Revision enthält rein inhaltliches Vorbringen in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten, sodass sie in diesem Umfang mangels Vorliegens einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen war.

Zu II.:

9 Zulässig und auch berechtigt ist die Revision hingegen insoweit, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wendet.

10 Die Revision bringt dazu vor, es fehlten die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes notwendigen Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Revisionswerbers in den als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Gebieten, insbesondere im Hinblick auf Arbeitsmöglichkeiten, Unterkunft, Nahrungsmittelversorgung und medizinische Versorgung. Der Revisionswerber habe in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 20. Juni 2018 konkret dargelegt, dass in der autonomen Region Kurdistan eine Versorgung mit existentiellen Grundbedürfnissen in den überfüllten Flüchtlingslagern nicht gewährleistet sei und keine Möglichkeit einer Beschäftigung bestehe, sodass er sich bei einer Rückkehr in die kurdischen Autonomiegebiete als innerstaatliche Fluchtalternative in einer existenziellen Notlage iSd Art. 2 und 3 EMRK befinden würde. Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, der Revisionswerber könne bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf seine Existenz durch die Landwirtschaft der Eltern sichern, sei mit dessen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung nicht vereinbar.

11 Die Begründung eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Danach erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheids geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben.

Das Verwaltungsgericht hat neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise dabei auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0374, mwN).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht.

12 Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Annahme, der Revisionswerber könne in sein Heimatdorf Snuni zurückkehren, damit, dass "nach den aktuellen Länderberichten" zahlreiche Jesiden aus Sindshar in ihre Herkunftsregion zurückgekehrt seien. Diese Annahme findet jedoch in den Länderfeststellungen des angefochtenen Erkenntnisses keine Deckung. Darin wird vielmehr festgehalten, dass eine Rückkehr nach Sindshar bis Ende des Jahres 2016 kaum möglich gewesen sei, da sich nach der Befreiung aus den Händen des Islamischen Staates im Stadtgebiet verschiedene Milizen bekämpften. Das Bundesverwaltungsgericht zitiert zum Nachweis seiner Annahme - disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten - auch einen Bericht des Deutschlandfunks, ohne diesen selbst oder auch nur seinen wesentlichen Inhalt (wonach nur wenige Jesiden zurückgekehrt seien und es in diesem Gebiet zu Spannungen und Kämpfen zwischen rivalisierenden Anti-IS-Kräften komme) im Erkenntnis wiederzugeben. Auch dieser Hinweis vermag daher die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu stützen. 13 Wenn das Bundesverwaltungsgericht argumentiert, der Revisionswerber könne sich bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf den Lebensunterhalt wieder in der dortigen elterlichen Landwirtschaft verdienen, übergeht es, dass der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht angegeben hat, er wisse nicht, ob es die Landwirtschaft noch gebe, da er keinen Kontakt "nach unten" habe. Das Bundesverwaltungsgericht führt nicht aus, dass es diese Angaben für nicht glaubwürdig erachte, sondern stellte vielmehr fest, dass der Revisionswerber gegenwärtig zu keinem Verwandten Kontakt habe. 14 Aber auch die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Alternativbegründung, dem Revisionswerber stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in der kurdischen Autonomieregion offen, kann die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht tragen.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung dargelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. zum Ganzen VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

16 Das BVwG stellte zur Lage in der kurdischen Autonomieregion einerseits fest, dass die Sicherheitslage in diesem Gebiet als stabil anzusehen und eine innerirakische Migration dorthin grundsätzlich möglich sei. Andererseits - und in Widerspruch dazu -

stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die kurdische Regionalregierung sich wegen der eigenen Finanzkrise nicht mehr in der Lage sehe, weiter Flüchtlinge aufzunehmen. Darüber hinaus hat sich das Bundesverwaltungsgericht auch nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob dem Revisionswerber ein Aufenthalt in dem als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenem Gebiet zugemutet werden kann (vgl. nochmals VwGH Ra 2018/18/0001), obwohl er dies in seiner Stellungnahme vom 20. Juni 2018 unter Anführung konkreter Hinweise auf die Lage in den dortigen Flüchtlingslagern bestritten hat.

17 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Nichtgewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18 Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. Juni 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190459.L00

Im RIS seit

26.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

26.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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