TE Vwgh Erkenntnis 1998/12/17 98/06/0160

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Veröffentlicht am 17.12.1998
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/05 Wohnrecht Mietrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §62 Abs4;
MRG §39 Abs4;
MRG §39;
MRG §40 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch D, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 12. Juni 1998, Zl. MA 16 - ZS 1/98/187, betreffend die Berichtigung einer Entscheidung gemäß § 62 Abs. 4 AVG (mitbeteiligte Partei: I K, W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die belangte Behörde (MA 16, Zentrale Schlichtungsstelle) erließ unter dem Datum 27. November 1997 eine Entscheidung gemäß § 39 MRG hinsichtlich eines Hauses in Wien. Als Antragstellerin wird die Mitbeteiligte, als Antragsgegner werden "sämtliche Mieter des Hauses" bezeichnet (einer dieser Mieter ist der Beschwerdeführer). Soweit für dieses Beschwerdeverfahren erheblich, wurde gemäß dem Spruchteil I. dieser Entscheidung für den 1. Dezember 1997 bis zum 30. November 1999 die Einhebung der monatlich erhöhten Hauptmietzinse in einem durch Verweis auf eine angeschlossene Aufstellung näher bezeichneten Ausmaß für zulässig erklärt; nach dem Spruchteil II. wurde für den Zeitraum vom 1. Dezember 1999 bis 30. November 2000 die Einhebung der erhöhten Hauptmietzinse in einem durch Hinweis auf eine weitere angeschlossene Tabelle ersichtlichen Ausmaß für zulässig erklärt. Gemäß dem Spruchteil III. wurde für den Zeitraum vom 1. Dezember 2000 bis zum 30. November 2007 ein Betrag von S 5.811,93 zur Rückzahlung des Restdarlehens aus den laufenden Einnahmen gebunden.

Der Beschwerdeführer beantragte hierauf gemäß § 40 Abs. 1 MRG die Entscheidung durch das Gericht. Dieser Antrag wurde vom Gericht erster Instanz mit Beschluß vom 26. Juni 1998 (wegen Versäumung der Anrufungsfrist des § 40 Abs. 1 MRG) als verspätet zurückgewiesen. Seinem Rekurs wurde mit Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 18. August 1998, 40 R 449/98b, nicht Folge gegeben. Das Rekursgericht billigte die Auffassung des Gerichtes erster Instanz, daß der Beschwerdeführer das Gericht verspätet angerufen habe.

Zwischenzeitig hatte die Mitbeteiligte mit dem (laut Einlaufstampiglie) am 13. Jänner 1998 bei der belangten Behörde eingelangten Schriftsatz vom 29. Dezember 1997 die Berichtigung der Entscheidung vom 27. November 1997 "betreffend den Zeitablauf" begehrt, weil das noch aushaftende Darlehen laut Tilgungsplan bis 20. November 2001 (zehn Jahre) rückbezahlt werde. In der Entscheidung vom 27. November 1997 sei jedoch die Einhebung des monatlich erhöhten Hauptmietzinses nur bis zum 30. November 1999 bewilligt worden. Angeschlossen waren verschiedene Unterlagen.

Nach einem Schriftverkehr unter anderem mit einem Vertreter der Mietervereinigung hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid wie folgt entschieden (Wortlaut des Spruches; im Hinblick auf die Formulierung des zweiten Absatzes des Spruches ist zu bemerken, daß sich die berichtigten Laufzeiten zu Punkte II. und III. tatsächlich auf dem 2. Blatt des angefochtenen Bescheides befinden, weil der Text auf dem ersten Blatt des angefochtenen Bescheides mit dem 2. Absatz des Spruches endet):

"Gemäß § 62 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG 1991) wird die ha. Entscheidung vom 27.11.1997, Zahl MA 16 - ZS 2/93/2520, mit welcher die Hauptmietzinse gemäß §§ 18, 18b und 19 MRG in Verbindung mit § 2 Abs. 3 WSG-VO 1988 erhöht wurden, über Antrag wie folgt berichtigt:

Die den Punkten II und III des Spruches der oa. Entscheidung zugrundegelegten Laufzeiten werden durch die Laufzeiten laut Blatt 2 der Berichtigungsentscheidung ersetzt.

II)

2. Laufzeit: 1.12.1999 bis 30.11.2001

III)

3. Laufzeit: 1.12.2001 bis 30.11.2007"

In der Begründung heißt es, aufgrund eines offensichtlichen Irrtums seien der Entscheidung ein falscher Tilgungsbeginn des aufgenommenen Darlehens und daher falsche Erhöhungslaufzeiten zugrundegelegt worden. Es heißt dann weiter, daß die tatsächliche Tilgung der ersten Rate (es folgen verschiedene Beträge) am 20. Mai 1992 stattgefunden habe, was aus dem Schlußprüfbericht des WBSF vom 20. März 1998 sowie aus einem Schreiben der betreffenden Bank vom 22. Dezember 1997 und dem Tilgungsplan dieses Kreditinstitutes hervorgehe. Neben diesem Darlehen komme ein Fensterdarlehen bis zum 30. November 1999 und ein Restdarlehen bis zum 30. November 2007 zum Tragen. Daher sei die 2. Laufzeit ab dem 1. Dezember 1999 bis zum 30. November 2001 und die 3. Laufzeit ab dem 1. Dezember 2001 bis zum 30. November 2007 neu festzusetzen. Die "Mieterliste" der 2. Laufzeit sei nicht zu berichtigen, auch nicht die Berechnung für die 3. Laufzeit. Weiters sei festzuhalten, daß in der Hauptmietzinsabrechnung nicht 14, sondern 12 Halbjahresraten zu berücksichtigen seien, und daß sich laut Bestätigung der Mietervereinigung Österreichs vom 22. April 1998 keine Änderung des Hauptmietzinssaldos ergeben habe. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Die belangte Behörde hat die Akten dieses Verwaltungsverfahrens (Berichtigungsverfahrens) vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Zurückweisung der Beschwerde beantragt.

Auch die Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie der Sache nach die Richtigkeit des angefochtenen Bescheides verteidigt. Kostenersatz wird nicht angesprochen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid auf § 62 Abs. 4 AVG gestützt. Diese Bestimmung lautet:

"Schreib- und Rechenfehler oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen oder offenbar ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in Bescheiden kann die Behörde jederzeit von Amts wegen berichtigen."

Der Beschwerdeführer bringt vor, "ausgehend von der ständigen Rechtsprechung zu § 40 MRG, daß das Bezirksgericht keine Rechtsmittelinstanz gegen eine Entscheidung der Schlichtungsstelle" darstelle, könne die Frage, inwieweit vorliegendenfalls die Behörde "ihren Irrtum mittels Bescheid von Amts wegen berichtigen" könne (Hinweis auf § 62 Abs. 4 AVG), letztlich nur durch den Verwaltungsgerichtshof überprüft werden. Die Entscheidung der belangten Behörde vom 27. November 1997 sei rechtskräftig. Die Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Bescheid, daß dieser durch Anrufung des Gerichtes gemäß § 40 MRG außer Kraft gesetzt werden könne, sei unrichtig, weil vorliegendenfalls die Hauptentscheidung rechtskräftig sei und eine Überprüfung "nur im Rahmen eines offenen Verfahrens möglich" sei. Das zuständige Bezirksgericht könne nur in der Hauptfrage neu entscheiden, sei jedoch nicht zur Beurteilung der Frage zuständig, ob die erfolgte Berichtigung zulässig sei. Gemäß § 62 Abs. 4 AVG könne die Behörde zwar Schreib- und Rechenfehler jederzeit von Amts wegen berichtigen, vorliegendenfalls handle es sich jedoch um keinen "derart leicht feststellbaren Formalfehler, sondern um eine Erhöhung der Verpflichtung der Mieter und damit des Beschwerdeführers, die nur im Rahmen eines offenen Verfahrens erfolgen kann, um den Mietern Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen". Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergebe sich nicht schlüssig, weshalb die zweite Laufzeit um ein Jahr verlängert werde, wenn sich die belangte Behörde diesbezüglich auf ein Fensterdarlehen bis zum 30. November 1999 und ein Restdarlehen bis zum 30. November 2007 stütze. Die Behörde sei hier offensichtlich von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, was aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes niemals Grundlage für eine Berichtigung sein könne. Die Frage, "wie lange dem Hauseigentümer die Einhebung des erhöhten Hauptmietzinses bewilligt wird, ist nicht berichtigungsfähig, sondern kann nur im Wege der Wiedereröffnung des Hauptverfahrens geklärt werden, wenn die belangte Behörde vermeint, daß ihr hier ein Irrtum unterlaufen" sei (wird näher ausgeführt). Der Beschwerdeführer habe im übrigen auch vorsichtshalber gegen den Berichtigungsbescheid einen Antrag gemäß § 40 MRG beim zuständigen Gericht überreicht.

Die belangte Behörde verweist in ihrer Gegenschrift darauf, daß eine Entscheidung der Schlichtungsstelle gemäß § 40 MRG mit der rechtzeitigen Anrufung des Gerichtes außer Kraft trete, weshalb diesbezüglich die Anrufung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes ausgeschlossen sei (Hinweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes). Da der Beschwerdeführer sowohl bezüglich der Entscheidung vom 27. November 1997 als auch hinsichtlich des angefochtenen Bescheides das Gericht angerufen habe (wobei hinsichtlich der Entscheidung vom 27. November 1998 zwischenzeitig die Rekursentscheidung des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 18. August 1998 ergangen sei), sei die vorliegende Beschwerde mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen.

Dem ist folgendes zu entgegnen:

Sollte die belangte Behörde der Auffassung sein, daß eine Anrufung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes gegen Entscheidungen der Schlichtungsstelle jedenfalls ausgeschlossen wäre, ist dem nicht zu folgen, weil dies vielmehr für Fälle selbständiger verfahrensrechtlicher Entscheidungen, wie beispielsweise hinsichtlich einer Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zulässig ist (siehe dazu den hg. Beschluß vom 22. Oktober 1992, Zl. 92/06/0199

Slg. Nr. 13.728/A, mit weiteren Hinweisen auf Lehre und Judikatur, unter anderem auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 1994, B 339/73 VfSlg. 7.273, oder auch aus jüngerer Zeit das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 1998, Zl. 95/06/0260). Der Verwaltungsgerichtshof ist vorliegendenfalls der Auffassung, daß im Sinne der zuvor genannten Judikatur auch dieser gemäß § 62 Abs. 4 AVG ergangene Berichtigungsbescheid zulässigerweise vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden kann.

Die Anwendung des § 62 Abs. 4 AVG setzt einen fehlerhaften Verwaltungsakt mit der Maßgabe voraus, daß eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit sowie deren Offenkundigkeit gegeben ist. Die Berichtigung ist auf jene Fälle der Fehlerhaftigkeit von Bescheiden eingeschränkt, in denen die Unrichtigkeit eine offenkundige ist, wobei es allerdings ausreichend ist, wenn die Personen, für die der Bescheid bestimmt ist, die Unrichtigkeit des Bescheides erkennen können und die Unrichtigkeit ferner von der Behörde - bei entsprechender Aufmerksamkeit - bereits bei der Erlassung des Bescheides hätte vermieden werden können. Fehler der Beweiswürdigung, der rechtlichen Beurteilung oder der Begründung eines Bescheides (Behebung eines Begründungsmangels) sind einer Berichtigung nach § 62 Abs. 4 AVG nicht zugänglich; es können nur klar erkennbare, also offenbar auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeiten berichtigt werden (siehe dazu beispielsweise die in Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, in E 2 und 3 zu § 62 Abs. 4 AVG wiedergegebene Judikatur).

Die belangte Behörde behauptet zwar in der Begründung des angefochtenen Bescheides, daß die von ihr angenommene fehlerhafte Entscheidung auf einem "offenkundigen Irrtum" beruhe, hat es aber unterlassen zu begründen, weshalb der angenommene Irrtum "offenkundig" sei. Der angefochtene Bescheid leidet daher an einem wesentlichen Begründungsmangel, der den Verwaltungsgerichtshof daran hindert, den angefochtenen Bescheid auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit zu prüfen (siehe dazu beispielsweise die in Dolp,

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 604 wiedergegebene hg. Judikatur).

Der angefochtene Bescheid war daher (schon deshalb) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, daß im gegenständlichen Beschwerdeverfahren nur zu prüfen ist, ob die Voraussetzung des § 62 Abs. 4 AVG vorlagen, nicht aber, ob die durch den angefochtenen Bescheid bewirkte Änderung der Entscheidung vom 27. November 1997 "im Ergebnis richtig" ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 17. Dezember 1998

Schlagworte

Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Angelegenheiten in welchen die Anrufung des VwGH ausgeschlossen istBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998060160.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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