TE Vwgh Erkenntnis 2019/6/26 Ra 2018/20/0534

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Veröffentlicht am 26.06.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §54 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §57 Abs1 Z3
AsylG 2005 §58 Abs1
VwGG §42 Abs2 litb
VwGG §42 Abs2 litc

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/20/0535Ra 2018/20/0536Ra 2018/20/0537

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision 1. der S I in F,

2. des R I in F, 3. der S I in B, und 4. der J I in B, alle vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Juni 2018, 1) Zl. W235 2173791-1/11E, 2) Zl. W235 2173788- 1/11E, 3) Zl. W235 2173795-1/11E, 4) Zl. W235 2173784-1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit die Beschwerden gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 57 AsylG 2005, die Anordnungen der Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG und die Feststellungen der Zulässigkeit der Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG abgewiesen wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1 Die minderjährigen revisionswerbenden Parteien sind syrische Staatsangehörige und Geschwister. Am 16. Dezember 2016 stellten sie Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheiden vom 19. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurück und forderte die revisionswerbenden Parteien auf, sich nach Italien zurückzubegeben. Unter einem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, die Außerlandesbringung der revisionswerbenden Parteien gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) angeordnet und festgestellt, dass deren Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

3 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis vom 28. Juni 2018 als unbegründet ab. Weiters sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das BVwG zur Nichterteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005 zusammengefasst aus, die revisionswerbenden Parteien seien weder Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und ebenso wenig Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung lägen in den Fällen der revisionswerbenden Parteien nicht vor, "wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur ansatzweise behauptet worden (sei)".

5 Die revisionswerbenden Parteien erhoben zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 25. September 2018, E 3052-3055/2018-8, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie mit Beschluss vom 25. Oktober 2018, E 3052-3055/2018/10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

6 Daraufhin erhoben die revisionswerbenden Parteien die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Die Revision bringt in der Zulässigkeitsbegründung im Wesentlichen vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 aufgestellten Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ab. Die revisionswerbenden Parteien hätten im Laufe des Verfahrens mehrfach von gegen sie gerichteten körperlichen Angriffen und sexueller Gewalt gesprochen. Auch das BVwG habe nicht ausgeschlossen, dass es sich beim Vater der revisionswerbenden Parteien um einen gewaltbereiten Menschen handle und es zu häuslicher Gewalt gekommen sei. Somit könnten die Voraussetzungen zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b oder § 382e EO als erfüllt angesehen werden. Da die revisionswerbenden Parteien auch vorgebracht hätten, dass die italienischen Behörden keinen effektiven Schutz vor häuslicher Gewalt, körperlichen Misshandlungen und sexuellen Übergriffen gewährt hätten, wäre die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich gewesen.

8 Nach Vorlage der Revision samt den Verfahrensakten hat der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Zu I.:

11 Die Revision ist im Hinblick auf das angeführte Vorbringen

zu ihrer Zulässigkeit zulässig und auch berechtigt. 12 Gemäß § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach § 382b oder § 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

13 Gemäß § 58 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird. Über das Ergebnis hat es gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

14 Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005 gegeben sind, hat der allfälligen Erlassung einer Rückkehrentscheidung voranzugehen; ist nämlich ein Titel nach § 57 AsylG 2005 zu erteilen, so erweist sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als unzulässig (vgl. § 10 Abs. 1 AsylG 2005, wonach zu den Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gehört, dass von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0023, 0024). § 10 Abs. 1 AsylG 2005 umfasst gemäß seinem Wortlaut auch die Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG, sodass das Vorgesagte auch für die - verfahrensgegenständlichen - Anordnungen zur Außerlandesbringungen gilt.

15 Wie die Revision zutreffend aufzeigt, brachten die revisionswerbenden Parteien sowohl in der Einvernahme im verwaltungsbehördlichen Verfahren als auch im Beschwerdeverfahren gegen sie gerichtete gewalttätige Übergriffe des Vaters vor. Das BVwG traf zu diesem Vorbringen nur insoweit Feststellungen, als der Vater der revisionswerbenden Parteien aufgrund des Vorwurfs von häuslicher Gewalt getrennt von diesen von Deutschland nach Italien abgeschoben worden sei. In seiner Beweiswürdigung führte das BVwG weiter aus, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es sich beim Vater der revisionswerbenden Parteien um einen gewaltbereiten Menschen handle und es durchaus zu häuslicher Gewalt gekommen sei, hingegen sei das Vorbringen betreffend die sexuellen Übergriffe auf die Erst- und die Viertrevisionswerberin gänzlich unglaubwürdig.

16 Insoweit das BVwG sohin selbst nicht ausschließt, dass es in der Familie zu gewalttätigen Übergriffen gekommen ist, jedoch zum diesbezüglichen Vorbringen der revisionswerbenden Parteien keine eindeutigen Feststellungen trifft, ist seine Schlussfolgerung, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 lägen schon deshalb nicht vor, weil die revisionswerbenden Parteien weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur ansatzweise behauptet hätten, Opfer von Gewalt geworden zu sein, nicht nachvollziehbar.

17 Das BVwG hätte - unabhängig davon, ob es auch die sexuellen Übergriffe für glaubwürdig erachtet - Feststellungen zu den Behauptungen der revisionswerbenden Parteien, gewalttätigen Angriffen seitens ihres Vaters ausgesetzt gewesen zu sein, treffen müssen. Nur auf Basis solcher auf einer schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen wäre eine Beurteilung dahingehend möglich gewesen, ob die revisionswerbenden Parteien Opfer von Gewalt geworden sind, wobei es nicht darauf ankommt, ob es sich bei einer derartigen Handlung um sexuelle Gewalt handelt.

18 Bejahendenfalls hätte sich das BVwG in weiterer Folge damit auseinandersetzen müssen, ob eine einstweilige Verfügung nach § 382b oder § 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und ob die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit damit die Beschwerden gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 57 AsylG 2005, die Anordnungen der Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG und die Feststellungen der Zulässigkeit der Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG abgewiesen wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

20 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

21 Zu II.:

22 Soweit sich die Revision gegen die Zurückweisungen der Asylanträge gemäß § 4a AsylG 2005 wendet, zeigt sie vor dem Hintergrund der unbestrittenen Feststellungen des BVwG, wonach den revisionswerbenden Parteien in Italien jeweils der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde, keine Rechtsfrage auf, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Insofern war die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 26. Juni 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018200534.L00

Im RIS seit

21.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

21.08.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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