TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/6 W261 2193050-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.06.2019
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Entscheidungsdatum

06.06.2019

Norm

B-VG Art.133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §3

Spruch

W261 2193050-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Mag. Franz GALLA, Rechtsanwalt in 1040 Wien, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 22.02.2018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ersatz des Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben.

Hilfeleistungen in Form von Ersatz des Verdienstentganges werden - vorbehaltlich der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - ab 01.01.2013 dem Grunde nach bewilligt.

Die Berechnung der Hilfeleistung und die Durchführung obliegen dem Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer brachte am 20.12.2012 beim Bundessozialamt (nunmehr Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Hilfeleistungen nach Verbrechensopfergesetz (VOG), genauer auf Ersatz des Verdienstentganges, ein. Er sei bei seiner Großmutter mütterlicherseits aufgewachsen, da seine Mutter verstorben sei, als der Beschwerdeführer ca. zwei Jahre alt gewesen sei. Im Jahr 1962 sei er in einem Kinderheim untergebracht gewesen, wo er an das Bett gefesselt worden sei. Er sei auch von seiner Großmutter und deren Sohn, seinem Onkel, gezüchtigt worden. Sein Onkel habe ihn sexuell missbraucht, indem er ihm befahl bei sexuellen Handlungen, die der Onkel in der Badewanne an sich selbst durchführte, zuzuschauen. Er habe sich in weiterer Folge ab August 1968 bis Juni 1973 im Kinderheim XXXX befunden, wo er von Erziehern, der Heimleitung und anderen Zöglingen psychisch und physisch misshandelt worden sei. Er habe ein Trinkverbot, Kloverbot, kollektive Strafen und sexuelle Übergriffe durch die Heimleitung und Mitzöglinge erdulden müssen. Dadurch hätten sich bei ihm psychische und physische Störungen ergeben. Der Beschwerdeführer habe durch die Schläge einen Hörsturz erlitten. Er habe depressive Phasen, weswegen er Jobs verloren habe. Er habe zwar nach der öffentlichen Hauptschule die Aufnahmeprüfung in der HTL in Wien bestanden, sei dann aber in der Schule in Wien gescheitert, weil es zwischen der Schule in Wien und einer Schule am Land zu große Unterschiede gegeben habe, und ihm nie jemand beigebracht habe, wie man lerne. Er leide an Anpassungsstörungen, er sei ein Einzelgänger geworden. Der Beschwerdeführer legte diesem Antrag eine Reihe von Aufzeichnungen, Unterlagen aus seinem Heimakt und aus seinem Pflegschaftsakt bei.

Mit Emailnachricht vom 03.01.2013 übermittelte der Weisse Ring Kopien aus dem Pflegschaftsakt und einen Clearingebericht vom 20.06.2012, wonach sich ergab, dass der Beschwerdeführer in der Zeit vom September 1968 bis September 1969 in einem Internat in XXXX und in der Zeit vom September 1969 bis Juni 1973 im Heim XXXX befunden habe. Er habe Probleme mit Autoritäten und hätte seine Arbeitsplätze im Schnitt alle eineinhalb bis zwei Jahre gewechselt.

Die belangte Behörde holte auch Auszüge aus der Versicherungsdatenbank der Österreichischen Sozialversicherung ein.

Die belangte Behörde forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 11.03.2013 auf, Unterlagen betreffend seine Therapie zu übermitteln. Diesem Ersuchen kam der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 09.04.2013 nach und legte eine Reihe von Befunden und einen Auszug aus seinen Versicherungszeiten in Tschechien vor. Er teilte mit, dass er zurzeit arbeitsunfähig sei, und er daher in den nächsten Wochen wieder den Job verlieren werde.

Mit Schreiben vom 21.05.2013 ersuchte die belangte Behörde den Beschwerdeführer medizinische Unterlagen im Zusammenhang mit dem Hörsturz zu übermitteln. Gleichzeitig teilte die belangte Behörde mit, dass betreffend dem Ansuchen des Beschwerdeführers auf Verdienstentgang nach § 3 VOG aufgrund der vorliegenden Unterlagen das Vorliegen eines verbrechenskausalen Verdienstentganges im fiktiven schadensfreien Verlauf zum Zeitpunkt der Antragstellung (bzw. im Antragsfolgemonat Jänner 2013) nicht mit der für das Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne.

Mit Emailnachricht vom 13.06.2013 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er keine Unterlagen im Zusammenhang mit seinem Hörsturz vorlegen könne. Er widerspreche der belangten Behörde, wenn sie vermeine, dass er keinen verbrechenskausalen Verdienstentgang gehabt habe. Der Beschwerdeführer legte den Befund über seinen Aufenthalt in der Kinderklinik vom 27.12.1966 bis 31.01.1967 vor.

Die belangte Behörde ersuchte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25.09.2013 aktuelle Befunde zu seinem linken Ohr und zu seinem psychischen Gesundheitszustand vorzulegen, sowie eine Begründung für seine Annahme, dass es einen verbrechenskausalen Zusammenhang zu einem Verdienstentgang gebe, nachzureichen.

Der Beschwerdeführer gab mit Eingabe vom 31.10.2013 eine umfangreiche Stellungnahme ab, wonach er als Kind ein auffallendes Verhalten gezeigt habe. Er habe in der Volksschule einen guten Schulerfolg gehabt, weswegen er in den 1. Klasse Hauptschule A-Zug habe wechseln können. Es sei nicht richtig, dass er sich in einem Internat in XXXX befunden habe, es gebe dieses Internat nicht. Er habe dort lediglich die Volksschule besucht. In den Sommermonaten sei er bei den XXXX in XXXX gewesen. Bis zum Jahr 1973 habe die Pflegschaftsbehörde die Vormundschaft über ihn gehabt. Im Jahr 1973 habe sein Onkel für ihn die Vormundschaft übernommen, seit damals habe es keine Kontrollen mehr durch die XXXX gegeben. Er habe Jahre im Kinderheim XXXX verbracht und sei dort in der von ihm in seiner Stellungnahme beschriebenen Art und Weise misshandelt worden. Es habe körperliche Züchtigungen gegeben, man habe ihm den Knorpel des linken Ohres gebrochen, er habe einen Hörsturz gehabt und höre seitdem auf diesem Ohr schlecht. Leider könne er dazu keine Befunde vorlegen. Ein Mitzögling habe ihn gegen eine Wand geschleudert, was eine riesige Beule am Kopf und fürchterliche Kopfschmerzen und Erbrechen zur Folge gehabt habe. Er habe vor der Heimleiterin seine Vorhaut am Glied mehrfach vor- und zurückziehen müssen, er sei auch mit einem Staberl am Glied geschlagen worden, bzw. habe die Heimleiterin selbst die Vorhaut vor- und zurückgezogen. Dies sei auch vor Zeuginnen passiert. Er nenne diesen Vorgang "Spatzerkontrolle". Er sei von Mitzöglingen sexuell missbraucht worden, es sei zu gemeinsamen Masturbieren, Oralsex und Vergewaltigungen gekommen. Der Versuch, dies der Heimleitung zur Kenntnis zu bringen, habe damit geendet, dass er selbst von dieser verprügelt worden sei. Er habe seit dieser Zeit Probleme in Partnerschaften. Er sei bei seinem letzten Arbeitgeber wegen psychischer Probleme gekündigt worden. Er leide an einer Essstörung, an einer nicht organischen Schlafstörung, einer andauernden Persönlichkeitsstörung und an Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörung. Er sehe einen Zusammenhang mit seiner Zeit im Heim, und vor allem mit den Erfahrungen, die er dort habe machen müssen. Er habe auch öfters den Beruf wechseln müssen, weil er Anweisungen nicht gehört habe, und es ihm peinlich gewesen sei, nachzufragen. Er habe auch als Kellner oft falsche Bestellungen übermittelt. Die verbrechenskausalen Zusammenhänge hätten es ihm nicht ermöglicht, zumindest sein Ingenieurstudium abzuschließen.

Die belangte Behörde ersuchte in weiterer Folge am 08.04.2014 den ärztlichen Dienst, ein ärztliches Sachverständigengutachten zur Frage einzuholen, ob beim Beschwerdeführer Gesundheitsschädigungen vorliegen, welche dieser festgestellten Gesundheitsschädigungen mit Wahrscheinlichkeit auf die Verbrechen zurückzuführen sei, ob beim Beschwerdeführer Arbeitsunfähigkeit vorliege, und ob die kausale Gesundheitsschädigung den beruflichen Werdegang des Beschwerdeführers maßgeblich beeinflusst habe, bzw. ob allein schon akausale Gesundheitsschädigungen eine kontinuierliche Beschäftigung des Beschwerdeführers verhindert hätten.

Der Beschwerdeführer teilte der belangten Behörde mit Emailnachricht vom 14.05.2014 mit, dass er seit Oktober 2013 wegen psychischer Probleme laut tschechischer Rechtsprechung in Invaliditätspension sei. Der Beschwerdeführer habe am 21.10.2013 die Gewährung einer Invaliditätspension in Österreich beantragt. Die Pensionsversicherungsanstalt habe diese mit Bescheid vom 17.04.2014 abgewiesen, der Beschwerdeführer habe dagegen Klage beim Arbeits- und Sozialgericht erhoben, das Ergebnis stehe noch aus. Der Beschwerdeführer übermittelte den tschechischen Pensionsbescheid samt beglaubigter Übersetzung. Er erhalte nur ca. € 114,- Pension, da es in Tschechien keine Mindestsicherung gebe. Davon könne er nicht leben, er sei auch schon mit den Unterhaltszahlungen für seine Tochter in Rückstand. Er ersuche um Anweisung eines Überbrückungsgeldes, da er auch die Miete und die täglichen Ausgaben zu bezahlen habe.

Die belangte Behörde leitete am 15.05.2014 die vom Beschwerdeführer übermittelten medizinischen Unterlagen an den ärztlichen Dienst weiter.

Der ärztliche Dienst übermittelte am 16.05.2014 ein medizinisches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, welches mangels Schlüssigkeit, Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit nicht verwertet werden habe können. Die belangte Behörde kam daher zum Schluss, das Ergebnis des vom Beschwerdeführer angestrebten Invaliditätspensionsverfahrens abzuwarten, bevor die Angelegenheit neuerlich einem medizinischen Sachverständigen zur Gutachtenserstellung übermittelt werden würde.

Mit Schreiben vom 28.08.2014 teilte die Wiener Gebietskrankenkasse mit, dass dieser keine Informationen über Krankenstände und Krankheiten des Beschwerdeführers vorliegen würden.

Der Beschwerdeführer legte am 03.09.2014 persönlich diverse Unterlagen bei der belangten Behörde vor.

Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom 03.09.2014 die Pensionsversicherungsanstalt Kopien der Entscheidungen und Gutachten aus dem Invaliditätspensionsverfahren des Beschwerdeführers zu übermitteln.

Mit Schreiben vom 04.12.2014 gab Mag. Franz GALLA, Rechtsanwalt, bekannt, dass er mit der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers beauftragt worden sei. Er ersuche um Bekanntgabe des Verfahrensstandes.

Nach mehrfacher Urgenz seitens der belangten Behörde übermittelte die Pensionsversicherungsanstalt mit Schreiben vom 19.12.2014 die angeforderten Unterlagen und teilte mit, dass sich der Pensionsakt nach wie vor bei Gericht befinde.

Die belangte Behörde ersuchte neuerlich mit Schreiben vom 05.03.2015 die Pensionsversicherungsanstalt Kopien der Entscheidungen und Gutachten aus dem Invaliditätspensionsverfahren des Beschwerdeführers zu übermitteln.

Mit Schreiben vom 18.02.2015 teilte die Volksanwaltschaft mit, dass sich der Beschwerdeführer wegen der langen Verfahrensdauer beschwert habe. Die Volksanwaltschaft ersuche um eine detaillierte Darstellung des bisherigen Verfahrensverlaufes und Bekanntgabe, welche Hindernisgründe einer abschließenden Erledigung entgegengestanden seien. Die belangte Behörde übermittelte am 30.03.2015 die angeforderte Stellungnahme an die Volksanwaltschaft. Die Volksanwaltschaft hielt in ihrem Schreiben vom 24.04.2015 fest, dass Maßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens zu treffen seien, und ersuchte, über das Ergebnis der Entscheidung informiert zu werden. Mit Schreiben vom 15.05.2015 replizierte die belangte Behörde an die Volksanwaltschaft.

Die belangte Behörde ersuchte neuerlich mit Schreiben vom 15.06.2015 die Pensionsversicherungsanstalt Kopien der Entscheidungen und Gutachten aus dem Invaliditätspensionsverfahren des Beschwerdeführers zu übermitteln.

Mit Eingabe vom 21.09.2015 ersuchte der Beschwerdeführer durch seinen anwaltlichen Vertreter um Gewährung eines Vorschusses auf den geltend gemachten Bezug des Verdienstentganges nach § 7a VOG. Der Beschwerdeführer erhalte nur € 115,- pro Monat an Pension in Tschechien. Seine tschechische Pension sei im Jänner 2015 von "befristet" auf "dauerhaft" umgewandelt worden, laut psychologischer Betreuung und Befund sei der Beschwerdeführer "nicht arbeitsfähig". Der Beschwerdeführer habe gegen das abweisende Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Mitte Mai 2015 Berufung erhoben. Ein privates Gutachten sei in Arbeit und werde Ende Herbst zur Verfügung stehen.

Mit Emailnachricht vom 24.09.2015 teilte die belangte Behörde dem anwaltlichen Vertreter des Beschwerdeführers mit, dass Vorschüsse auf den Verdienstentgang nicht in Betracht kommen würden. Die nach § 7a VOG geforderte Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 3 VOG könne aufgrund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse nicht abgeleitet werden. Es werde der Ausgang des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht (in der Folge OLG) abgewartet. Sollte der Beschwerdeführer weitere Unterlagen, wie Befunde oder Gutachten haben, so werde um deren Übermittlung ersucht.

Mit Schreiben vom 07.12.2015 ersuchte die Volksanwaltschaft neuerlich um Information über den Stand des Verfahrens. Die belangte Behörde teilte der Volksanwaltschaft den Verfahrensstand mit einem eigenen Schreiben mit.

Die belangte Behörde ersuchte neuerlich mit Schreiben vom 18.12.2015 die Pensionsversicherungsanstalt Kopien der Entscheidungen und Gutachten aus dem Invaliditätspensionsverfahren des Beschwerdeführers zu übermitteln.

Die Pensionsversicherungsanstalt übermittelte mit Emailnachricht vom 22.12.2015 die angeforderten Unterlagen. Unter anderem enthielt diese Nachricht auch das Urteil des OLG Wien vom 28.09.2015, wonach der Berufung des Beschwerdeführers nicht Folge gegeben werde, da der Beschwerdeführer im Ergebnis nicht berufsunfähig im Sinne des § 273 ASVG sei.

Die belangte Behörde ersuchte am 28.01.2016 den medizinischen Sachverständigen Dr. Pankl um die Erstellung eines nervenfachärztlichen und psychologischen Gutachtens unter Berücksichtigung sämtlicher im Verfahren vorliegenden Befunde und Sachverständigengutachten.

In seinem nervenfachärztlichen Sachverständigengutachten auf Basis der Aktenlage vom 27.05.2016 kommt der medizinische Sachverständige zusammenfassend zu dem Ergebnis, das ein Kausalzusammenhang zwischen den psychischen Leiden des Beschwerdeführers und dem Heimaufenthalt bzw. dem Verbrechen nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne. In der Kindheit seien Vorfälle passiert, welche auch ohne die eigentlichen Misshandlungen als Trauma angesehen werden könnten. Die Misshandlungen hätten zwar möglicherweise einen Einfluss auf den derzeitigen psychischen Leidenszustand des Beschwerdeführers, seien jedoch nicht als wesentliche Ursache anzusehen. Im Hinblick auf die frühkindlichen Sozialisierungsbedingungen sei davon auszugehen, dass auch ohne das Vorliegen der Verbrechen eine ähnliche Persönlichkeitsänderung vorliegen würde. Aus den zur Verfügung gestellten Unterlagen würden sich keine Hinweise zur Annahme ergeben, dass der Beschwerdeführer durch kausale Gesundheitsschäden an einem kontinuierlichen Berufsverlauf bzw. besserer Ausbildung gehindert gewesen sei. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass vorwiegend negative Sozialisierungsbedingungen die Ausbildung und den beruflichen Werdegang beeinflusst hätten.

Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 16.06.2016 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

Der Beschwerdeführer gab durch seinen anwaltlichen Vertreter mit Eingabe vom 31.08.2016 eine ausführliche schriftliche Stellungnahme ab. Es werde bemängelt, dass das Gutachten lediglich auf Grundlage des Aktes erstellt worden sei. Es sei nicht klar, welche Erlebnisse des Beschwerdeführers aus den Heimaufenthalten der Gutachter berücksichtigt habe. Ebenso wenig sei klar, aufgrund welcher Umstände der Sachverständige die Verhältnisse beim Onkel und bei der Großmutter als problematisch angesehen habe, bzw. aufgrund welcher wissenschaftlichen Erwägungen der Gutachter zum Schluss käme, dass die Heimaufnahme als solche "auch ohne eigentliche Misshandlungen als Trauma" angesehen werden könne. Der Gutachter werde ersucht, dies nachzuholen. Es werde ersucht, dem Sachverständigen eine Befundaufnahme mit dem Beschwerdeführer aufzutragen und eine Ergänzung des Gutachtens vorzunehmen. Der Gutachter habe aus den Vorgutachten Diagnosen übernommen, es sei abzuklären, on diese übernommenen Krankheitsbilder kausal dafür seien, dass der Beschwerdeführer auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens und in Beziehung zu allen Erwerbsmöglichkeiten weniger Verdienst erhalten habe, als ohne diese Krankheitsbilder. Der Beschwerdeführer führte eine Reihe von Fragen aus, die der Sachverständige zu beantworten habe.

Die belangte Behörde nahm diese Stellungnahme zum Anlass, um den medizinischen Sachverständigen am 03.09.2016 zu ersuchen, eine Begutachtung nach persönlicher Vorladung des Beschwerdeführers vorzunehmen, und die vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 31.08.2016 aufgeworfenen Fragen zu beantworten.

Der medizinische Sachverständige erstatte am 04.12.2016 ein nervenfachärztliches Gutachten, welches auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 21.10.2016 beruht. Der medizinische Sachverständige diagnostizierte eine mittelgradige Depression. Es sei aus fachärztlicher Sicht unmöglich, alleinig frühkindliche psychische Traumata in ihrer Bedeutung für die Psyche zu werten, zumal sie mehr als 50 Jahre zurückliegen würden, und rezente Lebensereignisse unberücksichtigt lassen würden, wie Arbeitslosigkeit, gescheiterte Beziehungen, prekäre finanzielle Verhältnisse, angeschlagene Gesundheit mit chronischen Schmerzen und Alkoholmissbrauch. Es sei zu erwähnen, dass der Beschwerdeführer jahrelang beruflich sehr erfolgreich gewesen sei, und dies als Hinweis gewertet werden könne, dass eine schwerwiegende psychische Erkrankung (außer dem Alkoholmissbrauch) nicht vorgelegen haben können. Der Einfluss des Verbrechens auf eine Verschlimmerung könne aus fachärztlicher Sicht nicht ausgeschlossen werden, aber für eine Annahme im Rahmen einer Wahrscheinlichkeit gebe es keine ausreichenden Anhaltspunkte. Es sei nicht statthaft, unter Traumata ausschließlich die begangenen Verbrechen zu verstehen.

Die belangte Behörde übermittelte das genannte Gutachten dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 09.01.2017 und räumte diesem im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit ein, hierzu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Der Beschwerdeführer gab mit Eingabe vom 15.03.2017 durch seinen anwaltlichen Vertreter eine ausführliche schriftliche Stellungnahme ab. Die Befundaufnahme habe verhältnismäßig kurz gedauert. Der medizinische Sachverständige diagnostiziere nunmehr eine mittelgradige Depression und weiche damit von den anderen vorliegenden Expertenmeinungen ab. Eine nachvollziehbare Begründung für diese abweichende Diagnose würde fehlen. Die vom Sachverständigen angeführten "rezenten Lebensverhältnisse" seien eine Folge der erlittenen Misshandlungen und Qualen. Es werde zusammenfassend die Beantwortung weiterer ausformulierter Fragen beantragt. Zudem werde beantragt, den Heimakt des Beschwerdeführers beizuschaffen.

Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom 15.11.2017 die XXXX - Amt für Jugend und Familie des Magistrates der Stadt XXXX um Übermittlung des Pflegschaftsaktes des Beschwerdeführers. Mit Schreiben vom 05.01.2018 übermittelte das Amt für Jugend und Familie den angeforderten Mündelakt mit dem Hinweis, dass der Beschwerdeführer diese Unterlagen im Juni 2012 ebenfalls erhalten habe.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 22.02.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 20.12.2012 auf Ersatz des Verdienstentganges gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 3, § 3 sowie § 10 Abs. 1 VOG ab. In der Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde nach Schilderung des Sachverhaltes im Wesentlichen aus, dass ein Kausalzusammenhang der festgestellten Misshandlungen und sexuellen Missbräuche zur festgestellten Gesundheitsschädigung, einer mittelgradigen Depression, nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit habe festgestellt werden können. Seine psychischen Probleme seien erst nach einer Fersenverletzung im Jahr 2011 aufgetreten. Es sei dem Beschwerdeführer aufgrund akausaler, nicht mit der den festgestellten Verbrechen in Zusammenhang stehenden Gründen, und zwar seiner schulischen Leistungen und Erfolge nicht möglich gewesen, das Ingenieurstudium abzuschließen. Es seien auch die akausalen körperlichen Leiden, die mangelnden schulischen Leistungen sowie die negativen Sozialisierungsbedingungen zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer sei seit 2012 nicht mehr berufsfähig und beziehe eine tschechische Rente aufgrund psychischer Gesundheitsschädigungen. Er sei jedoch in Österreich als arbeitsfähig befunden worden. Der Beschwerdeführer werde als Opfer eines Verbrechens nach § 1 Abs. 1 VOG anerkannt, er habe furchtbare Gewalt in Form von psychischen und physischen Misshandlungen im Zuge seines Heimaufenthaltes erlitten. Es könne jedoch nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit iSd § 1 Abs. 1 VOG davon ausgegangen werden, dass die physischen bzw. psychischen Gesundheitsschädigungen auf die festgestellten Verbrechen zurückzuführen seien. Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Ersatzes des Verdienstentganges würden daher nicht vorliegen, weswegen der Antrag schon allein aus diesem Grund abzuweisen sei. Zudem habe nicht festgestellt werden können, dass die Gesundheitsschädigung den beruflichen Werdegang des Beschwerdeführers dermaßen beeinträchtigt habe, dass er heute seinen Beruf nicht mehr ausüben könne, bzw. bei Nichterleben der Misshandlungen diesen Beruf noch ausüben könne. Unter Hinweis auf Judikatur der Höchstgerichte zu Wahrscheinlichkeitskriterien nach dem VOG sei die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen, dass der Antrag nach § 3VOG nicht bewilligt werden könne, da das Vorliegen eines verbrechenskausalen Verdienstentganges zum Zeitpunkt der Antragstellung (bzw. Antragsfolgemonat Jänner 2013) im fiktiven schadensfreien Verlauf nicht mit der für das Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne.

Der Beschwerdeführer erhob durch seinen anwaltlichen Vertreter gegen diesen Bescheid mit Eingabe vom 11.04.2018 rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde. Nach Schilderung des Sachverhaltes monierte der Beschwerdeführer, dass die belangte Behörde nicht festgestellt habe, dass er die Aufnahmeprüfung in die HTL bestanden habe, dass er Misshandlungen durch seine Großmutter und seinen Onkel ausgesetzt gewesen sei, ebenso wenig sei festgestellt worden, dass ihm im Heim ein Knorpel am Ohr gebrochen worden sei, und er seit damals an maßgeblichen Hörproblemen leide, die kausal für den Verdienstentgang des Beschwerdeführers seien. Wären nicht während seiner gesamten Kindheit von verschiedenen Seiten an Verbrechen ihm verübt worden, hätte er mit Sicherheit anspruchsvollere Berufe ausüben und ein höheres Einkommen erzielen und damit sein gesamtes Leben anders gestalten können. Es werde zur Gänze bestritten, dass der BF "nur" an einer mittelgradigen Depression leide. Es würden generelle Verfahrensmängel bestehen, die belangte Behörde habe es unterlassen, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ermitteln. Die belangte Behörde habe die vom Beschwerdeführer in seinen Stellungnahmen aufgeworfenen Fragen nicht hinreichend beantworten lassen. Jeder durchschnittliche Mensch würde auf die Frage über die Zukunftschancen eines Kindes, welches in seiner Kindheit fast durchgehend Opfer von psychischen, physischen und sexuellen Übergriffen gewesen sei, als verschlechtert im Vergleich zu einem Kind, welches derartige Qualen nicht habe erleiden müssen, diese Frage bejahen. Das Sachverständigengutachten sei unschlüssig, der Sachverständige sei von seiner ursprünglichen Begutachtung abgewichen, ohne dies näher zu begründen. Die rechtliche Beurteilung sei ebenfalls falsch, es liege jedenfalls strafrechtlich relevantes Verhalten vor, wobei aus den Handlungen der Schädiger Verletzungen von Persönlichkeitsrechten resultieren würden. Die belangte Behörde habe das VOG unzutreffend angewendet, als sie rechtlich zu dem Schluss gekommen sei, dass sie eine Kausalität der Depression mit den an den Beschwerdeführern verübten Verbrechen für nicht ausreichend wahrscheinlich halte. Die belangte Behörde sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass beim Beschwerdeführer keine Einschränkungen bezüglich der Berufslaufbahn und des Verdienstes vorliegen würden. Vielmehr sei der Beschwerdeführer aufgrund der aufzuarbeitenden Erlebnisse nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Der Beschwerdeführer sei auch Zeit seines Berufslebens nicht nur wegen seiner psychischen Beeinträchtigungen eingeschränkt gewesen, sondern auch aufgrund seiner körperlichen Beschwerden, die aus den Misshandlungen herrühren würden. Es sei dem gegenständlichen Fall immanent, dass das Leben und das Fortkommen des Beschwerdeführers anders verlaufen wäre, hätte es diese Misshandlungen nicht gegeben. Diese langandauernden strafbaren Handlungen in seiner Kindheit und Jugend hätten zwangsläufig zu Belastungen und Traumatisierungen geführt, und es sei mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges und vor allem der dafür erforderlichen Kausalität auszugehen. Die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Nachweis der Kausalität dürften nicht ausschließlich zu Lasten des Beschwerdeführers gehen, dies umso mehr, als amtswegige Ermittlungspflicht bestehe und der Beschwerdeführer seiner Mitwirkungsverpflichtung nachgekommen und stets kooperationsbereit gewesen sei. Der Beschwerdeführer beantragte die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zu seiner Einvernahme und der Erörterung des Sachverständigengutachtens, weswegen auch der medizinische Sachverständige zu laden sei, den gegenständlichen Bescheid aufzuheben und der Beschwerde stattzugeben, in eventu, der Beschwerde stattzugeben, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Die belangte Behörde übermittelte den Verwaltungsakt mit Schreiben vom 12.04.2018 an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG), wo dieser am 20.04.2018 einlangte und der Gerichtsabteilung W135 zugewiesen wurde.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 13.03.2019 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W135 abgenommen und der Gerichtsabteilung W261 neu zugewiesen, wo der Beschwerdeakt am 18.03.2019 einlangte.

Das BVwG führte am 21.05.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer einvernommen wurde. Der beigezogene medizinische Sachverständige erläuterte über Befragen sein Sachverständigengutachten und führte ergänzend aus, dass der BF in seiner frühen Kindheit kein primäres Bezugsobjekt gehabt habe, da seine Mutter früh verstorben sei, und die Großmutter zum BF, der ein uneheliches Kind gewesen sei, ein distanziertes Verhältnis gehabt habe. Der BF habe negative Sozialisierungsbedingungen gehabt, die beim BF zu einer Persönlichkeitsstörung vom emotional instabilen Typ, oder auch Borderline-Syndrom genannt, geführt habe. Diese Borderline Störung sei eine sehr schwere Persönlichkeitsstörung, die besser werde, je älter die Personen werde. Der BF weise nach wie vor Anzeichen dieser Störung auf. Im Jahr 2011 sei es zu einer Verschlimmerung des psychischen Zustandes des BF gekommen. Es könne passieren, dass dann, wenn eine Verdrängung von Ereignissen nicht mehr möglich sei, dies Auswirkungen auf die Psyche haben könne, die in weiterer Folge zu einer Depression führen können. Der Vertreter der belangten Behörde führte im Detail aus, weswegen aus seiner Sicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Hilfsleistungen nach dem VOG im gegenständlichen Beschwerdefall nicht vorliegen würden, zumal ein Kausalzusammenhang zwischen den Gesundheitsschädigungen und dem Verbrechen nicht mit der für das VOG maßgeblichen Wahrscheinlichkeit habe festgestellt werden können.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zum Beschwerdeführer und den allgemeinen Voraussetzungen

Der Beschwerdeführer ist österreichische Staatsbürger.

Er wurde am XXXX in XXXX als außereheliches Kind geboren. Der Vater des Beschwerdeführers war Elektromechaniker und anderwertig verheiratet. Die Mutter des Beschwerdeführers war als Praktikantin in einer Werksküche beschäftigt und besuchte die Hotelfachschule. Er wurde von seiner Mutter in ein XXXX Säuglingsheim gebracht, weil diese wieder arbeiten gehen musste.

Ab dem XXXX .1958 war der Beschwerdeführer im Säuglings- und Kinderheim XXXX in XXXX untergebracht. Da die Mutter des Beschwerdeführers anderorts gemeldet war, konnte das zuständige Jugendamt die Mutter des Beschwerdeführers erst im August 1959 finden. Im Dezember 1959 wurde der Beschwerdeführer in die Obhut seiner Großmutter mütterlicherseits übergeben. Die Mutter des Beschwerdeführers hatte am 30.12.1959 einen Autounfall und verstarb am 10.01.1960 an den Folgen dieses Unfalles. Der Beschwerdeführer lebte fortan bei seiner Großmutter mütterlicherseits. Der Vater erkannte seine Vaterschaft an, bezahlte regelmäßig Unterhalt und kam sehr unregelmäßig zu Besuch.

Der Beschwerdeführer besuchte halbtags den Kindergarten und wurde im Oktober 1963 in seinem Pflegschaftsakt als kräftiger, sehr lebhafter und aufgeweckter Bub beschrieben.

Der Beschwerdeführer war ab dem Schuljahr 1968/1969 bis einschließlich Juni 1973 im Kinderheim XXXX untergebracht. Im Kinderheim XXXX war der Beschwerdeführer sowohl psychischen, sexuellen als auch physischen Misshandlungen ausgeliefert. Dabei handelte es sich unter anderen um regelmäßige Schläge, Haare reißen, Trink- und Toilettenverbote und dem Zwang, Erbrochenes aufzuessen. Unter anderem wurde der Beschwerdeführer von einer Erzieherin mit einem Holzschlapfen derart geschlagen, dass der Knorpel seines linken Ohres brach. Er wurde nach diesem Vorfall nicht ärztlich behandelt. Er leidet seit diesen Schlägen auf seinen Kopf an Hörminderungen.

Der Beschwerdeführer wurde während seiner Zeit in XXXX von Mitzöglingen sexuell missbraucht, indem er vergewaltigt und zum Oralsex gezwungen wurde. Von den ErzieherInnen wurde beim Beschwerdeführer regelmäßig eine "Spatzerlkontrolle" durchgeführt, bei denen sich der Beschwerdeführer entkleiden musste und sein Intimbereich in unangemessener Weise von der Aufsichtsperson begutachtet und berührt wurde. Während dieser Kontrollen waren oftmals mehrere Personen anwesend, und es war nicht unüblich, von den ErzieherInnen Schläge auf den nackten Penis zu bekommen.

Die Großmutter und der Onkel des Beschwerdeführers verprügelten diesen als Disziplinierungsmaßnahme während seiner Kindheit und während der Heimzeit an Wochenenden mit dem Stiel des Teppichklopfers.

Im März 1973 erhielt sein Onkel mütterlicherseits die Vormundschaft über den Beschwerdeführer.

Aufgrund der dem Beschwerdeführer während der Heimaufenthalte widerfahrenden Misshandlungen erkannte dem Beschwerdeführer die Opferschutzeinrichtung Weisser Ring im Auftrag der Stadt Wien eine Entschädigungsleistung sowie Kostenübernahme für 80 Therapiestunden zu.

Der Beschwerdeführer stellte am 20.12.2012 einen Antrag auf Hilfeleistung nach dem VOG, genauer auf Ersatz des Verdienstentganges.

Der Beschwerdeführer wurde mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit während seiner Unterbringung im Kinderheim XXXX von in den Jahren 1968 bis 1973 durch die psychischen und physischen Misshandlungen der dortigen ErzieherInnen und der sexuellen Übergriffe durch Mitzöglinge Opfer einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG.

1.2 Festgestellte Funktionsbeeinträchtigungen und Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit

-

mittelgradige Depression.

-

mittelgradig sensorineurale Hörstörung beidseits

-

Tinnitus beidseits

-

Zustand nach operiertem und knöchern abgeheiltem Fersenbeinbruch am rechten Sprunggelenk

-

Zustand nach arthroskopischer Meniskusoperation

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Zustand nach knöchern abgeheilten Deckenplattenbruch des ersten Lendenwirbels

Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Funktionsbeeinträchtigungen nur mehr geeignet für leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten, und zwar in jeder Körperhaltung, ausgenommen überwiegendes Knien und Hocken, in der üblichen Arbeitszeit mit den üblichen Arbeitspausen. Der Beschwerdeführer ist für Arbeiten mit durchschnittlichem psychischen Anforderungsprofil unterweisbar. Tätigkeiten in einer Lärmumgebung mit einer Dauerbelastung von mehr als 85 dB scheiden aus, kurzfristig sind 100 dB zumutbar. Verständnis der Umgangssprache und Richtungshören sind bis zu 6 m möglich, mit Hörgeräten kann Umgangssprache bis 10 m verstanden werden. Reine Telefontätigkeiten und Arbeiten an hoch exponierten Stellen bzw. solche mit häufigem Stiegensteigen scheiden aus. Besonderer Zeitdruck ist ihm drittelzeitig zumutbar. Die Kommunikationsfähigkeit des Beschwerdeführers ist erhalten. Aufsichtstätigkeiten und Mengenleistungen sind aus neurologisch-psychiatrischer Sicht möglich. Die Fingerfertigkeit ist ungestört. Der Weg zur Arbeit ist uneingeschränkt.

1.3 Kausalität

Es besteht nach der mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein Kausalzusammenhang zwischen den festgestellten Misshandlungen und den sexuellen Missbräuchen im Kinderheim XXXX und den Gesundheitsschädigungen "mittelgradige Depression" und die "mittelgradige sensorineurale Hörstörung" des Beschwerdeführers.

Die übrigen Gesundheitsschädigungen und Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers sind akausal.

1.4 Ausbildungs-, Beschäftigungsverlauf und Lebensumstände

Der Beschwerdeführer hatte laut Aufzeichnungen aus seinem Pflegschaftsakt hinsichtlich seiner schulischen Leistungen und seiner Lernerfolge in der Volksschule im Jänner 1966 keine Schwierigkeiten. Er fiel jedoch immer wieder durch seine auffallende Unruhe, die auf eine Störung schließen ließ, auf. Er wird im Laufe des Jahres 1966 immer wieder als großer Störenfried beschrieben, der andere belästigt. Er wurde als durchschnittlich begabt, jedoch mit wenig Konzentrationsfähigkeit befunden und bedurfte ständiger Beaufsichtigung.

Am 12.12.1966 wurde zum ersten Mal die Notwendigkeit einer Heimunterbringung des Beschwerdeführers von der Pflegschaftsbehörde angesprochen. Der Beschwerdeführer wurde folglich am 27.12.1966 in eine Klinik zur Beobachtung aufgenommen. Laut einem in diesem Zusammenhang erstellten Befund vom 13.02.1967 waren beim Beschwerdeführer bei guter Intelligenz in emotionaler Hinsicht deutliche Zeichen eines Entwicklungsrückstandes bzw. Vertrauens in der illusionären Phase, die sich als hochgradige Eidetik, das ist die Fähigkeit, Vorstellungen anschaulich und bildhaft zu entwickeln, mit Neigung zu Pseudolgia phantastica, das ist krankhaftes Lügen, äußerte, ersichtlich. Aufgrund disziplinärer Entgleisungen wurde im Jahr 1967 eine neuerliche Umschulung für notwendig erachtet. Die Großmutter des Beschwerdeführers klagte im Jänner 1968 darüber, dass der Beschwerdeführer sehr vital gewesen ist, und diese "damit nicht mehr recht mit kann." Im Schulbericht vom 05.03.1968 ersuchte die Schule des Beschwerdeführers um Heimunterbringung und um Überweisung in eine Sondererziehungsanstalt, die Großmutter des Beschwerdeführers verweigerte jedoch dazu die Einwilligung. Mit 09.05.1968 wurde das Verhalten des Beschwerdeführers von der Schulleitung als immer untragbarer empfunden.

Er besuchte die 4. Klasse der Volksschule in XXXX bei XXXX und während seiner Zeit im Kinderheim XXXX die öffentliche Hauptschule für Knaben und Mädchen in XXXX , wobei sich sein Betragen eindeutig verbesserte, sein Fleiß jedoch als befriedigend und dementsprechend die schulischen Leistungen als durchschnittlich beurteilt wurden. Er besuchte den A-Zug dieser Hauptschule und schloss diese in der 4. Klasse erfolgreich ab, wobei er in Betragen ein "sehr gut" erhielt.

Der Beschwerdeführer wurde im Juni 1973, nachdem er die Hauptschule abgeschlossen hatte, aus XXXX entlassen und in die Obhut seines Vormundes übergeben. Er bestand die Aufnahmeprüfung in die Höhere Technische Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt XXXX Höhere Abteilung für Tiefbau, und besuchte den ersten Jahrgang im Schuljahr 1973/74. Aufgrund seiner Leistungen, er schnitt in zwei Gegenständen mit "Nicht genügend" ab, wurde der Beschwerdeführer als nicht geeignet befunden, in den zweiten Jahrgang aufzusteigen. Ein Zusammenhang mit dem Aufenthalt und den erlittenen Misshandlungen und sexuellen Übergriffen um Kinderheim XXXX und dem Nichtbestehen der ersten Schulstufe der HTL und damit der fehlenden Möglichkeit einer höherwertigen Ausbildung, kann mit der für das VOG maßgeblichen Wahrscheinlichkeit nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer machte in weiterer Folge eine Lehre als Spediteur und schloss die Ausbildung im Juni 1978 erfolgreich ab. Der Beschwerdeführer erlernte im zweiten Bildungsweg den Beruf eines Kellners und Koch. Nach Abschluss seiner Lehrberufe war der Beschwerdeführer bei verschiedenen Arbeitgebern in Österreich jeweils nur für wenige Monate beschäftigt. In den 80er Jahren war der Beschwerdeführer alkoholabhängig. Von 2006 bis 2012 war der Beschwerdeführer in Tschechien durchgehend bei vier Arbeitgebern beschäftigt, wobei er zuletzt in einem Call-Center für die Dauer von drei Jahren angestellt war.

Ab 22.10.2012 war er in Krankenstand, seit 24.10.2013 bezieht der Beschwerdeführer eine Invaliditätspension von Tschechien in der Höhe von ca. € 115,- pro Monat. Die maßgebende, sich am meisten auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit auswirkende Ursache für den langfristig ungünstigen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist nach dem Invaliditätsgutachten der Kreisverwaltung der Sozialversicherung Sokolov vom 22.11.2013 die im Kapitel V, Position 5c der Anlage der Verordnung Nr. 359/2009 Sb. genannte Behinderung, und dafür wurde eine Erwerbsfähigkeitsminderung von 35 % angenommen. Es handelt sich laut der genannten Verordnung um eine mäßige funktionelle Beeinträchtigung, bei der ein erheblich eingeschränktes soziales Funktionieren besteht, und die Leistung einiger täglichen Aktivitäten erheblich reduziert ist.

Der Beschwerdeführer ist laut Bescheid der PVA vom 17.04.2014, letztinstanzlich bestätigt durch das Urteil des OLG Wien vom 28.09.2015 zwar eingeschränkt, aber arbeitsfähig, weswegen sein Antrag auf Invaliditätspension rechtskräftig abgewiesen wurde.

Der Beschwerdeführer war drei Mal verheiratet, ist geschieden und hat zwei außereheliche Kinder, wobei er für eine Tochter noch unterhaltspflichtig ist. Der Beschwerdeführer ist seit 23.04.2016 wiederverheiratet. Das ist seine vierte Ehe. Der Beschwerdeführer lebt derzeit in prekären finanziellen Verhältnissen. Er ist nicht in der Lage, den Unterhalt für seine minderjährige Tochter zu bezahlen und hat Schulden. Er lebt mit seiner Gattin mietfrei in der Wohnung deren Tochter. Der Beschwerdeführer ist aktuell wieder in einem Callcenter in Deutschland beschäftigt.

Das Borderline-Syndrom, welches der Beschwerdeführer aufgrund der negativen Sozialisierungsbedingungen in seiner frühen Kindheit erlitt, und welches durch die Misshandlungen und sexuellen Übergriffe im Kinderheim noch verstärkt wurde, war von geringer Pathologie mit mäßigem Effekt auf seinen Beschäftigungsverlauf bis zum Jahr 2011. Im Zuge der Aufarbeitung seiner Heimerlebnisse ab April 2011, als der Beschwerdeführer nach einem Trümmerbruch des Fersenbeines lange Zeit im Krankenhaus war, und in etwa zeitgleich die mediale Berichterstattung über die Heimskandale erfolgte, trat beim Beschwerdeführer als psychische Reaktion eine mittelgradige Depression auf, wodurch in Folge eine Minderung seiner Arbeitsfähigkeit eintrat. Die Hörminderung führt ebenfalls zu Einschränkungen in seiner Erwerbsfähigkeit. Der Beschwerdeführer ist auch durch seine akausalen Leiden, hier insbesondere wegen des Trümmerbruches des Fersenbeins im Jahr 2011 und der daraus resultierenden Beschwerden in seiner Berufsausübung insofern eingeschränkt, als er beispielsweise Tätigkeiten im Gastgewerbe nicht mehr ausüben kann.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Beschwerdeführer und den allgemeinen Voraussetzungen (1.1) und seinen Ausbildungs-, Beschäftigungsverlauf und seine Lebensumstände (1.4) beruhen im Wesentlichen auf den Ermittlungsergebnissen der belangten Behörde und wurden in der mündlichen Beschwerdeverhandlung von den Parteien des Verfahrens Großteils außer Streit gestellt (vgl. S 3 bis 5 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

2.1 Zum Beschwerdeführer und den allgemeinen Voraussetzungen

Ergänzend zu dem in der mündlichen Beschwerdeverhandlung außer Streit gestellten Sachverhalt wird seitens des erkennenden Senates festgestellt, dass der Beschwerdeführer von einer Erzieherin mehrmals mit einem Holzschlapfen unter anderem auf den Kopf geschlagen wurde, dass der Knorpel seines linken Ohres brach, und er seit dieser Zeit eine verminderte Hörfähigkeit hat. Diese Feststellung basiert einerseits auf den glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG (vgl. S 8 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung) und andererseits stellte der Beschwerdeführer diese Art der Misshandlung mehrfach in seinen schriftlichen Stellungnahmen dar (vgl. AS 9f, 60, 95), und gab dies auch bei seiner HNO-ärztlichen Untersuchung im Rahmen des beim Arbeits- und Sozialgericht anhängig gewesenen Invaliditätspensionsverfahrens an (vgl. Befund und HNO-ärztliches Gutachten Dr. Alexander HÖNIGMANN vom 03.07.2014, AS 181).

Weiters wird ergänzend zu dem in der mündlichen Beschwerdeverhandlung außer Streit gestellten Sachverhalt seitens des erkennenden Senates festgestellt, dass der Beschwerdeführer auch von seiner Großmutter und seinem Onkel mit dem Stiel des Teppichklopfers diszipliniert wurde. Diese Feststellung basiert auf den glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG (vgl. S 7 und S 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

2.2 Zu den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen und den Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit

Die einzelnen in den Feststellungen aufgelisteten Funktionsbeeinträchtigungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den im Akt aufliegenden medizinischen Sachverständigengutachten und Befunden und den Ausführungen des beigezogenen medizinischen Amtssachverständigen für Neurologie und Psychiatrie bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 21.05.2019.

Der beigezogene Amtssachverständige, ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, attestiert dem Beschwerdeführer in seinem Gutachten vom 04.12.2016 eine "mittelgradige Depression". Demnach treten beim Beschwerdeführer mittelgradige Phasen auf, bei welchem er unter gedrückter Stimmung und einer Verminderung des Antriebes und der Aktivität leidet. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei leichten Formen kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag, reagiert auf Lebensumstände und so von sogenannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessensverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust. (vgl. AS 354). Wie der medizinische Sachverständige in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG ausführte, leidet der Beschwerdeführer nach wie vor an dieser Krankheit, wobei diese depressive Störung ca. im Jahr 2011 auftrat (vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Aufgrund der schlechten Sozialisierungsbedingungen ab seiner frühesten Kindheit entwickelte der Beschwerdeführer nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen eine Persönlichkeitsstörung emotional instabiler Typ, oder auch Borderline-Syndrom genannt. Dies ist eine sehr schwere Persönlichkeitsstörung, die jedoch, je älter die Personen werden besser wird. Diese Personen haben manische und depressive Phasen, eine eingeschränkte Frustrationstoleranz und reagieren bei Zurückweisung mit Rückzug (vgl. S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Einzelne Symptome dieser Krankheit sind beim Beschwerdeführer noch vorhanden. Der medizinische Sachverständige betonte jedoch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung wieder, dass er nach persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers im Jahr 2016 zu einer anderen Diagnose kam, als der im arbeitsgerichtlichen Verfahren beigezogene nervenfachärztliche Sachverständig in seinem Gutachten vom 04.07.2014, der als psychiatrischen Befund zu dem Ergebnis kam (vgl. AS 185), dass beim Beschwerdeführer eben diese anhaltende Persönlichkeitsveränderung nach traumatisierenden Erlebnissen in der Kindheit und Jugend mit emotional-instabilen Zügen und erschwerter Affektkontrolle mit derzeit depressiven Verstimmungszustand vorliegt (S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Über Befragen durch den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers erläuterte der medizinische Sachverständige schlüssig und nachvollziehbar, weswegen er der Diagnose des nervenfachärztlichen Sachverständigen im Jahr 2016 nicht folgen konnte, und dass beim Beschwerdeführer derzeit die mittelgradige Depression und nicht mehr das Borderline-Syndrom zu diagnostizieren ist (vgl. S 20 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Daraus ergibt sich für den erkennenden Senat, dass der Beschwerdeführer nunmehr nicht mehr an einem Borderline-Syndrom, eben, weil sich dieses in seinem Alter gebessert hat, sondern in etwa seit 2011 an einer mittelgradigen Depression leidet.

Die Feststellung zur mittelgradig sensorineuralen Hörstörung beidseits beruht auf dem im Akt aufliegenden Befund und HNO-ärztlichen eines gerichtlichen beeideten medizinischen Sachverständigen vom 03.07.2014 (vgl. S 180). Dies gilt auch für die Feststellung zum Tinnitus beidseits, wobei der Beschwerdeführer dazu bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG befragt angab, dass die Leidenszustände schwanken, er zeitweise annähernd beschwerdefrei ist, und es dann wieder Phasen von schwerer Belastung gibt (S 9 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Die Feststellung zu den Zuständen nach Fersenbruch, Meniskusoperation und knöchern abgeheilten Deckenplattenbruch des ersten Lendenwirbels beruhen auf dem in Akt aufliegenden orthopädischen Sachverständigengutachten eines gerichtlich beeideten medizinischen Sachverständigen vom 04.07.2014 (vgl. AS 183).

Die Feststellungen zur Leistungskalkül des Beschwerdeführers, dh, welche Arbeiten er trotz seiner Funktionsbeeinträchtigungen noch ausführen kann, beruhen auf das vom Arbeits- und Sozialgericht eingeholten zusammenfassende ärztliche Sachverständigengutachten vom 31.07.2014 (vgl. AS 195).

2.3 Zur Kausalität

Der erkennende Senat erkannte bei zwei der Gesundheitsbeeinträchtigungen des Beschwerdeführers, genauer der mittelgradigen Depression und der mittelgradigen senorineuralen Hörstörung mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit einen Kausalzusammenhang mit den festgestellten Misshandlungen und sexuellen Übergriffen, die der Beschwerdeführer in seiner Zeit im Kinderheim XXXX zu erdulden hatte, an.

Bei der Beurteilung der Frage dieses Kausalzusammenhanges folgt der erkennende Senat nicht den Schlussfolgerungen des beigezogenen medizinischen Sachverständigen, der in seinen beiden schriftlichen Gutachten jeweils einen Kausalzusammenhang zwischen der mittelgradigen Depression und den Verbrechen im Wesentlichen mit der Begründung verneinte, weil der Beschwerdeführer durch seine frühkindlichen und kindlichen negativen Sozialisierungsbedingungen an einer psychischen Erkrankung litt, und nicht genau abgegrenzt werden könne, ob diese auf die genannten negativen Sozialisierungsbedingungen oder auf die Erlebnisse im Kinderheim zurückzuführen seien. Die Gründe hierfür sind wie folgt:

Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung ergab sich zu den psychischen Krankheiten des Beschwerdeführers das schlüssige und nachvollziehbare Bild, dass er bedingt dadurch, dass er Ende der 50er Jahre als außereheliches Kind einer sehr jungen Mutter geboren wurde, was damals noch in der Gesellschaft als Schande angesehen wurde, per se schon schlechte Startbedingungen als Mensch hatte. Seine Mutter befand sich zur Zeit seiner Geburt noch in Ausbildung und musste gleich nach der Geburt wieder arbeiten gehen, weswegen sie ihr Kind in ein Säuglingsheim geben musste. Aus dem Pflegschaftsakt ist zu entnehmen, dass sich die leibliche Großmutter mütterlicherseits zu Beginn auch weigerte, ihren Enkel zu besuchen. Da sich seine Mutter die hohen Pflegebeiträge mit ihrem geringen Einkommen nicht leisten konnte, und sich die Großmutter bereit erklärte, dass der Beschwerdeführer zu ihr ziehen kann, kam der Beschwerdeführer im Dezember 1959 zu seiner Großmutter mütterlicherseits, wo auch seine Mutter lebte. Es war dem Beschwerdeführer nicht lange gegönnt, mit seiner Mutter zusammenzuleben, denn diese hatte Ende Dezember 1959 einen Autounfall und verstarb am 10.01.1960 an den Folgen ihrer dabei erlittenen Verletzungen. Der Beschwerdeführer wuchs dann bei seiner Großmutter auf, die jedoch aus seiner Wahrnehmung ein eher distanziertes Verhältnis zu ihrem Enkel hatte. Sein Vater war anderwertig verheiratet, besuchte seinen Sohn zwar hin und wieder, war offensichtlich aufgrund dieser Umstände auch keine ständige, liebevolle Bezugsperson für den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer befand sich in der, wie der medizinische Sachverständige nachvollziehbar ausführte, prägendsten Zeit der ersten Lebensjahre in einer ungünstigen Situation ohne dauerhafte Bezugsperson, was in weiterer Folge zu einer Persönlichkeitsstörung emotional instabiler Typ, oder auch Borderline-Syndrom genannt, führte. Diese Persönlichkeitsstörung wurde durch den Heimaufenthalt und die erlittenen Misshandlungen zwar verstärkt, wäre jedoch, wie der medizinische Sachverständige in seinen Gutachten schlüssig und nachvollziehbar darlegt, auch unabhängig von den Erlebnissen im Kinderheim beim Beschwerdeführer aufgetreten, weswegen wegen dieser psychischen Krankheit der Kausalzusammenhang mit den Verbrechen richtigerweise zu verneinen ist. Zu berücksichtigten ist beim Borderline-Syndrom jedoch, dass diese Krankheit laut den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen im Alter besser wird (vgl. S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Aus den Symptomen der Krankheit (siehe dazu unter 2.2) lässt sich auch nachvollziehen, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer Zeit seines Lebens so oft den Beruf wechselte. Dafür, dass sich diese Krankheit auch beim Beschwerdeführer im Alter verbesserte spricht, dass er vor dem Jahr 2011 bereits drei Jahre lang beim selben Arbeitgeber beschäftigt war, was im Lichte seiner bis dahin erfolgten beruflichen Karriere ein sehr langer Zeitraum ist. Zudem lebte der Beschwerdeführer damals in einer intakten Lebensgemeinschaft, was für ihn im Laufe seines Lebens auch nicht selbstverständlich war, ist er doch bereits drei Mal geschieden und hat zwei Töchter aus zwei weiteren gescheiterten Beziehungen. Der Beschwerdeführer hatte sein Leben damit bis zum Jahr 2011 wieder recht gut im Griff bekommen.

Im April 2011 erlitt der Beschwerdeführer einen Trümmerbruch des Fersenbeines und hielt sich lange Zeit im Krankenhaus auf. In etwa zeitgleich kam es zu einer vermehrten medialen Berichterstattung über die Skandale in Kinderheimen, und er wurde von einem Mitzögling kontaktiert. Der Beschwerdeführer hatte viel Zeit zu grübeln, und die vielen schlimmen Erlebnisse, die er im Kinderheim erleiden musste, kamen wieder in sein Bewusstsein. Wie der medizinische Sachverständige in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausführte, ist es auch aus medizinischer Sicht nachvollziehbar und glaubhaft, dass durch dieses Grübeln eine Verschlimmerung der psychischen Situation des Beschwerdeführers eintrat, die letztendlich zur Diagnose mittelgradige Depression mit den unter 2.2 zitierten Symptomen führte (vgl. S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Wäre der Beschwerdeführer theoretisch nicht im Kinderheim gewesen, so hätte er im Jahr 2011 zwar ebenfalls diesen Trümmerbruch des Fersenbeins gehabt, die in etwa zeitgleich erfolgte mediale Berichterstattung über die Situation in Kinderheimen hätte ihn wahrscheinlich, mangels subjektiver Betroffenheit, jedoch nur am Rande berührt. Erst durch diese mediale Berichterstattung und die Kontaktaufnahme durch einen Mitzögling brachen die alten Wunden wieder auf, er erinnerte sich wieder an die Misshandlungen, die er bis dahin verdrängt hatte (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung) und hatte zudem im Krankenhaus noch viel Zeit um darüber nachzudenken. Durch diese Situation, die sich aus den Einvernahmen und dem Akteninhalt ziemlich genau mit dem Jahr 2011 eingrenzen lässt, kam es quasi zu einer Retraumtisierung des Beschwerdeführers, die, wie auch der medizinische Sachverständige in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausführte, zu einer Depression führen kann (vgl. S 18 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung). Daraus folgt für den erkennenden Senat, dass trotz der schlechten Sozialisierungsbedingungen des Beschwerdeführers in seiner Kindheit, die Misshandlungen und sexuellen Übergriffe während seiner Zeit im Kinderheim mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Ursache für die nach dem Jahr 2011 aufgetretene mittelgradige Depression des Beschwerdeführers sind.

Hinsichtlich der Hörstörung ist es für den erkennenden Senat glaubhaft und nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer in seiner Zeit im Kinderheim XXXX mit dem Holzschlapfen auf den Kopf geschlagen wurde, wodurch einerseits der Knorpel des linken Ohrs gebrochen wurde, und anderseits Hörstörungen eintraten. Diese Hörstörungen sind, wie oben unter 2.2. ausgeführt, im Befund und HNO-ärztlichen Gutachten vom 03.07.2014 (vgl. AS 182f) objektiviert. Es kann dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen werden, dass ihn die Erzieherinnen deswegen nicht zum Arzt brachten, und er keine Befunde hierzu aus seiner Kindheit vorlegen konnten, die eine zeitliche Eingrenzung, seit wann er die Hörstörung hat, ermöglichen würden. Der erkennende Senat erachtet die Aussagen des Beschwerdeführers bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung, dass er diese Hörstörungen seit der Kindheit im Heim hat, als glaubhaft, ebenso wie den Umstand, dass die Ursache hierfür die Schläge auf den Kopf mit einem Holzschlapfen war.

Die weiteren Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers stehen in keinerlei Zusammenhang mit seinem Aufenthalt im Kinderheim, und wurde dies vom Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren auch nicht behauptet, weswegen eine Auseinandersetzung mit di

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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