TE Vwgh Erkenntnis 1998/12/21 98/18/0258

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Veröffentlicht am 21.12.1998
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

ARB1/80 Art14 Abs1;
FrG 1997 §30 Abs3;
FrG 1997 §34 Abs1 Z1;
FrG 1997 §34 Abs1 Z2;
FrG 1997 §35 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §38 Abs1 Z2;
MRK Art8 Abs2;
StGB §71;
StGB §83;
StGB §88 Abs1;
StVO 1960 §5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hofbauer, über die Beschwerde des E O, geboren am 10. Jänner 1977, vertreten durch

Dr. Hansjörg Schweinester, Dr. Paul Delazer und Dr. Rudolf Kathrein, Rechtsanwälte in Innsbruck, Adolf-Pichler-Platz 12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 6. Juli 1998, Zl. III 158-1 /98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 6. Juli 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und 2 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von 5 Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei am 28. Mai 1996 wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO rechtskräftig bestraft worden, weil er am 27. April 1996 einen PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe. Am 15. April 1998 sei er wegen Übertretung der §§ 5 Abs. 2 und 20 Abs. 1 StVO sowie § 14 Abs. 1 Führerscheingesetz und § 102 Abs. 5 lit. b KFG rechtskräftig bestraft worden, weil er am 8. März 1998 als Lenker eines Kraftfahrzeuges gegenüber einem besonders geschulten Organ der Straßenaufsicht die Durchführung des Alkotestes verweigert habe, obwohl vermutet habe werden können, daß er den PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe; überdies habe er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten und den Führerschein sowie den Zulassungsschein nicht bei sich gehabt.

Am 17. Juni 1996 sei er wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden, weil er am 27. April 1996 einer anderen Person mehrere Faustschläge in das Gesicht versetzt habe, wodurch diese Person im Bereich der linken Augenbraue eine Rißquetschwunde erlitten habe. Weiters sei der Beschwerdeführer am 16. März 1998 wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden, weil er am 22. Jänner 1998 als Lenker eines Kraftfahrzeuges infolge Unaufmerksamkeit auf einen vor ihm zum Stillstand gebrachten PKW aufgefahren sei, wodurch die Lenkerin dieses Fahrzeuges ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule erlitten habe.

Das gesamte Fehlverhalten des Beschwerdeführers zeige dessen negative Einstellung zur Rechtsordnung, woraus folge, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle (§ 36 Abs. 1 Z. 1 FrG). Von dem in § 36 Abs. 1 FrG eingeräumten Ermessen werde daher zum Nachteil des Beschwerdeführers Gebrauch gemacht. Die rechtskräftigen Verurteilungen beruhten auf der gleichen schädlichen Neigung und erfüllten daher den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG. Die rechtskräftigen Bestrafungen wegen der Übertretungen des § 5 StVO erfüllten den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 2 erster Fall FrG.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit 1990 erlaubtermaßen im Inland und gehe einer erlaubten Beschäftigung nach. Seine Integration sei dementsprechend gut, und er habe intensive private Bindungen im Bundesgebiet. Intensive familiäre Bindungen habe er zu seinen Eltern und Geschwistern - insgesamt 5 Personen -, mit welchen er im gemeinsamen Haushalt lebe und an deren Erwerb und Unterhalt er mitwirke. Verringert werde das Gewicht der "privat/familiären" Interessen durch die Volljährigkeit des Beschwerdeführers. Das Aufenthaltsverbot sei trotz des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Grunde des § 37 Abs. 1 zulässig, weil zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten. Im Hinblick auf die Neigung des Beschwerdeführers zu Straftaten wögen seine privaten und familiären Interessen höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, weshalb auch § 37 Abs. 2 FrG der Maßnahme nicht entgegenstehe. Dem Aufenthaltsverbot stehe auch keiner der in den §§ 38 bzw. 35 FrG genannten Aufenthaltsverbots-Verbotsgründe entgegen. Selbst wenn man die in § 35 Abs. 2 FrG genannte achtjährige Frist als beim Beschwerdeführer zutreffend annehme, komme ihm diese Bestimmung nicht zugute, weil er von einem inländischen Gericht rechtskräftig verurteilt worden sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bekämpft die auf Grundlage der unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid unbedenkliche Auffassung der belangten Behörde, daß der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG erfüllt sei, nicht, meint jedoch, daß die den gerichtlichen Verurteilungen einerseits wegen vorsätzlicher und andererseits wegen fahrlässiger Körperverletzung zugrundeliegenden Straftaten nicht auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten und daher der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG nicht erfüllt sei.

1.2. Dem ist zu entgegnen, daß gemäß § 71 StGB strafbare Handlungen dann auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, wenn sie gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet oder auf gleichartige verwerfliche Beweggründe oder auf den gleichen Charaktermangel zurückzuführen sind. Die beiden gerichtlich strafbaren Handlungen richten sich - wie der Beschwerdeführer ausdrücklich zugesteht - gegen dasselbe Rechtsgut, nämlich gegen "Leib und Leben" (vgl. die Überschrift des ersten Abschnittes des besonderen Teiles des StGB). Es ist daher in bezug auf die beiden gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers jedenfalls die erste Alternative des § 71 StGB erfüllt. Der Verwaltungsgerichtshof hat im übrigen bereits im Erkenntnis vom 23. Mai 1996, Zl. 94/18/1101, ausgesprochen, daß Straftaten gemäß § 88 Abs. 1 StGB (fahrlässige Körperverletzung) und gemäß § 83 StGB (vorsätzliche Körperverletzung) als solche zu werten seien, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen. Der belangten Behörde ist daher zuzustimmen, daß auf Grund der beiden gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei.

2. Die vom Beschwerdeführer nicht bekämpfte Ansicht, daß die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, begegnet im Hinblick auf die Gefährdung der Allgemeinheit durch Alkoholdelikte im Straßenverkehr und (fahrlässige und vorsätzliche) Angriffe gegen die körperliche Integrität anderer keinen Bedenken.

3.1. Die belangte Behörde hat den rechtmäßigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit 1990 sowie die Tatsache, daß er mit seinen Eltern und Geschwistern zusammenlebt und einer Arbeit nachgeht, berücksichtigt und daher - zu Recht - einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers angenommen. Wenn sie trotzdem zu der Ansicht gelangte, daß das Aufenthaltsverbot im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig sei, kann darin angesichts der vom Beschwerdeführer ausgehenden großen Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen (bei der Übertretung des § 5 StVO handelt es sich um einen der gröbsten Verstöße gegen dieses Gesetz; vgl. etwa das zur Rechtslage nach dem Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, ergangene, auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 5. September 1996, Zl. 95/18/0976) im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK (Schutz der öffentlichen Ordnung, Verhinderung strafbarer Handlungen) keine Rechtswidrigkeit erblickt werden.

3.2. Im Licht dieser Erwägungen erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Interessenabwägung als unbedenklich. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kommt dem auf einem gemeinsamen Haushalt mit Eltern und Geschwistern gründenden Familienleben bei einem Volljährigen nicht dasselbe Gewicht zu wie bei einem Minderjährigen, der der Obsorge seiner Eltern untersteht und auf deren Unterstützung angewiesen ist.

Die Tatsache, daß der Beschwerdeführer bereits im Alter von 13 Jahren, somit als Schulpflichtiger, nach Österreich gekommen ist, hat die belangte Behörde, die festgestellt hat, daß der im Jahr 1977 geborene Beschwerdeführer seit 1990 im Inland lebe, anders als die Beschwerde meint, berücksichtigt.

4. Aus dem Vorbringen, der Beschwerdeführer genieße gemäß dem Assoziierungsabkommen EWG-Türkei aus 1963 und dem auf dessen Grundlage gefaßten Beschluß Nr. 1/1980 des Assoziationsrates EWG-Türkei Freizügigkeit am österreichischen Arbeitsmarkt, läßt sich für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts gewinnen, macht doch Art. 14 Abs. 1 des genannten Assoziationsratsbeschlusses ("Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.") deutlich, daß die die Beschäftigung und die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer regelnden Bestimmungen (Abschnitt 1 des Kapitels II des Beschlusses) der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegenstehen, wenn es - wie im Beschwerdefall - aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Jänner 1996, Zl. 95/18/1354).

5.1. Die Beschwerde wendet gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes vor allem ein, der Berücksichtigung der beiden Bestrafungen wegen Übertretung des § 5 StVO stehe § 35 Abs. 2 FrG entgegen; die beiden gerichtlich strafbaren Handlungen allein seien jedoch nicht geeignet, das Aufenthaltsverbot zu tragen.

5.2. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder 2 FrG wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre. Eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 und 2 FrG ist (u.a.) in den Fällen des § 35 FrG unzulässig. Dessen Abs. 2 hat folgenden Wortlaut:

"Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen waren, dürfen nur mehr ausgewiesen werden, wenn sie von einem inländischen Gericht wegen Begehung einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt wurden und ihr weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden würde."

Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Fremden, der bereits ununterbrochen mindestens acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen ist, ist daher an die beiden Voraussetzungen geknüpft, daß der Fremde gerichtlich verurteilt worden ist und sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden würde. Aus der engen Verknüpfung dieser beiden Voraussetzungen ergibt sich, daß unter der in § 35 Abs. 2 FrG genannten Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit nur jene zu verstehen ist, die von den gerichtlich strafbaren Handlungen des Fremden ausgeht. Um die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Fremden, der die in § 35 Abs. 2 FrG genannte achtjährige Frist erfüllt, zu rechtfertigen, ist somit erforderlich, daß die vom gerichtlich strafbaren Verhalten des Fremden ausgehende Gefährdung allein geeignet ist, ein Aufenthaltsverbot zu tragen. Für die Frage der Dauer dieser Maßnahme kann jedoch auch in solchen Fällen die vom gesamten Fehlverhalten des Fremden ausgehende Rechtsgutbeeinträchtigung herangezogen werden.

Die Ansicht der belangten Behörde, daß dem Beschwerdeführer auch unter der Annahme eines bereits mindestens achtjährigen ununterbrochenen und rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet die Bestimmung des § 35 Abs. 2 FrG schon deshalb nicht zugute komme, weil er rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden sei, beruht daher auf einer Verkennung der Rechtslage. Ungeachtet dessen ist der Beschwerde jedoch kein Erfolg beschieden.

Der Beschwerdeführer hat in den bei den Verwaltungsakten erliegenden Anträgen auf Erteilung bzw. Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung jeweils selbst angegeben, sich seit 6. August 1990 in Österreich aufzuhalten. Dies hat die Erstbehörde festgestellt und der Beschwerdeführer in der Berufung ausdrücklich zugestanden. Auch nach den Beschwerdevorbringen befindet sich der Beschwerdeführer seit August 1990 im Bundesgebiet. Da sich der Beschwerdeführer somit im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (Zustellung an den Beschwerdeführer am 17. Juli 1998) noch nicht acht Jahre im Bundesgebiet befand, stand zu diesem Zeitpunkt § 35 Abs. 2 FrG der Verhängung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen.

6. Da somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. Dezember 1998

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998180258.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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