TE Bvwg Erkenntnis 2019/4/29 W261 2185289-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.04.2019
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Entscheidungsdatum

29.04.2019

Norm

B-VG Art.133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §4
VOG §5

Spruch

W261 2185289-1/ 5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 05.01.2018, betreffend die Abweisung des Antrages auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin brachte am 19.08.2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form von Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung, Gewährung von Selbstbehalten für Arztbesuche und Rezeptgebühr sowie orthopädische Versorgung in Form des Zahnersatzes und Brillenersatzes ein. Sie gab an, im Zeitraum vom 15.04.1964 bis zum Jahr 1975 im Niederösterreichischen Landes-Jugendheim XXXX physischen und psychischen Misshandlungen ihrer Erzieherinnen ausgesetzt gewesen zu sein. Im Jahr 2011 sei sie im Zentrum für seelische Gesundheit XXXX in Behandlung gewesen, seit Dezember 2011 befinde sie sich in psychotherapeutischer Behandlung.

Auf Ersuchen der belangten Behörde übermittelte das Zentrum für seelische Gesundheit XXXX mit Schreiben vom 03.09.2015 den ärztlichen Entlassungsbericht vom 18.11.2011, aus dem hervorgehe, dass die Beschwerdeführerin von 10.10.2011 bis 18.11.2011 in ambulanter Rehabilitation in genannter Einrichtung behandelt worden sei und bei ihr eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typus, eine posttraumatische Belastungsstörung und eine rezidivierende depressive Störung, ggw. mittelgradige depressive Störung diagnostiziert worden seien.

Mit E-Mail vom 24.09.2015 übermittelte die Beschwerdeführerin den im Rahmen des Clearingverfahrens der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft erstellten klinisch-psychologischen Kurzbericht vom 24.06.2011 und informierte die belangte Behörde vom Tod ihrer Tochter. Aus dem Clearingbericht ergebe sich, dass die Beschwerdeführerin als ältestes von vier Kindern eines gehörlosen Ehepaars geboren worden sei. Sie habe sich bis zu ihrer Wegholung aus der Familie hauptsächlich in Gebärdensprache verständigt. Ihre Mutter sei hochgradig psychisch labil und unempathisch gewesen, Suizidversuche seien dokumentiert. Nach dem Verlust der Kinder sei eine Einweisung der Mutter nach Gugging erfolgt, wo die Mutter viele Jahre lang geblieben sei. Neben der mangelhaften Struktur und Geborgenheit habe auch ein sexueller Missbrauch durch den Vater stattgefunden, die Mutter habe die Kinder diesbezüglich ausgeliefert und an andere Männer "verkauft". Die Beschwerdeführerin sei im Alter von acht Jahren ins Heim gekommen, nachdem sie von zuhause weggelaufen und am Bahnhof Hütteldorf von der Polizei aufgegriffen worden sei. Zudem hätte es Meldungen der Nachbarn gegeben, dass das Kind an andere Männer vermittelt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe die Wegholung von ihrer Familie als sehr unsanft und extrem traumatisch empfunden. Sie sei im Warteraum eines Arztes von unbekannten Männern gewaltsam in einem schwarzen Auto "entführt" worden, es habe keine Erklärung und kein Abschiednehmen gegeben. Danach sei die Beschwerdeführerin mehrere Wochen in einer Institution in Mödling untergebracht gewesen, wo sie psychologisch begutachtet worden sei. All diese Ereignisse seien der Beschwerdeführerin erst vor wenigen Jahren bruchstückhaft bewusst geworden Von 14.04.1964 bis 28.06.1974 sei die Beschwerdeführerin im Niederösterreichischen Landesjugendheim XXXX untergebracht gewesen. Bis zum Eintritt in die Handelsschule sei sie von der Außenwelt abgeschnitten gewesen, die dort untergebrachten Kinder seien völlig der Willkür der Schwestern als einzige Bezugspersonen ausgeliefert gewesen. Die Beschwerdeführerin führte insbesondere drei Schwestern namentlich an, welche für die psychischen und physischen Misshandlungen verantwortlich gewesen wären. So seien die Beschwerdeführerin und andere Kinder mit Linealen, Stöcken und Besenstielen am ganzen Körper geprügelt, mit nassen Handtüchern besonders auf Mund/Zähne, Hände und den Rücken geschlagen, an den Haaren gerissen, mit dem Kopf unter Wasser gehalten und an die Wand geschleudert worden. Sie seien zudem gezwungen worden, Erbrochenes zu schlucken, im Winter bei offenem Fenster nur mit dem Nachthemd bekleidet stehend zu beten und mit bloßen Füßen den Boden aufzuwischen. Weiters seien die Kinder in kalten, finsteren Kellerräumen oft über viele Stunden hinweg eingesperrt worden. Es habe geregelte WC-Zeiten gegeben, bei denen man beobachtet worden sei. In der Nacht sei es verboten gewesen, das Bett zu verlassen, um auf die Toilette zu gehen. Wenn man ins Bett gemacht habe, sei man öffentliche gedemütigt worden, indem man beschimpft worden sei und man das Leintuch mit kaltem Wasser waschen und so lange in der Luft schwenken habe müssen, bis es trocken gewesen sei, wobei die anderen Mädchen dabei zuschauen haben müssen. Menstruierende Mädchen hätten um frische Höschen oder Binden bitten müssen, die dann - um zu demütigen - oft nicht gegeben worden seien. Freitags seien die Höschen auf Ausfluss und Schleim überprüft worden. Schwester Zita habe an allen Höschen gerochen und gehässig kommentiert. Es seien "Reinigungsspülungen" durchgeführt worden, wobei mittels Wasserschlauch in die Scheide eingedrungen worden wäre. Die Beschwerdeführerin habe drei Kinder, sei zweimal verheiratet gewesen und lebe seit vielen Jahren allein. In beiden Ehen habe es wieder Gewalterfahrungen gegeben. Die Beschwerdeführerin habe die Handelsschule abgeschlossen und 26 Jahre lang als Hilfsarbeiterin, zuletzt als Hausbesorgerin gearbeitet. Seit September 2009 sei sie nicht mehr berufstätig und fühle sich auch nicht mehr arbeitsfähig. Bis zu ihrem 45. Lebensjahr sei sie psychisch komplett versperrt gewesen und habe nur irgendwie funktioniert. Die Heimjahre hätten sie langfristig und nachhaltig in ihrer Gesundheit, Lebens- und Beziehungsfähigkeit beeinträchtigt. Sie sei aus diesen Gründen auch nicht im Stand gewesen, ihr Wissen und Können für eine berufliche Verwirklichung und existenzielle Absicherung konstruktiv einzubringen. Die Psychologin und Psychotherapeutin Dr. XXXX halte in der Konklusio des Clearingberichts fest, dass die Ausführungen der Beschwerdeführerin Hinweis auf eine hohe Unsicherheit bezüglich eigener Bedürfnisse und Gefühle und auf eine sehr hohe Fragilität im zwischenmenschlichen Bereich und vor allem in sozialen Konfliktsituationen gebe, in welchen es immer wieder zu dissoziativen Störungen, Flashbacks, schweren depressiven Verstimmungen und massiven psychosomatischen Störungen (Herzerkrankung und Diabetes als Folge von psychosozialem Stress) komme. Diese Beeinträchtigungen seien aus psychodiagnostischer Sicht kausal mit den angegebenen Ereignissen in Zusammenhang zu sehen.

Am 05.01.2016 stellte die Beschwerdeführerin aufgrund des vorgebrachten Verbrechens einen Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges nach dem VOG.

Mit E-Mail vom 06.01.2016 legte die Beschwerdeführerin weitere "Kapitel" über ihr Leben und Vorfälle während ihrer Heimunterbringung vor. Ergänzend zu den bisherigen Angaben brachte sie dabei vor, dass sie die Unterhose ins Gesicht gedrückt bekommen hätten, wenn diese verschmutzt gewesen sei.

Mit E-Mail vom 07.01.2016 übermittelte die Beschwerdeführerin Unterlagen aus dem Jugendamtsakt und schilderte in einem weiteren E-Mail vom 09.01.2016, wie sie ihr Leben betrachte.

Mit E-Mail vom 15.03.2016 gab die Beschwerdeführerin unter anderem an, sie habe sich über Jahrzehnte hinweg nicht an ihre ersten acht Lebensjahre erinnern können. Erst jetzt könne sie sich teilweise daran erinnern, dass ihr Vater sie missbraucht habe. Er habe versucht, die damals etwa vier- oder fünfjährige Beschwerdeführerin dazu zu zwingen, ihn oral zu befriedigen, sie habe sich aber dagegen gewehrt. Aufgrund ihrer Weigerung habe sie sich auf den Lehmboden im Keller legen müssen und dann einen "Höllenschmerz" gespürt, sodass sie ohnmächtig geworden sei. Weiters führte die Beschwerdeführerin aus, während ihrer ersten Ehe hätten ähnliche Methoden wie bei den Klosterschwestern geherrscht. Sie sei geschlagen worden und zu Oralsex genötigt und vergewaltigt worden.

Die Beschwerdeführerin gab mit E-Mail vom 18.03.2016 an, ihre Mutter sei im Krankenhaus in Kierling für psychisch Kranke untergebracht gewesen und habe die letzten Jahre ihres Lebens in Tulln verbracht. Die Beschwerdeführerin habe Kontaktverbot zu ihr gehabt. Mit selbem Schreiben legte die Beschwerdeführerin weitere "Kapitel" über die Zeit während der Heimunterbringung in XXXX vor.

Mit E-Mail vom 23.05.2016 brachte die Beschwerdeführerin vor, ihr Vater habe ein außereheliches Kind gehabt und sei gierig und jähzornig gewesen. Die Beschwerdeführerin habe ihren Lebensunterhalt und ihre Kleidung als Kind bereits selbst finanzieren müssen. Sie könne sich fast nicht an das Gesicht ihrer Mutter erinnern, eher an ihr Geschlechtsteil, das sie ihren Kindern im Alter von 2, 4 und 6 Jahren gezeigt habe. Die Beschwerdeführerin sei von ihrer Mutter auch zu ihrem Freund mitgenommen worden, der Busfahrer gewesen sei. Mitten in der Nacht sei dieser an der Endstation stehen geblieben, und die beiden seien nach hinten gegangen. Die Beschwerdeführerin habe dabei zugesehen, wie sie miteinander geschlafen hätten, habe sich gefürchtet und habe versucht, sich zu verstecken. Die Beschwerdeführerin und ihre Geschwister seien der Mutter offensichtlich egal gewesen. Sie habe ihre Mutter gehasst und verachtet und sich erwachsener gefühlt, als sie. Das schlimmste Erlebnis sei gewesen, als die Beschwerdeführerin gesehen habe, dass ihr nackter Vater ihre kleine Schwester betatscht habe und die Mutter auf das Flehen der Beschwerdeführerin, der Schwester zu helfen, mit "Was soll/kann ich denn machen" geantwortet habe und hinausgegangen sei.

Mit E-Mail vom 22.07.2016 schilderte die Beschwerdeführerin erneut den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater.

Mit Schreiben vom 11.08.2016 übermittelte das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung - Abteilung Landeskrankenanstalten und Landesheime den dort vorliegenden Heimakt des Niederösterreichischen Landesjugendheims XXXX . Ein Jugendamtsakt bzw. Pflegschaftsakt der Beschwerdeführerin würde nicht mehr vorliegen.

Auf Ersuchen der belangten Behörde, betreffend ihren Antrag auf Kostenübernahme von Selbstbehalten sowie orthopädischer Versorgung nähere Angaben zur Verursachung zu tätigen und entsprechende Rechnungen vorzulegen, teilte die Beschwerdeführerin am 20.10.2016 telefonisch mit, dass sie von den Schwestern im Heim mit deren "IHS"-Ring geschlagen worden sei, wodurch auch ihre Augen verletzt worden sei, und sie deshalb eine Brille benötige. Weiters gab die Beschwerdeführerin an, dass sie keine Rechnungen betreffend die beantragten Leistungen vorlegen könne.

Zur Überprüfung des Antrages und Klärung der Frage, welche psychischen Gesundheitsschädigungen verbrechenskausal seien, holte die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 16.12.2016 erstatteten Gutachten vom 20.01.2017 führte der medizinische Sachverständige aus, dass bei der Beschwerdeführerin keine psychiatrische Diagnose gestellt werden habe können, da zum Untersuchungszeitpunkt am 16.12.2016 weder Beschwerden angegeben, noch Auffälligkeiten des Verhaltens beobachtet werden haben können, die als Hinweis auf eine psychiatrische Erkrankung gewertet werden könnten. Das beschriebene Zustandsbild stehe in auffälligem Widerspruch zum Clearingbericht aus dem Jahr 2011 und dem Entlassungsbericht des Zentrums für seelische Gesundheit XXXX vom 18.11.2011, was als Hinweis auf eine erfolgreiche Therapie bzw. auf eine stabilisierte Lebenssituation gewertet werden könne, insbesondere auch, da in den zur Verfügung gestellten Unterlagen keine psychiatrischen oder psychotherapeutischen Befunde nach 2011 aufliegen würden. Die Beschwerdeführerin sei im Jahr 2008 39 Tage und im Jahr 2011 148 Tage aufgrund einer Depression im Krankenstand gewesen, wobei nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Kausalzusammenhang mit dem Verbrechen anzunehmen sei. Es gebe keinen Hinweis, dass die Beschwerdeführerin durch kausale Gesundheitsschädigungen an einem kontinuierlichen Berufsverlauf bzw. einer besseren Ausbildung gehindert gewesen sei. Sie befinde sich seit 2015 in Regelpension.

Mit Schreiben vom 09.03.2017 brachte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG zur Kenntnis und räumte ihr die Möglichkeit einer Stellungnahme ein. Die Beschwerdeführerin gab keine Stellungnahme ab.

Mit angefochtenem Bescheid vom 05.01.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 19.08.2015 auf Kostenübernahme für psychotherapeutische Krankenbehandlung, Gewährung von Selbstbehalten für Arztbesuche und Rezeptgebühr sowie orthopädische Versorgung in Form von Zahnersatz und Brillenersatz gemäß §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 2 letzter Satz und Abs. 5, 5 Abs. 1 und 10 Abs. 1 VOG ab (Spruchpunkt I.), weiters wies sie auch den Antrag des Beschwerdeführerin vom 05.01.2016 auf Ersatz des Verdienstentganges gemäß §§ 1 Abs. 1 und 3, 10 Abs. 1 VOG ab (Spruchpunkt II.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werde, dass die Beschwerdeführerin während ihrer Heimunterbringung Opfer einer Straftat im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG geworden sei. Ebenso werde mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen, dass sie bereits vor ihrer Heimunterbringung Opfer sexuellen Missbrauchs gewesen sei. Mangels objektivierbarer Unterlagen könnten aber keine mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit gesicherten Feststellungen darüber getroffen werden, dass die Beschwerdeführerin von ihrem ersten Ehemann vergewaltigt und missbraucht worden sei, oder dass sie mit einem "IHS" Ring einer Erzieherin derart geschlagen worden sei, dass sie einen Augenschaden erlitten habe, bzw. einer orthopädischen Versorgung bedürfe. Laut dem eingeholten nervenfachärztlichen Sachverständigengutachten habe bei der Beschwerdeführerin keine psychiatrische Diagnose gestellt werden können. Aus diesem Grund sei die Frage der Kausalität, inwiefern die Gesundheitsschädigung auf das festgestellte Verbrechen zurückzuführen sei, hinfällig. Die Voraussetzungen für die Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Behandlung seien daher nicht erfüllt. Ebenso seien die Voraussetzungen für den Antrag auf orthopädische Versorgung und den Ersatz von Selbstbehalten und Rezeptgebühren nicht gegeben. Es könne durchaus möglich sein, dass sich die Berufslaufbahn der Beschwerdeführerin aufgrund der erlittenen Misshandlungen anders gestaltet habe. Die bloß abstrakte Möglichkeit der Verursachung würde aber für eine Leistung nach den Bestimmungen des VOG nicht ausreichen. Mangels Gesundheitsschädigung, sohin auch mangels kausaler Gesundheitsschädigung, sie es nicht möglich, eine andere Berufslaufbahn im fiktiven schadensfreien Verlauf anzunehmen. Das Ansuchen um Ersatz des Verdienstentganges sei daher ebenfalls abzuweisen gewesen.

Mit am 29.01.2019 eingelangtem Schreiben erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Darin führte sie im Wesentlichen aus, sie hätte die Aufnahme an die Handelsakademie XXXX bestanden, der dortige Schulbesuch sei jedoch vom Jugendamt abgelehnt worden. Die Beschwerdeführerin sei daher sehr wohl der Meinung, der Besuch der Handelsakademie hätte ihr wesentlich bessere Chancen auf ein gutes bis sehr gutes Gehalt geboten. Durch die Unterbindung von sozialen Kontakten und Freundschaften im Heim sei es der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester bis heute unmöglich, soziale Kontakte in Form von Freundschaften zu pflegen. Wenn sie es doch einmal schaffen würden, Nähe zuzulassen, würden sie immer an Menschen geraten, die ihren Eltern oder den Nonnen im Heim ähnlich seien, und die sie behandeln würden, als wären sie minderwertig. Der Beschwerdeführerin sei von ihrer ehemaligen Firma und den Bewohnern des Hauses, in welchem sie Hausbesorgerin gewesen sei, zehn Jahre lang gemobbt worden. Als sexuell missbrauchtes Kind werde sie als Borderliner beschrieben, was ihr erst recht viel Mobbing eingebracht habe. Die Zähne der Beschwerdeführerin seien bereits gemacht, sie habe dies selbst bezahlen müssen und ersuche daher um eine generelle Abgeltung der emotionalen, sozialen und körperlichen Misshandlungen. Sie leide an Diabetes Typ 2 und habe eine Stenose am Herzen und ein Langzeit-Burnout. Sie sei so erschöpft, dass es ihr extrem schwerfalle, den Alltag zu bewältigen. Ein erholsamer, acht Stunden dauernder Schlaf sei unmöglich. Nach dem Tod ihrer Tochter vor zweieinhalb Jahren habe sie einen Rückfall erlitten und sei eineinhalb Jahre in einem Schockzustand und unfähig gewesen, in Therapie zu gehen. Die Tochter habe eine Psychose und Paranoia aufgrund einer Vergewaltigung gelitten, über welche sie nie gesprochen habe. Mit der Krankheit der Tochter seien die Erinnerungen der Beschwerdeführerin an die Erlebnisse in ihrer eigenen Kindheit wieder zurückgekehrt, wodurch sie Panikattacken bekommen habe. Der Beschwerde legte die Beschwerdeführerin die DVD "Die Kinder lassen grüßen" bei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin.

Sie wurde am XXXX als ältestes von vier Kindern eines gehörlosen Ehepaars geboren und wuchs zunächst bei ihren Eltern in XXXX auf. Aufgrund "seelischer und sittlicher Verwahrlosung" und des Verdachts auf sexuellen Missbrauch wurde die Beschwerdeführerin mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 20.03.1964 in Fürsorgeerziehung eingewiesen. Vom 15.04.1964 bis 28.06.1974 war die Beschwerdeführerin im Niederösterreichischen Landesjugendheim XXXX untergebracht.

Die Beschwerdeführerin besuchte Volksschule, Hauptschule und die dreijährige Handelsschule in XXXX und schloss im Jahr 1973/74 ihre Ausbildung positiv ab. Am 30.06.1974 begann sie eine Tätigkeit als Bürokraft. In der Folge arbeitete sie hauptsächlich als Hausbesorgerin, zuletzt von 1984 bis 2009. Von 2009 bis 2015 bezog die Beschwerdeführerin Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. In den dazwischenliegenden Zeiten des Krankenstandes scheinen hauptsächlich körperliche Gesundheitsschädigungen auf, nur in den Jahren 2008 und 2011 befand sich die Beschwerdeführerin auch aufgrund von Depressionen in Krankenstand. Seit 2015 befindet sich die Beschwerdeführerin in vorzeitiger Alterspension wegen langer Versicherungsdauer.

Festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin während der Heimunterbringung seitens der Erzieherinnen bzw. Aufsichtspersonen regelmäßig körperlichen Züchtigungen, psychischen Demütigungen, unangemessenen Strafen sowie ständiger Überwachung ausgesetzt war und somit physisch und psychisch misshandelt wurde.

Festgestellt werden kann weiters, dass die Beschwerdeführerin bereits vor der Heimunterbringung vernachlässigt und sexuell missbraucht wurde. Es kann nicht festgestellt werden, durch wen die Beschwerdeführerin Opfer sexuellen Missbrauchs wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin durch Schläge mit einem Ring einer der Erzieherinnen eine Augenverletzung erlitt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrer Unterbringung im Heim Zahnschäden erlitt.

Bei der Beschwerdeführerin kann keine psychiatrische Diagnose gestellt werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund einer kausalen Gesundheitsschädigung an einem kontinuierlichen Berufsverlauf bzw. einer besseren Ausbildung gehindert wurde.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen über die Staatsbürgerschaft und das Geburtsdatum der Beschwerdeführerin basieren auf der im Rahmen der gegenständlichen Antragstellung vorgelegte Reisepasskopie.

Die Feststellungen zur familiären Situation der Beschwerdeführerin vor der Heimunterbringung, dem Überstellungsgrund sowie zum Beginn und Ende des Aufenthaltes im Landesjugendheim XXXX gründen sich auf die im Verwaltungsakt einliegenden Kopien des Heimaktes, welche sich im Wesentlichen auch mit den Angaben der Beschwerdeführerin und dem klinisch-psychologischen Kurzbericht (Clearingbericht) decken.

Die Feststellungen, dass die Beschwerdeführerin im Niederösterreichischen Landesjugendheim XXXX physisch und psychisch misshandelt wurde, basieren auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren sowie aus dem klinisch-psychologischen Kurzbericht vom 24.06.2011.

Dass die Beschwerdeführerin bereits vor ihrer Heimunterbringung vernachlässigt und sexuell missbraucht wurde, ergibt sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin und den im Heimakt befindlichen Berichten der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung, des Gendarmeriepostenkommandos XXXX , des Bezirkspolizeikommissariats Penzing und dem Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX . Dass die Beschwerdeführerin durch ihren Vater sexuell missbraucht worden sei, ergibt sich lediglich aus ihren eigenen Angaben und finden sich dazu keine objektivierbaren Unterlagen, wonach mit einer für das Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Missbrauch durch den Vater stattgefunden hat. Es besteht aufgrund der Unterlagen im Heimakt die Möglichkeit, dass der Missbrauch durch andere Männer, möglicherweise Bekannte der Mutter, stattgefunden hat, jedoch kann dies ebenfalls nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Aufgrund der Feststellung, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich mit der für das Verbrechensopfergesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit sexuell missbraucht wurde, ist es jedoch nicht relevant, dass keine konkrete Person als Täter identifiziert werden kann.

Die Beschwerdeführerin konnte jedoch nicht glaubhaft machen, dass sie durch Schläge mit einem Ring einer Heimerzieherin eine Augenverletzung erlitten hat. Sie erwähnte einen solchen Vorfall in keinen ihrer zahlreichen und ausführlichen Schilderungen der Misshandlungen im Landesjugendheim, auch betreffend das Ausmaß der Verletzung machte die Beschwerdeführerin keinerlei Angaben. Erst auf Nachfrage seitens der belangten Behörde bezüglich ihres Antrags auf orthopädische Versorgung in Form von Brillenersatz führte sie die Schläge mit einem "IHS"-Ring an, ohne jedoch näher auf die Umstände oder die dadurch erlittene Verletzung einzugehen. Die Beschwerdeführerin legte auch keine medizinischen Unterlagen vor, die eine Verletzung oder Erkrankung der Augen objektivieren könnten.

Ebenso sind bezüglich des Antrages auf orthopädische Versorgung in Form von Zahnersatz weder Vorfälle beschrieben, die eine Schädigung der Zähne festhalten, noch eine bestehende Zahnschädigung belegt. Im Rahmen der Beschwerde gab die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht an, dass ein Kausalzusammenhang zwischen den Misshandlungen im Heim und einer allfälligen Zahnschädigung bestehe, sondern führte lediglich aus, dass ihre Zähne "bereits gemacht" seien und sie dies selbst bezahlen habe müssen. Sie ersuche um generelle Abgeltung der emotionalen, sozialen und körperlichen Misshandlungen. Zwar ist der grundsätzliche Wunsch nach Entschädigung für die erlittenen Verbrechen nachvollziehbar, mangels kausalem Zusammenhang zwischen der durchgeführten Zahnbehandlung und den Erlebnissen im Kinderheim ist eine Bewilligung dieses Antrages auf Kostenersatz für orthopädische Versorgung nach dem Verbrechensopfergesetz hingegen nicht möglich.

Dass bei der Beschwerdeführerin keine psychiatrische Diagnose gestellt werden konnte, ergibt sich aus dem seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie. In dem auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 16.12.2016 basierenden Gutachten vom selben Tag führte der Sachverständige nachvollziehbar und schlüssig aus, dass die Beschwerdeführerin weder Beschwerden angegeben habe, noch Auffälligkeiten ihres Verhaltens beobachtet werden konnten, die als Hinweis auf eine psychiatrische Erkrankung gewertet werden könnten. Dies widerspreche zwar den Diagnosen des Zentrums für seelische Gesundheit XXXX und des klinisch-psychologischen Kurzberichtes, beide aus dem Jahr 2011, kann aber als Hinweis auf eine erfolgreiche Therapie und eine stabilisierte Lebenssituation gewertet werden. Die Beschwerdeführerin ist seit Februar 2016 nicht in psychotherapeutischer Behandlung gewesen und legte auch keine Befunde vor, die nach dem Jahr 2011 datiert sind, was ebenfalls auf eine Stabilisierung ihres Zustandes hindeutet.

Insoweit die Beschwerdeführerin in der Beschwerde vorbringt, ihr sei es aufgrund der Unterbindung von sozialen Kontakten und Freundschaften im Heim bis heute unmöglich, soziale Kontakte in Form von Freundschaften zu pflegen, so ist dieses Vorbringen durchaus glaubhaft und nachvollziehbar, jedoch lässt sich daraus kein psychiatrisches Leiden ableiten. Eine Soziophobie bzw. ein Zustand ähnlicher Ausprägung im Zusammenhang mit der Pflege sozialer Kontakte lässt sich durch keine Unterlagen im Akt objektivieren. Dass die Beschwerdeführerin, wie in der Beschwerde behauptet, an einem Langzeit-Burnout leide und den Alltag nur sehr schwer bewältigen könne, ist ebenfalls durch keine medizinischen Unterlagen belegt. Die Beschwerdeführerin legte auch im Rahmen der Beschwerde keine medizinischen Befunde vor, welche ein solches oder anderes psychisches Leiden belegen würden und allenfalls zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnten.

Die Beschwerdeführerin befindet sich seit 2015 in vorzeitiger Alterspension aufgrund langer Versicherungsdauer, es liegt somit keine Arbeitsunfähigkeit vor. Aus dem im Verwaltungsakt befindlichen Versicherungsdatenauszug ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin nach Abschluss der Handelsschule meist durchgängig beschäftigt gewesen ist. Aus den seitens der belangten Behörde eingeholten Unterlagen der Wiener Gebietskrankenkasse ergibt sich, dass sich die Beschwerdeführerin von 06.03.2008 bis 13.04.2008 (als Nebendiagnose) 39 Tage sowie von 28.06.2011 bis 02.05.2011 148 Tage aufgrund einer Depression im Krankenstand befand. Laut eingeholtem Sachverständigengutachten vom 16.12.2016 ist ein Kausalzusammenhang mit dem Verbrechen nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Das Beschwerdevorbringen, wonach der Ausbildungs- und Beschäftigungsverlauf der Beschwerdeführerin sich bei fiktivem schadensfreien Verlauf maßgebend günstiger gestaltet hätte, wird durch den objektivierten Lebenslauf der Beschwerdeführerin entkräftet. Es liegen keine Beweismittel vor, welche zu den getroffenen Feststellungen im Widerspruch stehen. Auch der nervenfachärztliche Gutachter hielt fest, dass es keinen Hinweis gebe, dass die Beschwerdeführerin durch kausale Gesundheitsschädigungen an einem kontinuierlichen Berufsverlauf bzw. einer besseren Ausbildung gehindert war. Insofern die Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde vorbringt, ihr sei trotz Erreichen der erforderlichen Punkte seitens des Jugendamtes der Besuch der Handelsakademie verwehrt worden, welcher ihr in Folge ein besseres Gehalt verschafft hätte, so ist festzuhalten, dass der Umstand, wonach die Beschwerdeführerin nicht in die von ihr bevorzugte Schule gehen durfte, keine anspruchsbegründende Straftat darstellt und auch nicht auf die erlittenen Misshandlungen zurückzuführen ist. Ebenso ist das beschriebene Mobbing am Arbeitsplatz bzw. das distanzierte Verhältnis ihres Exmannes und ihrer Kinder aufgrund der Vergangenheit als Heimkind zwar nachvollziehbarerweise belastend, jedoch aber weder auf die Misshandlungen im Heim zurückzuführen, noch stellt es eine anspruchsbegründende Straftat dar. Ebenso steht die nachvollziehbar belastende Situation nach dem Tod ihrer Tochter in keinem Zusammenhang mit den Erlebnissen der Beschwerdeführerin im Kinderheim. Bei den in der Beschwerde angeführten körperlichen Beschwerden - Stenose am Herzen und Diabetes - handelt es sich, abgesehen davon, dass auch diesbezüglich medizinische Befunde fehlen, welche diese Angaben objektivieren könnten, ebenfalls um keine kausalen Folgen der Heimunterbringung.

Die Beschwerdeführerin ist dem vorliegenden Sachverständigengutachten im Lichte obiger Ausführungen nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es der Antragstellerin, so sie der Auffassung ist, dass ihre Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 16.12.2016. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Zur Entscheidung in der Sache:

Die gegenständlich maßgebliche Bestimmung des Verbrechensopfergesetzes (VOG), lauten:

"Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben, oder

2. ...

3. ...

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind, oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.

Hilfeleistungen

§ 2 Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:

1. Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;

2. Heilfürsorge

a) ärztliche Hilfe,

b) Heilmittel,

c) Heilbehelfe,

d) Anstaltspflege,

e) Zahnbehandlung,

f) Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit (§ 155 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955);

2a. Kostenübernahme bei Krisenintervention durch klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen sowie Psychotherapeuten;

3. orthopädische Versorgung

a) Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, deren Wiederherstellung und Erneuerung,

b) Kostenersatz für Änderungen an Gebrauchsgegenständen sowie für die Installation behinderungsgerechter Sanitärausstattung,

c) Zuschüsse zu den Kosten für die behinderungsgerechte Ausstattung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,

d) Beihilfen zur Anschaffung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,

e) notwendige Reise- und Transportkosten;

4. medizinische Rehabilitation

a) Unterbringung in Krankenanstalten, die vorwiegend der Rehabilitation dienen,

b) ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe, wenn diese Leistungen unmittelbar im Anschluß oder im Zusammenhang mit der unter lit. a angeführten Maßnahme erforderlich sind,

c) notwendige Reise- und Transportkosten;

5. berufliche Rehabilitation

a) berufliche Ausbildung zur Wiedergewinnung oder Erhöhung der Erwerbsfähigkeit,

b) Ausbildung für einen neuen Beruf,

c) Zuschüsse oder Darlehen (§ 198 Abs. 3 ASVG 1955);

6. soziale Rehabilitation

a) Zuschuß zu den Kosten für die Erlangung der Lenkerberechtigung, wenn auf Grund der Behinderung die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht zumutbar ist,

b) Übergangsgeld (§ 306 ASVG 1955);

7. Pflegezulagen, Blindenzulagen;

8. Ersatz der Bestattungskosten;

9. einkommensabhängige Zusatzleistung;

10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges

§ 3. (1) Hilfe nach § 2 Z 1 ist monatlich jeweils in Höhe des Betrages zu erbringen, der dem Opfer durch die erlittene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 3) als Verdienst oder den Hinterbliebenen durch den Tod des Unterhaltspflichtigen als Unterhalt entgangen ist oder künftighin entgeht. Sie darf jedoch zusammen mit dem Einkommen nach Abs. 2 den Betrag von monatlich 2 068,78 Euro nicht überschreiten. Diese Grenze erhöht sich auf 2 963,23 Euro, sofern der Anspruchsberechtigte seinen Ehegatten überwiegend erhält. Die Grenze erhöht sich weiters um 217,07 Euro für jedes Kind (§ 1 Abs. 5). Für Witwen (Witwer) bildet der Betrag von 2 068,78 Euro die Einkommensgrenze. Die Grenze beträgt für Waisen bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres 772,37 Euro, falls beide Elternteile verstorben sind 1 160,51 Euro und nach Vollendung des 24. Lebensjahres 1 372,14 Euro, falls beide Elternteile verstorben sind 2 068,78 Euro. Diese Beträge sind ab 1. Jänner 2002 und in der Folge mit Wirkung vom 1. Jänner eines jeden Jahres mit dem für den Bereich des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes festgesetzten Anpassungsfaktor zu vervielfachen. Die vervielfachten Beträge sind auf Beträge von vollen 10 Cent zu runden; hiebei sind Beträge unter 5 Cent zu vernachlässigen und Beträge von 5 Cent an auf 10 Cent zu ergänzen. Übersteigt die Hilfe nach § 2 Z 1 zusammen mit dem Einkommen nach Abs. 2 die Einkommensgrenze, so ist der Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges um den die Einkommensgrenze übersteigenden Betrag zu kürzen.

(2) Als Einkommen gelten alle tatsächlich erzielten und erzielbaren Einkünfte in Geld oder Güterform einschließlich allfälliger Erträgnisse vom Vermögen, soweit sie ohne Schmälerung der Substanz erzielt werden können, sowie allfälliger Unterhaltsleistungen, soweit sie auf einer Verpflichtung beruhen. Außer Betracht bleiben bei der Feststellung des Einkommens Familienbeihilfen nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376, Leistungen der Sozialhilfe und der freien Wohlfahrtspflege sowie Einkünfte, die wegen des besonderen körperlichen Zustandes gewährt werden (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindenzulage und gleichartige Leistungen). Auf einer Verpflichtung beruhende Unterhaltsleistungen sind nicht anzurechnen, soweit sie nur wegen der Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 gewährt werden.

...

Heilfürsorge

§ 4. (1) Hilfe nach § 2 Z 2 ist nur für Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 zu leisten. Opfer, die infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 eine zumutbare Beschäftigung, die den krankenversicherungsrechtlichen Schutz gewährleistet, nicht mehr ausüben können, sowie Hinterbliebene (§ 1 Abs. 4) erhalten Heilfürsorge bei jeder Gesundheitsstörung.

(2) Die Hilfe nach § 2 Z 2 hat,

1. wenn das Opfer oder der Hinterbliebene einer gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt, freiwillig krankenversichert ist oder ein Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung besteht, der zuständige Träger der Krankenversicherung,

2. sonst die örtlich zuständige Gebietskrankenkasse zu erbringen. Die im § 2 Z 2 angeführten Leistungen gebühren in dem Umfang, in dem sie einem bei der örtlich zuständigen Gebietskrankenkasse Pflichtversicherten auf Grund des Gesetzes und der Satzung zustehen.

Für Schädigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 zu entrichtende gesetz- und satzungsmäßige Kostenbeteiligungen einschließlich Rezeptgebühren sind nach diesem Bundesgesetz zu übernehmen.

...

(5) Erbringt der Träger der Krankenversicherung auf Grund der Satzung dem Opfer oder dem Hinterbliebenen einen Kostenzuschuß für psychotherapeutische Krankenbehandlung infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1, so sind die Kosten für die vom Träger der Krankenversicherung bewilligte Anzahl der Sitzungen, die das Opfer oder der Hinterbliebene selbst zu tragen hat, bis zur Höhe des dreifachen Betrages des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung zu übernehmen. Sobald feststeht, dass der Träger der Krankenversicherung einen Kostenzuschuss erbringt, kann vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auch eine Direktabrechnung der Kosten mit dem Psychotherapeuten unter Bevorschussung des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung vorgenommen werden, in diesem Fall ist der geleistete Kostenzuschuss vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zu vereinnahmen. Eine Kostenübernahme bis zum angeführten Höchstausmaß erfolgt auch, sofern der Träger der Krankenversicherung Kosten im Rahmen der Wahlarzthilfe erstattet.

Orthopädische Versorgung

§ 5 (1) Hilfe nach § 2 Z 3 ist nur für Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen im Sinne des § 1 Abs. 1 zu leisten. Opfer, die infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 eine zumutbare Beschäftigung, die den krankenversicherungsrechtlichen Schutz gewährleistet, nicht mehr ausüben können, sowie Hinterbliebene (§ 1 Abs. 4) erhalten orthopädische Versorgung bei jedem Körperschaden.

(2) Hilfe nach § 2 Z 3 lit. a bis d ist nach Maßgabe des § 32 Abs. 3 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, zu gewähren.

(3) Beschafft sich ein Opfer oder ein Hinterbliebener ein Körperersatzstück, ein orthopädisches oder anderes Hilfsmittel selbst, so sind ihm die Kosten zu ersetzen, die dem Bund erwachsen wären, wenn die orthopädische Versorgung auf Grund dieses Bundesgesetzes durch diesen erfolgt wäre.

(4) Die unvermeidlichen Reisekosten (§ 9e), die einem Opfer oder Hinterbliebenen beim Bezuge, der Wiederherstellung oder Erneuerung von Körperersatzstücken, orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln erwachsen, sind ihm nach Maßgabe des § 49 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, zu ersetzen.

..."

Die Beschwerdeführerin, eine österreichische Staatsbürgerin, begehrte im gegenständlichen Verfahren Hilfeleistungen nach dem VOG in Form von psychotherapeutischer Krankenbehandlung, Gewährung von Selbstbehalten für Arztbesuche und Rezeptgebühren, orthopädische Versorgung in Form von Zahnersatz und Brillenersatz sowie den Ersatz des Verdienstentganges.

Voraussetzung für Hilfeleistungen nach dem VOG ist, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG mit Wahrscheinlichkeit vorliegt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.03.2014, Zl. 2013/09/0181).

Wie bereits zuvor ausgeführt, wurde die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Fall mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit während ihrer Unterbringung im Landesjugendheim XXXX von 15.04.1964 bis 28.06.1974 durch die psychischen und physischen Misshandlungen der dortigen Erzieherinnen Opfer einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG. Sie wurde auch bereits vor ihrer Unterbringung im Heim mit Wahrscheinlichkeit Opfer von sexuellem Missbrauch, wodurch ebenfalls ein Verbrechen im Sinne des § 1 Abs .1 Z 1 VOG vorliegt.

Wie bereits von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vor dem Hintergrund des Sachverständigengutachtens vom 16.12.2016, an dessen Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit keine Zweifel bestehen, zutreffend ausgeführt wurde, kann bei der Beschwerdeführerin jedoch keine psychiatrische Diagnose gestellt werden. Die als Voraussetzung für eine Leistung nach dem Verbrechensopfergesetz erforderliche Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung liegt damit nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit vor.

Aus diesem Grund erübrigt sich auch die weitere Prüfung der Kausalität, das heißt ob die allfällig festgestellten Leiden mit Wahrscheinlichkeit auf die physischen und psychischen Misshandlungen im Kinderheim zurückzuführen sind.

Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten körperlichen Leiden - eine Stenose am Herzen und Diabetes - stehen in keinem kausalen Zusammenhang mit den Erlebnissen in der Kindheit und Jugend. Befunde, welche das Vorliegen der angegebenen Leiden bestätigen bzw. deren Ursache in den Misshandlungen im Heim belegen würden, wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht.

Die Beschwerdeführerin legte keine Befunde oder medizinischen Unterlagen betreffend eine Augenverletzung oder Zahnschädigung vor. Darüber hinaus konnte sie auch keinen Zusammenhang dieser vorgebrachten Gesundheitsschädigungen mit einem Verbrechen gemäß § 1 Abs. 1 VOG glaubhaft machen.

Da im Fall der Beschwerdeführerin schon aus diesen Gründen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 VOG, an welchen die von der Beschwerdeführerin beantragten Hilfeleistungen knüpfen, nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im vorliegenden Fall wird eine Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht für nicht erforderlich erachtet, zumal für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde der maßgebliche Sachverhalt durch Aktenstudium des vorgelegten Fremdaktes, insbesondere auch der Beschwerde, zu klären war. Alle aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes notwendigen Unterlagen befanden sich im verwaltungsbehördlichen Fremdakt. Ansonsten waren im gegenständlichen Fall rechtliche Fragen zu klären. Damit liegt ein besonderer Grund vor, welcher auch im Lichte der Rechtsprechung des EGMR eine Einschränkung des Grundrechts auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zulässt. Im Fall Faugel (EGMR 20.11.2003, 58647/00 und 58649/00) wurde ein solch besonderer Grund, der von der Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung entbindet, etwa dann angenommen, wenn in einem Verfahren ausschließlich rechtliche oder höchst technische Fragen zur Diskussion stehen. Dem Bundesverwaltungsgericht liegt auch kein Beschwerdevorbringen vor, welches mit der beschwerdeführenden Partei mündlich zu erörtern gewesen wäre und konnte daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Diesbezüglich wird auf die angeführte Judikatur unter A) verwiesen.

Schlagworte

Gesundheitsschädigung, Kostentragung, Sachverständigengutachten,
Verdienstentgang, Wahrscheinlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W261.2185289.1.00

Zuletzt aktualisiert am

01.07.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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