TE Vwgh Erkenntnis 2019/4/25 Ra 2017/13/0061

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.04.2019
beobachten
merken

Index

22/02 Zivilprozessordnung
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §292 idF 2016/I/117
ZPO §63

Betreff

?

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und Senatspräsident Dr. Nowakowski, die Hofräte MMag. Maislinger und Mag. Novak und die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision der E als ehemalige Geschäftsführerin der B GmbH in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Halm, Wirtschaftsprüfer in 1090 Wien, Berggasse 10, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom 24. Juli 2017, Zl. VH/7100033/2017, betreffend Gewährung der Verfahrenshilfe gemäß § 292 BAO in einem Beschwerdeverfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 2005 und Festsetzung von Umsatzsteuer Jänner bis August 2006, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ersuchte mit einem am 23. Jänner 2017 beim Finanzamt eingebrachten Schriftsatz um Gewährung von Verfahrenshilfe im Sinne des § 292 BAO. Bei dem durchzuführenden Verfahren handle es sich um ein rechtlich schwieriges Verfahren, weil es um diffizile Umsatzsteuerfragen gehe. Die Revisionswerberin solle als ehemalige Geschäftsführerin der B GmbH für angebliche Umsatzsteuerverkürzungen dieser Gesellschaft in Anspruch genommen werden, obwohl sich aus den Steuerakten ergebe, dass sie von dem Vorgang überhaupt nichts gewusst habe und auch von der Finanzbehörde nicht ordnungsgemäß verständigt worden sei. Ergänzend werde auf die Eingabe der Revisionswerberin vom 16. Dezember 2016 verwiesen, aus der ersichtlich sei, dass das monatliche Nettoeinkommen der Revisionswerberin inklusive Sonderzahlungen etwa 1.650 EUR betrage und sich deren monatliche Fixkosten auf 804 EUR beliefen, sodass ihr für den Lebensunterhalt nur 800 EUR verblieben.

2 Das Finanzamt legte den Verfahrenshilfeantrag samt Steuerakten dem Bundesfinanzgericht vor, das am 29. Mai 2017 folgenden Beschluss (Mängelbehebungsauftrag) erließ:

"Der antragstellenden Partei wird gemäß § 85 Abs. 2 iVm § 2a BAO aufgetragen, folgende Mängel zu beheben:

Dem Antrag auf Bewilligung von Verfahrenshilfe vom 23.01.2017, beim Finanzamt eingebracht und an das BFG am 25.04.2017 weitergeleitet, fehlt:

• die Bezeichnung des Bescheides bzw. der Amtshandlung bzw. der unterlassenen Amtshandlung (§ 292 Abs. 8 Z 1 BAO);

• die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt (§ 292 Abs. 8 Z 2 BAO);

• die Entscheidung der Partei, ob der Kammer der Wirtschaftstreuhänder oder der Rechtsanwaltskammer die Bestellung des Verfahrenshelfers obliegt (§ 292 Abs. 8 Z 3 BAO);

• eine Darstellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers und der wirtschaftlichen Beteiligten (§ 292 Abs. 8 Z 4 BAO);

Die Behebung der angeführten Mängel wird innerhalb einer Frist von 4 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses aufgetragen."

3 Unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 29. Mai 2017 gab die Revisionswerber mit Schriftsatz vom 1. Juni 2017 folgendes bekannt:

"Ich war ehemalige Geschäftsführerin der (B GmbH) und habe in dieser Eigenschaft am 07.09.2009 gegen den Umsatzsteuerbescheid 2005 sowie den Umsatzsteuerbescheid für den Zeitraum 01-08/2006, beide vom 02.04.2007, welche mir erst im Zuge der Akteneinsicht vom 24.08.2009 zur Kenntnis gelangt sind, Berufung (nunmehr Beschwerde) gegen diese Bescheide eingelegt, weil ich als ehemalige Geschäftsführerin dieser GmbH haften soll.

Da ich aber längst nicht mehr Geschäftsführerin dieser Gesellschaft bin und überdies die (B GmbH) nicht Rechtsmittelwerberin ist, sondern ich es bin, bin ich die Antragstellerin für die Verfahrenshilfe.

Zur erleichterten Behandlung überreiche ich in Fotokopie das Rechtsmittel samt der Ergänzung vom 08.09.2009.

Ich bitte um Beigebung eines Mitglieds der Kammer der Wirtschaftstreuhänder als Verfahrenshelfer (...).

Wie sich aus der Berufung vom 07.09.2009 ergibt, handelt es sich im gegenständlichen Fall um schwierige umsatzsteuerliche Fragen, die ich ohne Beigabe eines fachkundigen Vertreters alleine nicht lösen kann.

Wie sich weiters aus den beiliegenden Unterlagen ergibt, habe ich monatliche Fixkosten von rd. EUR 804,00 und besteht auch noch eine Kreditschuld von EUR 8.000,00. Ich darf auch auf meinen Antrag vom 23.01.2017 verweisen, gemäß welchem mein monatliches Nettoeinkommen inkl. der Sonderzahlungen etwa EUR 1.700,00 beträgt und mir nach Abzug der monatlichen Fixkosten für den Lebensunterhalt nur mehr EUR 900,00 verbleiben.

Der guten Ordnung halber erlaube ich mir auch mitzuteilen, dass ich über keinerlei Vermögen verfüge. Ich besitze auch kein Kraftfahrzeug, da ich mir ohnedies dessen Spesen nicht leisten könnte."

4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht den (fälschlich als Antrag der B GmbH bezeichneten) Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe ab und führte zur Begründung aus, das Fehlen finanzieller Mittel zur Bestreitung der Verfahrenskosten bilde den Hauptbestandteil der Bewilligungsvoraussetzungen der Verfahrenshilfe. Nur wer sich einen steuerlichen Vertreter nicht leisten könne, solle in den Genuss der Verfahrenshilfe kommen.

5 Die rechtliche Beurteilung der Beeinträchtigung der Lebensführung obliege dem Verwaltungsgericht. Als notwendiger Unterhalt im Sinne des § 292 Abs. 2 BAO sei jener anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen habe, zu einer einfachen Lebensführung benötige. Die Formulierung bilde die Bestimmungen des § 63 ZPO inhaltlich nach. Daher lasse sich zur Beurteilung des notwendigen Unterhalts die Kommentierung zur ZPO heranziehen. Danach sei als notwendiger Unterhalt ein zwischen dem "notdürftigen" und dem "standesgemäßen" Unterhalt liegender anzusehen, der abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem "Existenzminimum" liege und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestatte. 6 Der unpfändbare Freibetrag ("Existenzminimum"), der einem Verpflichteten gemäß § 291a Abs. 1 EO zur Gänze zu verbleiben habe ("allgemeiner Grundbetrag"), richte sich nach dem Ausgleichszulagenrichtsatz für alleinstehende Personen (§ 293 Abs. 1 lit. a ASVG) und betrage für das Kalenderjahr 2017 882,78 EUR. Unterhaltsverpflichtungen der Revisionswerberin seien nicht hervorgekommen und auch nicht vorgebracht worden. Das mittlere Bruttojahreseinkommen der unselbständig Erwerbstätigen habe im Jahr 2016 26.678 EUR betragen, was einem Nettojahreseinkommen von ca. 20.200 EUR und einem monatlichen Nettoeinkommen inklusive Sonderzahlungen von 1.680 EUR entspreche. Demgemäß betrage der Richtwert für den notwendigen Unterhalt monatlich ca. 1.300 EUR. Dieser vom Bundesfinanzgericht ermittelte Richtwert sei etwas mehr als der in der Literatur als Richtwert für den notwendigen Unterhalt angesetzte Betrag von monatlich

1.200 EUR (Hinweis auf Rzeszut/Schury, Die Verfahrenshilfe in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, SWK 2017, S 91 mwN).

7 Die zur Haftung nach den §§ 9, 80 BAO für Umsatzsteuerschulden der B GmbH herangezogene Revisionswerberin beziehe laut eigenen Angaben ein monatliches Nettoeinkommen inklusive Sonderzahlungen von ca. 1.700 EUR. Dies entspreche einem "standesgemäßen Unterhalt" und gehe klar über den geforderten "notwendigen" Unterhalt hinaus, sodass sie auch in Anbetracht der Kreditschuld von 8.000 EUR, ihrer monatlichen Fixkosten und ihrer Vermögenslosigkeit "die Kosten einer Verteidigung durch einen Wirtschaftstreuhänder oder Rechtsanwalt" tragen könne, ohne dadurch den zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalt zu beeinträchtigen.

8 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig.

9 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision, in der zur Zulässigkeit ausgeführt wird, dass es zu § 292 BAO keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gebe, weil diese Bestimmung erst mit dem Abgabenänderungsgesetz 2016, BGBl. I Nr. 117/2016, eingeführt worden sei und seit 1. Jänner 2017 in Geltung stehe. Abgesehen davon habe das Bundesfinanzgericht gegen seine amtswegige Ermittlungspflicht (§ 115 BAO) verstoßen, indem es nicht festgestellt habe, "welchen Betrag (die Revisionswerberin) für die Vertretung im Rechtsmittelverfahren vor dem BFG aufbringen müsste, denn es ist wohl klar, dass zwischen diesem Kostenfaktor und (dem Einkommen der Revisionswerberin) eine Relation herzustellen ist".

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision ist zulässig und begründet.

12 Der mit Abgabenänderungsgesetz 2016, BGBl. I Nr. 117, in die Bundesabgabenordnung (BAO) eingefügte § 292 lautet auszugsweise wie folgt:

"27. Verfahrenshilfe

§ 292. (1) Auf Antrag einer Partei (§ 78) ist, wenn zu entscheidende Rechtsfragen besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweisen, ihr für das Beschwerdeverfahren Verfahrenshilfe vom Verwaltungsgericht insoweit zu bewilligen,

1. als die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und

2. als die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

(2) Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt."

13 In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 2016 (1352 BlgNR 25. GP 18) wird zur neu eingeführten Bestimmung des § 292 BAO u.a. folgendes ausgeführt:

"Ebenso wie nach § 77 Abs. 3 FinStrG, § 63 Abs. 1 ZPO und § 61 Abs. 2 StPO setzt die Bewilligung der Verfahrenshilfe bei natürlichen Personen nach § 292 Abs. 1 lit. a BAO voraus, dass die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten.

Die Definition des notwendigen Unterhaltes in § 292 Abs. 2 BAO entspricht jener in § 63 Abs. 1 zweiter Satz ZPO. Als notwendiger Unterhalt ist ein zwischen dem ‚notdürftigen' und dem ‚standesgemäßen' Unterhalt liegender anzusehen, der abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem ‚Existenzminimum' liegt und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (zB VwGH 2.5.2012, 2012/08/0057; Fucik, ÖJZ 2012, 197)."

14 § 292 BAO ist mit 1. Jänner 2017 in Kraft getreten. Ab diesem Tag kommen Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe - auch für bereits anhängige Beschwerdeverfahren - in Betracht (vgl. Ritz, BAO6, § 292 Tz 75).

15 Bei Prüfung der Frage, ob die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts aufgebracht werden können, ist eine Schätzung der auf Seiten des Antragstellers voraussichtlich anfallenden Kosten unerlässlich, wobei unter Berücksichtigung der zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Umstände des Einzelfalles ein durchschnittlicher Verfahrensablauf anzunehmen ist (vgl. idS M. Bydlinski in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, zu § 63 ZPO Rz 3, dem die Bestimmung des § 292 BAO laut den Erläuterungen nachgebildet ist). 16 Das Bundesfinanzgericht ging im angefochtenen Beschluss davon aus, dass die Revisionswerberin für eine einfache Lebensführung ca. 1.300 EUR benötigt (notwendiger Unterhalt im Sinne des § 292 Abs. 2 BAO) und vertrat den Standpunkt, dass sie mit ihrem monatlichen Nettoeinkommen von ca. 1.700 EUR auch in Anbetracht der Kreditschuld von 8.000 EUR, ihrer monatlichen Fixkosten und ihrer Vermögenslosigkeit "die Kosten einer Verteidigung durch einen Wirtschaftstreuhänder oder Rechtsanwalt" tragen könne, ohne dadurch den zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalt zu beeinträchtigen. Eine Schätzung der von der Revisionswerberin voraussichtlich zu tragenden Kosten erfolgte in Verkennung der Rechtslage - worauf in der Revision zutreffend hingewiesen wird - nicht.

17 Der angefochtene Beschluss war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. 18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 25. April 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017130061.L00

Im RIS seit

24.07.2019

Zuletzt aktualisiert am

24.07.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten