TE Vwgh Erkenntnis 2019/5/8 Ra 2019/08/0017

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Veröffentlicht am 08.05.2019
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §111 Abs4
ASVG §111a Abs1 idF 2015/I/113
ASVG §113 Abs2 idF 2007/I/031

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2019/08/0018 E 08.05.2019

Betreff

?

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. November 2018, Zl. W178 2206324- 1/3E, betreffend Beitragszuschlag nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: P D in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Kostenbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse vom 8. August 2018, mit dem dem Mitbeteiligten gemäß § 113 Abs. 1 Z 1 ASVG ein Beitragszuschlag in Höhe von EUR 400,-- vorgeschrieben worden war, ersatzlos behoben. 2 Am 17. Mai 2018 habe im Betrieb des Mitbeteiligten eine gemeinsame Kontrolle durch Prüforgane der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse und durch Prüforgane der Bundespolizei stattgefunden. Dabei sei Leo B. beim Bedienen der Gäste angetroffen worden. Dieser sei zum Zeitpunkt der Kontrolle nicht zur Pflichtversicherung gemeldet gewesen.

3 Aus § 113 Abs. 2 und § 111a ASVG sei abzuleiten, dass die Vorschreibung eines Beitragszuschlages nur möglich sei, wenn die Betretung des Mitbeteiligten durch die Abgabenbehörden des Bundes bzw. deren Prüforgane erfolgt. Dies sei hier nicht der Fall. Ein Beitragszuschlag könne nicht vorgeschrieben werden. Die Prüfung, ob der Kontrollierte Dienstnehmer der mitbeteiligten Partei gewesen sei, erübrige sich.

4 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Die Rechtslage sei eindeutig.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision. Der Mitbeteiligte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit aus,

Beitragszuschläge gemäß § 113 ASVG seien wegen des durch die Säumigkeit des Meldepflichtigen verursachten Mehraufwands in der Verwaltung (der Gebietskrankenkassen) sachlich gerechtfertigt. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb der Gesetzgeber beabsichtigt haben soll, den Mehraufwand nur in solchen Fällen abzugelten, in denen er für die Gebietskrankenkasse, wenn sie keine Kontrolle durchführen würde, am geringsten sei. § 41a Abs. 1 ASVG sehe ausdrücklich die Befugnis der Bediensteten der Versicherungsträger vor, Kontrollen durchzuführen. § 111 Abs. 1 Z 4, 5 und 6 ASVG sei vor dem Hintergrund derartiger Kontrollen durch Prüforgane der Versicherungsträger zu sehen. Gemäß § 111 Abs. 4 ASVG seien die Versicherungsträger und die Abgabenbehörden des Bundes, "deren Prüforgane Personen betreten haben", verpflichtet, alle ihnen aufgrund der Betretung zur Kenntnis gelangenden Ordnungswidrigkeiten nach § 111 Abs. 1 ASVG bei der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen.

8 Die Revision ist aus den genannten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.

9 Die §§ 111 und 111a ASVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 113/2015 lauten auszugsweise samt Überschrift:

"Verstöße gegen melderechtliche Vorschriften

§ 111. (1) Ordnungswidrig handelt, wer als Dienstgeber oder sonstige nach § 36 meldepflichtige Person (Stelle) oder nach § 42 Abs. 1 auskunftspflichtige Person oder als bevollmächtigte Person nach § 35 Abs. 3 entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes

1. Meldungen oder Anzeigen nicht oder falsch oder nicht rechtzeitig erstattet oder

2. Meldungsabschriften nicht oder nicht rechtzeitig weitergibt oder

3.

Auskünfte nicht oder falsch erteilt oder

4.

gehörig ausgewiesene Bedienstete der Versicherungsträger

während der Betriebszeiten nicht in Geschäftsbücher, Belege und sonstige Aufzeichnungen, die für das Versicherungsverhältnis bedeutsam sind, einsehen lässt oder

         5.       gehörig ausgewiesenen Bediensteten der Versicherungsträger einen Ausweis oder eine sonstige Unterlage zur Feststellung der Identität nicht vorzeigt oder

         6.       gehörig ausgewiesenen Bediensteten der Versicherungsträger die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Auskünfte nicht erteilt.

(2) (...).

(3) (...).

(4) Die Versicherungsträger und die Abgabenbehörden des Bundes, deren Prüforgane Personen betreten haben, sind verpflichtet, alle ihnen auf Grund der Betretung zur Kenntnis gelangenden Ordnungswidrigkeiten nach Abs. 1 bei der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen.

(5) (...)."

"Parteistellung im Verwaltungsstrafverfahren

§ 111a. (1) Die Abgabenbehörden des Bundes, deren Prüforgane Personen betreten haben, die entgegen § 33 Abs. 1 nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurden, haben in den Verwaltungsstrafverfahren nach § 111 Parteistellung und sind berechtigt, gegen Entscheidungen Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht und Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. (...).

(2) (...)."

10 § 113 ASVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 31/2007 lautet auszugsweise samt Überschrift:

"Beitragszuschläge

§ 113. (1) Den in § 111 Abs. 1 genannten Personen (Stellen) können Beitragszuschläge vorgeschrieben werden, wenn

1. die Anmeldung zur Pflichtversicherung nicht vor Arbeitsantritt erstattet wurde oder

2. (...)

(...).

(2) Im Fall des Abs. 1 Z 1 setzt sich der Beitragszuschlag nach einer unmittelbaren Betretung im Sinne des § 111a aus zwei Teilbeträgen zusammen, mit denen die Kosten für die gesonderte Bearbeitung und für den Prüfeinsatz pauschal abgegolten werden. Der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung beläuft sich auf 500 EUR je nicht vor Arbeitsantritt angemeldeter Person; der Teilbetrag für den Prüfeinsatz beläuft sich auf 800 EUR. Bei erstmaliger verspäteter Anmeldung mit unbedeutenden Folgen kann der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung entfallen und der Teilbetrag für den Prüfeinsatz bis auf 400 EUR herabgesetzt werden. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen kann auch der Teilbetrag für den Prüfeinsatz entfallen.

(3) (...).

(...)."

11 Strittig ist das Verständnis der in § 113 Abs. 2 ASVG gebrauchten Wendung "nach einer unmittelbaren Betretung im Sinne des § 111a" ASVG.

12 § 111a Abs. 1 ASVG regelt die Parteistellung der Abgabenbehörden des Bundes und macht diese davon abhängig, dass deren Prüforgane "Personen betreten haben".

13 Aus dieser Regelung folgt nicht, dass § 113 Abs. 2 ASVG nur auf das Betreten durch Prüforgane der Abgabenbehörden des Bundes abstellen würde. Die Wortfolge "nach einer unmittelbaren Betretung iSd § 111a" in dieser Bestimmung enthält ausschließlich eine sachliche Definition des Begriffs "unmittelbare Betretung" und hat mit der in § 111a ASVG darüber hinaus enthaltenen Regelung der Parteistellung nichts zu tun. "Unmittelbare Betretung" bezieht sich auf die Wortfolge des § 111a ASVG "Personen betreten haben, die entgegen § 33 Abs. 1 nicht vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung angemeldet wurden", gleichgültig, durch welche gesetzlich ermächtigten Prüforgane die Betretung erfolgte. Dies erhellt nicht zuletzt dadurch, dass gemäß § 113 Abs. 2 ASVG "die Kosten für die gesonderte Bearbeitung und für den Prüfeinsatz ... abgegolten werden" sollen. Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung würde der Norm eine unsachliche Differenzierung unterstellen und ihrem Zweck, den Versicherungsträgern den durch den Verstoß gegen die Meldepflicht verursachten Mehraufwand zu ersetzen (VwGH 10.7.2013, 2013/08/0117), zuwiderlaufen. Auch in Ansehung der von der Revisionswerberin hervorgehobenen Kontrollbefugnisse der Gebietskrankenkassen ist es für den Verwaltungsgerichtshof nicht zweifelhaft, dass § 113 Abs. 2 ASVG für jede "Betretung" durch Prüforgane gilt, insbesondere durch solche der Versicherungsträger (vgl. § 111 Abs. 4 ASVG).

14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verlangt das Tatbestandsmerkmal des Betretens einer Person (Dienstnehmer) durch eine andere Person (Prüforgan) iSd § 111a Abs. 1 ASVG ein körperliches Zusammentreffen dieser beiden Personen (ein unmittelbares sinnliches Wahrnehmen der einen Person durch die andere) nach einem behaupteten Arbeitsantritt (VwGH 19.12.2018, Ro 2018/08/0019). Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes haben die Prüforgane der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse Leo B. im Lokal des Mitbeteiligten beim Bedienen der Gäste angetroffen. Damit ist das Tatbestandsmerkmal der "unmittelbaren Betretung im Sinne des § 111a" gemäß § 113 Abs. 2 ASVG erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht davon Abstand genommen zu prüfen, ob Leo B. Dienstnehmer des Mitbeteiligten war.

15 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

16 Ein Aufwandersatz an die revisionswerbende Partei kommt nicht in Betracht, weil sie selbst der zum Aufwandersatz verpflichtete Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG wäre. Der diesbezügliche Antrag war daher abzuweisen.

Wien, am 8. Mai 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019080017.L00

Im RIS seit

01.08.2019

Zuletzt aktualisiert am

02.08.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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