TE Lvwg Erkenntnis 2019/5/29 VGW-153/058/725/2019

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.05.2019
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Entscheidungsdatum

29.05.2019

Index

41/02 Staatsbürgerschaft
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

StbG 1985 §26 Z1
StbG 1985 §27 Abs1
StbG 1985 §42 Abs3
VwGVG §17
AVG §47
AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Tallafuss über die Beschwerde der Frau A. B., geboren am ... 1967, Wien, C.-straße, vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, vom 13. November 2018, Zl. ..., mit welchem festgestellt wurde, dass durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit die österreichische Staatsbürgerschaft spätestens mit Wirkung vom 18. Mai 2017 gemäß § 27 Abs. 1 StbG verloren wurde, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 24. Mai 2019,

zu Recht erkannt:

I.       Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass die Wortfolge „18. Mai 2017“ im Spruch des angefochtenen Bescheides durch die Wortfolge „30. April 2018“ ersetzt wird.

II.      Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I.       Verfahrensgang

1.       Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. November 2018, Zl. ..., stellte die Wiener Landesregierung gemäß § 39 und § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz – StbG von Amts wegen fest, dass die Beschwerdeführerin die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG durch Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit spätestens am 18. Mai 2017 verloren habe und nicht österreichische Staatsbürgerin sei.

Begründend wurde dazu zusammengefasst ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass es sich bei dem am 18. Mai 2017 bei der belangten Behörde eingelangten Datensatz mit den Personendaten von mehreren zehntausenden Personen um eine bzw. einen Teil einer authentischen türkischen Wählerevidenzliste handle und diese Liste die Daten der türkischen Wahl am 1. November 2015 wahlberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit Hauptwohnsitz im Amtsbereich des Generalkonsulates Wien beinhalte. Die Beschwerdeführerin scheine auf der genannten Liste mit der Personenstandsnummer ..., ihrem Vor- und Familiennamen, dem Vornamen ihrer Mutter (D.) und ihres Vaters (E.), ihrem Geschlecht, dem Geburtsort F., dem Geburtsdatum ... 1967 und der Stadt G. in der Provinz H. auf.

Darüber hinaus scheine die Beschwerdeführerin auch im aktuellen Auslandswählerverzeichnis für die Präsidentschafts- und Parlamentswahl im Juni 2018 als wahlberechtigte Person auf. Am 12. Juni 2018 sei mit den Personendaten der Beschwerdeführerin (Personenkennzeichen „...“, der Provinz „H.“ und Reihennummer „...“) eine Wählerabfrage auf der Webseite https://secmen.ysk.gov.tr/ysk/ durchgeführt worden. Diese Auslandswählerabfrage habe ebenfalls ergeben, dass die Beschwerdeführerin im Auslandswählerverzeichnis eingetragen sei und beim türkischen Generalkonsulat in Wien als zuständige Auslandsvertretung zur Stimmabgabe berechtigt sei. Somit scheine die Beschwerdeführerin sowohl in der Wählerevidenzliste zur Parlamentswahl im Jahr 2015 als auch im aktuellen Auslandswählerverzeichnis für die Präsidentschafts- und Parlamentswahl im Juni 2018 als wahlberechtigte Person auf.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien die Parteien eines Verwaltungsverfahrens – ungeachtet der behördlichen Verpflichtung zur amtswegigen Feststellung des Sachverhaltes – verpflichtet, durch substantiiertes Vorbringen zur Ermittlung des Sachverhaltes beizutragen, wenn es einer solchen Mitwirkung bedürfe. Das sei dann anzunehmen, wenn der behördlichen Ermittlung faktische Grenzen gesetzt seien, die Behörde also nicht in der Lage sei, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden bzw. sich relevante Daten amtswegig zu verschaffen. Soweit einzelne Sachverhaltselemente ihre Wurzel im Ausland hätten, sei die Mitwirkungspflicht der Partei in dem Maß höher, als die Pflicht der Behörden zu amtswegigen Erhebungen wegen des Fehlens entsprechender Möglichkeiten geringer sei. Die Beschwerdeführerin sei der Aufforderung zur Vorlage eines vollständigen Personenstandsregisterauszuges mit allen staatsbürgerschaftsrechtlichen Daten nicht nachgekommen. Es seien keine geeigneten Unterlagen zum Nachweis, dass die Beschwerdeführerin nach Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht wieder in den türkischen Staatsverband aufgenommen worden sei, vorgelegt worden. Angesichts des laut Äußerung des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten bestehenden Rechtsanspruches von aktuellen und ehemaligen türkischen Staatsangehörigen auf Ausstellung eines Personenstandsregisterauszuges mit staatsbürgerschaftsrechtlichen Daten und der im vorliegenden Fall offenkundigen Unmöglichkeit, von Amts wegen personenbezogene Auskünfte von türkischen Behörden zu erhalten, sei das Vorbringen der Beschwerdeführerin als bloße Schutzbehauptung zu bewerten.

Gemäß § 27 Abs. 1 StbG verliere die österreichische Staatsbürgerschaft, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwerbe, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden sei. Dem türkischen Staatsangehörigkeitsrecht sei zu entnehmen, dass für den (Wieder)Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit zwingend eine Antragstellung des Einzubürgernden vorgeschrieben sei. Da die Beschwerdeführerin sowohl auf dem am 18. Mai 2017 übermittelten Datensatz als auch im Auslandswählerverzeichnis für die Präsidentschafts- und Parlamentswahl im Juni 2018 aufscheine und sie keinen vollständigen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister vorgelegt habe, stehe im vorliegenden Fall fest, dass die Beschwerdeführerin zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem 18. Mai 2017 die türkische Staatsangehörigkeit auf Grund eines entsprechenden Antrages wieder erworben habe. Da die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft vor Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nicht bewilligt worden sei, habe die Beschwerdeführerin die österreichische Staatsbürgerschaft spätestens am 18. Mai 2017 verloren.

2.       Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde. In dieser wird zusammengefasst vorgebracht, dass der von der belangten Behörde herangezogene Datenträger keine Beweisqualität habe und eine Verletzung der Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin nicht vorliege.

3.       Die belangte Behörde sah von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung ab und legte dem Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde und den Verwaltungsakt zur Entscheidung vor (einlangend beim Verwaltungsgericht Wien am 14. Jänner 2019).

4.       Das Verwaltungsgericht Wien ließ in weiterer Folge die von der belangten Behörde ermittelten und in den Behördenakten jeweils als Ausdruck dokumentierte „Auslandswählerabfrageergebnis[se]“ vom 12. Juni 2018 in die deutsche Sprache übersetzen und forderte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 25. März 2019 auf, einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister mit staatsbürgerschaftsrechtlichen Eintragungen vorzulegen, oder darzulegen, wieso es ihr nicht möglich ist, einen solchen Auszug vorzulegen.

5.       Am 10. Mai 2019 legte die Beschwerdeführerin dem Verwaltungsgericht Wien eine Bestätigung des Generalkonsulats der Republik Türkei vom 15. April 2019 vor, in der bestätigt wird, dass sich die Beschwerdeführerin mit der Bitte um Ausstellung eines Personenstandsregisterauszuges an das Konsulat gewendet habe, jedoch festgestellt worden sei, dass sie aus dem türkischen Staatsverband ausgebürgert worden sei und die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen habe. Weiters wird darin ausgeführt, dass nach der Mavi Kart (Blaue Karten) Rechtsverordnung der Personenstand der ausgebürgerten Personen nicht mehr im Personenstandregister, sondern im „Blaue Karten Register“ (Mavi Kartlilar Kütügü) geführt werde und den ausgebürgerten Personen kein Personenstandsregister ausgestellt werden dürfe.

6.       Zur weiteren Abklärung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts führte das Verwaltungsgericht Wien am 24. Mai 2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu welcher die Beschwerdeführerin und ihr Rechtsvertreter erschienen sind. Die belangte Behörde verzichtete bereits im Vorfeld auf eine Teilnahme und entsandte demensprechend keinen Vertreter.

II.      Sachverhalt

1.       Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

1.1.    Die Beschwerdeführerin, Frau A. B., wurde am ... 1967 in F., Türkei, geboren.

1.2.    Die Beschwerdeführerin ist 1978 nach Österreich gekommen und lebt seitdem im Bundesgebiet. Sie ist seit 26. Juli 2001 hauptwohnsitzlich in Wien, C.-straße, gemeldet. Die Beschwerdeführerin hat in Österreich die vierte Klasse Volksschule und danach die Hauptschule besucht. Sie hat in Österreich zunächst als Küchenhilfe, dann als Reinigungskraft und zuletzt als Saisonkraft in der Gastronomie gearbeitet. Seit ca. sieben Jahren bezieht die Beschwerdeführerin eine Invaliditätspension. Die Beschwerdeführerin ist verheiratet und hat zwei Söhne, I. B., geboren am ... 1986 und J. B., geboren am ... 1988. Ihr Mann und ihre beiden Söhne, alle österreichische Staatsbürger, leben gemeinsam mit der Beschwerdeführerin in Österreich. Nur die Mutter der Beschwerdeführerin lebt noch in der Türkei.

1.3.    Mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 27. Juli 1995, GZ ..., wurde der Beschwerdeführerin die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 20 StbG für den Fall zugesichert, dass binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband nachgewiesen wird. Am 17. Mai 1996 langte bei der belangten Behörde die Bewilligungsurkunde zur Entlassung aus dem türkischen Staatsverband entsprechend dem Ministerratsbescheid vom 16. Jänner 1996, Zl. ..., ausgestellt am 19. März 1996, ein. Mit Wirkung vom 22. Oktober 1996 wurde der Beschwerdeführerin von der Wiener Landesregierung, GZ ..., die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen. Mit Bescheid des Innenministeriums der Türkischen Republik vom 19. März 1997 wurde die Beschwerdeführerin entsprechend dem Ministerratsbescheid vom 16. Jänner 1996, Zl. ..., endgültig aus dem türkischen Staatsverband entlassen.

1.4.    Mit 17. Mai 2017 übermittelte der Freiheitliche Parlamentsklub dem Bundesministerium für Inneres einen Datenträger, auf dem sich Excel-Tabellen mit persönlichen Daten von mehreren zehntausend Personen befanden. In dem dazugehörigen Begleitschreiben wurde dieser Datensatz als eine türkische Wählerevidenzliste bezeichnet. Der Freiheitliche Parlamentsklub übermittelte am 18. Mai 2017 eine Kopie der Liste an die Magistratsabteilung 35 der Stadt Wien zu Handen des zuständigen amtsführenden Stadtrates.

Woher der Datensatz stammt und in welchem Zeitpunkt er entstanden ist, lässt sich nicht feststellen. Fest steht allerdings, dass der übermittelte Datensatz nicht schreibgeschützt ist und verändert werden konnte.

1.5.    Da die Beschwerdeführerin in dem als „Auszug aus der vom Freiheitlichen Parlamentsklub am 18. Mai 2017 übermittelten `türkischen Wählerevidenzliste`“ bezeichneten Datenblatt (das von der Behörde zur einfacheren Lesbarkeit ergänzt wurde) mit folgenden persönlichen Daten verzeichnet ist “ID-Nummer ..., Vorname A., Familienname B., VN Mutter D., VN Vater E., Geschlecht K, Geburtsort F., Geburtsdatum 1967, Provinz H., Stadt G., Aufenthaltsstaat AVUSTURYA CUMHURIYETI; Zuständigkeit VIYANA BASKONSOLOSLUGU“, leitete die belangte Behörde von Amts wegen ein Verfahren gemäß § 42 Abs. 3 StbG zur Feststellung der Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführerin ein.

Mit Schreiben vom 6. April 2018 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, dass bekannt geworden sei, dass sie nun wieder im Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit sei und ersuchte sie, um einen möglichen Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft zu vermeiden, einen vollständigen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister (Nüfüs Kayit Örnegi) mit allen staatsbürgerschaftsrechtlichen Daten zu beschaffen und sich dazu an das türkische Generalkonsulat oder das zuständige Amt in der Türkei zu wenden.

1.6.    Gleichzeitig ersuchte die belangte Behörde das Generalkonsulat der Türkischen Republik in Wien um Mitteilung, ob die Beschwerdeführerin die türkische Staatsangehörigkeit besitze bzw. ob sie in den türkischen Evidenzen verzeichnet sei.

Dieses Schreiben blieb vom türkischen Generalkonsulat unbeantwortet.

1.7.    Mit Schreiben vom 14. Mai 2018 teilte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde mit, dass sie beim türkischen Generalkonsulat in Wien keinen Auszug aus dem Personenstandsregister erhalten habe, da sie nicht im Besitz einer türkischen Staatsbürgerschaft sei. Dem Schreiben beigelegt war eine Zeitbestätigung des Generalkonsulates der Republik Türkei vom 25. April 2018.

1.8.    Am 12. Juni 2018 führte die belangte Behörde mit den Personendaten der Beschwerdeführerin (Personenkennzeichen, Provinz und Reihennummer) eine Wählerabfrage für die türkische Präsidentschafts- und Parlamentswahl am 24. Juni 2018 in der türkischen Wählerevidenz (abrufbar über die offizielle Homepage der hohen Wahlkommission der Türkei, http://www.ysk.gov.tr/) durch. Diese Abfrage hat ergeben, dass die Beschwerdeführerin im Auslandswählerverzeichnis eingetragen ist und beim Generalskonsulat in Wien als zuständige Auslandsvertretung zur Stimmabgabe berechtigt war. Voraussetzung für die Eintragung in das Wahlregister war der Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit. Ein Einspruch gegen die Richtigkeit der Eintragung wurde von der Beschwerdeführerin nicht erhoben.

1.9.    Mit Schreiben vom 31. August 2018 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin zusammengefasst mit, dass sie in dem vom Freiheitlichen Parlamentsklub an das Bundesministerium für Inneres übermittelten Datenträger („türkische Wählerevidenzliste“) mit ihrer Personenstandsnummer, ihrem Vor- und Familiennamen, dem Vornamen ihrer Mutter und ihres Vaters, ihrem Geschlecht, ihrem Geburtsort und ihrem Geburtsdatum verzeichnet sei und dass sie auch im aktuellen Auslandswählerverzeichnis für die Präsidentschafts- und Parlamentswahl im Juni 2018 als wahlberechtigte Person aufscheine. Die Beschwerdeführerin habe im Verfahren keine Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgehe, dass sie die türkische Staatsangehörigkeit nach der Entlassung aus dem Staatsverband nicht wieder angenommen habe. Da der Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nach dem türkischen Staatsangehörigkeitsgesetz eines Antrages des Erwerbenden bedürfe und die Beibehaltung der österreichischen Staatsangehörigkeit von der Beschwerdeführerin vor der Annahme der türkischen Staatsangehörigkeit nicht bewilligt worden sei, sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin die österreichische Staatsbürgerschaft durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit verloren habe.

1.10.   Mit Schreiben vom 15. September 2018 ersuchte die Beschwerdeführerin um Fristerstreckung zum Nachweis dafür, dass sie nicht im Besitz einer türkischen Staatsbürgerschaft sei. Der Beschwerdeführerin wurde in weitere Folge eine Fristerstreckung bis 8. Oktober 2018 gewährt.

1.11.   Mit Schreiben vom 26. September 2018 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung des Generalkonsulats der Republik Türkei vom 18. September 2018, in der bestätigt wird, dass sich die Beschwerdeführerin mit der Bitte um Ausstellung eines Personenstandsregisterauszuges an das Konsulat gewendet habe, jedoch festgestellt worden sei, dass sie aus dem türkischen Staatsverband ausgebürgert worden sei und die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen habe. Darüber hinaus wird folgendes ausgeführt: „Nach der Mavi Kart (Blaue Karten) Rechtsverordnung wird der Personenstand der ausgebürgerten Personen nicht mehr im Personenstandregister, sondern im „Blaue Karten Register“ (Mavi Kartlilar Kütügü) geführt. Aus diesem Grund darf den ausgebürgerten Personen kein Personenstandsregister ausgestellt werden.“

1.12.   Am 13. November 2018 erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid.

1.13.   Der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit war nach der türkischen Rechtslage seit dem Austritt der Beschwerdeführerin im Jahr 1997 nur auf Antrag des Betroffenen zulässig.

1.14.   Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin einer Mavi Kart mit Ausstellungsdatum 18. Februar 2019.

2.    Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

2.1.    Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Administrativakt der belangten Behörde und den darin enthaltenen Auszügen aus dem Einbürgerungsakt der Beschwerdeführerin, Würdigung der von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren sowie im Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente und Unterlagen sowie Einvernahme der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung am 24. Mai 2019 vor dem Verwaltungsgericht Wien.

2.2.    Die Feststellungen betreffend die Beschwerdeführerin und ihrer Familienverhältnisse ergeben sich aus den unbedenklichen Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes, den vom Verwaltungsgericht Wien eingeholten Sozialversicherungs- und Melderegisterauszügen sowie aus den diesbezüglichen Aussagen der Beschwerdeführerin im Rahmen der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien am 24. Mai 2019.

2.3.    Die Feststellungen zum Verfahren betreffend die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und die Feststellungen zum Verfahrensgang im gegenständlichen Feststellungsverfahren gründen sich auf den unbestrittenen gebliebenen und unbedenklichen Akteninhalt, der nicht in Zweifel zu ziehen war. Insbesondere ergaben sich weder aus der Beschwerde noch aus dem sonstigen Vorbringen im behördlichen Verfahren Anhaltspunkte, die es erlaubt hätten, die Richtigkeit des Akteninhaltes in Frage zu stellen.

2.4.    Dass die Herkunft und der Zeitpunkt der Entstehung des vom Freiheitlichen Parlamentsklub an die belangte Behörde übermittelten Datensatzes nicht feststellbar ist sowie der Umstand, dass der Datensatz nicht schreibgeschützt war, ergibt sich 1) aus dem Schreiben des Herrn Heinz-Christian Strache vom 20. September 2017 an das Amt der Tiroler Landesregierung, in dem ausgeführt wird, dass der Datenträger dem Freiheitlichen Parlamentsklub anonym zugespielt wurde, 2) aus dem im Akt enthaltenen Datenblatt mit den persönlichen Daten des Beschwerdeführers, aus dem hervorgeht, dass die Spaltenbezeichnungen im Original nicht vorhanden und von der Behörde zu einfacheren Lesbarkeit ergänzt wurden, sowie 3) aus dem Bericht des Bundeskriminalamtes vom 30. Juni 2017 über eine datenforensische Untersuchung des Datensatzes. In diesem Bericht wird zusammenfassend ausgeführt, dass sämtliche gestellte Fragen nicht oder nur teilweise beantwortet werden konnten, da der Originaldatenträger nicht für eine forensisch korrekte Untersuchung zur Verfügung stand und auf die im Mailweg überliefer[te]n Dateien bereits schreibend zugegriffen wurde.

2.5.    Dass die Beschwerdeführerin am 12. Juni 2018 mit ihren Personendaten (Personenkennzeichen, Provinz und Reihennummer) in der von der Hohen Wahlkommission der Türkei zur Verfügung gestellten Wählerevidenz eingetragen war, ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt enthaltenen Ausdruck des von der belangten Behörde dokumentierten „Auslandswählerabfrageergebnisses“. Dazu ist auszuführen, dass in der Türkei am 24. Juni 2018 Präsidentschafts- und Parlamentswahl abgehalten wurden. Die höchste Wahlbehörde der Türkei, der Hohe Wahlausschuss, hat eine Webseite (https://secmen.ysk.gov.tr/ysk/) eingerichtet, auf der Personen Wahlinformationen zur Wahl einholen können. Auf dieser Webseite können auch Wählerabfragen für das Ausland, für im Ausland lebende Personen, getätigt werden. Notwendige Parameter für die Abfragen sind die Provinz der Eintragung im Personenstandsregister, die Personenkennzeichen der Republik Türkei („Kimlik-Nummer“) sowie die Reihennummer, mit der die Person im Personenstandsregister eingetragen ist. Das Verwaltungsgericht Wien hat keinen Zweifel daran, dass es sich dabei tatsächlich um Daten aus dem offiziellen Wählerverzeichnis für die Präsidentschaftswahlen bzw. Parlamentswahlen 2018 handelt. Dies ergibt sich aus Punkt 2. e) und 2. f) der im Akt der belangten Behörde einliegenden Stellungnahme des Bundesministers für Inneres vom 23. Juni 2017 und aus Art. 3 des türkischen Erlasses Nr. 140/II, vom 26. April 2018, über das Verfahren und die Grundsätze zur Aktualisierung der Auslandswählerregister („YURT DI?I SEÇMEN KÜTÜ?ÜNÜN GÜNCELLE?T?R?LMES? USUL VE ESASLARI“). Dass die türkische Staatsbürgerschaft Voraussetzung für die Eintragung in das Wählerverzeichnis ist ergibt sich aus Art. 6 des türkischen Gesetzes Nr. 298 betreffend Wahlen und Wählerregistrierung („SEÇ?MLER?N TEMEL HÜKÜMLER? VE SEÇMEN KÜTÜKLER? HAKKINDA KANUN“), aus Punkt 2 der im Akt der belangten Behörde einliegenden Stellungnahme des Bundesministers für Inneres vom 23. Juni 2017, sowie aus Art 5 lit. d des türkischen Erlasses Nr. 140/II, vom 26. April 2018.

Aus Art. 2 des türkischen Erlasses Nr. 140/II vom 26. April 2018 ergibt sich auch, dass die Daten für das Wahlregister mit Stichtag 30. April 2018 in das Wählerverzeichnis übernommen wurden. Sollten Personen zu Unrecht in das Wählerverzeichnis eingetragen worden sein (etwa weil sie die türkische Staatsbürgerschaft verloren haben; vgl. Art. 5 lit. d des türkischen Erlasses Nr. 140/II vom 26. April 2018) bestand zwischen 2. und 12. Mai 2018 die Möglichkeit Einspruch gegen die Eintragung zu erheben (vgl. Art. 8 des Erlasses Nr. 140/II vom 26. April 2018). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien hat die Beschwerdeführerin angegeben, keinen Einspruch gegen die Eintragung im Wählerverzeichnis erhoben zu haben.

2.6.    Dass die türkische Staatsbürgerschaft nur auf entsprechenden Antrag verliehen wird, lässt sich den bestehenden Bestimmungen des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 vom 11. Februar 1964 sowie des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 5901 vom 29. Mai 2009 entnehmen. Das gilt auch für die Wiedereinbürgerung (Art. 8 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 sowie Art. 13 und Art. 14 des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 5901).

Die maßgeblichen Bestimmungen des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 403 vom 11. Februar 1964 lauten auszugsweise (vgl. Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 153. Lieferung):

1. Teil  Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit

I.       Erwerb kraft Gesetzes

II.      Erwerb durch Entscheidung der zuständigen Behörde

1.       Arten der Einbürgerung und Aufenthalt

A)   Einbürgerung im Allgemeinen

B)   

C)   Wiedereinbürgerung

Art. 8. Ohne Erfüllung des Aufenthaltserfordernisses können Frauen, die gemäß Art. 19 durch Eheschließung mit einem ausländischen Mann und Annahme dessen Staatsangehörigkeit die türkische Staatsangehörigkeit verloren und die Frist gemäß Art. 13 versäumt haben, sowie Personen, die die türkische Staatsangehörigkeit gemäß Art. 20 aufgegeben haben, durch das Innenministerium, und Personen, die gemäß Art. 25 die türkische Staatsangehörigkeit durch Beschluss des Ministerrats verloren haben, durch Beschluss des Ministerrats wieder eingebürgert werden; auf den Aufenthalt kommt es dabei nicht an.

2.       Wirkung des Beschlusses des Ministerrates und Einbürgerungsverfahrens

A)   Wirkung des Beschlusses des Ministerrates

...

B)   Einbürgerungsverfahren

Art. 11. Der Antrag auf Aufnahme in die türkische Staatsangehörigkeit erfolgt durch Einreichung einer Antragsschrift bei der höchsten Verwaltungsbehörde am Wohnort des Betreffenden, im Ausland bei den türkischen Konsulaten.

Die von diesen Behörden anzulegende Akte wird zur weiteren Veranlassung an das Innenministerium übersandt.

Das Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen hinsichtlich der Person, die die Einbürgerung beantragt hat, wird gemäß den Grundsätzen, die in einer Verordnung zur Durchführung dieses Gesetzes festgelegt werden, überprüft. Diejenigen Personen, bei denen die Umstände dafür sprechen, werden dem Premierministerium zur Einbürgerung vorgeschlagen; die Anträge derjenigen, bei denen die Umstände dagegen sprechen, werden vom Innenministerium zurückgewiesen.“

Die maßgeblichen Bestimmungen des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 5901 vom 29. Mai 2009 lauten auszugsweise (vgl. Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, 201. Lieferung):

2. Abschnitt: Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit

Formen des Erwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit

Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit durch Entscheidung der zuständigen Behörde

Art 10 Ein Ausländer, der die türkische Staatsangehörigkeit annehmen will, kann diese durch Entscheidung der zuständigen Behörde annehmen, wenn die in diesem Gesetz vorgesehenen Bedingungen vorliegen. Das Vorliegen der Voraussetzungen verleiht aber der Person kein absolutes Recht auf Einbürgerung.

Antragsvoraussetzungen

Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit ohne Aufenthaltsvoraussetzung

Art 13 Soweit die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung nicht entgegenstehen, können die unten genannten Ausländer ohne Berücksichtigung der Aufenthaltszeit in der Türkei auf Beschluss des Ministeriums die türkische Staatsangehörigkeit wieder erwerben:

a)   diejenigen die mit Erlaubnis die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben;

b)   diejenigen, deren Vater oder Mutter die türkische Staatsangehörigkeit verloren hat und die nicht innerhalb der Frist des Art. 21 ihr Wahlrecht ausgeübt haben.

Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit mit Aufenthaltsvoraussetzung

Art 14 Soweit die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung nicht entgegenstehen, können die nach Art. 29 Ausgebürgerten durch Beschluss des Ministerrates, die nach Art. 34 Ausgebürgerten durch Beschluss des Ministeriums nach dreijährigem Aufenthalt in der Türkei die türkische Staatsangehörigkeit wieder erwerben.

…“

Aufgrund der zitierten Bestimmungen ist daher davon auszugehen, dass die Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit einen entsprechenden Antrag voraussetzt (vgl. auch VwGH 15. März 2012, 2010/01/0022 und 2010/01/0061). Diesem Verständnis von der türkischen Rechtslage wurde von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung auch nicht entgegengetreten.

2.7.    Dass die Beschwerdeführerin Inhaberin einer Mavi Kart mit Ausstellungsdatum 18. Februar 2019 ist, steht aufgrund der Vorlage der Mavi Kart durch die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien am 24. Mai 2019 fest.

III.    Rechtliche Beurteilung:

1.       Rechtslage:

Die maßgebenden Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 – StbG, BGBl. Nr. 311/1985, in der Stammfassung lauten:

§ 26. Die Staatsbürgerschaft wird verloren durch

1.   Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit (§§ 27 und 29);

§ 27. (1) Die Staatsbürgerschaft verliert, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist.

§ 42. (1) und (2) …

(3) Ein Feststellungsbescheid kann von Amts wegen erlassen werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Feststellung besteht.“

2.       Gemäß § 27 Abs. 1 StbG verliert die österreichische Staatsbürgerschaft, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung – also einer positiven Willenserklärung – eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist. Ob eine fremde Staatsangehörigkeit tatsächlich (VwGH 19. Februar 2009, 2006/01/0884) gültig erworben wurde, ist dabei nach der fremden Rechtsordnung zu beurteilen (Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II, 1990, 299; vgl. auch bereits VwSlg. 3653 A/1955), der darauf gerichtete Erwerbswille nach österreichischem Recht (EB zur RV 497 BlgNR 10. GP, 29). Liegen die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG vor, tritt der Verlust der Staatsbürgerschaft ex lege ein, ohne dass es dafür einer behördlichen Entscheidung bedarf.

3.       Gemäß § 42 Abs. 3 StbG kann ein Feststellungsbescheid von Amts wegen erlassen werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Feststellung besteht. Das Interesse des Staates, nicht darüber im Zweifel zu sein, ob eine bestimmte Person Staatsangehörige ist, stellt ein öffentliches Interesse dar, das gemäß § 42 Abs. 3 StbG die amtswegige Erlassung eines Feststellungsbescheides rechtfertigen kann (vgl. VwGH 15. März 2010, 2007/01/0482).

4.       Das Verfahren gemäß § 42 Abs. 3 iVm § 27 Abs. 1 StbG, das den Verlust der Staatsbürgerschaft zum Gegenstand hat, ist dadurch gekennzeichnet, dass das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG von Amts wegen zu ermitteln ist.

5.       Die belangte Behörde stützt ihre Feststellung, dass die Beschwerdeführerin auf Grund ihres Antrages die türkische Staatsbürgerschaft wieder erworben habe, zunächst darauf, dass bestimmte persönliche Daten der Beschwerdeführerin (darunter eine elfstellige Identitätsnummer, Vor- und Familiennamen, Vornamen der Mutter und des Vaters, Geschlecht, Geburtsort und Geburtsdatum) in einem (als „Wählerevidenzliste“ bezeichneten) Datensatz enthalten sind.

Mit Erkenntnis vom 11. Dezember 2018, Zl. E 3717/2018-42, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass der genannte Datensatz (die sogenannte „Wählerevidenzliste“) nicht authentisch und hinsichtlich seiner Herkunft und des Zeitpunktes seiner Entstehung nicht zuordenbar sei, da die im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres erfolgte Untersuchung dieses Datensatzes durch das Bundeskriminalamt ergeben habe, dass Ursprung und Authentizität der Daten nicht ermittelt werden könnten, da der Originaldatenträger nicht für eine forensische korrekte Untersuchung zur Verfügung gestanden sei und auf die im Mailweg überlieferten Dateien bereits schreibend zugegriffen worden sei. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes schließen die mangelnde Authentizität und die ungeklärte Herkunft der Inhalte dieses Datensatzes es von vornherein aus, dass dieser Datensatz für die Zwecke des § 27 Abs. 1 StbG im Hinblick auf die Beschwerdeführerin ein taugliches Beweismittel darstellt.

Dass die persönlichen Daten der Beschwerdeführerin in dem von der belangten Behörde herangezogenen Datensatz (sog. „Wählerevidenzliste“) enthalten sind, stellt somit keinen Beweis dafür dar, dass die Beschwerdeführerin die türkische Staatsbürgerschaft wieder erworben hat.

6.       Die belangte Behörde sieht eine Begründung für die Feststellung im Sinne des § 27 Abs. 1 StbG weiters darin, dass die Beschwerdeführerin in der von der Hohen Wahlkommission der Türkei zur Verfügung gestellten Wählerevidenz eingetragen war. Die belangte Behörde hat am 12. Juni 2018 über die offizielle Homepage der hohen Wahlkommission (http://www.ysk.gov.tr/) eine entsprechende Abfrage durchgeführt. Der im Verwaltungsakt enthaltene Ausdruck wurde vom Verwaltungsgericht Wien ins Deutsche übersetzt. Im Gegensatz zur übermittelten Datenliste stehen in diesem Zusammenhang die Authentizität und Herkunft der abgefragten Daten fest und das Verwaltungsgericht Wien hat keinen Zweifel daran, dass es sich dabei tatsächlich um Daten aus dem offiziellen Wählerverzeichnis für die Präsidentschaftswahlen bzw. Parlamentswahlen 2018 handelt.

Da die Eintragung in das Wählerverzeichnis die türkische Staatsangehörigkeit voraussetzt (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt II 2.5.), wird davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin diese Voraussetzung für die Eintragung in das Wählerverzeichnis zumindest am Stichtag – dem 30. April 2018 – erfüllt hat und daher die türkische Staatsbürgerschaft nach dem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft wieder erworben hat.

Da nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass eine Aufnahme in das Wählerverzeichnis zu Unrecht erfolgt ist (vgl. in diesem Zusammenhang Art. 8 iVm Art. 5 lit. d des türkischen Erlass Nr. 140/II vom 26. April 2018, wonach gegen die Eintragung Einspruch erhoben werden kann), wurde die Beschwerdeführerin sowohl durch die belangte Behörde, als auch durch das Verwaltungsgericht Wien aufgefordert, einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister mit staatsbürgerschaftsrechtlichen Eintragungen vorzulegen oder dazulegen, wieso es ihr weder möglich ist einen solchen online (auf https://www.turkiye.gov.tr/...) noch (allenfalls mittels eines Vertreters) bei den zuständigen Behörden in der Türkei zu beantragen.

Die Beschwerdeführerin hat in diesem Zusammenhang vorgebracht, dass sie beim türkischen Generalkonsulat in Wien keinen Personenstandsregisterauszug erhalten habe, da sie österreichische Staatsbürgerin sei und dass sie sich, wie sie in der Türkei gewesen sei, wegen schrecklichen Zahnschmerzen nicht um Ausstellung eines entsprechenden Auszuges habe kümmern können.

Damit macht die Beschwerdeführerin nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien keine überzeugenden Gründe für die Unmöglichkeit der Vorlage eines Personenstandsregisterauszuges geltend.

§ 44 Abs. 1 lit. g des türkischen Gesetzes Nr. 5480 über das Personenstandswesen (KANUN NÜFUS HIZMETLERI KANUNU) sieht vor, dass die folgenden Personen Personenstandsregisterauszüge beim Einwohnermeldeamt beantragen können: die Person selbst, Ehegatten, Eltern, ein Vormund, Verwandte in direkter aufsteigender oder absteigender Reihenfolge, sowie Personen mit einer offiziellen Vollmacht. Dass die Staatsangehörigkeit dieser Personen dabei eine Rolle spielt ergibt sich aus dem Gesetzt nicht. „Die Person selbst“ muss nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Wien so verstanden werden, dass damit die Person gemeint ist, auf die sich ein Registereintrag bezieht. Registereinträge bleiben auch erhalten, wenn die türkische Staatsangehörigkeit verloren wird. Dies ergibt sich schon aus Art. 14 Abs. 1 dieser Bestimmung, die vorsieht, dass der Verlust der Staatsbürgerschaft zur Schließung des Registers führt, sodass keine weiteren Bearbeitungen mehr vorgenommen werden können. Eine Löschung wird jedoch nicht vorgenommen, sodass die Einträge ehemaliger türkischer Staatsangehöriger erhalten bleiben. Dies ist gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung auch deshalb von Bedeutung, da im Falle der Wiedereröffnung, etwa weil die türkische Staatsangehörigkeit wieder angenommen wird, die Ereignisse, die nach der Schließung eingetreten sind, nachzutragen sind. Daraus ergibt sich, dass auch nach dem Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit ein geschlossener Registereintrag vorhanden ist, der sich auf eine Person bezieht, die gemäß Art. 44 Abs. 1 lit. g des türkischen Gesetzes Nr. 5480 einen Anspruch auf einen entsprechenden Auszug hat (vgl. auch die im Akt enthaltene Stellungnahme des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres vom 6. April 2018, BMEIA-TR.4.36.26/0008-IV.3/2018).

Auch, dass sich die Beschwerdeführerin in der Türkei wegen Zahnschmerzen nicht um die Ausstellung eines Personenstandsregisterauszuges kümmern konnte, erscheint nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien nicht glaubwürdig, zumal sie sich zuletzt sogar für mehrere Monate (von Juni 2018 bis September 2018) in der Türkei aufhielt. In dieser Zeit wäre es ihr nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien zumutbar gewesen, mit den zuständigen türkischen Behörden Kontakt aufzunehmen und entsprechende Schritte zur Ausstellung eines Personenstandsregisterauszuges zu setzen.

Auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach die stets für die Einreise in die Türkei beantragten Visa gegen einen Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit sprächen, überzeugt das Verwaltungsgericht Wien nicht, zumal der Inhaber eines österreichischen Passes jedenfalls ein türkisches Visum bei Einreise in die Türkei benötigt.

7.       Da die Beschwerdeführerin in die Wählerevidenz eingetragen war und sich nicht in einer ihr zumutbaren Weise um die Ausstellung eines Auszuges aus dem türkischen Personenstandsregister, der allenfalls belegen hätte können, das die Eintragung – wie von der Beschwerdeführerin behauptet – zu Unrecht erfolgt ist, bemüht hat (vgl. zur Mitwirkungspflicht VwGH 19. Oktober 2011, 2009/01/0018; VwGH 25. September 2018, Ra 2018/01/0364) erachtet es das Verwaltungsgericht Wien als erwiesen, dass die Beschwerdeführerin die türkische Staatsangehörigkeit nach dem Erwerb der österreichischen Staatsangehörigkeit wieder erworben hat und zumindest am Stichtag für die Eintragung in das Wählerverzeichnis, dem 30. April 2018, türkische Staatsangehörige war. Da aus der seit dem Ausscheiden aus der türkischen Staatsbürgerschaft im Jahr 1997 geltenden türkischen Rechtslage abgeleitet werden kann, dass ein Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nur aufgrund eines Antrages erfolgen kann, ist im Beschwerdefall zudem davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Ein Antrag auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft wurde von der Beschwerdeführerin hingegen nicht gestellt.

Damit steht im Beschwerdefall fest, dass die Beschwerdeführerin gemäß § 27 Abs. 1 StbG ex lege die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hat. Auch ein allfälliger neuerlicher Austritt aus dem türkischen Staatsverband vermag daran nichts zu ändern.

8.       Zur Frage der Verhältnismäßigkeit des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft:

8.1.    Nach dem Urteil des EuGH vom 12. März 2019, C-221/17, Tjebbes, Koopman ua, ist auch bei der Anwendung von Regelungen, welche den Verlust einer Staatsbürgerschaft kraft Gesetzes vorsehen, und welche auf Personen anzuwenden sind, die durch den Verlust der Staatsbürgerschaft mangels Besitzes einer weiteren Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaates der Europäischen Union den Status als Bürger der Europäischen Union und der damit verbundenen Rechte verlieren würden, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen. Der EuGH führt dazu näher aus (Rn 40, 44-46):

Es ist […]Sache der zuständigen nationalen Behörden und der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats, wenn er zum Verlust des Unionsbürgerstatus und der damit verbundenen Rechte führt, hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die unionsrechtliche Stellung des Betroffenen und gegebenenfalls seiner Familienangehörigen, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2010, Rottmann, C-135/08, EU:C:2010:104, Rn. 55 und 56).

[…]

Eine solche Prüfung erfordert eine Beurteilung der individuellen Situation der betroffenen Person sowie der ihrer Familie, um zu bestimmen, ob der Verlust der Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats, wenn er den Verlust des Unionsbürgerstatus mit sich bringt, Folgen hat, die die normale Entwicklung ihres Familien- und Berufslebens – gemessen an dem vom nationalen Gesetzgeber verfolgten Ziel – aus unionsrechtlicher Sicht unverhältnismäßig beeinträchtigen würden. Dabei darf es sich nicht um nur hypothetische oder potenzielle Folgen handeln.

Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung ist es Sache insbesondere der zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls der nationalen Gerichte, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, dass ein solcher Verlust der Staatsangehörigkeit mit den Grundrechten der Charta, deren Wahrung der Gerichtshof sichert, im Einklang steht, und insbesondere mit dem Recht auf Achtung des Familienlebens, das in Art. 7 der Charta niedergelegt ist, wobei dieser Artikel in Zusammenschau mit der Verpflichtung auszulegen ist, das in Art. 24 Abs. 2 der Charta anerkannte Kindeswohl zu berücksichtigen (Urteil vom 10. Mai 2017, Chavez-Vilchez u. a., C-133/15, EU:C:2017:354, Rn. 70).

Was die Umstände in Bezug auf die individuelle Situation der betroffenen Person angeht, die bei der von den zuständigen nationalen Behörden und den nationalen Gerichten im vorliegenden Fall vorzunehmenden Beurteilung relevant sein können, ist u.a. die Tatsache zu erwähnen, dass die betroffene Person infolge des Verlusts der niederländischen Staatsangehörigkeit und des Unionsbürgerstatus kraft Gesetzes Beschränkungen bei der Ausübung ihres Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ausgesetzt wäre, gegebenenfalls verbunden mit besonderen Schwierigkeiten, sich weiter in die Niederlande oder einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um dort tatsächliche und regelmäßige Bindungen mit Mitgliedern ihrer Familie aufrechtzuerhalten, ihre berufliche Tätigkeit auszuüben oder die notwendigen Schritte zu unternehmen, um dort eine solche Tätigkeit auszuüben. […]“

8.2.    Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien unterscheidet sich der dem gegenständlichen Urteil des EuGH zugrunde liegende Sachverhalt wesentlich von jenem des vorliegenden Falls. In der genannten Entscheidung des EuGH haben Personen die niederländische Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes verloren, da das niederländische Recht vorsieht, 1) dass ein Volljähriger die niederländische Staatsangehörigkeit verliert, wenn er zugleich eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt und während seiner Volljährigkeit während eines ununterbrochenen Zeitraums von zehn Jahren im Besitz beider Staatsangehörigkeiten seinen gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb der Niederlande und der Gebiete hat, auf die der EU-Vertrag Anwendung findet und 2) dass ein Minderjähriger die niederländische Staatsangehörigkeit verliert, wenn sein Vater oder seine Mutter die niederländische Staatsbürgerschaft aufgrund der zuvor genannten Bestimmung verliert. Nach der im Beschwerdefall anzuwendenden Bestimmung des § 27 Abs. 1 StbG verliert hingegen derjenige die österreichische Staatsbürgerschaft, der auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist. Nach der österreichischen Rechtslage tritt der ex lege Verlust der Staatsbürgerschaft somit nur dann ein, wenn eine fremde Staatsbürgerschaft aufgrund einer positiven Willenserklärung der betreffenden Person erworben wird. Der dadurch eintretende Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft kann somit schon aus diesem Grund nicht als unverhältnismäßig angesehen werden.

Darüber hinaus würden aber nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien im Beschwerdefall auch sonst keine Umstände vorliegen, die den ex-lege Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft als unverhältnismäßig erscheinen lassen:

Im Beschwerdefall ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin als Inhaberin einer Mavi Kart derzeit die türkische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und somit staatenlos ist. Sie lebt gemeinsam mit ihren Ehemann und ihren beiden erwachsenen Söhnen, die alle drei österreichische Staatsbürger sind, seit 1978 in Österreich. In der Türkei lebt noch ihre Mutter, ihr Vater ist bereits verstorben.

Im vorliegenden Fall sprechen keine Umstände gegen eine neuerliche Beantragung der österreichischen Staatsbürgerschaft bzw. eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht. Darüber hinaus käme für die Beschwerdeführerin überdies ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach dem Asylgesetz in Betracht. Die Beschwerdeführerin könnte als ehemalige türkische Staatsangehörige auch relativ einfach die türkische Staatsangehörigkeit wieder annehmen und würde dadurch unter das Assoziationsabkommen EWG-Türkei fallen. Die Beschwerdeführerin erfährt somit trotz des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft keine beruflichen oder familiären Nachteile, da sie weiterhin in Österreich aufhältig sein könnte und auch weiterhin ihre Invaliditätspension beziehen könnte. Auch erkennt das Verwaltungsgericht Wien nicht, dass die Beschwerdeführerin aufgrund des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft ihre familiären Bindungen nicht mehr aufrechterhalten könnte, da ihr Ehemann und ihre beiden Kinder in Österreich und ihre Mutter in der Türkei leben.

Der ex-lege Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft erweist sich somit nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Wien nicht als unverhältnismäßig.

9.       Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen. Die Änderung des Datums im Spruch ergibt sich daraus, dass nicht das Datum der Übersendung der sogenannten „türkischen Wählerevidenzliste“ an die belangte Behörde relevant ist, sondern der Stichtag 30. April 2018, an dem die Daten (der Beschwerdeführerin) in das Wählerverzeichnis übernommen wurden.

10.      Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Türkisches Staatsangehörigkeitsgesetz; türkische Staatsbürgerschaft; Wiedererwerb; positive Willenserklärung; freie Beweiswürdigung; Beweismittel; Wählerverzeichnis, Präsidentschaftswahlen; Personenstandsregisterauszug; Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.153.058.725.2019

Zuletzt aktualisiert am

19.06.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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