TE Vfgh Erkenntnis 1997/2/24 V81/96, V82/96

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Veröffentlicht am 24.02.1997
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art18 Abs2
Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 13.12.82 über die Festsetzung des Hundertsatzes der Verzugszinsen
ASVG §59 Abs1

Leitsatz

Feststellung der Gesetzwidrigkeit der Festsetzung des Hundertsatzes der Verzugszinsen betreffend Sozialversicherungsbeiträge in einem bestimmten Zeitraum wegen zu großer Abweichung vom gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen des Nominalzinssatzes für Bundesanleihen

Spruch

Die Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 13. Dezember 1982 über die Festsetzung des Hundertsatzes der Verzugszinsen, BGBl. Nr. 612/1982, war von Oktober 1994 bis Ende März 1995 gesetzwidrig.

Der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim Verfassungsgerichtshof behängt zu B2519/95 und B2520/95 je eine Beschwerde eines Steuerberaters gegen einen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich. Mit den bekämpften Bescheiden sind - gestützt auf die §§58 Abs1 und 59 Abs1 ASVG iVm der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung BGBl. Nr. 612/1982 - Einsprüche gegen Bescheide der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse vom 9.2.1995 und vom 3.5.1995 abgewiesen worden, mit welchen diese den Beschwerdeführern für verspätet eingezahlte Sozialversicherungsbeiträge einerseits für November 1994 und Februar 1995 und andererseits für Oktober und November 1994 sowie März 1995 Verzugszinsen von den rückständigen Beiträgen in der Höhe von 10,5 vH vorgeschrieben hatte.

2. Aus Anlaß der beiden Beschwerdefälle leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 10. Juni 1996 gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen zwei Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 13. Dezember 1982 über die Festsetzung des Hundertsatzes der Verzugszinsen, BGBl. Nr. 612/1982, ein. Er ging dabei davon aus, daß der meritorischen Erledigung der vorliegenden Beschwerden keine Prozeßhindernisse entgegenstünden und daß er aufgrund des engen inhaltlichen Zusammenhanges der einzelnen Verordnungsbestimmungen die Verordnung zur Gänze bei den in den Beschwerdesachen zu fällenden Entscheidungen anzuwenden hätte.

Sein Bedenken umschrieb der Verfassungsgerichtshof im Einleitungsbeschluß wie folgt:

"Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die in Prüfung gezogene Verordnung das Bedenken, daß im Oktober und November 1994 sowie im Februar und März 1995, für welche Zeiträume Verzugszinsen vorgeschrieben wurden, der Abstand zwischen Hundertsatz und Nominalzinssatz jene Größenordnung (von zwei Prozentpunkten) überschritten hat, die der Gesetzgeber selbst bei Feststellung des Hundertsatzes für angemessen erachtet hat (vgl. VfSlg. 12945/1991): In den Jahren 1994 und 1995 lagen - nach den im Statistischen Monatsheft der Oesterreichischen Nationalbank, Heft 12/1995, ausgewiesenen Zahlen - die Nominalzinssätze für Bundesanleihen deutlich unter 7 %, wohingegen der Hundertsatz der Verzugszinsen gemäß §1 der Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 13. Dezember 1982, BGBl. Nr. 612/1982, 10,5 vH betrug. Der Verfassungsgerichtshof nimmt daher vorläufig an, daß die Verordnung aus diesem Grund gesetzwidrig geworden sein dürfte. Es ist folglich ein Verfahren zur Prüfung ihrer Gesetzmäßigkeit einzuleiten, wobei es zur Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung auf die jeweils gegebenen tatsächlichen Verhältnisse, näherhin die Höhe des Nominalzinssatzes für Bundesanleihen ankommen dürfte (vgl. VfSlg. 12945/1991)."

3.1. Die in Prüfung gezogene Verordnung lautet wie folgt:

"§1. Der Hundertsatz der Verzugszinsen gemäß §59 Abs1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes wird mit 10,5 vH festgesetzt.

§2. (1) Die Verordnung ist mit Beginn des Beitragszeitraumes Jänner 1983 anzuwenden.

(2) Mit Ablauf des Beitragszeitraumes Dezember 1982 wird die Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 22. März 1982, BGBl. Nr. 159, aufgehoben."

3.2. §59 Abs1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 idF BGBl. Nr. 680/1994, lautet wie folgt:

"§59. (1) Werden Beiträge nicht innerhalb von 15 Tagen nach der Fälligkeit eingezahlt, so sind von diesen rückständigen Beiträgen, wenn nicht gemäß §113 Abs1 ein Beitragszuschlag vorgeschrieben wird, Verzugszinsen in einem Hundertsatz der rückständigen Beiträge zu entrichten. Der Hundertsatz darf 8,5 v.H. nicht unterschreiten und 14 v.H. nicht überschreiten und ist innerhalb dieses Rahmens durch Verordnung unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Nominalzinssatz für Bundesanleihen festzusetzen. Für rückständige Beiträge aus Beitragszeiträumen, die vor dem Wirksamkeitsbeginn einer Festsetzung des Hundertsatzes liegen, sind die Verzugszinsen, soweit sie in diesem Zeitpunkt nicht bereits vorgeschrieben sind, mit dem jeweils neu festgesetzten Hundertsatz zu berechnen. §108 Abs3 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, gilt entsprechend. Für die Berechnung der Verzugszinsen können die rückständigen Beiträge auf volle 10 S abgerundet werden."

3.3. Mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 411/1996, erhielten die ersten drei Sätze des §59 Abs1 ASVG den folgenden Wortlaut:

"Werden Beiträge nicht innerhalb von 15 Tagen

1.

nach der Fälligkeit,

2.

in den Fällen des §4 Abs4 und 5 nach dem Ende des Monats, in dem der Auftraggeber (Dienstgeber) das Entgelt vereinbarungsgemäß zu leisten hat,

eingezahlt, so sind von diesen rückständigen Beiträgen, wenn nicht gemäß §113 Abs1 ein Beitragszuschlag vorgeschrieben wird, Verzugszinsen in einem Hundertsatz der rückständigen Beiträge zu entrichten. Der Hundertsatz berechnet sich jeweils für ein Kalenderjahr aus dem jeweiligen Nominalzinssatz für Bundesanleihen im Oktober des dem Kalenderjahr vorangegangenen Jahres zuzüglich drei Prozentpunkten. Für rückständige Beiträge aus Beitragszeiträumen, die vor dem Zeitpunkt einer Änderung dieses Hundertsatzes liegen, sind die Verzugszinsen, soweit sie zu diesem Zeitpunkt nicht bereits vorgeschrieben sind, mit dem jeweils geänderten Hundertsatz zu berechnen."

Gemäß ArtI Z197 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1996 (§564 Abs1 Z1 und 4 ASVG) traten der erste Satz des §59 Abs1 ASVG rückwirkend mit 1. Juli 1996, der zweite und der dritte Satz der genannten Vorschrift mit 1. August 1996 in Kraft.

Mit dem Inkrafttreten des neugefaßten zweiten Satzes des §59 Abs1 ASVG am 1. August 1996 wurde der Verordnungsermächtigung des §59 Abs1 zweiter Satz ASVG idF BGBl. Nr. 680/1994 derogiert, womit auch die - in der Neuregelung keine gesetzliche Deckung findende - in Prüfung gezogene Verordnung außer Kraft trat (vgl. VfSlg. 2344/1952 und 12634/1991).

4. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat die auf die in Prüfung gezogene Verordnung bezughabenden Akten vorgelegt und mit der Begründung, daß es sich bei den Verordnungsprüfungsverfahren um Folgeverfahren zu dem mit dem Erkenntnis VfSlg. 12945/1991 abgeschlossenen Verfahren handle, die damals abgegebene Stellungnahme neuerlich vorgelegt.

Die Beschwerdeführer in den Anlaßverfahren haben unter Verzeichnung von Kosten eine gemeinsame Äußerung abgegeben, in der sie dem Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zustimmen und darüber hinaus für den Fall, daß er ihre Auslegung des §59 ASVG nicht teilen sollte, die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung dieser Vorschrift anregen.

5. In Beantwortung einer Anfrage des Verfassungsgerichtshofes hat die Oesterreichische Kontrollbank AG Übersichten über die Entwicklung der Nominalzinssätze bei Bundesanleihen seit Oktober 1994 übermittelt. Demnach ergibt sich folgendes Bild:

  Tendertag             Bezeichnung           Nominalzins-

                                                satz in %

   11.10.94     Bundesanleihe 1994-2004/7         7 5/8

   08.11.94     Bundesanleihe 1994-2004/7         7 5/8

   13.12.94     Bundesanleihe 1994-99/6             7

   17.01.95     Bundesanleihe 1995-2005/1         7 1/2

   07.02.95     Bundesanleihe 1995-2000/2           7

   14.03.95     Bundesanleihe 1995-2000/2           7

   12.04.95     Bundesanleihe 1995-2002/3         6 7/8

   09.05.95     Bundesanleihe 1995-2005/4           7

   13.06.95     Bundesanleihe 1995-2005/5         6 7/8

   11.07.95     Bundesanleihe 1995-2000/6         5 7/8

   12.09.95     Bundesanleihe 1995-2005/5         6 7/8

   10.10.95     Bundesanleihe 1993-2000/8         5 5/8

   14.11.95     Bundesanleihe 1995-2005/7         6 1/2

   12.12.95     Bundesanleihe 1995-2005/7         6 1/2

   16.01.96     Bundesanleihe 1994-2004/1         5 1/2

   06.02.96     Bundesanleihe 1996-2006/1         6 1/8

   12.03.96     Bundesanleihe 1996-2001/2         5 1/4

   16.04.96     Bundesanleihe 1996-2003/3         5 7/8

   28.05.96     Bundesanleihe 1996-2006/4         6 1/4

   02.07.96     Bundesanleihe 1996-2001/5         5 1/2

6. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

6.1. Die Verordnungsprüfungsverfahren sind zulässig. In den Verfahren ist nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden oder die Präjudizialität der insgesamt in Prüfung gezogenen Verordnung sprechen würde. Auch das Erkenntnis VfSlg. 12945/1991 steht der meritorischen Erledigung der Verordnungsprüfungsverfahren nicht entgegen, da es res judicata nur für den Zeitraum von Beginn des Jahres 1986 bis zum Ende des Jahres 1989 bewirkt. Die übrigen Prozeßvoraussetzungen sind gleichfalls gegeben.

6.2. Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes trifft zu. Die Verfahren haben nichts ergeben, was es zerstreut hätte. Der im Gesetz als Richtwert genannte jeweilige Nominalzinssatz für Bundesanleihen betrug im Oktober und November 1994 lediglich 7 5/8 %. Er fiel im Dezember 1994 auf 7 %. Nach einem Anstieg auf 7 1/2 % im Jänner 1995 sank er im Februar dieses Jahres wieder auf 7 %, welchen Wert er auch im März 1995 aufwies. Der Abstand des in der in Prüfung gezogenen Verordnung festgesetzten Hundertsatzes von 10,5 zu den tatsächlichen Nominalzinssätzen ist folglich unter Berücksichtigung des zur Erreichung des Gesetzeszweckes notwendigen Abstandes zum Nominalzinssatz auch in den hier zu beurteilenden Zeiträumen zu groß gewesen; die in Prüfung gezogene Verordnung ist daher insofern mit Gesetzwidrigkeit belastet (vgl. VfSlg. 12945/1991).

Da die Verordnung mit Wirkung vom 1. August 1996 außer Kraft trat (vgl. oben Punkt 3.3.), erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob sie allenfalls wegen eines im Entscheidungszeitpunkt des Gerichtshofes gegebenen zu großen Abstandes des in ihr festgesetzten Hundertsatzes zum Nominalzinssatz der Bundesanleihen aufzuheben wäre. Der Gerichtshof hat folglich nur auszusprechen, daß die Verordnung von Oktober 1994 bis Ende März 1995 gesetzwidrig war (Art139 Abs4 B-VG).

Die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art139 Abs5

B-VG.

Kosten waren nicht zuzusprechen, da ein Kostenersatz in Verfahren nach den §§57 bis 61 VerfGG nur im Verfahren über einen Individualantrag (§61a VerfGG) vorgesehen ist (VfSlg. 11715/1988).

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Sozialversicherung, Beiträge (Sozialversicherung), Zinsen, Verzugszinsen (Sozialversicherung)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:V81.1996

Dokumentnummer

JFT_10029776_96V00081_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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