TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/9 L521 2141879-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.11.2018
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Entscheidungsdatum

09.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
StGB §105
StGB §127
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L521 2141879-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX, Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch den Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch und Dr. Mehmet Saim Akagündüz, Rechtsanwalt in 1170 Wien, Ottakringer Straße 54/3.2, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016, Zl. 463241801-14531464, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 23.08.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz von Spruchpunkt III des bekämpften Bescheides zu lauten hat: "Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt."

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste erstmals im November 1992 in das österreichische Bundesgebiet ein. Er verfügte zunächst bis 13.05.1996 über einen Aufenthaltstitel "Familiengemeinschaft mit Fremden". Der am 16.04.1996 gestellte Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels wurde vom Wiener Landeshauptmann mit Bescheid vom 16.10.1996 abgewiesen und eine gegen diese Entscheidung erhobene Berufung mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14.01.1997 gemäß § 66 Absatz 4 AVG in Verbindung mit § 5 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz und § 10 Absatz 1 Ziffer 1 Fremdengesetz abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 27.11.1997, Zl. B 543/97-7, abgewiesen.

2. Mit Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 20.03.1996 wurde der Beschwerdeführer des Vergehens der Nötigung und der Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls und der Vergewaltigung gemäß §§ 105 Abs. 1, 127, 130, erster Fall und 15 sowie 201 Abs. 2 StGB schuldig erkannt und unter Setzung einer dreijährigen Probezeit zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten rechtskräftig verurteilt.

3. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 25.06.1996, Zl. IV-830.704/FrB/965, wurde gegen den Beschwerdeführer aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung durch den Jugendgerichtshof Wien gemäß § 18 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Ziffer 1 FrG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Einer gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung wurde mit am 26.09.1996 durch Hinterlegung zugestellten Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 13.08.1996, Zl. SD 872/96, keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Absatz 4 AVG bestätigt. Die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 12.06.1997, Zl. 97/18/0004, abgewiesen.

4. Mit Schriftsatz vom 17.03.2003 beantragte der Beschwerdeführer bei der Bundespolizeidirektion Wien die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Österreicher" nach § 49 Absatz 1 FrG. Nach zuständigkeitshalber Abtretung dieses Antrags wurde dieser mit Bescheid des Wiener Landeshauptmanns vom 15.11.2006 gemäß § 11 Absatz 2 Ziffer 4 NAG abgewiesen, da der Aufenthalt des Beschwerdeführers zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.

5. Mit Bescheid des Wiener Landeshauptmanns vom 11.04.2011 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 22.01.2010 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG für den Zweck "Angehöriger" gemäß § 13 Absatz 3 AVG in Verbindung mit § 19 Absatz 3 NAG zurückgewiesen.

6. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 11.04.2014 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

7. Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am Tag der Antragstellung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger der Türkei zu sein. Er sei am XXXX in XXXX in der türkischen Provinz Kirsehir geboren und habe zuletzt in Antalya gelebt, Angehöriger der türkischen Volksgruppe und der islamischen Glaubensgemeinschaft sowie geschieden. Er habe von 1997 bis 1991 die Grundschule XXXX und von 1991 bis 1996 die Hauptschule in Wien besucht. Zuletzt sei er selbständig als Souvenirhändler beruflich tätig gewesen. Sein Vater sei in der Türkei oder einem anderen Drittstaat aufhältig. Seine Mutter und seine Schwester befänden sich in Österreich.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, Anfang April 2014 illegal mit einem Lastkraftwagen schlepperunterstützt von Istanbul ausgehend nach Österreich gereist zu sein.

Zu den Gründen der Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, seine Mutter sei im Jahr 1990 nach Österreich gelangt. Im Jahr 1991 seien seine Schwester und er nach Österreich nachgekommen. Er habe in Wien vier Jahre die Hauptschule und ein Jahr die Polytechnische Schule besucht. Im Jahr 1996 sei er zu seinem Vater in der Türkei zurückgekehrt. Er habe damals über ein Visum für Österreich verfügt und in dieser Zeit die deutsche Sprache erlernt. Im Jahr 2005 habe er in zweiter Ehe "XXXX" geheiratet. Im Jahr 2012 sei die Scheidung erfolgt, jedoch hätten sie noch bis etwa Ende 2013 in Antalya im gemeinsamen Einfamilienhaus gelebt. Nach Kenntnis der Schwiegereltern von der Trennung bzw. Scheidung seien diese ihm gegenüber feindlich eingestellt gewesen. Vor etwa einem Monat habe er seinen ehemaligen Schwiegervater, seinen ehemaligen Schwager und einen Cousin seiner ehemaligen Gattin getroffen. Zunächst sei es wegen der Trennung zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen, danach hätten sie ihn körperlich angegriffen. Er sei - vermutlich durch den Cousin - mit einem Messer auf Magenhöhe verletzt worden. Sie hätten ihm auch mit dem Umbringen gedroht, weshalb er nach Österreich zu seiner Mutter geflüchtet sei, da es sich bei dieser Familie um mächtige Personen handle, die ihre Drohungen wahr machen würden. Des Weiteren würde er in Wien über eine Freundin verfügen, die er vor etwa fünf Jahren in Antalya kennengelernt habe. Bei einer Rückkehr in die Türkei sei sein Leben in Gefahr.

Im Gefolge seiner Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer einen türkischen Nüfus im Original bei.

8. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 13.07.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in türkischer Sprache und der Mutter des Beschwerdeführers als Vertrauensperson niederschriftlich von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Zur Person befragt gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und am XXXX in XXXX in der türkischen Provinz Kirsehir geboren zu sein. Er sei Staatsangehöriger der Türkei, Angehöriger der türkischen Volksgruppe und islamischen Glaubens. Er sei nicht verheiratet und habe einen in der Türkei aufhältigen Sohn.

Er habe die Türkei glaublich am 07. April 2014 verlassen und sei zwei Tage später - glaublich am 09. April 2014 - nach Österreich gelangt.

Zum Ausreisegrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er nach der Trennung von seiner ehemaligen Gattin von deren Bruder und deren Cousin mit dem Umbringen bedroht worden sei. Er sei auch mit einem Messer verletzt worden, weshalb er ein Krankenhaus aufgesucht habe und dort genäht worden sei. Er habe keine Familienmitglieder in der Türkei. Seine Mutter lebe hier. Daher sei er nach Österreich gekommen und hätte auch einen Antrag auf Erteilung eines Visums gestellt, welcher aber negativ entschieden worden sei. Sein ehemaliger Schwiegervater bekleide in Antalya einen höheren Rang und verfüge über einen größeren Bekanntenkreis. Er habe daher Angst gehabt, dass man ihn überall in der Türkei finden könnte. Sein ehemaliger Schwiegervater sei als Ingenieur beim Straßenbau im Bereich Mittelmeer tätig.

Nachgefragt zu Details gab der Beschwerdeführer insbesondere an, dass ihn sein ehemaliger Schwager und der Cousin seiner ehemaligen Gattin zu einer Unterredung bestellt hätten. Dann sei es zu einer Auseinandersetzung gekommen. Diese Personen hätten ihn geschlagen und der Cousin seiner ehemaligen Gattin habe ihn mit einem Messer verletzt. Er wisse nicht, wie er ins Krankenhaus gebracht worden sei. Er hätte das Bewusstsein verloren. Beim Aufwachen habe er sich im Krankenhaus befunden. Da er mit dem Umbringen bedroht worden sei, falls er Anzeige erstatten würde, habe er hievon Abstand genommen. Er habe keinen Reisepass, weil es einen Streit zwischen seiner ehemaligen Gattin und ihm gegeben habe. Er hätte die Wohnung nur mit seiner am Körper befindlichen Kleidung verlassen. Seine ehemalige Gattin habe ihm mitgeteilt, dass sie ihm seine persönlichen Sachen nicht geben werde. Er hätte nicht nur seinen Reisepass, sondern auch seinen Computer und andere persönliche Sachen in der Wohnung gelassen. Das Visum habe er vor sechs Jahren beantragt. Die Heirat sei im Jahr 2005 erfolgt. Die Scheidung sei im Jahr 2010 gewesen. Nach der gerichtlichen Scheidung hätten er und seine ehemalige Gattin noch ein paar Jahre zusammengewohnt. Er habe nach der Trennung eine Freundin gehabt und dies habe die Familie gestört. Als er ausgezogen sei, habe er sein Besuchsrecht wahrnehmen und seinen Sohn sehen wollen. Er hätte dann mehrmals Anzeige erstattet, da es ihm verweigert worden sei, seinen Sohn zu sehen. Ende 2013 - im Dezember - sei es dann zu dem bereits erwähnten Streit gekommen. Er hätte laut Gerichtsbeschluss ein Besuchsrecht gehabt und sämtliche Daten seien auch festgelegt gewesen. Trotzdem habe er sein Kind nicht sehen dürfen. Er sei deshalb bei der Polizei gewesen und hätte sich beschwert. So seien einige Monate vergangen und habe er auch mit einem Rechtsanwalt darüber gesprochen. Man habe ihm gesagt, dass sein Kind im Alter von 13 oder 14 Jahren befragt werden würde und auch zu ihm kommen könnte. Daraufhin sei der Termin für das Gespräch im Park vereinbart worden und sei es dort zum Streit gekommen. Er sei im Dezember oder November 2013 bei seiner ehemaligen Gattin ausgezogen. An das genaue Datum könne er sich nicht mehr erinnern.

Befragt wann die Anzeigen erfolgt seien, schilderte der Beschwerdeführer, dass sie in diesen Jahren auch zusammengelebt hätten. Sie seien zwei Monate zusammen und dann wieder zwei Monate getrennt gewesen. In dieser Zeit hätte er die Anzeigen gemacht, da er seinen Sohn nicht sehen habe dürfen. Er hätte die Dokumente stets bei sich gehabt. Im Dezember hätte er dann über seinen Anwalt Anzeige erstattet.

Sämtliche Dokumente seien bei seinem Anwalt. Bei Bedarf könne er diese nachreichen. Nach dem Streit hätte er in der Wohnung seiner Schwester in Antalya gelebt. Aufgrund dieser Vorfälle habe er seinen Souvenirladen schließen müssen.

9. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - nach der Wiedergabe der Einvernahmen des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person insbesondere aus, dass die seitens des Beschwerdeführers angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes nicht glaubhaft seien. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer einer Gefährdung oder Verfolgung in der Türkei ausgesetzt gewesen sei oder im Falle seiner Rückkehr ausgesetzt wäre. Was das Privat- und Familienleben betrifft, so wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet Angehörige oder sonstige Verwandte und private Bindungen habe.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung aktuelle Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 12 bis 103 des angefochtenen Bescheides).

In der rechtlichen Beurteilung wird begründend dargelegt, warum der seitens des Beschwerdeführers vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG 2005 biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 8 Absatz 1 AsylG 2005 ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, weshalb gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt wurde, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei.

10. Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.11.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Absatz 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Absatz 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

11. Gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2016 richtet sich die im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser werden Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und wird beantragt, den angefochtenen Bescheid vollinhaltlich aufzuheben, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, in eventu dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, in eventu dem Beschwerdeführer subsidiären Schutz zu erteilen und in eventu die Angelegenheit zur Sanierung der Verfahrensmängel an die belangten Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen.

In der Folge wird das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers im Wesentlichen wiederholt und zur Beweiswürdigung Folgendes ausgeführt. So beruhe der Widerspruch in den Einvernahmen zur Frage, wie der Beschwerdeführer in das Krankenhaus gelangt sei, auf der natürlichen Nervosität bei einem Interview. Insoweit von der belangten Behörde ferner dargelegt werde, dass der Beschwerdeführer den Vorfall mit dem Messer erst nach neuerlichem Nachfragen im Detail geschildert hätte und diese Ausführungen - in Anbetracht der gezeigten Narbe im Bereich des Brustbeins - reichlich übertrieben und unglaubwürdig seien, so sei dem zu entgegnen, dass weder der Beschwerdeführer die Verpflichtung habe, wie aus der Pistole geschossen und alle Gedanken der belangten Behörde erratend, diese wörtlich zu formulieren, noch stehe irgendwo, dass der Beschwerdeführer keine Narbe am Brustbein, sondern maximal im Gesicht, am Hinterteil, am Bauch etc. haben dürfte. In diesem Zusammenhang wird zudem beantragt, der Beschwerdeführer möge einer fachärztlichen Untersuchung bezüglich des wahrscheinlichen Ursprungs und Alters der Wunde zugeführt werden. Wenn die belangte Behörde argumentiere, dass die Ausführungen des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar wären, wonach allein vom Titel Ingenieur darauf geschlossen werden könne, dass es sich beim ehemaligen Schwiegervater um eine einflussreiche Person handle, sei anzumerken, dass man bei nur irgendeinem Naheverhältnis zur Türkei und deren Kultur/Sitten/Titel mitbekommen hätte, dass der Titel "mühendis" immer noch angesehenen und einflussreichen Personen zugedacht werde. Was die Kritik der belangten Behörde betrifft, dass der Beschwerdeführer den Fluchtgrund nur in wenigen Worten geschildert und sofort angegeben hätte, dass er in der Türkei niemand hätte und er daher bei der Mutter leben wolle, bleibt festzuhalten, dass wenn man nur die geringsten Spuren von Empathie hätte, man erkennen würde, dass der Beschwerdeführer sein bisheriges Leben als gescheitert ansehe. Die engste Familie des Beschwerdeführers sei seit Jahren bzw. Jahrzehnten in Österreich. Der Beweiswürdigung sei des Weiteren zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer trotz der Scheidung noch weitere zwei Jahre mit seiner ehemaligen Gattin zusammengelebt hätte, ohne größere Probleme mit deren Familie gehabt zu haben, weshalb der Grund der plötzlichen Bedrohung nicht nachvollziehbar wäre. Diesen Überlegungen sei zu entgegnen, dass eine sofortige Beendigung zwischenmenschlicher Beziehungen nicht so einfach möglich wäre. Im Übrigen hätten die Schwierigkeiten mit der Familie seiner ehemaligen Gattin erst im Zeitpunkt des Eingehens einer neuen Beziehung begonnen. Die belangte Behörde habe bezüglich der mangelnden Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers auch darauf verwiesen, dass dieser einerseits erwähnt hätte, dass er die Papiere in der Türkei gelassen hätte und andererseits, dass er sie alle verloren hätte. Hiebei habe die belangte Behörde die Begriffe Papiere/ Dokumente/ Visa nicht streng unterschieden, sodass dies von der belangten Behörde fälschlicherweise als neuer Widerspruch eingeschätzt werde. Schließlich würden die pseudopsychologischen Verhaltens- und Beweisregeln nicht nur jeglicher Logik entbehren, sondern beabsichtigen offensichtlich, den Beschwerdeführer einem Pawlow'schen Hund ähnlich zu trimmen, schlussendlich, wenn er diesem Verhaltensmuster dann doch nicht gehorche, ihn in den Orkus zu werfen.

Darüber hinaus wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX verheiratet sei. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer wesentliche Teile seiner Sozialisation - den Abschluss der Schule - in Österreich erfahren habe, weshalb auch seine Deutschkenntnisse auf hohem Niveau seien.

Somit habe sich die belangte Behörde aufgrund der dargelegten Verfahrensmängel der Gefahr ausgesetzt, die Sachlage in mehrfacher Hinsicht zu verkennen. Abschließend wird beantragt, das zahlreiche Beweismaterial in der Heimat des Beschwerdeführers zu überprüfen und zu untersuchen.

Dem Rechtsmittelschriftsatz sind - jeweils in Kopie - ein Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 23.03.2016 bezüglich der XXXX, ein Mietvertrag samt Beiblatt der XXXX (spätere XXXX) vom 03.07.2007, eine Gehaltsabrechnung der XXXX für August bis Oktober 2016, ein österreichischer Reisepass der XXXX und eine österreichische Heiratsurkunde des Beschwerdeführers und der XXXX vom 09.08.2016 angeschlossen.

12. Die Beschwerdevorlage langte am 12.12.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wurde das Beschwerdeverfahren mit 11.01.2017 zunächst der Gerichtsabteilung L514 des Bundesverwaltungsgerichts und infolge einer weiteren Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses mit 27.06.2018 der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

13. Am 13.08.2018 übermittelte der Beschwerdeführer im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung - jeweils in Kopie - ein Zertifikat Deutsch Niveau B1 des Österreichischen Sprachdiploms Deutsch (ÖSD) vom 05.12.2016, ein Schreiben bezüglich der Zulassung zur Taufe vom 15.02.2018 und einen Taufschein vom 31.03.2018.

14. Am 22.08.2018 übermittelte das Amt der Wiener Landesregierung auf ein entsprechendes Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichts zwecks Akteneinsicht den Akt GZ MA35-9/1133826-05 bezüglich des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG für den Zweck "Angehöriger".

15. Am 23.08.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und seiner rechtsfreundlichen Vertretung sowie eines Dolmetschers für die türkische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei und die Lage von türkischen Staatsangehörigen, die zum christlichen Glauben konvertiert sind, anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde. Ferner wurde die Mutter des Beschwerdeführers, XXXX, als Zeugin einvernommen und in ein beim Bezirksgericht Liesing aufgenommenes Protokoll über eine Scheidungsklage vom 28.02.2017 Einsicht genommen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben und hat die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde mit Schreiben vom 07.08.2018 beantragt.

16. Am 11.09.2018 übermittelte das Bezirksgericht Favoriten auf ein entsprechendes Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichts den Beschluss über die Scheidung im Einvernehmen vom 20.04.2017 bezüglich des Beschwerdeführers und XXXX.

17. Mit Note vom 22.10.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer zu Handen seiner rechtsfreundlichen Vertretung aktualisierte Informationen zur Lage in der Türkei und stellte ihm eine Stellungnahme hiezu frei. Der Beschwerdeführer gab dazu mit Telefax vom 06.11.2018 bekannt, das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis zu nehmen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

Gemäß § 27 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

2. Feststellungen:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen und ist Staatsangehöriger der Türkei. Er wurde am XXXX in XXXX in der türkischen Provinz Kirsehir geboren, gehört der türkischen Volksgruppe an und bekennt sich zur römisch-katholischen Kirche, ist mehrfach geschieden und hat einen in der Türkei lebenden Sohn. Der Beschwerdeführer beherrscht Türkisch in Wort und Schrift und spricht etwas Englisch.

Nach dem Besuch der Grundschule in XXXX zog der Beschwerdeführer aufgrund der Trennung seiner Eltern mit seiner Mutter im Alter von zwölf Jahren im November 1992 nach Wien, wo er sich zunächst rechtmäßig aufhielt und die Hauptschule und die Polytechnische Schule besuchte.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 25.06.1996 wurde gegen den Beschwerdeführer aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung durch den Jugendgerichtshof Wien ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Einer gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung wurde mit Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 13.08.1996 keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 12.06.1997 abgewiesen.

Nach Rechtskraft des Aufenthaltsverbots - aufgrund der Zustellung des Berufungsbescheids der Sicherheitsdirektion Wien am 26.09.1996 - hielt sich der Beschwerdeführer in Österreich nicht mehr rechtmäßig auf und wurde am 19.11.1996 in die Türkei abgeschoben, wo er zunächst bei seinem Vater Unterkunft nahm.

Anschließend besuchte er in der Türkei erneut für ein Jahr die Schule und einen Kurs. Im Alter von 18 Jahren leistete er außerdem für eineinhalb Jahre seinen Wehrdienst in der Türkei ab.

In der Folge ging der Beschwerdeführer zweimal eine Ehe ein. Beide Verbindungen wurden wieder geschieden. Der zweiten Ehe entspringt der Sohn des Beschwerdeführers. In Antalya bestritt der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt zeitweise durch den Betrieb eines Souvenirladens.

Ein Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Österreicher" vom 17.03.2003 wurde mit Bescheid des Wiener Landeshauptmanns vom 15.11.2006 abgewiesen, da der Aufenthalt des Beschwerdeführers zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.

Mit Bescheid des Wiener Landeshauptmanns vom 11.04.2011 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 22.01.2010 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG für den Zweck "Angehöriger" zurückgewiesen, da der Beschwerdeführer die erforderlichen Unterlagen zur Begründung seines Antrages trotz eines Verbesserungsauftrages nicht beibrachte.

Der Beschwerdeführer lebte zuletzt vor seiner erneuten Einreise nach Österreich in XXXX in einer Wohnung von nicht näher bezeichneten Verwandten und in Antalya in der Wohnung seiner Schwester.

In der Türkei leben der Vater, die ehemalige Gattin bzw. Mutter seines Sohnes, der Sohn und mehrere Onkel sowie Tanten des Beschwerdeführers. Sein Vater lebt in Izmir und ist als Zollbeamter tätig. Die Mutter seines Sohnes und der Sohn sind in Antalya, ein Onkel mütterlicherseits ist in Izmir und zwei Tanten in Ankara aufhältig. Der Beschwerdeführer hat - im Gegensatz zu seinen Verwandten mütterlicherseits - keinen Kontakt zu seinem Vater oder seinen Onkeln väterlicherseits. Ebenso wenig besteht derzeit Kontakt zu seinem Sohn. Der Aufenthaltsort seiner Onkel väterlicherseits ist ihm nicht bekannt.

Die Mutter - XXXX - und die Schwester - XXXX - des Beschwerdeführers leben in Österreich. Die Mutter des Beschwerdeführers verfügt über die österreichische Staatsbürgerschaft und die Schwester des Beschwerdeführers über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU". Die Mutter arbeitet als Küchengehilfin und die Schwester ist selbständig erwerbstätig.

Im April 2014 verließ der Beschwerdeführer die Türkei illegal und schlepperunterstützt mit einem Lastkraftwagen und gelangte auf dem Landweg nach Österreich, wo er am 11.04.2014 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer gehört nicht der Gülen-Bewegung an und war nicht in den versuchten Militärputsch in der Nacht vom 15.07.2016 auf den 16.07.2016 verstrickt.

Er hat sich während seines Aufenthaltes in der Türkei dem Christentum zugewandt, weshalb er seitens der türkischen Gesellschaft Ressentiments ausgesetzt war.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit durch Familienangehörige seiner ehemaligen - zweiten - Gattin psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Türkei.

2.3. Der Beschwerdeführer ist ein arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage. Er verfügt über Berufserfahrung als selbständiger Inhaber eines Souvenirladens. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Der Beschwerdeführer verfügt für den Fall der Rückkehr über ein türkisches Identitätsdokument (Nüfus) im Original und über eine Wohnmöglichkeit bei Verwandten in Antalya und XXXX.

2.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit April 2014 erneut in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer bezog in den Jahren 2015 und 2016 zeitweise Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Derzeit ist dies nicht der Fall. Gegenwärtig verfügt der Beschwerdeführer über eine gemeinsame Wohnadresse mit seiner Mutter. Diese kommt für seinen Unterhalt auf und gewährt ihm die Caritas zudem eine finanzielle Unterstützung in der Höhe von 215 Euro pro Monat. Der Beschwerdeführer ist für keine Person sorgepflichtig.

Am 09.08.2016 ging der Beschwerdeführer mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX erneut eine Ehe ein, welche mit Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 20.04.2017 einvernehmlich geschieden wurde. Seit etwa Ende April 2018 unterhält der Beschwerdeführer eine Beziehung zu einer in Wien wohnhaften österreichischen Staatsbürgerin namens XXXX, ein gemeinsamer Wohnsitz besteht jedoch nicht.

Der Beschwerdeführer pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte und hat am 31.03.2018 in der römisch-katholischen Pfarrgemeinde Wien-Hernals das Sakrament der Taufe empfangen. Der Beschwerdeführer hat keine gemeinnützige Arbeit verrichtet und ist kein Mitglied in in einem Verein. Über eine konkrete Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt verfügt der Beschwerdeführer nicht, ihm wurden jedoch von Bekannten einige nicht näher konkretisierte Beschäftigungen vage in Aussicht gestellt.

Im Jahr 2016 legte der Beschwerdeführer eine Deutschprüfung über das Niveau B1 ab. Er beherrscht die deutsche Sprache in einem für die alltägliche Verständigung ausreichenden Umfang.

2.5. Der Beschwerdeführer gilt in Österreich als strafrechtlich unbescholten. Sein Aufenthalt war nie nach § 46a Absatz 1 Z 1 oder Absatz 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

2.6. Zur gegenwärtigen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems (09.07.2018) der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt. Die Amtszeit des direkt vom Volk gewählten Staatsoberhauptes beträgt fünf Jahre, eine einmalige Wiederwahl ist möglich.

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan 52,6% der Stimmen, sodass ein möglicher zweiter Wahlgang obsolet wurde. Der Kandidat der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP), Muharrem Ince, erhielt 30.6%. Der seit November 2016 inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, erhielt 8,4% und die Vorsitzende der neu gegründeten Iyi-Partei, Meral Aksener, erreichte 7,3%. Die übrigen Mitbewerber lagen unter einem Prozent. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AK-Partei 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Trotz des Verlustes der absoluten Mehrheit errang die AKP durch ein Wahlbündnis unter dem Namen "Volksbündnis" mit der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die 11,1% und 49 Sitze erreichte, die Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre CHP gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative Iyi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Die religiös-konservative Saadet-Partei, die dritte Partei nebst CHP und MHP im oppositionellen "Bündnis der Nation", erhielt nur 1,3% und blieb ohne Mandat. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische HDP mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018).

Zwar hatten die Wähler und Wählerinnen eine echte Auswahl, doch bestand keine Chancengleichheit zwischen den Kandidaten und Parteien. Der amtierende Präsident und seine Partei genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu seinen Gunsten und der AKP widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch in den Medien ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt. Während alle Kandidaten eine aufgeladene Rhetorik gegen die Mitbewerber verwendeten, bezeichnete der amtierende Präsident immer wieder andere Kandidaten und Parteien als Unterstützer des Terrorismus. Während der Kampagne kam es zu einer Reihe von Zwischenfällen, die teilweise gewalttätig waren. Eine beträchtliche Anzahl von Übergriffen auf Partei- und Wahlkampfeinrichtungen betraf vor allem die pro-kurdische HDP, aber auch die CHP, Saadet-Partei und die IYI-Partei (OSCE/ODIHR 25.6.2018).

Das türkische Parlament, die Große Türkische Nationalversammlung, wird für vier Jahre gewählt. Gewählt wird nach dem Verhältniswahlrecht in 85 Wahlkreisen. Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in Art. 68 der Verfassung festgeschrieben. Für die Parlamentswahl gilt eine 10 %-Hürde. Aufgrund einer Änderung des Wahlgesetzes 2018 ist es aber auch sog. "Wahlbündnissen" mehrerer Parteien möglich, ins Parlament einzuziehen, wenn das Bündnis insgesamt die Schwelle von 10 % überwindet. Die letzte Parlamentswahl fand zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl am 24.06.2018 statt. Internationale Wahlbeobachter der ODIHR-Beobachtermission konstatieren in ihrem vorläufigen Bericht vielfältige Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz (u.a. ungleicher Medienzugang, Wahl unter Ausnahmezustand) die aber die Legitimität des Gesamtergebnisses insgesamt nicht in Frage stellen. Der Wahlkampf fand unter den rechtlichen Einschränkungen des Notstandes statt. Der Kandidat der HDP, Selahattin Demirtas, befand sich während des Wahlkampfes und der Wahl im Gefängnis. Nach den amtlichen Ergebnissen erzielte die Regierungspartei AKP 42,5 %, die mit ihr verbündete MHP kam auf 11,2 %. Gemeinsam verfügen beide Parteien damit über eine deutliche Mehrheit im Parlament. Die kemalistische CHP erreichte 22,67 %, die säkularnationalistische IYI PARTI auf 10,01 % und die prokurdische HDP schafft mit 11,62 % ebenfalls den Einzug ins Parlament.

Der Ministerpräsident und die auf seinen Vorschlag hin vom Staatspräsidenten ernannten Minister bzw. Staatsminister bilden den Ministerrat, der die Regierungsgeschäfte führt. Überdies ernennt der Staatspräsident 14 von 17 Mitglieder des Verfassungsgerichtes für zwölf Jahre. In der Verfassung wird die Einheit des Staates festgeschrieben, wodurch die türkische Verwaltung zentralistisch aufgebaut ist. Es gibt mit den Provinzen, den Landkreisen und den Gemeinden (belediye/mahalle) drei Verwaltungsebenen. Die Gouverneure der 81 Provinzen werden vom Innenminister ernannt und vom Staatspräsidenten bestätigt. Den Landkreisen steht ein vom Innenminister ernannter Regierungsvertreter vor. Die Bürgermeister und Dorfvorsteher werden vom Volk direkt gewählt, doch ist die politische Autonomie auf der kommunalen Ebene stark eingeschränkt (bpb 11.8.2014).

Bereits am 16.4.2017 stimmten nach vorläufigen Ergebnissen bei einer Wahlbeteiligung von 84% 51,3% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden AKP initiierte und von der rechtsnationalistischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) unterstützte Verfassungsänderung, welche ein exekutives Präsidialsystem vorsieht (HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte in einer Stellungnahme am 17.4.2017 sowohl die Kampagne als auch die Mängel des Referendums. Das Referendum sei unter ungleichen Wettbewerbsbedingungen von statten gegangen. Der Staat habe nicht garantiert, dass die WählerInnen unparteiisch und ausgewogen informiert wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen konnten an der Beobachtung des Referendums nicht teilhaben. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des bestehenden Ausnahmezustands hätten negative Auswirkungen gehabt (OSCE/PACE 17.4.2017). Cezar Florin Preda, der Leiter der PACE-Delegation sagte, dass das Referendum nicht die Standards des Europarates erfüllte und die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht adäquat für die Durchführung eines genuinen demokratischen Prozesses waren (PACE 17.4.2017). Laut OSZE wurden im Vorfeld des Referendums Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützer des Putschversuchens vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017). Noch während des Referendums entschied die Oberste Wahlbehörde überraschend, auch von ihr nicht gekennzeichnete Stimmzettel und Umschläge gelten zu lassen. Die Beobachtungsmission der OSZE und des Europarates bezeichneten dies als Verstoß gegen das Wahlgesetz, wodurch Schutzvorkehrungen gegen Wahlbetrug beseitigt wurden (Zeit 17.4.2017; vgl. PACE 17.7.2017). Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) und die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) legten bei der Obersten Wahlkommission Beschwerde ein, wonach 2,5 Millionen Wahlzettel ohne amtliches Siegel verwendet wurden. Die Kommission wies die Beschwerde zurück (AM 17.4.2017). Gegner der Verfassungsänderung demonstrierten in den größeren Städten des Landes gegen die vermeintlichen Manipulationen. Der Vize-Vorsitzende der CHP, Bülent Tezcan bezeichnete das Referendum als "organisierten Diebstahl" und kündigte an, den Fall vor das türkische Verfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, so nötig (AM 18.7.2017). Die EU-Kommission hat die türkische Regierung aufgefordert, die mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten zu untersuchen (Zeit 18.4.2017). Die OSZE kritisiert eine fehlende Bereitschaft der türkischen Regierung zur Klärung von Manipulationsvorwürfen, denn laut Michael Georg Link, Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte stand fest, dass die Entscheidung der Wahlkommission, falsch oder gar nicht gestempelte Wahlzettel als gültig zu werten, ein Verstoß gegen türkisches Recht darstellte (FAZ 19.4.2017). Daraufhin kündigte die Oberste Wahlkommission eine Prüfung der Vorwürfe an (Spiegel 19.4.2017). Ergebnisse dazu sind nicht bekannt.

In der Nacht vom 15.7. auf den 16.7.2016 kam es zu einem versuchten Staatsstreich durch Teile der türkischen Armee. Insbesondere Istanbul und Ankara waren von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen. In Ankara kam es u.a. zu Angriffen auf die Geheimdienstzentrale und das Parlamentsgebäude. In Istanbul wurde der internationale Flughafen vorrübergehend besetzt. Der Putsch scheiterte jedoch. Kurz vor Mittag des 16.7.16 erklärte der türkische Ministerpräsident Yildirim, die Lage sei vollständig unter Kontrolle (NZZ 17.7.2016). Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben (Standard 18.7.2016). Sowohl die regierende islamisch-konservative Partei AKP als auch die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien - CHP, MHP und die pro-kurdische HDP - hatten sich gegen den Putschversuch gestellt (SD 16.7.2016). Unmittelbar nach dem gescheiterten Putsch wurden 3.000 Militärangehörige festgenommen. Gegen 103 Generäle wurden Haftbefehle ausgestellt (WZ 19.7.2016a). Das Innenministerium suspendierte rund 8.800 Beamte, darunter 7.900 Polizisten, über 600 Gendarmen sowie 30 Provinz- und 47 Distriktgouverneure (HDN 18.7.2016). Über 150 Höchstrichter und zwei Verfassungsrichter wurden festgenommen (WZ 19.7.2016a; vgl. HDN 18.7.2016). Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter zeigte sich tief betroffenen über die aktuellen Entwicklungen in der Türkei. Laut Richtervereinigung dürfen in einem demokratischen Rechtsstaat Richterinnen und Richter nur in den in der Verfassung festgelegten Fällen und nach einem rechtsstaatlichen und fairen Verfahren versetzt oder abgesetzt werden (RIV 18.7.2016).

Staatspräsident Erdogan und die Regierung sahen den im US-amerikanischen Exil lebenden Führer der Hizmet-Bewegung, Fethullah Gülen, als Drahtzieher der Verschwörung und forderten dessen Auslieferung (WZ 19.7.2016b). Präsident Erdogan und Regierungschef Yildirim sprachen sich für die Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Todesstrafe aus, so das Parlament zustimmt (TS 19.7.2016; vgl. HDN 19.7.2016). Neben zahlreichen europäischen Politikern machte daraufhin auch die EU-Außenbeauftragte, Federica Mogherini, klar, dass eine EU-Mitgliedschaft der Türkei unvereinbar mit Einführung der Todesstrafe ist. Zudem sei die Türkei Mitglied des Europarates und somit an die europäische Menschrechtskonvention gebunden (Spiegel 19.7.2016).

Die Erklärung des Ausnahmezustandes vom 20. Juli führte zu erheblichen Gesetzesänderungen, die durch Dekrete ohne vorherige Konsultation des Parlaments angenommen wurden, obwohl eine begrenzte Konsultation der Oppositionsparteien vorgenommen wurde. Im Einklang mit Artikel 120 der Verfassung werden die Erlasse im Rahmen des Ausnahmezustands innerhalb von 30 Tagen dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet. Die Einrichtung einer parlamentarischen Kommission, die Vertreter aller vier Parteien einschließt und Stellungnahmen zu den Dekreten erhält, die während des Ausnahmezustands erlassen werden sollen, wird geprüft (EC 9.11.2016).

Gegen die Dekrete kann nicht vor dem Verfassungsgericht vorgegangen werden. Während des Ausnahmezustands können nach Artikel 15 Grundrechte eingeschränkt oder ausgesetzt werden. Auch dürfen Maßnahmen ergriffen werden, die von den Garantien in der Verfassung abweichen. Voraussetzung ist allerdings, dass Verpflichtungen nach internationalem Recht nicht verletzt werden. Unverletzlich bleibt das Recht auf Leben. Niemand darf zudem gezwungen werden, seine Religionszugehörigkeit, sein Gewissen, seine Gedanken oder seine Meinung zu offenbaren, oder deswegen bestraft werden. Strafen dürfen nicht rückwirkend verhängt werden. Auch im Ausnahmezustand gilt die Unschuldsvermutung (DTJ 21.7.2016). Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, machte unter Zitierung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) klar, wonach jegliche Beeinträchtigung von Rechten der Situation angemessen sein muss, und dass unter keinen Umständen von Artikel 2 - das Recht auf Leben, Artikel 3 - das Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung und Artikel 7 - keine Bestrafung jenseits des Gesetzes, abgewichen werden darf. Opfer von Verletzungen der Menschenrechtskonvention durch die Türkei, infolge der verabschiedeten Maßnahmen unter dem Ausnahmezustand, hätten laut Jagland weiterhin das Recht, den EGMR anzurufen (CoE 25.7.2016).

Sowohl die türkische Regierung, Staatspräsident Erdogan als auch die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) erklärten Ende Juli 2015 angesichts der bewaffneten Auseinandersetzungen den seit März 2013 bestehenden Waffenstillstand bzw. Friedensprozess für beendet (Spiegel 25.7.2015; vgl. DF 28.7.2015). Hinsichtlich des innerstaatlichen Konfliktes forderte das EU-Parlament einen sofortigen Waffenstillstand im Südosten der Türkei und die Wiederaufnahme des Friedensprozesses, damit eine umfassende und tragfähige Lösung zur Kurdenfrage gefunden werden kann. Die kurdische Arbeiterpartei (PKK) sollte die Waffen niederlegen, terroristische Vorgehensweisen unterlassen und friedliche und legale Mittel nutzen, um ihren Erwartungen Ausdruck zu verleihen (EP 14.4.2016; vgl. Standard 14.4.2016). Die Europäische Kommission bekräftigt das Recht der Türkei die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die weiterhin in der EU als Terrororganisation gilt, zu bekämpfen. Allerdings müssten die Anti-Terrormaßnahmen angemessen sein und die Menschenrechte geachtet werden. Die Lösung der Kurdenfrage durch einen politischen Prozess ist laut EK der einzige Weg, Versöhnung und Wiederaufbau müssten ebenfalls von der Regierung angegangen werden. (EC 9.11.2016).

2. Sicherheitslage

Als Reaktion auf den gescheiterten Putsch vom 15.7.2016 hat der türkische Präsident am 20.7.2016 den Notstand, zunächst für drei Monate, ausgerufen. Dieser berechtigt die Regierung, verschiedene Einschränkungen der Grundrechte wie der Versammlungs- oder der Pressefreiheit zu verfügen (EDA 24.1.2017). Auf der Basis des Ausnahmezustandes können u. a. Ausgangssperren kurzfristig verhängt, Durchsuchungen vorgenommen und allgemeine Personenkontrollen jederzeit durchgeführt werden. Personen, gegen die türkische Behörden strafrechtlich vorgehen (etwa im Nachgang des Putschversuchs oder bei Verdacht auf Verbindungen zur sogenannten Gülen-Bewegung), kann die Ausreise untersagt werden (AA 24.1.2017a). Der Ausnahmezustand wurde insgesamt sieben Mal um drei Monate verlängert, bis er am 19.07.2018 schließlich auslief. Derzeit wird im türkischen Parlament ein Gesetzesentwurf beraten, der eine Reihe der Notstandsbestimmungen in türkisches Recht überführen würde (AA 03.08.2018).

Die Situation im Südosten, so die Europäische Kommission, blieb eine der schwierigsten Herausforderungen für das Land. Die Türkei sah sich mit einer weiterhin sehr ernsten Verschlechterung der Sicherheitslage konfrontiert, in der es zu schweren Verlusten an Menschenleben nach dem Zusammenbruch der Verhandlungen zur Lösung der Kurdenfrage im Juli 2015 kam. Das Land wurde von mehreren terroristischen Großangriffen seitens der PKK und dem sog. Islamischen Staat (auch Da'esh) betroffen. Die Behörden setzten ihre umfangreiche Anti-Terror-Kampagnen gegen die kurdische Arbeiterpartei in den Jahren 2015 und 2016 (PKK) fort. Das Ausmaß der Binnenflucht aus jenen Zonen, in denen eine Ausgangssperre herrschte, sowie der mangelnde Zugang zur Grundversorgung in diesen Gebieten gaben der EK ebenfalls Anlass zu großer Sorge. Die EK sah die dringliche Notwendigkeit des ungehinderten Zuganges von unabhängigen Ermittlern in die Region. Überdies zitierte die EK die Venediger Kommission des Europarates, wonach sich die Verhängung der Ausgangssperren weder im Einklang mit der türkischen Verfassung noch mit den internationalen Verpflichtungen des Landes befände (EC 9.11.2016). Mehr als 80 Prozent der Provinzen im Südosten des Landes waren insbesondere im Jahr 2015 von Gewalt betroffen. Sieben von neun Provinzen Südostanatoliens sowie zwölf von 14 Provinzen Ostanatoliens waren von Attentaten der PKK, der TAK und des sog. IS, Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen. In den Provinzen Diyarbakir, Mardin und Sirnak kam es zu den meisten, in Hakkâri, Kilis, Sanliurfa und Van zu relativ vielen Vorfällen (SFH 25.8.2016). In den Jahren 2017 und 2018 kam es zu keinen offenen bewaffneten Auseinandersetzungen von derartiger Intensität, wiewohl die Türkei von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des "IS" sowie - in sehr viel geringerem Ausmaß - auch linksextremistischer Gruppierungen wie der DHKP-C ausgesetzt (AA 03.08.2018). In den Jahren 2017 und 2018 wurden außerdem keine großflächigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei mehr verhängt, die Untersuchung anhaltender Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen während der 24-stündigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei in den Jahren 2015 und 2016 kam jedoch ebenfalls nicht voran (AI 22.02.2018).

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Seit dem Sommer 2015 hat die Zahl der Anschläge zugenommen. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben die Attentate zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 24.1.2017).

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) wies auf die rechtliche Einschätzung der Venediger Kommission vom 13.6.2016 hin, wonach die seit August 2015 verhängten Ausgangssperren im Südosten des Landes gegen die türkische Verfassung und den Rechtsrahmen verstoßen haben. Denn Ausgangssperren können nur in Zusammenhang mit dem materiellen oder dem Notstandsrecht verhängt werden, wofür es aber eines parlamentarischen Beschlusses bedarf, welcher jedoch nie gefasst wurde. Die Versammlung zeigte sich auch besorgt, dass 21 demokratisch gewählte kurdische Bürgermeister verhaftet und 31 weitere wegen Unterstützung oder Begünstigung einer terroristischen Organisation entlassen wurden. Die Versammlung äußerte ihre Besorgnis ob der breiten Interpretation des Anti-Terror-Gesetzes, um gewaltfreie Äußerungen zu bestrafen und jede Botschaft zu kriminalisieren, wenn diese sich bloß vermeintlich mit den Interessen einer Terrororganisation deckten (PACE 22.6.2016).

Für den Menschenrechtskommissar des Europarates bestand kein Zweifel daran, dass weite Bevölkerungsteile von den Ausgangssperren und Antiterrormaßnahmen betroffen waren. Laut Parlamentarischer Versammlung des Europarates waren 1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren von den Sperrstunden betroffen, und mindestens 355.000 Personen wurden vertrieben. Zahlreichen glaubwürdigen Berichten zufolge, die durch dokumentarische Beweise und Videoaufnahmen gesichert wurden, haben die türkischen Sicherheitskräfte in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt, darunter auch Artillerie und Mörser sowie Panzer und schwere Maschinengewehre. Dies deckt sich mit den Zerstörungen, die der Menschenrechtskommissar angetroffen hat. Mehre Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört. Der Gouverneur von Diyarbakir schätzte, dass 50% der Häuser von sechs Stadtvierteln in der Altstadt von Sur nun völlig unbewohnbar wurden, und dass weitere 25% beschädigt wurden (CoE-CommDH 2.12.2016).

Laut der Sicherheitsagentur "Verisk Maplecroft" wurden 2016 bei 269 Terroranschlägen 685 Menschen getötet und mehr als 2.000 verwundet (FT 4.1.2017). Das "Bipartisan Policy Center" zählte bis Dezember 2016 eine Verdoppelung der Opferzahlen im Vergleich zu 2015. Beinahe 300 Personen wurden 2016 bei den größeren Terroranschlägen der Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) und des sog. Islamischen Staates getötet. 2015 waren es weniger als 150 (BI 21.12.2016).

Neben Anschlägen der PKK und ihrer Splittergruppe TAK wurden mehrere schwere Anschläge dem sog. Islamischen Staat zugeordnet. Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Touristengruppe im Zentrum Istanbuls wurden im Jänner 2016 zwölf Deutsche getötet. Die Regierung gab dem IS die Schuld für den Anschlag (Zeit 17.1.2017). Am 28. Juni 2016 kamen bei einem Terroranschlag auf den Istanbuler Flughafen Atatürk über 40 Menschen ums Leben. Die Behörden gingen von einer Täterschaft des sog. Islamischen Staates (IS) aus (Standard 30.6.2016). Am 20.8.2016 riss ein Selbstmordanschlag des sog. IS auf eine kurdische Hochzeit in Gaziantep mehr als 50 Menschen in den Tod (Standard 22.8.2016). Mahmut Togrul, lokaler Parlamentarier der HDP, sagte, dass die Hochzeitsgäste größtenteils Unterstützer der HDP gewesen seien, weshalb der Anschlag nicht zufällig, sondern als Racheakt an den Kurden zu betrachten sei (Guardian 22.8.2016). In einer Erklärung warf die HDP der Regierung vor, sie habe Warnungen vor Terroranschlägen durch den sog. IS ignoriert. Vielmehr habe die Regierungspartei AKP tatenlos zugesehen, wie sich die Terrormiliz IS gerade in der grenznahen Stadt Gaziantep ausgebreitet hat (tagesschau.de 21.8.2016). Ein weiterer schwerer Terroranschlag des sog. IS erfolgte in der Silvesternacht 2016/17. Während eines Anschlags auf den Istanbuler Nachtclub Reina wurden 39 Menschen getötet, darunter 16 Ausländer (Zeit 17.1.2017).

Die PKK hat am 12.3.2016 eine Dachorganisation linker militanter Gruppen gegründet, um ihre eigenen Fähigkeiten auszuweiten und ihre Unterstützungsbasis jenseits der kurdischen Gemeinschaft auszudehnen. Die neue Gruppe, bekannt als die "Revolutionäre Bewegung der Völker" (HBDH), wird vom Chef der radikalsten linken Fraktion innerhalb der PKK, Duran Kalkan, geleitet. Erklärte Absicht der Gruppe, die den türkischen Staat und im Speziellen die herrschende AKP ablehnt, ist es, die politische Agenda voranzutreiben, wozu auch Terroranschläge u.a. gegen Ausländer gehören. Die Gruppe unterstrich zudem das Scheitern der kurdischen Parteien in der Türkei, auch der legalen HDP (Stratfor 15.4.2016). Laut Berichten beabsichtigt die HBDH Propagandaaktionen durchzuführen, um auch die Unterstützung von türkischen Aleviten zu erhalten, und um "Selbstverteidigungsbüros" in den Vierteln der südlichen und südöstlichen Städte zu errichten. Die HBDH will auch Druck auf Dorfvorsteher und Beamte ausüben, die in Schulen und Gesundheitsdiensten arbeiten, damit diese entweder kündigen oder die Ortschaften verlassen (HDN 4.4.2016). Neun verbotene Gruppen trafen sich auf Einladung der PKK am 23.2.2016 zur ihrer ersten Sitzung im syrischen Latakia, darunter die Türkische kommunistische Partei/ Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML), die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) [siehe 3.4.], die Revolutionäre Kommunistische Partei (DKP), die Türkische Kommunistische Arbeiterpartei/ Leninistin (TKEP/L), die Kommunistische Partei der Vereinten Nationen (MKP), die türkische Revolutionäre Kommunistenvereinigung (TIKB), das Revolutionshauptquartier und die Türkische Befreiungspartei-Front (THKP-C) [siehe 3.5] (HDN 4.4.2016; vgl. ANF News 12.3.2016). Die HBDH sieht in der Türkei eine Ein-Parteien-Diktatur bzw. ein faschistisches Regime entstehen, dass u. a. auf der Feindschaft gegen die Kurden gründet (ANF News 12.3.2016).

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Die Gerichte sind nach dem Gesetz in drei Instanzen unterteilt: die sechs Höchstgerichte, die Regionalgerichte und die Gerichte erster Instanz. Doch die Gerichte der zweiten Instanz - die regionalen Berufungsgerichte und regionalen Verwaltungsgerichte - errichtet auf der Basis des Gesetzes Nr. 5235 im Jahr 2004, sind noch nicht als Zweitgerichte tätig. Das derzeitige Gerichtssystem arbeitet daher in der Praxis nur mit zwei Instanzen. Ende 2015 waren rund 9.900 Richter an den Gerichten tätig. Das Verfassungsgericht überprüft insbesondere die Verfassungsmäßigkeit - sowohl die Form als auch den Inhalt - von Gesetzen, Verordnungen mit Gesetzeskraft und der Geschäftsordnung des Parlaments. Es entscheidet auch über Individualvorbringen in Bezug auf die angebliche Verletzung von Grundrechten und Freiheiten in Hinblick auf die Europäische Menschenrechtskonvention durch die staatlichen Behörden. Neben dem Verfassungsgericht bestehen noch folgende Höchstgerichte: das Kompetenzkonfliktgericht, es entscheidet als Letztinstanz bei Konflikten bezüglich Urteilen und der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungsgerichte und der Militärgerichte. Das Kassationsgericht, es entscheidet als letzte Instanz über die Entscheidungen und Urteile der Zivil- und Strafgerichte, die im Gesetz nicht andere Justizbehörden zugeordnet sind. Der Staatsrat [Verwaltungsgerichtshof], der insbesondere als Letztinstanz die Entscheidungen und Urteile der Verwaltungsgerichte überprüft. Und schlussendlich gibt es noch wie für das Militär jeweils ein eigenes Militärverwaltungsgericht und ein Militärkassationsgericht (GRECO 17.3.2016).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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