TE Lvwg Erkenntnis 2019/4/25 LVwG-2019/37/0492-2

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Veröffentlicht am 25.04.2019
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Entscheidungsdatum

25.04.2019

Index

82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal;
24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ÄrzteG 1998 §49
ÄrzteG 1998 §136
ÄrzteG 1998 §139
StGB §43
StGB §43a
VwGVG §24
VwGVG §28

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Hirn über die Beschwerde des Disziplinaranwalt-Stellvertreters AA, Adresse 1, Z, gegen das Disziplinarerkenntnis des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Tirol vom 16.10.2018, Zl ***, betreffend ein Disziplinarverfahren nach dem ÄrzteG 1998 (mitbeteiligte Partei: Disziplinarbeschuldigter BB; belangte Behörde: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Tirol),

zu Recht:

1.         Der Beschwerde wird Folge gegeben und das angefochtene Disziplinarerkenntnis dahingehend abgeändert, dass die für die Hälfte der verhängten Geldstrafe, sohin Euro *** ausgesprochene bedingte Nachsicht unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren ersatzlos behoben wird.

2.         Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz
(B-VG) zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit Erkenntnis vom 16.10.2018, Zl ***, hat der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Tirol, BB, geboren am XX.XX.XXXX, Adresse 2, Y, zur Last gelegt, er hätte mit Stichtag 01.12.2016 entgegen § 49 Abs 2c Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) in Verbindung mit (iVm) § 28 der Verordnung der Österreichischen Ärztekammer über die ärztliche Fortbildung (in der damals geltenden Fassung) die Erfüllung seiner Verpflichtung zur Fortbildung gegenüber der Österreichischen Ärztekammer für den Zeitraum 01.09.2013 bis 01.09.2016 durch den Nichtnachweis von zumindest 150 DFP-Punkten (davon 120 medizinische DFP-Punkte) nicht glaubhaft gemacht und dadurch seine Berufspflichten verletzt, zu deren Einhaltung er nach dem ÄrzteG 1998 verpflichtet gewesen sei. Dadurch hätte er das Disziplinarvergehen nach § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 begangen, weswegen über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von Euro *** verhängt, die Hälfte der Geldstrafe, sohin Euro *** allerdings unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Die Kosten des Disziplinarverfahrens hat die Disziplinarkommission mit Euro 500,-- bestimmt.

Disziplinaranwalt-Stellvertreter AA hat mit Schriftsatz vom 05.12.2018 gegen das Disziplinarerkenntnis vom 16.10.2018, Zl ***, insofern Beschwerde erhoben, als die Disziplinarkommission die Hälfte der Geldstrafe, sohin Euro *** unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen hat.

Mit Schriftsatz vom 08.03.2019, Zl ***, hat der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Tirol, den Gegenstandsakt mit dem Ersuchen um Entscheidung über die Beschwerde des Disziplinaranwalt-Stellvertreters gegen das Erkenntnis vom 16.10.2018, Zl ***, dem Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegt.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat die Beschwerde dem Disziplinarbeschuldigten
BB nachweislich zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich zu den Ausführungen des Disziplinaranwalt-Stellvertreters binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. Innerhalb dieser Frist hat der Disziplinarbeschuldigte keine Stellungnahme abgegeben.

II.      Beschwerdevorbringen:

Der Disziplinaranwalt-Stellvertreter bringt zunächst vor, die Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht sei zu Unrecht erfolgt. Das ÄrzteG 1998 enthalte keinen allgemeinen Verweis auf die Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB). § 139 ÄrzteG verweise zwar auf einzelne Bestimmungen des StGB, aber gerade nicht auf § 43a Abs 1 StGB. Die in § 43a StGB geregelte teilbedingte Strafnachsicht sei daher auf das Disziplinarverfahren nach dem ÄrzteG 1998 nicht anzuwenden.

In diesem Zusammenhang hebt der Disziplinaranwalt-Stellvertreter hervor, dass im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ÄrzteG 1998 die Bestimmung des § 43a StGB über die bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe bereits in Kraft gewesen sei. Eine § 43a StGB vergleichbare Regelung sei in das ÄrzteG 1998 nicht aufgenommen worden, das ÄrzteG 1998 enthalte auch keinen Verweis auf § 43a StGB. Dies mache deutlich, dass der Gesetzgeber die Regelung über die bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe in das ÄrzteG 1998 nicht übernehmen habe wollen.

Zudem bringt der Disziplinaranwalt-Stellvertreter vor, im gegenständlichen Fall sei von einem gravierenden Verschulden des Disziplinarbeschuldigten auszugehen, da dessen Fortbildungskonto im relevanten Zeitraum vom 01.09.2013 bis 01.09.2016 keinen einzigen DFP-Punkt aufgewiesen habe. Schon deshalb hätte die gesamte Geldstrafe unbedingt verhängt werden müssen.

Abschließend betont der Disziplinaranwalt-Stellvertreter, der Ausspruch der bedingten Nachsicht der Strafe nach § 139 Abs 3 ÄrzteG 1998 setze voraus, dass es nicht der Vollstreckung der Strafe bedürfe, um der Begehung von Disziplinarvergehen durch andere Ärzte entgegenzuwirken. Es sei also das Fernhalten von Disziplinarvergehen potenziell gleich handelnder Täter als Zweck der Sanktion ebenso zu beachten wie der Vollzug als Mittel der Bekräftigung des Geltungsanspruchs der Rechtsordnung. Auch diese Erwägungen würden eine bedingte Nachsicht der Strafe nicht erlauben.

III.     Sachverhalt:

Der Disziplinarbeschuldigte BB ist seit XX.XX.XXXX Facharzt.

Sein von der Österreichischen Akademie der Ärzte geführtes Fortbildungskonto wies für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 31.08.2016 lediglich null Punkte auf. Sonstige Fortbildungen wies er gegenüber der Österreichischen Ärztekammer bis einschließlich 01.12.2016 nicht nach. Durch mehrere Publikationen in der Österreichischen Ärztezeitung und in anderen, bei Ärzten in Österreich verbreiteten Medien wäre es dem Disziplinarbeschuldigten ohne weiteres möglich gewesen, die Verletzung einer Berufspflicht durch die beschriebene Unterlassung vorherzusehen und folglich zu vermeiden.

IV.      Beweiswürdigung:

Den entscheidungsrelevanten Sachverhalt hat bereits der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Tirol, im angefochtenen Erkenntnis vom 16.10.2018, Zl ***, festgestellt. Dieser Sachverhalt blieb unbestritten.

V.       Rechtslage:

1.       Ärztegesetz 1998:

Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl I Nr 169/1998 in den Fassungen BGBl I Nr 110/2001 (§ 139) und BGBl I Nr 82/2014 (§§ 49 und 136) lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:

„Behandlung der Kranken und Betreuung der Gesunden

§ 49. (1) Ein Arzt ist verpflichtet, jeden von ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen. Er hat sich laufend im Rahmen anerkannter Fortbildungsprogramme der Ärztekammern in den Bundesländern oder der Österreichischen Ärztekammer oder im Rahmen anerkannter ausländischer Fortbildungsprogramme fortzubilden und nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards, insbesondere aufgrund des Gesundheitsqualitätsgesetzes (GQG), BGBl. I Nr. 179/2004, das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren.

[…]

(2c) Ärzte, die zur selbstständigen Berufsausübung berechtigt sind, haben ihre absolvierte Fortbildung zumindest alle drei Jahre gegenüber der Österreichischen Ärztekammer glaubhaft zu machen. Ärzte haben diese Meldungen spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach dem jeweiligen Fortbildungszeitraum (Sammelzeitraum) zu erstatten. Die Österreichische Ärztekammer hat diese Meldungen zu überprüfen und auszuwerten sowie als Grundlage für die Berichterstattung gemäß § 117b Abs. 1 Z 21 lit. e heranzuziehen. Zur Aufgabenerfüllung kann sich die Österreichische Ärztekammer einer Tochtergesellschaft bedienen.

[…]“

„Disziplinarvergehen

§ 136. (1) Ärzte machen sich eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie im Inland oder im Ausland

1.       das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen oder

2.       die Berufspflichten verletzen, zu deren Einhaltung sie sich anläßlich der Promotion zum Doctor medicinae universae verpflichtet haben oder zu deren Einhaltung sie nach diesem Bundesgesetz oder nach anderen Vorschriften verpflichtet sind.

[…]“

„Disziplinarstrafen

§ 139. (1) Disziplinarstrafen sind

         1.       der schriftliche Verweis,

         2.       die Geldstrafe bis zum Betrag von 36 340 Euro,

         3.       die befristete Untersagung der Berufsausübung,

         4.       die Streichung aus der Ärzteliste.

[…]

(3) Die Disziplinarstrafen gemäß Abs. 1 Z 2 bis 4 können bedingt unter Festsetzung einer Bewährungsfrist von einem Jahr bis zu drei Jahren verhängt werden, wenn anzunehmen ist, daß ihre Androhung genügen werde, um den Beschuldigten von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten und es nicht der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung von Disziplinarvergehen durch andere Ärzte entgegenzuwirken.

[…]

(6) Liegen einem Beschuldigten mehrere Disziplinarvergehen zur Last, so ist, außer im Falle des Abs. 10, nur eine Disziplinarstrafe zu verhängen. Die §§ 31 und 40 StGB gelten sinngemäß.

[…]“

2.       Verordnung über ärztliche Fortbildung:

Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen der Verordnung über die ärztliche Fortbildung (ÄFV), beschlossen von der Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer im Rahmen des 121. Österreichischen Ärztekammertags am 25.10.2010 in der Fassung der 1. Novelle, beschlossen von der Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer im Rahmen des 127. Österreichischen Ärztekammertags am 21.06.2013, lautet auszugsweise wie folgt:

㤠28 Glaubhaftmachung der Fortbildung

(1) Ärzte, die zur selbstständigen Berufsausübung berechtigt sind, haben ihre absolvierte Fortbildung gegenüber der Österreichischen Ärztekammer glaubhaft zu machen.

(2) Zum Zwecke der Glaubhaftmachung ist von der Österreichischen Akademie der Ärzte GmbH für jeden in die Ärzteliste eingetragenen Arzt ein Fortbildungskonto zu führen, auf welches entweder der Arzt seine Fortbildungen selbst aufbuchen kann oder auf das von den ärztlichen Fortbildungsanbietern Punkte direkt aufgebucht werden.

(3) Der Arzt kommt seiner Verpflichtung zur Glaubhaftmachung gemäß § 49 Abs. 2c ÄrzteG nach, wenn er der Führung eines individuellen Fortbildungskontos nicht widerspricht und in den letzten drei Jahren vor dem Stichtag des Sammelzeitraumes zumindest 150 DFP Punkte, davon mindestens 120 Punkte durch fachspezifische Fortbildung und maximal 30 Punkte im Rahmen sonstiger Fortbildung, auf dem DFP Fortbildungskonto aufgebucht sind oder zu dem Stichtag des Sammelzeitraumes ein gültiges DFP Diplom vorliegt. Stichtag des Sammelzeitraumes ist der 01.09.2016 und danach jeweils der 01.09. des drittfolgenden Jahres.

(4) Erfüllt der Arzt die in Abs. 3 genannten Voraussetzungen nicht, so ist er von der Österreichischen Ärztekammer schriftlich zur Glaubhaftmachung seiner Fortbildung aufzufordern.

[…]

(6) Beim Betrieb des Fortbildungskontos ist sicherzustellen, dass der betroffene Arzt jederzeit entweder auf elektronischem Weg oder im Wege einer Auskunftsstelle auf sein individuelles Fortbildungskonto zugreifen kann.“

[DFP=Diplom-Fortbildungs-Programm der Österreichischen Ärztekammer]

[Die Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer hat im Rahmen des 136. Österreichischen Ärztekammertages am 15.12.2017 die 2. Novelle zur Verordnung über die ärztliche Fortbildung beschlossen. Die Glaubhaftmachung der Fortbildung regelt nunmehr § 14a der ÄFV. Für den für das gegenständliche Verfahren relevanten Zeitraum vom 01.09.2013 bis 31.08.2016 war die am 15.12.2017 beschlossene 2. Novelle zur ÄFV jedoch nicht in Geltung.]

3.       Strafgesetzbuch:

Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB), BGBl Nr 60/1974 in den Fassungen BGBl I Nr 111/2010 (§ 43) und BGBl I Nr 112/2015 (§ 43a) lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:

„Bedingte Strafnachsicht

§ 43. (1) Wird ein Rechtsbrecher zu einer zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt, so hat ihm das Gericht die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von mindestens einem und höchstens drei Jahren bedingt nachzusehen, wenn anzunehmen ist, daß die bloße Androhung der Vollziehung allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen genügen werde, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, und es nicht der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken. Dabei sind insbesondere die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen.

[…]“

„Bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe

§ 43a. (1) Wird auf eine Geldstrafe erkannt und treffen die Voraussetzungen des § 43 auf einen Teil der Strafe zu, so hat das Gericht diesen Teil, höchstens jedoch drei Viertel davon, bedingt nachzusehen.

(2) Wäre auf eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten, aber nicht mehr als zwei Jahren zu erkennen und liegen nicht die Voraussetzungen für eine bedingte Nachsicht der ganzen Strafe vor, so ist an Stelle eines Teiles der Freiheitsstrafe auf eine Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu erkennen, wenn im Hinblick darauf der verbleibende Teil der Freiheitsstrafe nach § 43 bedingt nachgesehen werden kann.

(3) Wird auf eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten, aber nicht mehr als zwei Jahren erkannt und kann, insbesondere im Hinblick auf frühere Verurteilungen des Rechtsbrechers, weder die ganze Strafe bedingt nachgesehen noch nach Abs. 2 vorgegangen werden, so ist unter den Voraussetzungen des § 43 ein Teil der Strafe bedingt nachzusehen. Der nicht bedingt nachgesehene Teil der Strafe muß mindestens einen Monat und darf nicht mehr als ein Drittel der Strafe betragen.

(4) Wird auf eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei, aber nicht mehr als drei Jahren erkannt und besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß der Rechtsbrecher keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, so ist unter den Voraussetzungen des § 43 ein Teil der Strafe bedingt nachzusehen. Abs. 3 letzter Satz ist anzuwenden.“

4.       Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz:

Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 in der Fassung (idF) BGBl I Nr 138/2017, lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:

„Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

[…]

(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.“

„Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

[…]“

VI.      Erwägungen:

1.       Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:

Gemäß § 7 Abs 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde vier Wochen.

Das angefochtene Disziplinarerkenntnis wurde dem Disziplinaranwalt am 28.11.2018 zugestellt. Die gegen das Disziplinarerkenntnis erhobene Beschwerde ist am 05.12.2018 und damit innerhalb der vierwöchigen Frist beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Tirol, eingelangt.

2.       Zum Prüfungsumfang:

Gemäß § 27 VwGVG hat das Landesverwaltungsgericht Tirol den angefochtenen Bescheid aufgrund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 9 Abs 1 Z 3 und 4 VwGVG hat die Beschwerde die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt und das Begehren zu enthalten. Der Disziplinaranwalt-Stellvertreter führt in Kapitel 1.) „Umfang der Anfechtung“ unter Hinweis auf § 9 Abs 3 VwGVG ausdrücklich aus:

„Das Erkenntnis der Disziplinarkommission vom 16.10.2018, ***, wird nur wegen des Ausspruches, dass die Hälfte der Geldstrafe, sohin Euro *** unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird, angefochten. Die Höhe der Geldstrafe von Euro *** wird hingegen nicht angefochten.“

Dementsprechend beantragt der Beschwerdeführer in seinem Rechtsmittel vom 05.12.2018, „[…] den Ausspruch über die bedingte Nachsicht der Hälfte der Geldstrafe, sohin Euro *** für eine Probezeit von drei Jahren aus dem Erkenntnis auszuscheiden“.

Das Erkenntnis des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinar-kommission für Tirol, vom 16.10.2018, Zl ***, ist sohin lediglich im Umfang des Ausspruchs über die bedingte Nachsicht der Hälfte der Geldstrafe, sohin Euro *** unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren Gegenstand des beim Landesverwaltungs-gericht Tirol anhängigen Beschwerdeverfahrens.

3.       In der Sache:

Nach § 139 Abs 3 ÄrzteG 1998 kann die gemäß § 139 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 verhängte Geldstrafe unter Festsetzung einer Bewährungsfrist von einem bis zu drei Jahren bedingt nachgesehen werden, wenn anzunehmen ist, dass ihre Androhung genügen werde, um den Beschuldigten von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten und es nicht der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung von Disziplinarvergehen durch andere Ärzte entgegenzuwirken.

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Disziplinarstrafe nach dem ÄrzteG 1998 bedingt verhängt werden kann, ist in einer Gesamtwürdigung auf alle Umstände, aus denen sich Schlüsse auf das künftige Verhalten des Disziplinarbeschuldigten und die abschreckende Auswirkung für das Verhalten andere Ärzte ziehen lassen, abzustellen. Dabei wird es
? ähnlich wie bei der Vorbildbestimmung des § 43 Abs 1 StGB ? sinngemäß insbesondere auf die Art des Disziplinarvergehens, die Person des Disziplinarbeschuldigten, den Grad seiner Schuld und sein berufliches Verhalten als Arzt vor und nach dem zur Disziplinierung führenden Sachverhalt ankommen (vgl VwGH 10.12.2014, Zl Ro 2014/09/0056).

Die Disziplinarkommission hat die Voraussetzungen des § 139 Abs 3 ÄrzteG 1998 für die Hälfte der verhängten Geldstrafe als erfüllt angesehen und diesen Teil ? Euro *** ? in sinngemäßer Anwendung des § 43a StGB unter der Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Ausdrücklich heißt es dazu im angefochtenen Disziplinarerkenntnis:

„Da der Disziplinarbeschuldigte volle Schuldeinsicht zeigt, stehen weder spezial- noch generalpräventive Hindernisse der Gewährung der bedingten Strafnachsicht entgegen. § 139 Abs 3 ÄrzteG sieht zwar nicht ausdrücklich die Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht vor, der allgemeine Verweis auf die Bestimmungen des StGB erlaubt jedoch die sinngemäße Anwendung des § 43a Abs 1 StGB.“

Demgegenüber bringt der Beschwerdeführer vor, § 43a StGB sei im Disziplinarverfahren nach dem ÄrzteG 1998 nicht anwendbar.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hält dazu Folgendes fest:

§ 139 Abs 3 ÄrzteG 1998 ist der Bestimmung des § 43 Abs 1 StGB nachgebildet (vgl VwGH 10.12.2014, Zl Ro 2014/09/0056). Entsprechend den Absätzen 6, 7 und 9 des § 139 ÄrzteG 1998 gelten im jeweiligen Anwendungsbereich ausdrücklich angeführte Bestimmungen des StGB sinngemäß. Einen allgemeinen Hinweis auf Bestimmungen des StGB enthält
§ 139 ÄrzteG 1998 aber nicht. § 167d ÄrztG 1998 ordnet für genau umschriebene Bereiche ? vgl dessen Abs 1 und 2 ? die sinngemäße Anwendung der Strafprozessordnung (StPO) und im Übrigen (vgl Abs 3) die sinngemäße Anwendung des AVG an.

Eine mit den Absätzen 6, 7 und 9 vergleichbare Regelung betreffend die sinngemäße Anwendung des § 43a StGB enthält § 139 Abs 3 ÄrzteG 1998 nicht. Folglich scheidet die in
§ 43a StGB geregelte bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe im Zusammenhang mit der Verhängung der in § 139 Abs 1 Z 2 bis 4 vorgesehenen Disziplinarstrafen aus. Dies gilt umso mehr, als im Zeitpunkt der Erlassung des ÄrzteG 1998 § 43a StGB bereits in Geltung stand. Entgegen der Argumentation der belangten Behörde erlaubt § 139 Abs 3 ÄrzteG folglich nicht die Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht.

Auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers, weshalb die gesamte Geldstrafe unbedingt verhängt werden hätte müssen, war daher nicht näher einzugehen.

4.       Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Der Beschwerdeführer hat in seinem Rechtsmittel ausdrücklich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die belangte Behörde hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt. Der Disziplinarbeschuldigte hat sich zur Beschwerde des Disziplinaranwalt-Stellvertreters nicht geäußert.

Trotz eines Parteienantrags gemäß § 24 Abs 4 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung entfallen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder „hoch-technische“ Fragen betrifft. Ebenso wenig ist eine Verhandlung geboten, wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind (VwGH 18.11.2013, Zl 2013/05/0022, und VwGH 22.02.2015, Zl 2012/06/0207-9, zu der mit § 24 Abs 4 VwGVG vergleichbaren Bestimmung des § 39 Abs 2 Z 6 VwGG).

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hatte zu klären, ob die Regelung des § 43a StGB betreffend die teilbedingte Nachsicht auch bei der Verhängung von Disziplinarstrafen gemäß § 139 Abs 1 Z 2 bis 4 ÄrzteG 1998 anzuwenden ist. Gegenstand des Verfahrens war somit ausschließlich eine Rechtsfrage, sodass selbst bei Vorliegen eines Parteienantrags das Landesverwaltungsgericht Tirol auf der Grundlage des § 24 Abs 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen hätte dürfen.

5.       Ergebnis:

Mangels gesetzlicher Grundlage war es der belangten Behörde verwehrt, die gegen den Disziplinarbeschuldigten verhängte Geldstrafe zur Hälfte unter der Setzung einer Probefrist von drei Jahren nachzusehen. Eine Anwendung des § 43a Abs 1 StGB scheidet bei der Verhängung von Disziplinarstrafen nach § 139 Abs 1 Z 2 bis 4 ÄrzteG 1998 aus.

Der Beschwerde war daher Folge zu geben und das angefochtene Disziplinarerkenntnis dahingehend abzuändern, dass der Ausspruch der teilbedingten Strafnachsicht ersatzlos zu beheben war. Demensprechend lautet Spruchpunkt 1. des gegenständlichen Erkenntnisses.

Ausgehend von dem durch die Beschwerde des Disziplinaranwalt-Stellvertreters definierten Prüfungsumfang war es dem Landesverwaltungsgericht Tirol verwehrt, die Höhe der verhängten Geldstrafe auf ihre Rechtmäßigkeit oder die Möglichkeit einer Nachsicht für die gesamte Disziplinarstrafe zu prüfen.

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hatte im gegenständlichen Verfahren ausschließlich eine Rechtsfrage zu klären, sodass das erkennende Gericht jedenfalls von der Durchführung einer Verhandlung absehen durfte.

VII.     Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hatte zu klären, ob § 139 Abs 3 ÄrzteG 1998 die Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht und damit die sinngemäße Anwendung des
§ 43a Abs 1 StGB rechtlich zulässt. Dieser Rechtsfrage kommt weit über den Einzelfall hinaus Bedeutung zu.

Nach dem Kenntnisstand des Landesverwaltungsgerichtes Tirol hat sich der Verwaltungsgerichtshof bislang mit der Frage der sinngemäßen Anwendung des § 43a StGB im Zusammenhang mit der Verhängung von Disziplinarstrafen nach § 139 Abs 1 Z 2 bis 4 ÄrzteG 1998 nicht auseinandergesetzt. Folglich ist von einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auszugehen. Dementsprechend erklärt das Landesverwaltungsgericht Tirol die Revision für zulässig (vgl Spruchpunkt 2. des gegenständlichen Erkenntnisses).

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Hirn

(Richter)

Schlagworte

Disziplinarvergehen; Nachsicht; teilbedingte Nachsicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2019:LVwG.2019.37.0492.2

Zuletzt aktualisiert am

05.06.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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