TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/2 96/18/0118

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Veröffentlicht am 02.03.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §54;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hofbauer, über die Beschwerde des A B, (geb. 7.6.1967), in Wien, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Dezember 1995, Zl. SD 363/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 15. Dezember 1995 wurde gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer im Irak gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag gemäß § 54 FrG im wesentlichen damit begründet, daß er wegen Wehrdienstverweigerung vom November 1989 bis zum März 1991 inhaftiert gewesen und im Gefängnis gefoltert worden wäre. Nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis wäre er bis Mai 1992 in seiner Heimatstadt verblieben, hätte diese jedoch danach verlassen, weil die wirtschaftliche Situation immer schlechter geworden wäre. Diese schlechte wirtschaftliche Lage wäre letztlich auch der Grund gewesen, daß er in Österreich um Asyl angesucht hätte.

Die belangte Behörde vermöge in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen, daß der Beschwerdeführer aktuell einer Bedrohung oder Gefährdung im Sinn des § 37 FrG ausgesetzt wäre. Wie er selbst darlege, sei er bereits wegen Wehrdienstverweigerung im Gefängnis gewesen. Danach habe er mehr als ein Jahr - offenbar völlig unbehelligt - in seinem Heimatstaat gelebt.

Abgesehen davon seien Desertion und Wehrdienstverweigerung auch in "klassisch demokratischen und rechtsstaatlichen Ländern" mit Strafe bedroht. Aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht im Irak komme es nicht zur zielgerichteten Auswahl von Personen mit bestimmten Eigenschaften oder Überzeugungen. Die Rekrutierung und damit auch die Bestrafung "wegen Entziehung oder Verweigerung" habe somit nicht erkennbar den Zweck, die Wehrpflichtigen in schutzwürdigen persönlichen Merkmalen (Rasse, Religion, politische Überzeugung etc.) zu treffen. Staatliche Maßnahmen zur Einhaltung der Wehrpflicht seien ein Ausfluß "des Rechtes" eines jeden Staates und stellten als solche keine Gefährdung oder Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG dar.

Hinzu komme, daß einem Antrag gemäß § 54 Abs. 1 FrG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann stattgegeben werden könne, wenn der Fremde glaubhaft mache, daß ihm aktuell in dem von ihm bezeichneten Staat die in § 37 FrG genannten Gefahren drohten. Dies sei aber - wie dargelegt - vorliegend zu verneinen.

Auch der Umstand, daß es während der Haft zur Folterung des Beschwerdeführers gekommen sei, vermöge seine persönliche Bedrohung im Sinn der genannten Bestimmung nicht zu untermauern. Derartige Übergriffe seien als Handlungen von Einzelpersonen anzusehen, welche sich nicht als vom Staat initiierte Verfolgungshandlungen erwiesen.

Angesichts des gegebenen Sachverhaltes sei die Erstbehörde zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme hätten objektiviert werden können, daß der Beschwerdeführer derzeit im gesamten Staatsgebiet des Irak gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht wäre.

2. Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese - nach Ablehnung ihrer Behandlung - dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluß vom 6. März 1996, ? 639/96).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren machte der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragte, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1998, Zl. 95/18/1094, mwH).

Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG im Verfahren nach § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist es nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1998, Zl. 97/21/0515).

2. Die Beschwerde führt gegen den angefochtenen Bescheid ins Treffen, daß die belangte Behörde zwar festgestellt habe, es wäre während der besagten Haft (oben I.1.) "zu Folterungen" des Beschwerdeführers gekommen, daß sie aber zu Unrecht daraus nicht abgeleitet habe, er wäre in dem in Rede stehenden Staat gemäß § 37 Abs. 1 FrG bedroht.

Bereits mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, kann sich doch die Ansicht der belangten Behörde, bei der festgestellten Folterung handle es sich um dem betreffenden Staat nicht zurechenbare Übergriffe von Einzelpersonen, auf keine Verfahrensergebnisse stützen, weshalb diese Auffassung nicht nachvollziehbar ist.

3. Weiters hat die Behörde nach Auffassung der Beschwerde rechtswidrigerweise nicht berücksichtigt, daß der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren dargelegt habe, er wäre als Deserteur bzw. Wehrdienstverweigerer der irakischen Armee und in seiner Eigenschaft als Kurde besonderer Verfolgung ausgesetzt; insbesondere habe der Beschwerdeführer aufgezeigt, daß "Gemäß der Resolution 1370 (herausgegeben am 13.12.1983, in Kraft getreten am 2.1.1984) für die Flucht während der Militärzeit oder für ein Nichterscheinen die Todesstrafe vorgesehen (ist)".

Auch diese Rüge ist berechtigt. Nach Ausweis des Verwaltungsaktes hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den Erstbescheid in dieser Form auf die besagte Resolution hingewiesen. Die belangte Behörde hat es unterlassen, sich mit der im Hinblick auf § 37 Abs. 1 FrG maßgeblichen genannten Resolution auseinanderzusetzen, weshalb ihre im bekämpften Bescheid geäußerte Ansicht, "staatliche Maßnahmen zur Einhaltung der Wehrpflicht sind Ausfluß des Rechtes eines jeden Staates und stellen als solche keine Gefährdung oder Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 ... leg. cit. dar", ebenfalls nicht nachvollziehbar ist.

4. Darüber hinaus ist auch die Auffassung der belangten Behörde, daß es "aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht im Irak" nicht zu einer "zielgerichteten Auswahl von Personen mit bestimmten Eigenschaften oder Überzeugungen (kommt)", und die "Rekrutierung und damit auch die Bestrafung wegen Entziehung oder Verweigerung somit nicht erkennbar den Zweck (hat), die Wehrpflichtigen in schutzwürdigen persönlichen Merkmalen (Rasse, Religion, politische Überzeugung etc.) zu treffen", nicht geeignet, eine aktuelle Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG als unwahrscheinlich darzutun.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Furcht, wegen Desertion bestraft zu werden, dann iSd § 37 Abs. 2 leg. cit. relevant sein, wenn die Einberufung zum Militärdienst aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt oder aus solchen Gründen eine strengere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung als bei anderen Staatsangehörigen zu befürchten wäre; ebenso kann eine Bedrohung im Grunde des § 37 Abs. 2 FrG vorliegen, wenn ein Fremder wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe bei Ableistung des Militärdienstes in einer sein Leben oder seine Freiheit bedrohenden Weise schlechter als andere Wehrpflichtige behandelt wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1998, Zl. 95/21/0971).

Zum einen hat sich die Behörde mit dem im Irak konkret bestehenden System der allgemeinen Wehrpflicht gar nicht beschäftigt; es kann daher vom Verwaltungsgerichtshof nicht überprüft werden, ob eine Bedrohung in dem eben genannten Sinn in Ansehung des im Irak bestehenden Wehrsystems - wie die Behörde vermeint - allgemein ausgeschlossen und daher auch im Beschwerdefall nicht zum Tragen kommen kann. Zum anderen läßt das Bestehen der allgemeinen Wehrpflicht in seiner üblichen Bedeutung als System, wonach grundsätzlich alle (männlichen) Staatsangehörigen zum Wehrdienst herangezogen werden, entgegen der Behörde nicht den Schluß zu, daß jedenfalls eine - wie oben dargestellt - im Lichte des § 37 Abs. 2 FrG relevante strengere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung allgemein und daher auch im Beschwerdefall ausgeschlossen werden kann.

5. Schließlich hat die belangte Behörde festgestellt, daß der Beschwerdeführer wegen Wehrdienstverweigerung vom November 1989 bis März 1991 inhaftiert gewesen und "nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis" bis Mai 1992 im Irak geblieben sei. Dem von der Behörde verwendeten Begriff "Befreiung" läßt sich nicht entnehmen, daß der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt seine wegen Wehrdienstverweigerung verhängte Haftstrafe bereits zur Gänze verbüßt gehabt hätte. Vielmehr legt dieser Begriff das Gegenteil nahe, daß nämlich der Beschwerdeführer vorzeitig der Verbüßung dieser Freiheitsstrafe entzogen worden sei. Von daher hätte sich die Behörde auch damit auseinanderzusetzen gehabt, ab nach der Befreiung des Beschwerdeführers bzw. gerade angesichts derselben tatsächlich eine Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG nicht (mehr) anzunehmen sei, zumal die Behörde - wie erwähnt (vgl. oben I.1.) - auch festgestellt hat, daß es während der genannten Haft zur Folterung des Beschwerdeführers gekommen sei.

6. Da nach dem Gesagten nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen (für den Beschwerdeführer günstigen) Ergebnis hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 2. März 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1996180118.X00

Im RIS seit

02.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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