TE Vfgh Beschluss 1997/2/25 B3407/96, B3474/96, G303/96

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Veröffentlicht am 25.02.1997
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Index

32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
VfGG §62 Abs1
BAO §111

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung des §111 Abs1, Abs2 und Abs4 BAO. Ungeachtet des Umstandes, daß durch §111 Abs1 BAO erst durch die Verhängung der Zwangsstrafe in die Rechtssphäre des Antragstellers eingegriffen wird, die Androhung der Zwangsstrafe (§111 Abs2 BAO) schon erfolgte und hinsichtlich §111 Abs4 BAO ein anderer Weg der Rechtsverfolgung (Bekämpfbarkeit zusammen mit der bescheidmäßigen Verhängung der Zwangsstrafe) zumutbar wäre, ist der Antrag schon deshalb zurückzuweisen, weil die Betroffenheit des Antragstellers durch die bekämpften Regelungen in sich widersprüchlich bzw nicht näher dargetan wurde. Damit leidet der Antrag aber an einen inhaltlichen, nicht verbesserungsfähigen Mangel. Ablehnung der Behandlung der Beschwerden.

Spruch

Der zu G303/96 protokollierte Antrag wird zurückgewiesen.

Die Behandlung der zu B3407/96 und B3474/96 protokollierten Beschwerden wird abgelehnt.

Die beiden genannten Beschwerden werden dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Begründung:

1. Beim Antragsteller bzw. Beschwerdeführer, der als Grundstückshändler, Hausverwalter und Rechtsanwalt tätig ist, wurde gemäß §147 BAO eine abgabenbehördliche Prüfung durchgeführt. Im Zuge des Verfahrens wurde der Antragsteller bzw. Beschwerdeführer mit Schreiben vom 29. Juni 1994 aufgefordert, zu bestimmten Fragen schriftlich Stellung zu nehmen. Nachdem er dieser Aufforderung nach Ansicht der Behörde nur unvollständig nachkam, erging am 15. November 1994 eine "Erinnerung" des Finanzamtes für den I. Bezirk, Riemergasse 2, 1010 Wien, in der er unter Androhung einer Zwangsstrafe von S 5.000,-- gemäß §111 BAO ersucht wurde, bis längstens 25. November 1994 die Fragen zu beantworten und die fehlenden Unterlagen vorzulegen.

2. Der Antragsteller bzw. Beschwerdeführer erhob gegen diese "Erinnerung" gemäß §67a Abs1 Z2 iVm. §67c AVG mit Schriftsatz vom 5. Dezember 1994 Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (im folgenden: UVS) wegen Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt. In dieser Beschwerde führte er aus, daß er sich auch durch die Aufforderung der Behörde, Unterlagen hinsichtlich verschiedener Geschäfte, Honorarabrechnungen etc. vorzulegen, und durch die Verwertung von unerlaubten Beweismitteln durch die Behörde beschwert fühle. Zu letzterem gab er an, daß dem Betriebsprüfer Unterlagen zur Verfügung stünden, die der Finanzbehörde nach Einstellung eines gerichtlichen Strafverfahrens gegen den Einschreiter ausgehändigt worden seien. Es handle sich um der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegende Informationen von Klienten, in die die Einsicht der Finanzbehörde ebenso untersagt sei wie deren Verwendung als Beweismittel.

3. Der UVS wies die Beschwerde gemäß §67c Abs3 AVG als unzulässig zurück, weil sowohl der Fragenvorhalt vom 29. Juni 1994, als auch die Erinnerung vom 15. November 1994 durch die Behörde Verfahrensanordnungen im Zuge eines finanzrechtlichen Verwaltungsverfahrens darstellten, welche abgesondert, hier mittels Beschwerde gemäß §67a Abs1 Z2 iVm. §67c AVG, nicht bekämpft werden könnten, zumal diesen Verfahrensanordnungen auch das Element der Unmittelbarkeit des Zwanges und Befehles fehle. Insbesondere sei dem Rechtsschutzbedürfnis dessen, dem die Verhängung der Zwangsstrafe drohe, nach der Rechtsprechung dadurch ausreichend Rechnung getragen, daß für ihn die Möglichkeit bestehe, den Bescheid, mit dem die Zwangsstrafe über ihn verhängt werde, mit Berufung zu bekämpfen. Auch hinsichtlich der Überlassung von Beweismaterial durch die Strafgerichte an die Finanzbehörde habe der Beschwerdeführer den das Verfahren abschließenden Bescheid abzuwarten, welcher dann im administrativen Instanzenzug bekämpfbar sei.

4.1. Gegen diesen Bescheid sowie gegen die in der Erinnerung des Finanzamtes für den I. Bezirk unter Androhung einer Zwangsstrafe enthaltene Aufforderung, bestimmte Unterlagen vorzulegen, richten sich die vorliegenden, zu B3407/96 und B3474/96 protokollierten, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung des "Rechtes und der Pflicht zur anwaltlichen Verschwiegenheit", des "Selbstbeschuldigungsverbotes", des "Rechtes auf den gesetzlichen Richter", des "Gleichheitsgrundsatzes", des "Eigentumsrechtes" sowie des gemäß Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes "durch die Anwendung einer verfassungswidrigen einfachgesetzlichen Gesetzesbestimmung (§§111 (4) und 111 (2) und (3) BAO), in eventu die verfassungswidrige Anwendung dieser Bestimmung im Falle ihrer Gesetzmäßigkeit, in eventu die denkunmögliche Anwendung dieser Bestimmung und überhaupt die verfassungswidrige in eventu gesetzwidrige Anwendung der Vorschriften des §111 (1 u. 2) BAO" behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der "Erinnerung" des Finanzamtes für den I. Bezirk und des bekämpften Bescheides des UVS begehrt wird.

4.2. Zu seinem zu G303/96 protokollierten Antrag, "die hier auf den Beschwerdeführer unmittelbar angewendeten Vorschriften des §111 (Abs1, 2 und 4) als verfassungswidrig aufzuheben", führt der Antragsteller aus:

"III) Individualantrag gem. Art140 B-VG:

Betreffend die von der Finanzbehörde hier angewendeten Absätze 1 und 2 des §111 BAO und auch gegen den 4. Absatz dieser Bestimmung ergeben sich Bedenken gegen deren Verfassungsmäßigkeit, weil in diesen einfachgesetzlichen Vorschriften keine Ausnahmen für zur Berufsverschwiegenheit verpflichtete Parteienvertreter wie Rechtsanwälte und Verteidiger, aber auch keine solchen Ausnahmen gemacht sind, welche dem Selbstbeschuldigungsverbot entsprechen.

Von der Anwendung dieser Vorschriften ist der Beschwerdeführer individuell betroffen, weil ihm gegenüber eine Zwangsstrafe bereits angedroht, also wegen Fristablauf auch verhängt und - in unbegrenzter Zeit und Reihenfolge - wiederholt werden kann, und zwar ohne daß eine gerichtliche Entscheidung oder ein diesbezüglich erlassener ausdrücklicher Bescheid für den Beschwerdeführer wirksam geworden ist (§62 (1) VerfGG)."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit des zu G303/96 protokollierten Antrages erwogen:

1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 10511/1985, 11726/1988).

2. Ungeachtet des Umstandes, daß durch §111 Abs1 BAO erst durch die Verhängung der Zwangsstrafe in die Rechtssphäre des Antragstellers eingegriffen wird, die Androhung der Zwangsstrafe (§111 Abs2 BAO) schon erfolgte und hinsichtlich §111 Abs4 BAO ein anderer Weg der Rechtsverfolgung (Bekämpfbarkeit zusammen mit der bescheidmäßigen Verhängung der Zwangsstrafe) zumutbar wäre, ist der Antrag schon deshalb zurückzuweisen, weil die Betroffenheit des Antragstellers durch die bekämpften Regelungen in sich widersprüchlich bzw. nicht näher dargetan wurde. Damit leidet der Antrag aber an einen inhaltlichen, nicht verbesserungsfähigen Mangel (vgl. VfSlg. 13717/1994, VfGH 11.6.1996, V159/95, V22/96).

3. Der Antrag erweist sich sohin als nicht zulässig. Bei diesem Ergebnis kann außer Betracht bleiben, ob allenfalls weitere Zurückweisungsgründe vorliegen.

III. Über die zu B3407/96 und

B3474/96 protokollierten Beschwerden hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegenden Beschwerden rügen die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (s.o. 4.1.). Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerden aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berühren, als die Rechtswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften behauptet wird, läßt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 10840/1986, 12272/1990) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben.

Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der - auf das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen nicht geprüften - Beschwerden abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 VerfGG).

IV. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z1 und Z2 lite VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Finanzverfahren, Zwangsstrafe Finanzverfahren, VfGH / Formerfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B3407.1996

Dokumentnummer

JFT_10029775_96B03407_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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