TE Vfgh Erkenntnis 2019/2/25 V68/2018 (V68/2018-9)

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Veröffentlicht am 25.02.2019
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z1
StVO 1960 §44, §67
FahrradstraßenV des Gemeindevorstands der Marktgemeinde Wolfurt vom 14.07.2014

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit der Verordnung einer Vorarlberger Gemeinde betreffend eine Fahrradstraße mangels Übereinstimmung der normativen Festlegung mit der Kundmachung; Fehlen der Zusatztafeln im Einmündungsbereich in die Fahrradstraße betreffend die Zulässigkeit des Befahrens mit anderen Fahrzeugen

Spruch

I. Punkt II. der "Verordnung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt in Anwendung der Bestimmungen des §94 d StVO 1960 i.d.g.F., sowie des §60 Abs1 GG, LGBl 40/1985" vom 14. Juli 2014 wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg,

"den Ausdruck ' 'Bregenzer Straße' (GST-NR 3359),' in Punkt II. Z1 der Verordnung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt vom 14.07.2014, erlassen in Anwendung der Bestimmungen des §94d StVO 1960 i.d.g.F., sowie des §60 Abs1 GG, LGBl 40/1985, kundgemacht durch Anbringung der entsprechenden Verkehrszeichen am 20.11.2014, als gesetzwidrig aufzuheben."

II.      Rechtslage

1.       Die Verordnung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt vom 14. Juli 2014 lautet auszugsweise:

"VERORDNUNG

des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt

in Anwendung der Bestimmungen des §94 d StVO 1960 i.d.g.F.,

sowie des §60 Abs1 GG, LGBl 40/1985:

Die Marktgemeinde Wolfurt hat mit fachlicher Begleitung und unter Einbindung der Bevölkerung ein Verkehrs- und Gestaltungskonzept für die Straßen im Gemeindegebiet erarbeitet und durch die Gemeindevertretung verabschiedet. In Umsetzung dieses Konzeptes und im Interesse der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs wird gemäß §43 Abs2 lita StVO 1960 angeordnet:

I.

30 kmh-Zone

[…]

II.

Fahrradstraßen

1. Die Gemeindestraßen 'Bregenzer Straße' (GST-NR 3359), 'Kirchstraße' (GST-NR 3359, 3292), 'Hofsteigstraße' (GST-NR 3292), 'Fattstraße' (GST-NR 3207, 3205), 'Schmerzenbildstraße' (GST-NR 3230), Teilstück der 'Zieglerstraße' (GST-NR 3243) zwischen Umkleidegebäude Kunstrasenplatz und Kreuzung mit der 'Flotzbachstraße' und 'Riedweg' sowie die 'Neudorfstraße' (GST-NR 3231/1), werden zu Fahrradstraßen erklärt.

2. Gemäß §67 Abs2 StVO ist auf den Fahrradstraßen nach Punkt 1. auch die Durchfahrt für Kraftfahrzeuge gestattet. Unter Bedachtnahme auf die örtlichen Gegebenheiten wird das dauernde Befahren der Fahrradstraßen auch mit anderen, als den im §67 Abs1 StVO genannten Fahrzeugen zugelassen.

III.

Geschwindigkeitsbeschränkungen 40 kmh

[…]

IV.

Kundmachung

Diese Verordnung ist wie folgt kundzumachen:

[…]

Zu Punkt II. durch das Straßenverkehrszeichen nach §53 Abs1 Z26 StVO 1960 'Fahrradstraße', sowie durch das Straßenverkehrszeichen nach §53 Abs1 Z29 StVO 1960 'Ende einer Fahrradstraße'

V.

Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Diese Verordnung tritt gemäß §44 Abs1 StVO 1960 mit der Anbringung dieses Zeichens in Kraft. Mit Kundmachung dieser Verordnung verlieren die bisher gültigen Geschwindigkeits- oder Zonenbeschränkungen, soweit sie im Zuständigkeitsbereich der Gemeinde liegen, ihre Gültigkeit.

Für dem Gemeindevorstand:

[…]"

2.       Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159 idF BGBl I 42/2018, lauten – auszugsweise –wie folgt:

"§44. Kundmachung der Verordnungen.

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.

[(1a)-(5) …]

[…]

§51. Allgemeines über Vorschriftszeichen.

(1) Die Vorschriftszeichen sind vor der Stelle, für die sie gelten, anzubringen. Gilt die Vorschrift für eine längere Straßenstrecke, so ist das Ende der Strecke durch ein gleiches Zeichen, unter dem eine Zusatztafel mit der Aufschrift 'ENDE' anzubringen ist, kenntlich zu machen, sofern sich aus den Bestimmungen des §52 nichts anderes ergibt. Innerhalb dieser Strecke ist das Zeichen zu wiederholen, wenn es die Verkehrssicherheit erfordert. Gilt ein Überholverbot oder eine Geschwindigkeitsbeschränkung für eine Straßenstrecke von mehr als 1 km, so ist bei den betreffenden Vorschriftszeichen die Länge der Strecke mit einer Zusatztafel nach §54 Abs5 litb anzugeben, wenn es die Verkehrssicherheit erfordert; dies gilt für allfällige Wiederholungszeichen sinngemäß.

(2) Die Vorschriftszeichen 'Einbiegen verboten' und 'Umkehren verboten' sind in angemessenem Abstand vor der betreffenden Kreuzung, die Vorschriftszeichen 'Vorrang geben' und 'Halt' sind im Ortsgebiet höchstens 10 m und auf Freilandstraßen höchstens 20 m vor der Kreuzung anzubringen. Die äußere Form der Zeichen 'Vorrang geben' und 'Halt' muß auch von der Rückseite her erkennbar sein.

(3) Bei den Vorschriftszeichen können an Stelle einer Zusatztafel die in §54 bezeichneten Angaben im roten Rand des Straßenverkehrszeichens einzeilig und leicht lesbar angebracht werden, wenn die Erkennbarkeit des Zeichens nicht beeinträchtigt wird.

(4) Für die Anbringung von Vorschriftszeichen, die sich auf ein ganzes Ortsgebiet oder auf Straßen mit bestimmten Merkmalen innerhalb eines Ortsgebietes beziehen, gilt §44 Abs4.

(5) Mündet in einen Straßenabschnitt, für den durch Vorschriftszeichen Verkehrsbeschränkungen kundgemacht sind, eine andere Straße ein, so können diese Beschränkungen auch schon auf der einmündenden Straße durch die betreffenden Vorschriftszeichen mit einer Zusatztafel mit Pfeilen angezeigt werden. Solche Zeichen sind im Ortsgebiet höchstens 20 m und auf Freilandstraßen höchstens 50 m vor der Einmündung anzubringen.

[…]

§53. Die Hinweiszeichen

(1) Die Hinweiszeichen weisen auf verkehrswichtige Umstände hin. Hinweiszeichen sind die folgenden Zeichen:

[1a.-25. …]

26. 'FAHRRADSTRASSE'

[Hinweiszeichen nicht abgedruckt]

Dieses Zeichen zeigt den Beginn einer Fahrradstraße an und bedeutet, dass hier die besonderen Bestimmungen des §67 gelten.

[27.-28. …]

29. 'ENDE EINER FAHRRADSTRASSE, EINES RADWEGS ODER GEH- UND RADWEGS OHNE BENÜTZUNGSPFLICHT'

Ein roter Querbalken von links unten nach rechts oben in den Zeichen nach Z26, 27 und 28 zeigt das Ende der jeweiligen Fahrradstraße oder Radfahranlage an.

[(2) …]

[…]

Fahrradstraße

§67. (1) Die Behörde kann, wenn es der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs, insbesondere des Fahrradverkehrs, oder der Entflechtung des Verkehrs dient oder aufgrund der Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines Gebäudes oder Gebietes im öffentlichen Interesse gelegen ist, durch Verordnung Straßen oder Straßenabschnitte dauernd oder zeitweilig zu Fahrradstraßen erklären. In einer solchen Fahrradstraße ist außer dem Fahrradverkehr jeder Fahrzeugverkehr verboten; ausgenommen davon ist das Befahren mit den in §76a Abs5 genannten Fahrzeugen sowie das Befahren zum Zweck des Zu- und Abfahrens.

(2) Die Behörde kann in der Verordnung nach Abs1 nach Maßgabe der Erfordernisse und unter Bedachtnahme auf die örtlichen Gegebenheiten bestimmen, dass die Fahrradstraße auch mit anderen als den in Abs1 genannten Fahrzeugen dauernd oder zu bestimmten Zeiten befahren werden darf; das Queren von Fahrradstraßen ist jedenfalls erlaubt.

(3) Die Lenker von Fahrzeugen dürfen in Fahrradstraßen nicht schneller als 30 km/h fahren. Radfahrer dürfen weder gefährdet noch behindert werden.

(4) Für die Kundmachung einer Verordnung nach Abs1 gelten die Bestimmungen des §44 Abs1 mit der Maßgabe, dass am Anfang und am Ende einer Fahrradstraße die betreffenden Hinweiszeichen (§53 Abs1 Z26 und 29) anzubringen sind.

[…]"

III.    Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.       Beim Landesverwaltungsgericht Vorarlberg ist ein Verfahren über eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 7. Juni 2018 anhängig, mit dem der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht wegen einer Übertretung gemäß §67 Abs3 iVm §99 Abs3 lita StVO 1960 bestraft worden ist. Er habe in der Bregenzer Straße mit einem dem Kennzeichen nach näher bestimmbaren Kraftfahrzeug die auf der durch Hinweiszeichen gemäß §53 Abs1 Z26 StVO 1960 deutlich gekennzeichneten Fahrradstraße geltende Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 10 km/h überschritten. Die in Betracht kommende Messtoleranz sei bereits abgezogen worden. Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §67 Abs3 StVO 1960 begangen. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz verhängte über den Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht eine Geldstrafe von € 45,– (20 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) und verpflichtete ihn zur Zahlung des mit € 10,– bestimmten Beitrages zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens.

2.       Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg gemäß Art139 Abs1 Z1 B-VG den Antrag an den Verfassungsgerichtshof, "den Ausdruck ' 'Bregenzer Straße' (GST-NR 3359),' in Punkt II. Z1 der Verordnung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt vom 14.07.2014, erlassen in Anwendung der Bestimmungen des §94d StVO 1960 i.d.g.F., sowie des §60 Abs1 GG, LGBl 40/1985, kundgemacht durch Anbringung der entsprechenden Verkehrszeichen am 20.11.2014, als gesetzwidrig aufzuheben."

3.       Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg begründet seinen Antrag – auszugsweise wiedergegeben – wie folgt:

"II.

Präjudizialität

Im oben angeführten Straferkenntnis wurde der Beschuldigte mit einer Geldstrafe in der Höhe von 45 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 20 Stunden) bestraft, da er die in einer Fahrradstraße höchstzulässige Geschwindigkeit von 30 km/h überschritten habe. Die gegenständliche Fahrradstraße wurde mit Verordnung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt vom 14.07.2014 (Punkt II. Z1) erlassen. Im Falle einer Aufhebung des vorgenannten angeführten Ausdrucks (Wortfolge) der Verordnung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt gäbe es im gegenständlichen Fall keine Rechtsgrundlage für die Bestrafung wegen Übertretung der höchstzulässigen Geschwindigkeit in einer Fahrradstraße.

Daraus ergibt sich, dass der Erfolg der Beschwerde (allein) davon abhängt, ob die im obigen Antrag genannte Stelle (Ausdruck bzwWortfolge) verfassungsmäßig ist oder nicht.

III.

Bedenken

1. Relevante gesetzliche Regelungen / Bestimmungen der Verordnung

[…]

2. Kundmachung der Verordnung

Die Kundmachung der Verordnung betreffend die Bregenzer Straße erfolgte laut og Verkehrszeichenplan wie folgt:

Am Beginn der Bregenzer Straße im Osten (Abbildung 1):

[Abbildung 1]

Ende der Bregenzer Straße im Westen / Einmündung Oberfeldgasse und Bucherstraße (Abbildung 2):

[Abbildung 2]

An der Kreuzung Bucherstraße / Bregenzer Straße, geht die Bregenzer Straße in die Kirchstraße über, die in der Verordnung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt vom 14.07.2014 ebenfalls als Fahrradstraße ausgewiesen ist.

Darüber hinaus sind auf der Fahrbahn der Bregenzer Straße mehrere Bodenmarkierungen – abwechselnd ein Fahrrad in einem Kreis und die Zahl 30 – vorhanden.

[Abbildung 3]

Der Beschwerdeführer fuhr von der Bucherstraße über die Oberfeldgasse in die Bregenzer Straße ein. Wie auf Abbildung 3 ersichtlich, befindet sich (zumindest mehrere Meter) vor der Kreuzung Oberfeldgasse / Bregenzer Straße folgendes Hinweiszeichen (iSd §53 StVO) samt Zusatztafel:

[Abbildung des Hinweiszeichens "Fahrradstraße" gemäß §53 Abs1 Z26 StVO mit einer Zusatztafel, die einen Pfeil darstellt, der nach links und nach rechts zeigt.]

Dieses Hinweiszeichen wurde am Mast einer Straßenlaterne unter dem Vorschriftszeichen 'Vorrang geben' angebracht (s Abbildungen 4 und 5).

[Abbildungen 4 und 5]

Eine Zusatztafel, auf der darauf hingewiesen wird, dass die Durchfahrt auch für andere als in §67 Abs1 StVO genannten Fahrzeugen zugelassen ist (Durchfahrt gestattet), fehlt.

Mit BGBl Nr 174/1983 wurde die Möglichkeit geschaffen, Verkehrsbeschränkungen, die auf einem bestimmten Straßenabschnitt bestehen, auf einer einmündenden Straße anzuzeigen. Damit kann die Anbringung der betreffenden Straßenverkehrszeichen unmittelbar nach der Einmündung unterbleiben. Dies gilt unter folgenden Voraussetzungen:

1. Es handelt sich um ein Vorschriftszeichen gemäß §52 StVO.

2. Auf der Zusatztafel sind entsprechende Pfeile angezeigt.

3. Der Aufstellungsort im Ortsgebiet befindet sich max 20 m von der Einmündung entfernt.

Bei dem Verkehrszeichen 'Fahrradstraße' handelt es sich um kein Vorschriftszeichen gemäß §52 StVO, sondern um ein Hinweiszeichen gemäß §53 StVO. Nach dem Gesetzeswortlaut des §51 Abs5 letzter Satz StVO kann diese Bestimmung daher auf den gegenständlichen Fall nicht angewendet werden, weshalb die Kundmachung der Fahrradstraße (zumindest mehrere Meter) vor der Einmündung der Oberfeldgasse in die Bregenzer Straße nicht rechtmäßig erfolgt ist.

Darüber hinaus, fehlt – wie bereits ausgeführt wurde – in der Natur bei der Kreuzung Oberfeldgasse / Bregenzer Straße (s Abbildung 3) eine entsprechende Zusatztafel, die anzeigt, dass die Durchfahrt durch die Fahrradstraße gestattet ist. In Fahrradstraßen ist gemäß §67 Abs1 StVO außer dem Fahrradverkehr jeder Fahrzeugverkehr verboten. In der gegenständlichen Verordnung wird in Punkt II. Z2 bestimmt, dass die Durchfahrt mit Kraftfahrzeugen gestattet ist. Die Kundmachung dieser Ausnahme wird in Punkt IV., welcher die für die Kundmachung zu verwendenden Verkehrszeichen regelt, nicht erwähnt. Eine solche Zusatztafel ist lediglich am östlichen Beginn der Bregenzer Straße (s Abbildung 1) angebracht. Streng genommen liegt eine Missachtung des in der Fahrradstraße grundsätzlich geltenden Fahrverbotes durch den Beschwerdeführer vor.

Verordnungsinhalt und Verkehrszeichen (Kundmachung) weisen eine nicht unerhebliche Diskrepanz auf. Die Verordnung wurde im Bereich der Kreuzung Bregenzer Straße / Oberfeldgasse nicht ordnungsgemäß kundgemacht.

Diese Erwägungen begründen nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit (nicht ordnungsgemäße Kundmachung) des genannten Ausdrucks (bzw Wortfolge) in der Verordnung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt vom 14.07.2014.

[…]" (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

4.       Der Gemeindevorstand der Marktgemeinde Wolfurt hat die Akten betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und gab die im Folgenden auszugsweise wiedergegebene Stellungnahme ab:

"[…]

1. Die Marktgemeinde Wolfurt hat in den Jahren 2013/14 in Zusammenarbeit mit dem Verkehrsplanungsbüro *************** sowie in einem intensiven Bürgerbeteiligungsprozess ein 'Verkehrs- Und Gestaltungskonzept' für die Wolfurter Straßen erarbeitet und durch Beschluss der Gemeindevertretung verabschiedet. Unter anderem sieht dieses Konzept eine massive Stärkung des Fahrradverkehrs – auch im Hinblick auf die in ebenfalls diese Richtung zielende Strategie des Landes Vorarlberg – vor.

2. Die beiliegende Stellungnahme des Büros *************** wird zum Bestandteil dieser Stellungnahme erklärt. Ergänzend dazu wird festgehalten, dass es sich nach Meinung des Gemeindevorstands nur um ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers gehandelt haben kann, dass sich §51 Abs5 StVO ausschließlich auf Straßenabschnitte bezieht für die durch Vorschriftszeichen Verkehrsbeschränkungen kundgemacht sind. Fahrradstraßen werden gemäß §67 Abs4 StVO durch Hinweiszeichen kundgemacht, obgleich eine verordnete Fahrradstraße analog zu mit Vorschriftszeichen kundgemachten Verordnungen Verkehrsbeschränkungen anordnet und insbesondere bestimmte Verkehrsteilnehmer von der Benützung der Straße ausschließt. Insofern wäre zumindest das Hinweiszeichen 'Fahrradstraße' einem Vorschriftszeichen gleichzuhalten.

Wenn nun dieser Ansatz gedanklich weiterverfolgt wird, so wäre auch das Fehlen einer Zusatztafel 'Durchfahrt gestattet' im Zusammenhang mit der Ankündigung gemäß §51 Abs5 StVO ohne Belang, da Zusatztafeln – ausgenommen Pfeile – laut dieser Gesetzesbestimmung nicht vorgesehen sind.

3. Zum Anlassfall ist ergänzend festzuhalten, dass, selbst wenn die Verordnung betreffend Fahrradstraße aufgehoben würde, für den Beschwerdeführer nichts gewonnen wäre, da er sich immer noch im 30 kmh-Zonenbereich befunden hat und eine Verletzung der Geschwindigkeitsbeschränkung schon dadurch gegeben war.

[…]"

5.       Mit seiner Stellungnahme übermittelte der Gemeindevorstand der Marktgemeinde Wolfurt eine Stellungnahme der ********************, die der Gemeindevorstand zum Bestandteil seiner Stellungnahme erklärte. Die Stellungnahme der ******************** wird im Folgenden auszugsweise wiedergegeben:

"[…]

Die Marktgemeinde Wolfurt hat im Jahre 2013 unter intensiver Einbeziehung der Bevölkerung als erste Gemeinde in Vorarlberg ein Straßen- und Wegekonzept (entsprechend des Vorarlberger Straßengesetzes) ausgearbeitet. Ziel war dabei unter anderem die Förderung und Stärkung des nicht motorisierten Verkehrs. Unter anderem war die Einführung von Fahrradstraßen eine wichtige Maßnahme zur Zielerreichung. Die Fahrradstraße war damals erst relativ neu in der Straßenverkehrsordnung (StVO) verankert worden.

Für die Umsetzung des in der Marktgemeinde beschlossenen Straßen- und Wegekonzeptes wurde für das ganze Gemeindegebiet ein Bodenmarkierungs- und Beschilderungskonzept ausgearbeitet. Die Vorgabe war dabei unter anderem, die Schilderanzahl möglichst zu minimieren.

Laut StVO, §67 Absatz 4 sind am Anfang und am Ende einer Fahrradstraße die betreffenden Hinweiszeichen (§53 Abs1 Z26 und 29) anzubringen. Auf einmündende Straßen wird hier im Speziellen nicht verwiesen.

Um den Verkehrsteilnehmer, welcher von einer einmündenden Straße in die Fahrradstraße einfährt, darauf hinzuweisen, wurde bei den einmündenden Straßen das Hinweiszeichen inkl. Zusatztafel (Pfeil) vorgeschlagen. Dies entspricht auch der gelebten Praxis anderer österreichischer Planer und Städte (z. B. Stadt Wien).

[Abbildung des Verkehrszeichenplanes beim Knoten Bregenzer Straße/Oberfeldgasse]

Laut StVO sind Zusatztafeln unter Hinweisschildern (§53) explizit erlaubt:

[…]

Die angesprochene nicht gesetzeskonforme Beschilderung wird aber durch den §51, Allgemeines über Vorschriftzeichen, Absatz 5 begründet, da das Schild Fahrradstraße kein Vorschriftszeichen, sondern ein Hinweisschild ist:

[…]

Da die Aufstellung eines Hinweisschildes inkl. Zusatztafel bei der einmündenden Straße aber nicht explizit verboten ist, wird in der Praxis diese Aufstellart in Wolfurt, wie auch in vielen anderen Städten und Gemeinden, so praktiziert.

Die Konsequenz, diese Praxis nicht umzusetzen, hätte zur Folge, dass nach jeder einmündenden Straße auf die Fahrradstraße jeweils ein Hinweisschild je Fahrtrichtung angebracht werden müsste. Dies würde zu einem unangemessenen Schilderwald führen.

Stellungnahme:

Beim vorliegenden Punkt handelt es sich aus unserer Sicht, unter Bedachtnahme eines haushälterischen Umgangs mit Beschilderungen, um eine Gesetzeslücke, welche in der nächsten STVO Novelle korrigiert werden sollte.

Falls es zu keiner STVO Novelle kommen sollte, würde der dadurch erforderliche Schilderwald womöglich zu einem Aus der Fahrradstraße führen.

[…]" (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

6.       Die Vorarlberger Landesregierung und der am Verfahren beteiligte Beschwerdeführer des beim Landesverwaltungsgericht Vorarlberg anhängigen Verfahrens haben keine Äußerung abgegeben.

IV.      Erwägungen

1.       Zur Zulässigkeit

1.1.    Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B-VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017 mwN). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl zB VfGH 14.3.2018, V114/2017).

Die angefochtene Verordnung ist durch – in einem Aktenvermerk festgehaltene – Anbringung der Verkehrszeichen am 20. November 2014 gemäß §44 Abs1 StVO 1960 jedenfalls kundgemacht worden, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist und in Geltung steht.

1.2.    Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Haupt-sache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungs-gerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellen-den Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Dem Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Vorarlberg liegt ein Bescheid zugrunde, in dem dem Beschwerdeführer vor dem Landesverwaltungsgericht zur Last gelegt wird, in der Bregenzer Straße in der Marktgemeinde Wolfurt die in Fahrradstraßen geltende Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h um 10 km/h überschritten zu haben. Der angefochtene Teil der Verordnung erklärt die Bregenzer Straße in der Marktgemeinde Wolfurt zur Fahrradstraße. Daher bestehen keine Zweifel an der Präjudizialität der Verordnung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt vom 14. Juli 2014 im Verfahren vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht Vorarlberg.

1.3.    Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, erweist sich der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg als zulässig.

2.       In der Sache

2.1.    Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2.    Der Antrag ist begründet.

2.3.    Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfSlg 18.710/2009, 19.409/2011, 19.410/2011). §44 Abs1 StVO 1960 gilt gemäß §67 Abs4 StVO 1960 für die Kundmachung einer Fahrradstraße mit der Maßgabe sinngemäß, dass am Anfang und am Ende einer Fahrradstraße die betreffenden Hinweiszeichen (§53 Abs1 Z26 und 29 StVO 1960) anzubringen sind.

2.4.    Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Verordnungsbeschluss im Zuge der Kundmachung weder ergänzt noch sonst verändert werden. Jede Änderung des Inhaltes des Verordnungsbeschlusses obliegt allein der zur Willensbildung zuständigen Behörde (vgl VfSlg 13.910/1994 mwN; vgl auch VfSlg 7451/1974). Eine Verordnung ist gesetzwidrig, wenn die vom Verordnungsgeber beschlossene normative Festlegung nicht mit dem kundgemachten Text übereinstimmt (VfSlg 15.192/1998, 19.980/2015).

2.4.1.  Die Verordnung bestimmt – gestützt auf §67 Abs2 StVO 1960 – in Punkt II. 2., dass das dauernde Befahren der Fahrradstraße auch mit anderen, als den in §67 Abs1 StVO 1960 genannten Fahrzeugen zugelassen ist. An der Einmündung der Oberfeldgasse in die Bregenzer Straße, die der Beschwerdeführer befahren haben soll, befindet sich am rechten Straßenrand – noch in der Oberfeldgasse – das Hinweiszeichen Fahrradstraße (§53 Abs1 Z26 StVO 1960) mit einer Zusatztafel, auf der ein Pfeil abgebildet ist, der nach links und nach rechts zeigt. Eine Zusatztafel, die darauf hinweist, dass die Fahrradstraße gemäß Verordnung von allen Fahrzeugen befahren werden darf, fehlt allerdings.

2.4.2.  Daher stimmt die Kundmachung der Verordnung nicht mit der vom Verordnungsgeber beschlossenen normativen Festlegung überein. Die Verordnung erweist sich daher im angefochtenen Umfang als gesetzwidrig und ist schon deshalb aufzuheben, sodass sich ein Eingehen auf die weiteren Bedenken des antragstellenden Gerichtes erübrigt.

2.5.    Gemäß Art139 Abs3 Z3 B-VG hat der Verfassungsgerichtshof nicht nur die präjudiziellen Teile einer Verordnung, sondern die ganze Verordnung aufzuheben (vgl zB VfSlg 18.068/2007), wenn er zur Auffassung gelangt, dass die ganze Verordnung gesetzwidrig kundgemacht wurde. Da die Straßenzüge, für die eine Fahrradstraße verordnet ist, teilweise ineinander münden, erstreckt sich der festgestellte Kundmachungsmangel auf den gesamten Punkt II. der Verordnung. Daher ist nicht nur der präjudizielle Teil der angefochtenen Verordnung aufzuheben. Im Verordnungsprüfungsverfahren sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass die Aufhebung weiterer Teile der Verordnung den rechtlichen Interessen der Parteien offensichtlich zuwiderläuft. Da die Verordnung in ihren Punkten I. und III. auch u.a. weitere Regelungen über Verkehrszeichen beinhaltet, die auf andere Weise, wie etwa durch anders gestaltete Verkehrszeichen an anderen, näher bezeichneten Orten kundzumachen sind, kommt eine Aufhebung der ganzen Verordnung gemäß Art139 Abs3 Z3 B-VG im vorliegenden Verfahren allerdings nicht in Betracht (vgl VfSlg 19.127/2010, 19.128/2010). Daher ist im Sinne eines geringstmöglichen Eingriffes in die angefochtene Norm (vgl VfSlg 15.552/1999 mwN) der gesamte Punkt II. der angefochtenen Norm als gesetzwidrig aufzuheben.

V.       Ergebnis

1.       Punkt II. der Verordnung des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Wolfurt vom 14. Juli 2014 ist als gesetzwidrig aufzuheben, weil die Kundmachung nicht mit der Verordnung übereinstimmt.

2.       Die Verpflichtung der Vorarlberger Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litf Vorarlberger Kundmachungsgesetz.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Straßenverkehrszeichen, Verordnung Kundmachung, Fahrräder, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:V68.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.05.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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