TE Vwgh Erkenntnis 1999/3/23 97/21/0521

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.03.1999
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde der SG in Altenmarkt-Thenneberg, geboren am 17. März 1972, vertreten durch Dr. Gernot Kerschhackel, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Wiener Straße 44-46/1/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 2. April 1997, Zl. Fr 489/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500;-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 2. April 1997 wurde auf Grund des Antrages der Beschwerdeführerin, einer jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß sie in der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

In ihrer Begründung gab die belangte Behörde zunächst die wesentlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt wieder. Demnach wäre sie Angehörige der albanischen Volksgruppe im Kosovo und am 8. November 1995 illegal nach Österreich eingereist, wo ihr Gatte seit 1990 als Gastarbeiter leben würde. Am 4. November 1995 wäre sie von Polizisten aufgesucht worden. Diese hätten nach ihrem Gatten gefragt und nach Waffen gesucht. Sie hätte erklärt, daß ihr Gatte keine Waffen besitze, worauf die Polizisten - ungeachtet dessen, daß sie ihnen gesagt hätte, daß ihr Gatte in Österreich wäre - erwidert hätten, ihr Ehegatte müsse am 7. November 1995 "kommen" und im Fall seines Nichtkommens würde man die Beschwerdeführerin festnehmen und solange festhalten, bis er sich melden würde. Die Polizisten hätten im übrigen das Haus durchsucht und einen Teil des Schmucks der Beschwerdeführerin weggenommen. Auf die Frage, warum man dies machen würde, hätte die Beschwerdeführerin zwei Ohrfeigen erhalten. Deswegen hätte sie sich entschlossen, ihrem Gatten nach Österreich zu folgen. Wäre sie nicht ausgereist, so hätte man sie festgenommen. Sie wäre nicht die erste Frau gewesen, der das passiert wäre, sie würde persönlich vier oder fünf Frauen kennen, die von Polizisten unmenschlich behandelt worden wären. Frauen, die festgenommen worden wären, würde sie nicht kennen, und zwar deshalb, weil sich "die Männer der anderen Frauen" freiwillig gemeldet hätten, sodaß die Frauen nicht festgenommen worden wären.

Der Asylantrag der Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde weiter - sei sowohl vom Bundesasylamt als auch von der Berufungsinstanz abgewiesen worden. In ihrem Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Jugoslawien habe die Beschwerdeführerin über ihre Angaben im Asylverfahren hinaus keine nennenswerten "Neuerungen" vorgebracht. Sie habe "allenfalls" die bisher gemachten Aussagen durch einen Bericht über die allgemeine Situation im Kosovo untermauern wollen. Auch in der Berufung gegen den negativen erstinstanzlichen Bescheid habe die Beschwerdeführerin keine wesentlichen "Neuerungen" dargetan, sondern wieder auf die von ihr behaupteten Mißhandlungen durch die Polizisten vor ihrer Ausreise Bezug genommen.

Als wesentliche Fluchtgründe - im folgenden die belangte Behörde wörtlich - "gelten somit die am 4.11.1995 geschehene Amtshandlung der Polizei in Ihrem Haus, im Zuge dessen man nach Waffen gesucht, die Rückkehr Ihres Mannes gefordert, Ihnen zwei Ohrfeigen gegeben, die Inhaftierung angedroht und Schmuck entwendet habe. Die Berufungsbehörde führt dazu vorerst aus, daß diese Vorfälle lediglich durch Ihre Behauptungen dokumentiert sind. ... Sie beziehen sich in Ihrem Vorbringen auch auf Berichte von Menschenrechtssituationen (richtig wohl: Menschenrechtsorganisationen), die Bezug auf die Lage im Kosovo nehmen. Länderberichte oder Berichte von Menschenrechtsorganisationen können zwar ein Indiz für eine mögliche Verfolgungsgefahr darstellen, doch hat der Fremde darüber hinaus im Verfahren nach § 54 i.V.m. § 37 Fremdengesetz konkret eine ihm individuell und aktuell drohende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen. ... Die Hausdurchsuchungen sind amtsbekannte Vorgangsweisen der Polizei zum Zwecke der vollständigen Entwaffnung der albanischen Bevölkerungsgruppe. Diese Vorgangsweise stellt sich in Anbetracht der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit als legitime Vorgangsweise der Staatsgewalt dar. Kommt es im Zuge dieser Hausdurchsuchungen zu Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung, kann dabei noch nicht von einer zielgerichteten Verfolgungsmotivation, ausgehend vom Staat, gesprochen werden. ... Bezüglich der von Ihnen behaupteten Ohrfeigen wäre noch folgendes festzuhalten. Prüfungsmaßstab nach Art. 3 MRK und somit § 37 Abs. 1 Fremdengesetz ist das geforderte Mindestmaß an Schwere (bestimmte Intensität), an unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Die Beurteilung dieses Mindestmaßstabes ist nach der Natur der Dinge relativ und ein objektiver Maßstab existiert nicht. ... Die Berufungsbehörde stellt demnach fest, auch dann, wenn sich der Sachverhalt derart zugetragen hat, wie Sie ihn geschildert haben, dürften diese beiden Ohrfeigen nicht dazu reichen, um eine Intensität im Sinne des § 37 Abs. 1 Fremdengesetz darzutun. ... Die von Ihnen behauptete und allenfalls bevorstehende Inhaftierung durch die Polizei stellt eine bloße Vermutung Ihrerseits dar. Dies ist schon alleine durch Ihre Aussagen untermauert, daß Sie keine Frauen kennen würden, die man festgenommen habe. Die Aussage, daß man gerade Sie festnehmen würde, weil sich die Männer der anderen Frauen freiwillig gemeldet hätten und Ihr Mann nicht, ist insofern unschlüssig, weil sich Ihr Gatte gemäß Ihren eigenen Aussagen seit 1990 in Österreich als Gastarbeiter befände und somit fünf Jahre, nämlich bis zum 4.11.1995, niemals nach Ihrem Gatten gefragt wurde. Die Tatsache, daß der Polizei der Aufenthalt Ihres Gatten fünf Jahre egal war, und er sich aber dann spontan am 4.11.1995 bei der Polizei zu melden hätte, ist nicht nachvollziehbar und äußerst unglaubwürdig. Vielmehr vertritt die Behörde den Standpunkt, daß Sie aus wirtschaftlichen Gründen den Kosovo verließen, um Ihrem Mann nach Österreich zu folgen, der sich hier als Gastarbeiter befindet. Unter Gesamtwürdigung des Falles stellt die Berufungsbehörde fest, daß keinerlei Gründe für die Annahme bestehen, daß Sie in Jugoslawien im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 Fremdengesetz aktuell oder individuell bedroht sind".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach den §§ 58 Abs. 2 und 60 i.V.m. § 67 AVG haben Berufungsbescheide eine Begründung zu enthalten, in der die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. In der Bescheidbegründung ist daher in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, unter E 8. zu § 67 AVG und E 1. bis 9. zu § 60 AVG nachgewiesene Rechtsprechung). Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung des Bescheides führt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179).

Im vorliegenden Fall läßt die belangte Behörde nicht mit ausreichender Klarheit erkennen, welchen Sachverhalt sie ihrer Entscheidung zugrunde legt. Zunächst führt sie nämlich aus, daß die von der Beschwerdeführerin geschilderten Vorfälle (die zusammengefaßt dargestellt werden) "als wesentliche Fluchtgründe gelten"; zu Hausdurchsuchungen wird dann weiter argumentiert, daß es sich insoweit um amtsbekannte Vorgangsweisen der Polizei handle und daß bei dabei erfolgenden Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung noch nicht von einer "zielgerichteten Verfolgungsmotivation, ausgehend vom Staat" gesprochen werden könne.

Diese Formulierungen sprechen - isoliert betrachtet - dafür, daß die belangte Behörde die Behauptungen der Beschwerdeführerin, soweit sie auf ihr selbst widerfahrene Erlebnisse Bezug nimmt, als Sachverhaltsbasis zugrunde legt. Dem steht jedoch gegenüber, daß an anderer Stelle Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihres Vorbringens angemeldet werden. Das beginnt mit der Aussage, "daß diese Vorfälle lediglich durch Ihre Behauptungen dokumentiert sind", setzt sich in den Überlegungen bezüglich der beiden Ohrfeigen fort ("auch dann, wenn sich der Sachverhalt derart zugetragen hat, wie Sie ihn geschildert haben") und endet darin, daß die Tatsache, daß sich der Gatte der Beschwerdeführerin "spontan am 4.11.1995 (gemeint offenbar: 7. November 1995) bei der Polizei zu melden hätte", nicht nachvollziehbar und äußerst unglaubwürdig sei; die Behörde vertrete daher den Standpunkt, daß die Beschwerdeführerin den Kosovo aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe, um ihrem Mann nach Österreich zu folgen.

Die so artikulierten Bedenken bezüglich der Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin sprechen gegen die oben dargelegte Annahme, die belangte Behörde habe die Darstellung der Beschwerdeführerin bezüglich der zu ihrer Flucht führenden Umstände als Feststellungen zugrunde legen wollen. Im Ergebnis bringt der angefochtene Bescheid damit nicht mit der ausreichenden Deutlichkeit zum Ausdruck, auf welcher tatsächlichen Basis er beruht. Damit wird er den eingangs wiedergegebenen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bescheidbegründung nicht gerecht. Dieser Mangel ist aus folgenden Überlegungen von Relevanz: Unterstellt man, daß die Angaben der Beschwerdeführerin bezüglich der ihre Flucht auslösenden Umstände zutreffen, so bestünde die berechtigte Befürchtung, daß im Fall ihrer Abschiebung nach Jugoslawien dort ihre Freiheit aus Gründen ihrer Nationalität (Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe) bedroht wäre (§ 37 Abs. 2 FrG). Das ergäbe sich aus der ihr gegenüber geäußerten Drohung, sie festzunehmen, falls sich ihr Ehegatte nicht bei der Polizei melden würde. In Anbetracht der näheren Umstände (unbegründete Hausdurchsuchung, Verletzung des Eigentums und Mißhandlung durch zwei Ohrfeigen) müßte diese Drohung ernst genommen werden, zumal die Polizei - so die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid; auf dieses Vorbringen ist die belangte Behörde überhaupt nicht eingegangen - noch am 5. Jänner 1997 bei ihrem Vater nach ihrem bzw. dem Aufenthalt ihres Mannes gefragt hat, was nach wie vor bestehendes Interesse der Behörden an der Beschwerdeführerin/ihrem Gatten dokumentiert. Hiezu kommt, daß die Beschwerdeführerin auf einen Bericht der International Helsinki Federation for Human Rights verwiesen hat, wonach im Jahr 1994 2963 Albaner von der Polizei willkürlich festgenommen (und vielfach in der Polizeihaft mißhandelt) worden seien. Die belangte Behörde spricht zutreffend selbst davon, daß einem Bericht wie diesem Indiziencharakter zukomme. Sollte die Beschwerdeführerin tatsächlich in der von ihr behaupteten Weise bedroht worden sein, so hätte die Befürchtung, diese Drohung werde wahrgemacht werden, daher einen realen Hintergrund.

Nach dem Gesagten leidet der angefochtene Bescheid an einem wesentlichen Begründungsmangel. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. März 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997210521.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten