TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/30 I409 2170470-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.01.2019
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Entscheidungsdatum

30.01.2019

Norm

AsylG 2005 §13 Abs1
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I409 2170470-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Florian Schiffkorn als Einzelrichter über die Beschwerde des KXXXX, Staatsangehöriger von Nigeria, vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Graf Starhemberg-Gasse 39/12, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23. August 2017, Zl. "831790504 - 170290464/BMI-BFA_BGLD_RD", zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Die belangte Behörde führt unter dem Punkt "A) Verfahrensgang" im angefochtenen Bescheid (u.a.) Folgendes aus:

"Sie gaben an, am 05.12.2013 illegal in das Bundesgebiet eingereist zu sein.

Am 07.03.2017 haben Sie beim Bundesamt gegenständlichen ZWEITEN Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG eingebracht.

Sie gaben an, den Namen O. K. S. zu führen, Staatsangehöriger von Nigeria und am XX.XX.1988 geboren zu sein.

Zum ERSTEN Asylverfahren mit der Zahl: 13 17.905-BAT ist Folgendes anzuführen:

Am 05.12.2013 haben Sie beim ehemaligen Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG eingebracht. Sie gaben an, den Namen M. J. zu führen, Staatsangehöriger von Nigeria und am XX.XX.1995 geboren zu sein.

Die niederschriftliche Erstbefragung wurde von einem Organ der öffentlichen Sicherheit (Polizeiinspektion XXXX) am 05.12.2013 durchgeführt. Zum Fluchtgrund befragt gaben Sie an, Nigeria verlassen zu haben, weil es am 11.03.2013 einen Angriff von radikalen Mitgliedern der Gruppe Boko Haram auf eine Kirche gegeben hätte. Sie

hätten zu diesem Zeitpunkt die heilige Messe besucht. Die Kirche wäre beschossen worden und die Leute der Boko Haram hätten dabei 15 Personen getötet. Seither wäre auch Ihr Vater verschollen. Sie wären mit Ihrer ganzen Familie geflüchtet.

Nach Zulassung Ihres Verfahrens wurden Sie am 12.12.2013 beim Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, einvernommen. Sie gaben Folgendes an:

... LA: Was veranlasste Sie, die Heimat zu verlassen? Bitte schildern Sie möglichst konkret und detailliert!

AW: Am 11.03.2012 war ich in der Kirche in XXXX, es gab dann einen Bombenanschlag, dann kam es zu Ausschreitungen, auch unser Haus wurde niedergebrannt. Seitdem habe ich meinen Vater nicht mehr gesehen. Dann bin ich geflohen, sonst habe ich keine politischen oder ähnliche Gründe. Das ist alles. ...

LA: Können Sie mehr angeben? Mehr Details?

AW: Nein. Mehr weiß ich nicht. Mehr war nicht.

LA: Wollen bzw. können Sie mehr angeben? AW: Nein. Das ist alles.

LA: Was befürchten Sie bei einer Rückkehr? AW: Ich habe Angst, mein Haus wurde niedergebrannt, wahrscheinlich wurde auch mein Vater getötet.

LA: Wollen Sie bei Ihrer Geschichte bleiben, entspricht diese tatsächlichen Erlebnissen und wollen Sie Ihrem Vorbringen noch etwas hinzufügen? AW: Ja, alles ist korrekt und entspricht der Wahrheit. Ich habe nichts hinzuzufügen. ...

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.12.2013, Zahl: 13 17.905-BAT, wurde Ihr Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 in Verbindung mit § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruch I). Gemäß § 8 Absatz 1 in Verbindung mit § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wurde Ihr Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruch II). Gleichzeitig wurde mit Spruchpunkt III gemäß § 10 Absatz 1 AsylG Ihre Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria verbunden.

Gegen den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.12.2013 wurde Beschwerde erhoben.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.09.2015, GZ: I406 2000945-1/17E,

wurde die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 3 Absatz 1 und 8 Absatz 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 75 Absatz 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Am 29.10.2015 fand beim Bundesamt, Regionaldirektion XXXX, aufgrund der Behebung der Ausweisungsentscheidung gemäß § 75 Absatz 20 AsylG 2005 durch das Bundesverwaltungsgericht eine Einvernahme statt. Sie gaben an:

... F: Wie geht es Ihnen? Sind Sie in der Lage, die heutige Einvernahme durchzuführen?

A: Es geht mir gut. Ich kann die Einvernahme durchführen.

F: Werden Sie im Verfahren vertreten oder erteilten Sie jemandem eine Zustellvollmacht?

A: Ja. Frau Dr. Schweiger-Apfelthaler vertritt mich.

Erklärung: Sie werden davon in Kenntnis gesetzt, dass gegen Sie - Ihr Antrag auf internationalen Schutz wurde mittlerweile rechtskräftig abgewiesen - ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (Erlassung einer Rückkehrentscheidung)

geführt wird. Was sagen Sie dazu?

F: Wurde Ihnen in Österreich ein Aufenthaltsrecht erteilt?

A: Ja. Ich besitze eine weiße Aufenthaltsberechtigungskarte. Sonst nichts.

F: Haben Sie in Österreich Verwandte? Besteht in Österreich eine besondere private Bindung (ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis muss vorliegen) beziehungsweise besteht ein Familienleben in Österreich?

A: In Österreich leben keine Familienangehörigen. Es gibt in Österreich keine Personen, zu denen ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht. Ich habe Freundschaften geschlossen. Ich habe viele normale Freunde und einige enge Freunde. Einige sind auch Österreicher.

F: Haben Sie während Ihres Aufenthaltes in Österreich Sprachkenntnisse in Deutsch erworben?

A: Ich beherrsche Deutsch mittelmäßig.

F: Gehen oder gingen Sie in Österreich einer legalen Arbeit nach?

A: Ich verkaufe die Straßenzeitung XXXX seit Mitte 2014.

F: Wie hoch ist Ihr Einkommen?

A: Nicht viel. Manchmal verdiene ich € 10,-- am Tag. Ich verkaufe die Zeitschriften, um mir den Deutschkurs zu finanzieren.

F: Beziehen Sie Sozialleistungen?

A: Ich erhalte pro Monat € 40,--. Ich weiß nicht, wer das ausbezahlt. Ich erhalte das Geld jedenfalls von meinem Vermieter.

F: (Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in Österreich:) Besuchen Sie eine Schule, eine Universität oder einen Kurs? Sie sind Mitglied in einer Organisation oder in einem Verein?

A: Ich besuchte Deutschkurse. Ich spiele Fußball, aber nicht als Vereinsmitglied. Sonst nichts.

F: Leiden Sie an schweren Erkrankungen? Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein?

A: Nein. Ich bin grundsätzlich gesund. Mein Rücken schmerzt. Der Arzt sagte, meine Wirbelsäule hat sich verschoben. Jetzt nehme ich Schmerzmittel ein.

F: Ihre Einreise nach Österreich erfolgte im Dezember 2013. Sind Sie seit Ihrer damaligen Einreise ununterbrochen und durchgängig in Österreich aufhältig?

A: Ja.

F: Beschreiben Sie kurz Ihren Lebensalltag in Österreich. Wie gestaltet sich dieser?

A: Ich verkaufe die Straßenzeitung. Ich gehe zum Deutschkurs. Außerdem spiele ich Fußball.

F: Weshalb haben Sie sich straffällig verhalten?

A: Ich wohnte in D. T. Dort gibt es keine Kirche. Deshalb fuhr ich nach XXXX. Dann hatte ich kein Geld für die Rückreise. Ich fragte einen Schwarzen, ob er mir Geld geben kann. Der Schwarze sagte, dass er kein Geld, aber etwas anderes hat. Das gab er mir. Ich sollte es einer Person geben. Diese Person war ein Polizist.

F: Haben Sie noch Angehörige und Bekannte in Nigeria? Besteht Kontakt zu diesen?

A: Meine Familienangehörigen leben jetzt in Libyen. Der Kontakt zu Freunden ist abgebrochen.

F: Waren Sie in Österreich jemals von einer gerichtlichen Untersuchung als Zeuge oder Opfer oder einem zivil- oder strafrechtlichen Gerichtsverfahren oder einer (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung betroffen?

A: Nein.

Vorhalt: Die Frist für eine freiwillige Ausreise beträgt grundsätzlich 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides. Spricht aus Ihrer Sicht irgendetwas gegen eine freiwillige Ausreise oder gegen eine freiwillige Rückkehr nach Nigeria?

A: Es gibt noch immer Aufstände in XXXX. Ich habe keine Familie mehr in Nigeria. Die Familie meines Vaters möchte mich umbringen

F: Wollen Sie Länderinformationen über Nigeria ausgefolgt erhalten und dazu eine schriftliche Stellungnahme abgeben?

A: Nein.

F: Wollen Sie sonst noch etwas angeben? Haben Sie noch allgemeine Fragen?

A: Nein.

Erklärung: Ihnen wird nun die Niederschrift rückübersetzt. Nach der Rückübersetzung haben Sie noch Gelegenheit, Ergänzungen und/oder Korrekturen vorzunehmen, falls dies erforderlich sein sollte.

F: Die Niederschrift wurde rückübersetzt. Wollen Sie etwas berichtigen und/oder ergänzen?

A: Nein. ...

Mit Verfahrensanordnung vom 29.10.2015 wurde Ihnen gemäß § 13 Absatz 2 AsylG der Verlust Ihres Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet, wegen Straffälligkeit (§ 2 Absatz 3 AsylG),

mitgeteilt.

...

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 23.11.2015, Zahl: 831790504 - 2452749, wurde gegen Sie eine Rückkehrentscheidung (§ 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG) erlassen. Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde Ihnen eine Frist für Ihre freiwillige Ausreise von 14 Tagen, ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung, eingeräumt. Gemäß § 13 Absatz 2 Ziffer 1 AsylG wurde festgestellt, dass Sie Ihr Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 28.03.2014 verloren haben. Gemäß § 53 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 Ziffer 1 FPG wurde gegen Sie ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 23.11.2015 wurde Beschwerde erhoben.

Mit Erkenntnis des Bundesamtes vom 31.01.2016, GZ: I409 2000945-2/3E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid des Bundesamtes vom 23.11.2015

erwuchs am 03.02.2016 in Rechtskraft.

ZWEITER ANTRAG AUF INTERNATIONALEN SCHUTZ:

Anlässlich der niederschriftlichen Erstbefragung am 07.03.2017, durchgeführt von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Landespolizeidirektion XXXX, Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug), gaben Sie an:

... Bei Asylwerbern mit Kindern: Wer hat das Sorgerecht für Ihre Kinder? Ich habe keine Kinder.

Verfügen Sie über Barmittel oder andere Unterstützung? Ja; wenn ja, welche? Barmittel: --. Unterstützung: €40/Monat staatliche Unterstützung.

Wurde eine Verpflichtungserklärung für Sie abgegeben? Nein.

Besteht ein aufrechtes Vertretungsverhältnis durch einen rechtsfreundlichen Vertreter?

RA Edward W. Daigneault, XXXX anwesend.

4. Haben Sie Beschwerden oder Krankheiten, die Sie an dieser Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen? Nein, ich kann dieser Einvernahme ohne Probleme folgen.

5. Sie haben in Österreich bereits unter der Zahl 2452749 einen Asylantrag gestellt, welcher bereits entschieden wurde. Haben Sie seit dieser Entscheidung Österreich verlassen? Nein. ...

6. Ihr Verfahren wurde am 03.02.2016 bereits rechtskräftig entschieden. Warum stellen Sie jetzt einen (neuerlichen) Asylantrag? Was hat sich seit der Rechtskraft konkret gegenüber Ihrem bereits entschiedenen Verfahren - in persönlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Gefährdungslage im Herkunftsstaat - verändert? Erläutern Sie umfassend und detailliert sämtliche Gründe für Ihre neuerliche Asylantragstellung und legen Sie nun alle Ihnen nunmehr zur Verfügung stehenden (neuen) Bescheinigungsmittel vor.

In meinem ersten Asylverfahren habe ich einige Gründe nicht erwähnt. Ich habe nicht erwähnt, dass ich homosexuell bin. Ich war in Nigeria homosexuell und meine Freunde dort wussten das. Nach meiner Ankunft in Österreich wollte ich das aus Scham niemandem sagen. Bis 2015 habe ich das geheim gehalten. Seit 2015 habe ich einen nigerianischen Freund. In Österreich haben wir diese Freiheiten und können uns auch öffentlich sehen lassen und brauchen uns nicht genieren. So kann man sich in Österreich auch in der Öffentlichkeit küssen. Der Name meines Freundes ist J. D. K. Er ist mein Partner und ein Teil von mir. In Nigeria werden Homosexuelle aber wg. Ihrer sexuellen Orientierung getötet. Es ist in Nigeria bekannt, dass ich homosexuell bin. Da ich schon seit 2 Jahren meine sexuelle Neigung vor niemandem verberge, kann ich mir auch nicht vorstellen, dass ich mein Verhalten in Zukunft ändern kann. Das wäre ein großes Risiko für mich in Nigeria.

7. Haben Sie alle Ausreise-, Flucht, oder Verfolgungsgründe genannt? Ja.

8. Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat? Es ist mir bekannt, dass in Nigeria Homosexuelle getötet werden. Meine Freunde wissen, dass ich homosexuell bin, es droht mir dort eine Haftstrafe von bis zu 14 Jahren. Inzwischen ist die Lage so, dass die Homosexuellen direkt von den Leuten/Bürgern angegriffen und getötet werden, dh. bevor sie noch von einem Gericht angeklagt werden.

9. Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Ihrer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe, die Todesstrafe droht, oder sie mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen haben? Es gibt ein Gesetz, wonach die Homosexualität verboten ist. Es drohen bis zu 14 Jahren Haft. Wenn es bekannt wird, wird man gelyncht.

10. Seit wann sind Ihnen die Änderungen der Situation/Ihrer Fluchtgründe bekannt? Ich war schon in Nigeria homosexuell. Seit 2014 praktiziere ich dies auch öffentlich, seit 2015 habe ich einen Partner, den ich sehr liebe. ...

13. Haben Sie Ergänzungen/Korrekturen zu machen? Ja. Wenn ja, welche?

Im Original lege ich vor (Kopien zum Akt): eine Vollmacht meines RAs vor, Teilnahmebestätigung "Deutsch B1-B2", Einzustellzusage Fa. "XXXX", Bestätigung der "TXXXX", 4x Empfehlungsschreiben. Ich möchte meine Daten wie folgt korrigieren: O. K. S., XX.XX.1988. "M." wurde ich von den Hausa-Leuten genannt, bei denen ich aufwuchs; da ich ein Fan von M. J. bin, wurde ich von allen "J." gerufen; da ich homosexuell bin und dies in meiner Heimat als Verbrechen gilt, habe ich meine Daten anders angegeben, damit man in Nigeria nicht erfährt, dass ich hier bin. ...

Nach Zulassung Ihres ZWEITEN Verfahrens wurden Sie für den 09.05.2017 vorgeladen. Da Sie vorbrachten, aus gesundheitlichen Gründen die Einvernahme nicht durchführen zu können, wurden Sie für den 13.06.2017 erneut vorgeladen. Am diesem Tag wurden Sie aus Ihrer Unterkunft wegen psychischer Probleme von der Rettung abgeholt, weshalb abermals keine Einvernahme stattgefunden hat. Am 17.08.2017 wurden Sie von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes, Regionaldirektion XXXX, einvernommen. Folgendes gaben Sie an:

... F: Wie empfanden Sie die Erstbefragung? Gaben Sie damals die Wahrheit an?

A: Alles war in Ordnung. Ich gab die Wahrheit an.

F: Aus welchem Grund gaben Sie im Rahmen der Erstbefragung (2. Antrag auf internationalen Schutz) eine andere Identität (frühere Identität: M. J., geboren XX.XX.1995) an?

A: Niemand wollte die Namensänderung durchführen.

V: Das kann nicht sein. Sie hatten genügend Zeit, das Bundesamt darauf aufmerksam zu machen.

A: Ich hatte Angst, dass jemand herausfindet, dass ich homosexuell bin.

Reiseweg: Ich verließ XXXX und reiste nach Libyen. Dann reiste ich mit einem Boot nach Europa. Ich verließ Nigeria im Jahr 2012. In Libyen war ich bis 2013.

F: Reisten Sie legal oder illegal in Österreich ein?

A: Ich reiste illegal in Österreich ein.

F: Haben Sie sich zwischenzeitlich amtliche Dokumente besorgt?

A: Nein.

F: Weshalb nicht?

A: Ich habe keinen Reisepass.

F: Haben Sie sich jemals einen nigerianischen Reisepass ausstellen lassen?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Nigeria sonstige amtliche Dokumente?

A: Nein.

F: Wurde Ihnen in Österreich ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht erteilt?

A: Nein.

F: Haben Sie in Österreich Verwandte? Besteht in Österreich eine besondere private Bindung (ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis muss vorliegen) beziehungsweise besteht ein Familienleben in Österreich?

A: Ich habe keine Verwandten in Österreich. Ich bin ledig und habe einen Freund. Er heißt Nelson. Wann er geboren ist, weiß ich nicht. Wir wohnen nicht zusammen. Er kommt immer zu mir. Konkrete Heiratspläne liegen nicht vor. Wir wollen aber heiraten. Ich hatte vorher einen Freund. Im April 2017 sah ich ihn mit einem anderen Mann. Dann haben wir uns getrennt. Es gibt in Österreich keine Personen, zu denen ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht. Ich habe aber österreichische Freunde, die mir Geld geben. Einige Bekannte sind auch bereit, mir eine Arbeit zu geben.

F: Haben Sie noch Angehörige und Bekannte in Nigeria? Besteht Kontakt zu diesen?

A: Nein. Mein Vater ist gestorben. Meine Mutter und meine Schwestern halten sich in Libyen auf.

F: Haben Sie während Ihres Aufenthaltes in Österreich Sprachkenntnisse in Deutsch erworben?

A: Ich beherrsche Deutsch bereits mittelmäßig.

F: Gehen Sie in Österreich einer regelmäßigen legalen Arbeit nach?

A: Nein. Ich könnte aber Arbeit bekommen.

F: (Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in Österreich:) Besuchen Sie eine Schule, eine Universität oder einen Kurs? Sie sind Mitglied in einer Organisation oder in einem Verein?

A: Ich besuchte Deutschkurse. Ich möchte eine Universität (technischer Zweig und Malen) besuchen. Ich bin Mitglied in einem Homosexuellenverein. Dort gehe ich jeden Donnerstag hin.

F: Leiden Sie an schweren Erkrankungen? Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein?

A: Nein. Ich habe aber Probleme mit dem Kopf und mit dem Magen. Ich möchte zum Röntgen gehen. Gegen Magenschmerzen nehme ich Tabletten ein.

F: Leiden Sie an psychischen Beeinträchtigungen? Stehen Sie oder standen Sie in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung?

A: Ich habe psychische Probleme. Ich verlor mein Gedächtnis. An Therapien nehme ich nicht teil.

F: Wurden Sie in Österreich jemals in eine geschlossene Anstalt eingeliefert?

A: Nein.

F: Sind Sie in Nigeria vorbestraft?

A: Nein.

F: Wie war Ihre wirtschaftliche Situation in Nigeria? Wovon lebten Sie?

A: Ich habe gemalt. Während der Saison führte ich die Farmarbeit durch. Manchmal half ich im Kleidungsgeschäft aus.

F: Erteilten Sie jemanden eine Vollmacht (Vollmacht betreffend der Vertretung im Asylverfahren oder Zustellvollmacht)?

A: Ja, an Rechtsanwalt Daigneault.

F: Bleibt die Vollmacht an Frau Rechtsanwältin Dr. Schweiger-Apfelthaler weiter aufrecht?

A: Nein. Sie ist nicht mehr meine Vertreterin.

Grund: Ich bin homosexuell. In Nigeria werden Homosexuelle getötet und verbrannt. Ich möchte hier ein gutes Leben führen und arbeiten. Ich möchte aber auch Steuern zahlen, um etwas beitragen zu können.

F: Seit wann wissen Sie, dass Sie homosexuell sind?

A: Ich war bereits in Nigeria homosexuell. Dort musste meine Neigung aber geheim bleiben. Seit ich hier bin, habe ich mehr Möglichkeiten. Ich war hier sogar bis zu zwei Jahre in einer Beziehung, bis ich eine neue Beziehung begann. Ja sogar am heutigen Tag gehe ich zu meinem Freund. Ich kann das nicht unterdrücken. In Nigeria erwartet mich für meine Neigung die Todesstrafe.

F: Können Sie ein Datum angeben, seit wann Sie homosexuell sind?

A: Ich hatte schon in der Kindheit Interesse an Männern.

F: Wann hatten Sie den ersten Freund?

A: Das war im Jahr 2000. Damals ging es eher darum, es einmal auszuprobieren. Ich hatte keinen fixen Partner, sondern verschiedene Freunde.

F: Wissen Sie noch, wie Ihr erster Freund geheißen hat?

A: (der Antragsteller denkt nach) Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich war 12 Jahre alt.

Sein Name war H. M.

F: Weshalb gaben Sie im ersten Asylverfahren nicht an, homosexuell zu sein?

A: Ich dachte, dass es hier wie in Afrika ist. Ich hatte Angst.

F: Verfügen Sie über Bilder von Ihren Freunden?

A: Ich habe keine Fotos hier. Ich kann Ihnen aber Fotos schicken.

F: Wie heißen Ihre Freunde?

A: W., N. und I.

F: Kennen Sie die Wohnanschrift Ihres Freundes?

A: Er wohnt in N. im Caritas Haus. Er heißt N. M. Er ist auch Asylwerber.

F: Welche Lokale besuchen Sie?

A: Ich gehe in XXXX in ein Lokal in der Q.-gasse, T.-straße und in der H-Gasse. Die Bezeichnung der Lokale kenne ich nicht.

F: Was können Sie über AIDS angeben?

A: HIV. AIDS ist eine Bluttransportkrankheit. Ich weiß nicht viel darüber. Es kann bei Sex übertragen werden.

F: Was war der konkrete Auslöser, der Sie bewogen hat, im Jahr 2012 Nigeria zu verlassen?

A: Der Hauptgrund war die Krise in XXXX. Es gab Kämpfe zwischen Christen und Moslems.

Mein Vater starb.

F: Fand jemand in Nigeria heraus, dass Sie homosexuell sind?

A: Ja. Meine Freunde fanden das heraus. Ich war 12 Jahre dort. Ich wollte Liebe mit manchen von meinen Freunden machen. Manche mochten es, manche nicht. Manche erzählte es weiter, dass ich homosexuell bin.

F: Wann war das?

A: Das war zwischen 2000 und 2012.

F: Und niemand machte Ihnen Probleme?

A: Sie versuchten, mir Probleme zu machen. Damals lebte aber noch mein Vater. Nachdem mein Vater ermordet wurde, musste ich Nigeria verlassen.

F: Wer waren die Personen, die Ihnen Probleme machen wollten?

A: Wir sind Christen. Der Konflikt mit den Moslems ist mein Hauptproblem. Aufgrund meiner sexuellen Neigung machten mir meine Freunde Probleme. Außerdem machte mir ein Vater eines Jungen, mit dem ich Liebe machen wollte, Probleme.

F: Was waren das für Probleme?

A: Sie wollten kämpfen. In Nigeria ist es so, dass man nach dem Gesetz 15 Jahre Freiheitstrafe bekommt. Aber auch so kommen Leute und schlagen einen. Sie umzingeln das Haus.

F: Weshalb verließen Sie Nigeria nicht schon früher?

A: Mein Vater beschützte mich. Sie konnten mir nichts antun.

F: Waren diese Leute weiterhin Ihre Freunde?

A: Wir trafen und zwar, aber die Freundschaft war weg. Sie drohten mir zwar immer wieder. Sie konnte mir aber nichts antun, weil mein Vater mich beschütze. Sie hatten Angst vor meinem Vater.

F: War das der Grund der Asylantragstellung?

A: Ja.

F: Wollen Sie Ihre Angaben näher ausführen?

A: Nein.

F: Konnten Sie den Dolmetscher bisher einwandfrei verstehen und haben Sie das Gefühl, dass dieser Ihre Angaben richtig und vollständig wiedergibt?

A: Ja.

F: Waren Sie in Nigeria jemals in Haft oder wurden Sie jemals festgenommen?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Nigeria jemals Probleme mit der Polizei oder mit einem Gericht?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Nigeria jemals aus religiösen oder ethnischen Gründen verfolgt?

A: Ja. Es gab das Problem mit den Moslems, die meinen Vater getötet haben.

F: Waren Sie in Nigeria Mitglied einer politischen Partei?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Nigeria jemals wegen Ihrer politischen Überzeugung verfolgt?

A: Nein.

F: Was befürchten Sie, im Falle der Rückkehr nach Nigeria erleiden zu müssen?

A: Ich bin homosexuell. Die Leute, die meinen Vater getötet haben, sind auch hinter mir her. Nachdem sie meinen Vater getötet haben und bevor ich das Land verlassen habe, wurden Videoaufnahmen gemacht. Mein Gesicht befindet sich auch auf einem Video.

F: Woher wissen Sie, dass Sie gefilmt wurden?

A: Manche Bilder wurden im Internet veröffentlich. Manche Bilder wurden in der Zeitung und im TV veröffentlicht.

F: Wollen Sie Länderinformationen über Nigeria ausgefolgt erhalten und dazu eine schriftliche Stellungnahme abgeben?

A: Nein.

F: Haben Sie alle Beweismittel vorgelegt?

A: Ich habe keine Beweismittel.

...

F: Wollen Sie weitere Gründe vorbringen? Beachten Sie das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren. Haben Sie noch allgemeine Fragen?

A: Nein.

Erklärung: Ihnen wird nun die Niederschrift rückübersetzt. Nach der Rückübersetzung haben Sie noch Gelegenheit, Ergänzungen und/oder Korrekturen vorzunehmen, falls dies erforderlich sein sollte.

F: Die Niederschrift wurde rückübersetzt. Wollen Sie etwas berichtigen und/oder ergänzen?

A: Nein. ...".

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. August 2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß "§ 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" sowie gemäß "§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" als unbegründet ab (Spruchpunkte I und II). Gemäß § 13 Absatz 2 Ziffer 1 Asylgesetz wurde überdies festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 7. März 2017 verloren hat (Spruchpunkt III).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 7. September 2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid

A) 1. Feststellungen

A) 1.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist volljährig und ledig, gesund und erwerbsfähig. Er ist Staatsangehöriger von Nigeria, Angehöriger der Volksgruppe der Ibo und christlichen Glaubens. Seit (mindestens) 5. Dezember 2013 hält sich der Beschwerdeführer in Österreich auf; er verfügt in Österreich über keine maßgeblichen privaten und über keine familiären Anknüpfungspunkte.

Feststellungen zu seiner Identität - vor allem zu seinem Namen und seinem Geburtsdatum - können nicht getroffen werden.

Der Beschwerdeführer bezieht in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX XXXX vom 28. März 2014 wurde der Beschwerdeführer wegen des Besitzes und des gewerbsmäßigen Verkaufes von Suchtmitteln nach § 27 Abs. 1 erster, zweiter und achter Fall, Abs. 2 und Abs. 3 SMG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt.

In Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und aufgrund der allgemeinen Lage im Land wird nicht festgestellt, dass er in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde. Im Übrigen wurden auch die Asylanträge der angeblichen Partner des Beschwerdeführers J. D. K. und N. M. bereits rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Dem Beschwerdeführer droht im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit kein ernsthafter Schaden, der durch das Verhalten des Staates oder von Dritten (Akteuren) verursacht wird oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgeht.

A) 1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Zur Lage in Nigeria werden folgende Feststellungen getroffen:

"Politische Lage

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten und einen Bundeshauptstadtbezirk sowie 774 Local Government Areas (LGA/Bezirke) untergliedert. Die Bundesstaaten werden von direkt gewählten Gouverneuren regiert (AA 21.11.2016; vgl. AA 4.2017a; vgl. GIZ 7.2017a). Die Bundesstaaten verfügen auch über direkt gewählte Parlamente (AA 4.2017a).

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog), und orientiert sich insgesamt am System der USA. Einem starken Präsidenten, der zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, und einem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber (AA 21.11.2016; vgl. AA 4.2017a). In der Verfassungswirklichkeit dominiert die Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und die direkt gewählten Gouverneure. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität und häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Polizei und Justiz werden ebenfalls vom Bund kontrolliert (AA 21.11.2016).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich bei den meisten der ca. 50 kleineren Parteien an Führungspersonen. Loyalitäten gegenüber der eigenen ethnischen Gruppe bzw. gegenüber Personen gehen anderen Loyalitäten vor; entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 21.11.2016).

Die Wahlen von Präsident und Nationalversammlung 2015 und die seitdem stattgefundenen Wahlen der Gouverneur- und Landesparlamente in 31 von 36 Bundesstaaten haben die politische Landschaft in Nigeria grundlegend verändert. Die seit 2013 im All Progressives' Congress (APC) vereinigte Opposition gewann neben der Präsidentschaftswahl eine klare Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments und regiert nun auch in 23 der 36 Bundesstaaten. Die seit 1999 dominierende People-s Democratic Party (PDP) musste zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung stark geschwächt. Lediglich in den südöstlichen Bundesstaaten des ölreichen Niger-Deltas konnte sie sich als Regierungspartei behaupten (AA 21.11.2016).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 28.3.2015 besiegte der frühere Militärmachthaber und Kandidat der Opposition, Muhammadu Buhari, den bisherigen Amtsinhaber Goodluck Jonathan mit 54,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei diesen Wahlen, die von der internationalen Öffentlichkeit als beispielhaft für die Demokratie Afrikas gelobt wurden, kam es zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Nigerias zu einem demokratischen Machtwechsel (GIZ 7.2017a). Der APC gewann die Gouverneurswahlen in 20 von 29 Bundesstaaten. Er stellt in den 36 Bundesstaaten derzeit 24 Gouverneure, die PDP 11 und All Progress Grand Alliance (APGA) einen Gouverneur. Unter den 36 Gouverneuren ist weiterhin keine Frau. Die Wahlen vom März/April 2015 wurden sowohl in Nigeria als auch von internationalen Wahlbeobachtern trotz organisatorischer Mängel als im Großen und Ganzen frei und fair bezeichnet. Die Spitzenkandidaten Jonathan und Buhari hatten sich in einer Vereinbarung (Abuja Accord) zur Gewaltlosigkeit verpflichtet. Dies und die Tatsache, dass Präsident Jonathan seine Wahlniederlage sofort anerkannte, dürfte größere gewalttätige Auseinandersetzungen verhindert haben. Die Minister der Regierung Buhari wurden nach einem längeren Sondierungsprozess am 11.11.2015 vereidigt (AA 4.2017a).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein (AA 4.2017a).

Fast im ganzen Norden Nigerias ist das System der LGA kollabiert. Große Teile kamen unter Kontrolle von Milizen und lokalen "Strongmen", die den politischen und sozio-ökonomischen Raum ausfüllen. Dies führte zur Vertiefung lokaler und regionaler Missstände (BS 2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Nigeria - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 6.7.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Nigeria Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Nigeria.pdf, Zugriff 6.7.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (7.2017a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 2.8.2017

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete und keine Bürgerkriegsparteien (AA 21.11.2016). In drei Gebieten herrschen Unsicherheit und Spannungen: im Nordosten (islamistische Gruppe Boko Haram); im Middle Belt (v.a. im Bundesstaat Plateau); und im Nigerdelta (SBM 17.1.2017). Laut SBM Intel war Boko Haram im Jahr 2016 für 71 Vorfälle mit 1.240 Toten verantwortlich. Den Fulani-Hirten werden für das Jahr 2016 47 Vorfälle mit 1425 Toten zugeschrieben. Viehdiebstahl, welcher für viele Jahre an Bedeutung verloren hat, ist inzwischen für Hirten, die hauptsächlich von Fulani abstammen, ein Grund für Konflikte und Angriffe geworden. Bei zwölf Vorfällen von Viehdiebstahl sind 470 Menschen getötet worden. Die Ölkonflikte, die sich im Jahr 2016 im Nigerdelta zugetragen haben, haben sich auf die ölproduzierenden Bundesstaaten im Südwesten und Südosten verbreitet. Bei 32 Vorfällen wurden 97 Menschen getötet (SBM 17.1.2017).

Es besteht aufgrund wiederholter Angriffe und Sprengstoffanschläge militanter Gruppen (Boko Haram, Ansaru) derzeit ein sehr hohes Anschlagsrisiko insbesondere für Nord- und Nordostnigeria, einschließlich für die Hauptstadt Abuja. In mehreren Städten Nord- und Nordostnigerias finden immer wieder Gefechte zwischen Sicherheitskräften und militanten Gruppen statt. Angehörige der Sicherheitskräfte, Regierungsstellen, christliche Einrichtungen - aber auch Einrichtungen gemäßigter Moslems - sowie Märkte, Wohnviertel und internationale Organisationen sind Anschlagsziele der militanten Gruppen. Drohungen bestehen gegen moslemische Einrichtungen im Süden (BMEIA 24.7.2017).

Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die nördlichen Bundesstaaten Borno, Yobe, Adamawa, Bauchi und Gombe. Darüber hinaus wird auch von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten. Wegen des besonders hohen Entführungsrisikos wird außerdem von Reisen in die Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insb. Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom abgeraten (AA 24.7.2017). Auch das österreichische Außenministerium warnt vor Reisen in die Bundesstaaten Borno, Yobe, Adamawa, Plateau sowie den südlichen Landesteil von Bauchi und Kano. Mit Gewaltausbrüchen in allen zwölf nördlichen Bundestaaten ist jederzeit zu rechnen (BMEIA 24.7.2017). Das britische Außenministerium warnt zusätzlich noch vor Reisen in die Flussgegenden der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom und Cross River States sowie an die Grenze zu Niger im Bundesstaat Zamfara (UKFCO 24.7.2017).

Das österreichische Außenministerium hat für folgende Bundesstaaten eine partielle Reisewarnung ausgesprochen: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bayelsa, Delta, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Imo, Kaduna, Kano, Oyo, Ondo, Rivers, einschließlich Port Harcourt und die vorgelagerten Küstengewässer (BMEIA 24.7.2017). Das britische Außenministerium warnt vor unnötigen Reisen nach: Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia sowie an die Grenze zu Niger in Sokoto und Kebbi und die Trockengebiete von Delta, Bayelesa und Rivers (UKFCO 24.7.2017). In Nigeria können in allen Regionen meist kaum vorhersehbar lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe dafür sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist sind diese Auseinandersetzungen von kurzer Dauer (wenige Tage) und örtlich begrenzt (meist nur einzelne Orte, in größeren Städten nur einzelne Stadtteile) (AA 24.7.2017).

In Lagos kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen verschiedenen Ethnien, politischen Gruppierungen aber auch zwischen Militär und Polizeikräften (BMEIA 24.7.2017) bzw. zu Problemen (u.a. Mobs, Plünderungen) durch die sogenannten "Area Boys". Der Einsatz von Schlägertruppen und privaten Milizen zur Erreichung politischer oder wirtschaftlicher Ziele ist weit verbreitet (AA 21.11.2016).

Gemäß den Zahlen des Council on Foreign Relations für die Zeitspanne Jänner 2016 bis Juni 2017 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.097), Benue (754), Rivers (360), Zamfara (308) und Adamawa (201). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer relativ niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (3), Kebbi (7) und Sokoto (8) (CFR 2017). Laut OSAC besteht eine erhebliche terroristische Bedrohung vor allem in Nordnigeria. Boko Haram hat für die meisten terroristischen Aktivitäten die Verantwortung übernommen. In der gesamten Nigerdelta-Region greifen mehrere aufständische Gruppen gezielt die Infrastruktur und Mitarbeiter von internationalen Ölgesellschaften an. Viele Gebiete im südlichen Nigeria erleben aufgrund großer Armut, mangelnder Bildung, Jugendarbeitslosigkeit und bedeutender Inflation Unruhen verursacht durch Zivilisten (OSAC 4.7.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

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AA - Auswärtiges Amt (24.7.2017): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/NigeriaSicherheit.html, Zugriff 24.7.2017

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BMEIA - Außenministerium (24.7.2017): Reiseinformationen - Nigeria,

http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/nigeria-de.html, Zugriff 24.7.2017

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CFR - Council on Foreign Relations (2017): Nigeria Security Tracker, http://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 25.7.2017

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OSAC - Overseas Security Advisory Council (4.7.2017): Nigeria 2017 Crime and Safety Report - Abuja, https://www.osac.gov/pages/ContentReportDetails.aspx?cid=21604, Zugriff 25.7.2017

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SBM - SBM Intel (7.1.2017): A Look at Nigeria's Security Situation,

http://sbmintel.com/wp-content/uploads/2016/03/201701_Security-report.pdf, Zugriff 24.7.2017

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UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (24.7.2017): Foreign Travel Advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 24.7.2017

Nigerdelta

Das Nigerdelta, welches die Bundesstaaten Ondo, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Abia, Akwa Ibom und Cross River umfasst, sorgt mit seinen Öl- und Gasreserven für 95 Prozent der Exporterlöse Nigerias (DACH 2.2013; vgl. OP 22.6.2017).

Die Lage im Nigerdelta hat sich seit November 2016 wieder beruhigt, ist aber noch nicht vollständig stabil und bleibt volatil; die Bedrohung der dort angesiedelten Öl- und Gasförderung durch militante Gruppen und Piraten bleibt ein Risiko, ebenso wie die Verschlechterung der ökologischen Grundlagen der Region (AA 4.2017c). Es gab eine Reihe von Angriffen auf die Ölinfrastrukturen, so zum Beispiel übernahm im Mai 2016 die aufständische Gruppe Niger Delta Avengers die Verantwortung für mehrere Angriffe auf die Ölgiganten Chevron, Shell und Nigerian National Petroleum Company (N24 29.5.2016). Ende August 2016 gaben die Niger Delta Avengers bekannt, dass die Gruppe die Feindseligkeiten einstellt und zum Dialog mit der Regierung bereit sei (NW 30.8.2016). Die Delta Avengers haben mit ihren Angriffen aufgehört, um den Friedensgesprächen eine Chance zu geben. Allerdings hat sich eine neue Gruppe, die sich die "New Delta Avengers" nennen, gebildet (Reuters 14.6.2017; vgl. NW 29.6.2017). Der Vizepräsident, Yemi Osinbajo, hat dem Nigerdelta bereits mehrere Besuche abgestattet und sich dabei mit traditionellen Führern und lokalen Politikern getroffen, um die Lage zu besprechen (FT 9.4.2017).

Entführungen sind besonders häufig im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra. Politiker, Reiche und Ausländer waren die häufigsten Opfer (FH 1.2017).

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt gegenüber der Regierung durchzusetzen (AA 21.11.2016).

2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit dem Amnestieangebot für die Militanten im Niger-Delta eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Damit begannen wieder die Angriffe auf die Ölinfrastruktur und die Produktion brach ein. Die Regierung scheint vornehmlich auf eine militärische Lösung zu setzen (AA 21.11.2016). Mit dem Amnestieprogramm gingen Kriminalität und Gewalt im Süden zunächst merklich zurück. Allerdings steigen Kriminalität und Gewalt in letzter Zeit wieder an. Deshalb hat die Regierung Buhari im Februar 2016 beschlossen, das Ende 2015 ausgelaufene Amnestieprogramm um weitere zwei Jahre bis 2017 zu verlängern (AA 4.2017a).

Bei den bewaffneten Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelt es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen und der Staatsgewalt, als auch um Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Interessen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen. Abgelegene Gebiete im Nigerdelta sind bis heute teils unter Kontrolle von separatistischen und kriminellen Gruppen. Teile des unzugänglichen Gebiets stellen weiterhin einen weitgehend rechtsfreien Raum dar, in dem die Einflussmöglichkeiten staatlicher Ordnungskräfte begrenzt sind (AA 21.11.2016). Das UK Home Office berichtet, dass laut DefenceWeb eine Joint Task Force (JTF) 2013 eingerichtet wurde, um den Terrorismus und andere Bedrohungen im Nigerdelta zu bekämpfen (UKHO 8.2016a). Die JTF, auch Operation Pulo Shield genannt, wurde im Juni 2016 umstrukturiert und mit der neuen Operation Delta Safe ersetzt, damit die derzeitigen Sicherheitsprobleme im Nigerdelta angegangen werden können (PT 22.6.2016; vgl. auch NT 9.7.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017c): Nigeria - Wir

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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