TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/28 W199 2166064-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.12.2018
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Entscheidungsdatum

28.12.2018

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §22 Abs1
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
AVG §73 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W199 2166064-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Syrien, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend den am 30.12.2015 gestellten Antrag auf internationalen Schutz sowie über diesen Antrag auf internationalen Schutz nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.10.2018 zu Recht erkannt:

A)

Dem Antrag wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der - damals minderjährige - Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 30.12.2015 den Antrag, ihm internationalen Schutz zu gewähren (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet). Begründend gab er dazu bei seiner Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Polizeiinspektion Kufstein) am selben Tag an, in Syrien herrsche Krieg; in seinem Heimatort XXXX fänden Kämpfe statt. Sein Vater habe ihn zu seinem Onkel nach Österreich geschickt, damit er hier sicher sei.

Mit Beschluss vom 25.5.2016 betraute das Bezirksgericht Kufstein das Land Tirol als Jugendwohlfahrtsträger mit der Obsorge für den Beschwerdeführer.

Am 3.5.2017 brachte der Beschwerdeführer, vertreten durch diesen gesetzlichen Vertreter, eine Säumnisbeschwerde ein, die sich inhaltlich nur mit der Säumnis, nicht aber mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers beschäftigt. Mit Schreiben vom 26.7.2017 (beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 31.7.2017) legte das Bundesamt die Säumnisbeschwerde vor. Im Vorlageschriftsatz führte es aus, eine Erledigung innerhalb der dreimonatigen Frist könne nicht getroffen werden.

2. Am 31.10.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der nur der - mittlerweile volljährige - Beschwerdeführer als Partei teilnahm und der ein Dolmetscher für die arabische Sprache beigezogen wurde. Das Bundesamt hatte auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichtet. An der Verhandlung nahm auch eine Vertreterin teil. Das Bundesverwaltungsgericht erhob Beweis, indem es den Beschwerdeführer in der Verhandlung vernahm und - außer den Akten des Verfahrens - folgende Unterlagen einsah, die auch in der Verhandlung erörtert wurden:

* Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Syrien (25.1.2018)

* United States Department of State, Syria. Country Reports on Human Rights Practices 2015 (13.4.2016)

* UNHCR, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen. 4., aktualisierte Fassung (November 2015)

* UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen. Syrien:

Militärdienst (30.11.2016)

* UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Syria. "Illegal Exit" from Syria and Related Issues for Determining the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Syria (Feber 2017)

Die Vertreterin des Beschwerdeführers überreichte eine schriftliche Stellungnahme, in der ua. auf die zu befürchtende Einberufung zum Militärdienst verwiesen wird.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Situation in Syrien wird festgestellt:

1.1.1. Politische Lage

Seit 2011 herrscht in Syrien Gewalt. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg mit unzähligen Milizen und Fronten geworden. Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen beherrschen verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten sie Regierungsstrukturen, auch irregulär aufgebaute Gerichte. Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter ihrer Kontrolle. Alleine das Gebiet, das unter kurdischer Kontrolle steht, wird auf etwa ein Viertel des Staatsgebietes geschätzt. Russland, der Iran, die libanesische Hizbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickt Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und hat außerdem begonnen, von syrischen Militärbasen aus Luftangriffe durchzuführen, die hauptsächlich auf Gebiete abzielen, welche die Rebellen beherrschen. Die von den USA geführte internationale Koalition führte Luftangriffe gegen Daesh (di. der Islamische Staat, IS, ISIS, ...) durch.

Präsident Bashar al-Asad regiert die Arabische Republik Syrien seit 2000. 2014 wurde er wiedergewählt. Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere, jedoch relativ unbekannte Kandidaten. Die Wahl wurde nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten abgehalten, sie wurde als undemokratisch bezeichnet.

Am 16.4.2016 fanden Parlamentswahlen statt. Die regierende Baath-Partei - die von der Verfassung als Regierungspartei vorgesehen ist - gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die Opposition bezeichnete auch diese Wahl, die auch nur in den von der Regierung beherrschten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" wurde gewählt. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, die unter kurdischer Kontrolle stehen ("Rojava"). Die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) hielt die kurdische Bevölkerung davon ab, sich an der Revolution zu beteiligen. Auf diese Weise konnte sich die syrische Armee auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. Die PYD bezeichnet das in den kurdischen Gebieten etablierte System als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischen Konföderalismus". Tatsächlich liegt die Macht bei der militärischen Führung. In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, damit legitimiert die Partei ihre Macht. In Gebieten, in denen sie neben Behörden der Regierung besteht, haben sich viele Institutionen entwickelt, dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten, in denen sie mehr Kontrolle hat, bleibt die Macht in ihrer Hand zentralisiert.

1.1.2. Sicherheitslage

Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die alle Städte und Regionen Syriens betrifft. Nahezu täglich werden landesweit Tote und Verletzte gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in vielen Orten zerfallen, das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch.

Nachdem die syrischen Truppen im Dezember 2016 Aleppo eingenommen hatten, zogen große Teile der regulären Armee ab; dadurch verschlechterte sich die Sicherheitslage, weil dadurch den Milizen freie Hand gelassen wurde. Im Juni 2017 unternahm die Regierung den Versuch, großflächig gegen die Milizen in Aleppo vorzugehen. Die Milizen sind ua. auch für eine steigende Zahl an Entführungen damit Lösegelderpressungen sowie für Morde verantwortlich.

Anfang November 2016 begann eine Offensive zur Rückeroberung der syrischen Daesh-Hochburg Raqqa. An der Offensive, die unter dem Namen "Wut des Euphrats" lief, waren etwa 30.000 Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer von den USA unterstützten kurdisch-arabischen Rebellenallianz, beteiligt, von denen ein Großteil von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gestellt wird. Am 17.10.2017 erklärten die SDF den Sieg über Daesh in Raqqa. Nach den monatelangen Kämpfen und den vielen Luftschlägen sind große Teile der Stadt zerstört, und die große Mehrheit der Bewohner ist in andere Gebiete geflohen. Im Oktober 2017 wurde die Stadt komplett evakuiert und im November kehrten einige wenige Leute nach Raqqa zurück. Das große Ausmaß an Zerstörung von Infrastruktur und Wohnungen führt zu schweren Mängeln in der Gesundheits- und Grundversorgung.

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der "Operation Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation wurde gestartet, um gegen Daesh und auch gegen die kurdischen Einheiten, die entlang der syrisch-türkischen Grenze aktiv sind, vorzugehen. Im März 2017 wurde Operation Euphrates Shield für erfolgreich beendet erklärt Im Oktober 2017 gab der türkische Präsident Erdogan eine neue Operation in der syrischen Provinz Idlib bekannt, deren Ziel es ist, die Ausbreitung von kurdischen und al-Qaida-Einheiten entlang der türkischen Grenze zu verhindern. Am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin. Erdogan kündigte außerdem an, auch Manbij angreifen zu wollen.

Die sog. Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppe stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen. Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist, sie unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen.

Im Mai 2017 unterzeichneten Russland, der Iran und die Türkei ein Abkommen, das die Einrichtung sog. Deeskalationszonen vorsieht. Weder die Regierung noch die Opposition unterzeichneten das Abkommen. Die Gruppe Jabhat Fatah ash-Sham (ehemals Jabhat al-Nusra) und Daesh sind von den Vereinbarungen ausgenommen. Nachdem die Zonen beschlossen wurden, begannen in Ost-Damaskus Deeskalationsmaßnahmen, jedoch wurde in dieser Gegend gleichzeitig ein Versöhnungsabkommen geschlossen. Das Ausmaß der Kampfhandlungen in den Provinzen Hama, Homs und Idlib blieb vorerst gleich oder stieg sogar an. Im September und Oktober 2017 intensivierte Russland die Luftschläge auf die Provinz Idlib, um Gruppen, die gegen das Regime eingestellt sind, dazu zu bewegen, ein Waffenstillstandsabkommen oder die Deeskalationszone zu akzeptieren. Von Russland unterstützte syrische Einheiten begannen Ende 2017 eine Offensive gegen Militante und ihre Verbündeten in Idlib.

Im November 2017 brachte die syrische Armee Deir ez-Zour, das zuvor von Daesh besetzt war, wieder unter ihre Kontrolle. Daesh verlor 2017 beinahe sein ganzes Territorium in Syrien und im Irak. Der russische Präsident Putin ordnete Mitte Dezember den Abzug eines "Großteils der russischen Truppen" aus Syrien an. Russland wird jedoch weiterhin eine ständige militärische Präsenz in Syrien unterhalten. Die achte Runde der UN-geführten Friedensverhandlungen in Genf brachte keine Ergebnisse. Die oppositionelle Verhandlergruppe erklärte, dass Asad nicht Teil einer Übergangslösung in Syrien sein könne, worauf die regierungstreue Delegation der Ansicht war, dass es nichts mehr zu verhandeln gebe.

Nach einem Rückgang in den Sommermonaten 2017 kommt es seit September 2017 wieder zu einem Anstieg der Zahlen ziviler Todesopfer.

1.1.3. Rechtsschutz; Justizwesen

1.1.3.1. Gebiete unter der Kontrolle des Regimes

Das Justizsystem besteht aus mehreren Gerichtstypen, darunter sind Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiöse Gerichte sowie ein Kassationsgericht. Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht; Scharia-Gerichte sind für sunnitische und schiitische Muslime zuständig, Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen. Für diese Gerichte gibt es auch eigene Berufungsgerichte. Nach manchen Personenstandsgesetzen wird die Scharia unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten angewandt. Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden sind in der Praxis jedoch oft politischen Einflüssen ausgesetzt. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem Kontext scheinen oft schon vorbestimmt zu sein.

Wenn Personen, von denen angenommen wird, dass sie Regierungsgegner sind, vor Gericht gebracht werden, so ist es wahrscheinlich, dass es sich dabei um das Anti-Terror-Gericht, das 2012 aufgebaut wurde, oder um ein Militärgericht handelt. Das Anti-Terror-Gericht hält sich in seiner Arbeitsweise nicht an grundlegende Bedingungen einer fairen Gerichtsverhandlung. Manchmal dauern die Verhandlungen nur wenige Minuten und "Geständnisse", die unter Folter gemacht wurden, werden als Beweismittel akzeptiert. Außerdem wird das Recht auf Rechtsberatung stark eingeschränkt. In Militärgerichten haben Angeklagte kein Recht auf einen Anwalt. Manchmal werden Angeklagte auch nicht über ihr Urteil informiert. In den ersten zweieinhalb Jahren seit seiner Errichtung soll das Anti-Terror-Gericht mehr als 80.000 Fälle behandelt haben.

1.1.3.2. Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes

In Gebieten, die oppositionelle Gruppen beherrschen, wurden unterschiedlich eingerichtete Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, die sich stark darin unterscheiden, wie sie organisiert sind und inwieweit sie sich an Rechtsnormen halten. Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere dem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, während wieder andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und von den dominanten bewaffneten Gruppen dieser Gebiete beeinflusst. Manchmal münden Gerichtsverhandlungen vor Gerichten der Opposition in öffentliche Hinrichtungen, ohne dass der Angeklagte hätte Berufung einlegen oder Besuch von seiner Familie erhalten können.

Daesh hat in den von ihm kontrollierten Gebieten seine strikte Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern sind Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch, Schmuggel oder Diebstahl zur Last gelegt wird oder die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden.

1.1.3.3. Gebiete unter kurdischer Kontrolle

In "Rojava" wurde die "Verfassung von Rojava" erstellt, die als "sozialer Vertrag" zwischen den Bürgern der kurdischen Gebiete beschrieben wird und eine parlamentarische Demokratie mit Pluralismus und gleichen Rechten für Männer und Frauen vorsieht. Es wurden Komitees gegründet, welche die Erhaltung des "sozialen Friedens" zum Ziel haben und Straftaten unter diesem Gesichtspunkt regeln. Die von der PYD geführte Verwaltung umfasst neben einer eigenen Polizei auch Gerichte, Gefängnisse, Ministerien und Gesetze. Für die Militärgerichtsbarkeit sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) verantwortlich. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung besteht, fordert die PYD die Bevölkerung dazu auf, sich bei den Institutionen der PYD zu registrieren, gleichzeitig müssen sich Bürger jedoch auch bei den örtlichen staatlichen Gerichten um offizielle Dokumente bemühen, da Dokumente der PYD vom syrischen Staat nicht anerkannt werden.

1.1.4.1. Sicherheitsbehörden und regimetreue Milizen

Die Regierung erhält die Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte aufrecht, kann jedoch jene über paramilitärische, nicht-uniformierte Pro-Regime-Milizen, die oft autonom und ohne Aufsicht oder Führung der Regierung arbeiten, nicht immer gewährleisten. Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden ist weit verbreitet. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann einen Haftbefehl im Fall von Verbrechen durch Militäroffiziere, Mitglieder der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffiziere (im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten) ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis ist keine rechtliche Verfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Missbrauchs und Korruption bekannt, die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und generell außerhalb des Gesetzes. Es gab 2016 keine Berichte von Aktionen der Regierung zur Reform der Sicherheitskräfte oder der Polizei. Die Shabbiha bzw. die NDF und andere paramilitärische Gruppen mit Verbindung zum Regime sind an Menschenrechtsverletzungen beteiligt, darunter auch an Massakern, willkürlichen Tötungen, Entführungen von Zivilisten, willkürlichen Festnahmen und Vergewaltigungen als Kriegstaktik. Die Einheiten, die auf der Seite der Regierung kämpfen, sind sehr vielfältig. Manche gehören regulären Streitkräften an, andere verschiedenen Milizen. Manche bestehen aus nicht mehr als ein paar Dutzend Männern, andere halten Tausende Männer unter Waffen und besitzen ihre eigenen Trainingscamps und Netzwerke. Auch Russland, der Iran, die libanesische Hizbollah und der Irak unterstützen die syrische Regierung, auch mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte.

1.1.4.2. Streitkräfte

Die Streitkräfte bestehen aus der Armee, der Marine und der Luftwaffe. Sie sind für die Verteidigung des nationalen Territoriums und den Schutz des Staates vor internen Bedrohungen verantwortlich. Vor dem Konflikt soll die syrische Armee eine Mannstärke von etwa 295.000 Personen gehabt haben. Sie kann das gesamte syrische Staatsgebiet nicht mehr unabhängig sichern. Sechs Jahre mit Überläufen zu den Regimegegnern, Desertionen und Verlusten durch den Konflikt haben die Mannstärke aus den Vorkriegszeiten stark dezimiert, sie wird für 2014 und 2015 auf 100.000 bis 175.000 Mann geschätzt, großteils mangelhaft ausgerüstete und trainierte Wehrdiener.

Der Aufbau der syrischen Armee basiert auf dem sog. Quta'a-System. Dabei wird jeder Division ein bestimmtes Gebiet zugeteilt. Es verbindet jeden Sektor (quta'a) mit einer Division und somit Karriere und Leben eines Offiziers mit einer Armee-Division und dem dazugehörigen Gebiet. Im Zuge des Konfliktes hat das Regime jedoch loyale Einheiten in größere Einheiten eingebaut, um eine bessere Kontrolle auszuüben und ihre Effektivität im Kampf zu verbessern.

1.1.4.3. Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste

Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste. Der Militärische Nachrichtendienst, der Luftwaffennachrichtendienst und das Direktorat für Politische Sicherheit unterstehen dem Innenministerium. Das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat untersteht direkt dem Präsidenten. Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken Stimmen innerhalb Syriens, die vom Regime abweichen. Die größeren Organisationen haben ihre eigenen Gefängniszellen und Verhörzentren.

Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe von Techniken, um Syrer einzuschüchtern oder sie dazu zu bringen, dass sie den Vorstellungen der Sicherheitskräfte entsprechend handeln. Dazu gehören Angebote von lukrativen und prestigeträchtigen Positionen oder anderen Belohnungen, jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikane von Einzelpersonen und/oder ihren Familienmitgliedern, die Androhung von Inhaftierung (ohne Anklage), Verhör und Haftstrafen nach langen Gerichtsverhandlungen. Die bürgerliche Gesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte, aber auch andere Gruppen und Einzelpersonen müssen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen.

1.1.4.4. Polizei

Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen von Polizeikräften: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Polizei gegen Unruhen.

1.1.4.5. Shabbiha-Milizen und Volkskomitees

Die Shabbiha sind bewaffnete Milizen, welche die regierende Baath-Partei unterstützen und der Asad-Familie treu sind. Sie kämpfen, um die Opposition zu unterdrücken und sich zu bereichern. Sie wurden in den 1970er Jahren in der Gegend von Latakia gegründet und bestanden aus einem Schmugglernetzwerk. 2000 wurden sie von Bashar al-Asad aufgelöst, 2011 nahmen sie ihre Tätigkeit wieder auf. Sie bestehen aus etwa 10.000 Mitgliedern und gehen skrupellos gegen die Opposition vor.

Zu Beginn des Konfliktes 2011 wurden außerdem die sogenannten Volkskomitees spontan gegründet oder von Nachrichtendiensten oder Pro-Asad-Geschäftsmännern als Gegenstück zur Mobilisierung oppositioneller Demonstranten rekrutiert. Die Volkskomitees, die anfangs nur ihre Nachbarschaften nach Zeichen des Widerstandes überwachen und Demonstrationen auflösen sollten, entwickelten sich mit der Zeit zu lokalen Autoritäten und später zu bewaffneten Milizen, nachdem der Staat an Macht verlor und die Opposition militarisiert wurde. Diese Milizen wurden von der Opposition häufig als "Shabbiha" bezeichnet.

1.1.4.6. Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF)

Die Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF) sind eine Schirmorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und paramilitärische Gruppen, die sich erstmals 2013 organisierte. Sie wurden aus kriminellen Gruppen, Shabbiha und Volkskomitees, die lokal organisiert sind, gegründet und dienen dem Regime und der Armee. Der Iran und die libanesische Hizbollah spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der NDF nach dem Vorbild der iranischen paramilitärischen Basij-Einheiten. Diese Gruppen nehmen am bewaffneten Konflikt teil. Sie nehmen Personen fest, die sie der Unterstützung der Opposition verdächtigen, inhaftieren und foltern sie. Die Kämpfer der NDF gelten als regimetreuer als die wehrdienstleistenden Soldaten der syrischen Armee. Ihre Arbeit variiert je nach Gebiet, und manche Gruppen sind disziplinierter als andere. Es gibt Gruppen, die zu den NDF gehören und auf Religionszugehörigkeit basieren, zB christliche oder alawitische Gruppen. Als dezidiert Freiwillige sind Angehörige der NDF bei Rebellen verhasster als reguläre Soldaten, die unter Umständen zwangsrekrutiert worden sind, deshalb laufen NDF-Mitglieder noch größere Gefahr, bei Gefangennahme getötet zu werden.

Ihre genaue Mannstärke ist nicht bekannt, Schätzungen aus 2016 schwanken zwischen 60.000 und 100.000 Personen. Die NDF sind auf Grund aktueller Entwicklungen, darunter der Gründung des Fünften Korps der syrischen Streitkräfte, in einem Zustand der Zersplitterung und Fragmentierung. Die Gründung des Fünften Korps sollte ua. auch dazu dienen, eine einsatzfähige Einheit unter Kontrolle der syrischen Armee zu bilden und dabei die NDF aufzulösen, weil die NDF für Plünderungen, Terrorisierung der Bevölkerung und Schutzgelderpressungen bekannt sind. Die organisatorischen Strukturen zwischen NDF und der syrischen Armee und anderen regulär bewaffneten Gruppen sind schwer zu definieren. Manchen Berichten zufolge operieren die NDF unter dem Kommando der syrischen Armee, dabei erhalten sie Informationen und die taktische Führung von der Armee, in anderen Fällen können die Hizbollah und iranische Einheiten spezielle NDF-Kader trainieren und befehligen.

1.1.4.7. Ausländische Kämpfer bzw. Angehörige ausländischer Streitkräfte auf der Seite des Regimes

Zusätzlich zu den lokalen Pro-Regime-Milizen gibt es va. seit 2013 einen stetigen Zustrom ausländischer schiitisch-islamistischer Kämpfer, die vom Iran und den mit ihm verbündeten regionalen paramilitärischen Gruppen unterstützt und trainiert werden. Der Iran führt eine Koalition von beinahe 30.000 Kämpfern. Sie bestehen aus mindestens 7000 iranischen und etwa 20.000 ausländischen Kämpfern, darunter 6000 bis 8000 Mann der libanesischen Hizbollah, 4000 bis 5000 irakische schiitische Milizionäre und 2000 bis 4000 afghanische schiitische Kämpfer. Diese Zahlen enthalten jedoch nicht die lokalen paramilitärischen Gruppen, die vom Iran in Syrien unterstützt werden. Diese Koalition stellt einen unverhältnismäßigen Anteil der einsatzfähigen Infanterie, die in größeren Operationen zu Gunsten der Regierung eingesetzt wird. Der Iran hat eine hoch entwickelte Infrastruktur aufgebaut, um diese Einheiten zu trainieren, auszurüsten, zu verwalten und in der Region seinen eigenen strategischen Prioritäten entsprechend einzusetzen. Iranische Einheiten übernahmen wichtige Operationen, was zu "Säuberungen, Exekutionen und Versetzungen" von niedrigrangigen syrischen Offizieren führte und auch ranghöhere Offiziere betraf, die sich gegen die Ausweitung des iranischen Einflusses wehrten.

Russland zählt ebenfalls zu den Verbündeten Asads und unterstützt die syrische Regierung militärisch, so auch mit fortschrittlicher Waffentechnologie, Unterstützung der syrischen Luftwaffe und russischen Spezialeinheiten.

1.1.5. Folter und unmenschliche Behandlung

Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit. Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren. Folter und andere Misshandlungen nutzt das Regime schon seit Jahrzehnten, um Widerstand zu unterdrücken. Das Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten. Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch Minderjährigen sind weit verbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt. Manche Folteropfer werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter. Das syrische Regime stellt falsche Totenscheine aus, offenbar um die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern.

Rebellengruppen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von tatsächlich oder vermeintlich Andersdenkenden und Rivalen. Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie seien Mitglieder regierungstreuer Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel. Auch Daesh misshandelt, foltert und bestraft Menschen brutal. Er bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen.

Aus Berichten der unabhängigen UN-Untersuchungskommission und mehrerer Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass die Streitkräfte der syrischen Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Vernichtung, Folter, Vergewaltigung, Zwangsverschleppungen und andere unmenschliche Akte begehen. Willkürliche und unverhältnismäßige Luftangriffe, ua. mit Streumunition, Fassbomben, Chlorgas und Artilleriebeschuss, fordern eine hohe Anzahl ziviler Opfer, zerstören ganze Stadtviertel und verbreiten Terror unter der Zivilbevölkerung in Gebieten, die von oppositionellen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden.

1.1.6. Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International lag Syrien 2015 auf Platz 173 von 176 untersuchten Ländern. Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für Korruption vor, die Regierung hat die Regelungen jedoch nicht effektiv durchgesetzt. Beamte üben regelmäßig korrupte Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist ein allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Regierung und anderen Behörden. Milizen verlangen zB Bestechungsgelder für das Passieren von Straßensperren, die sie kontrollieren. In der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung, und es ist möglich, durch Bestechung eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten. Korruption war bereits vor dem Bürgerkrieg weit verbreitet und beeinflusste das tägliche Leben der Syrer. Bürger müssen häufig Bestechungsgelder zahlen, um bürokratische Angelegenheiten abschließen zu können. Seit der Krieg ausgebrochen ist, vermeiden Syrer, die Verfolgung durch den Staat befürchten, den Kontakt zu offiziellen Institutionen. Stattdessen müssen sie - zB im Falle wichtiger Dokumente - auf den Schwarzmarkt zurückgreifen. Rebellen, Daesh und kurdische Einheiten erpressen ebenfalls Unternehmen und konfiszieren privates Eigentum in unterschiedlichem Ausmaß.

1.1.7. Allgemeine Menschenrechtslage

1.1.7.1. Es wird geschätzt, dass seit dem Beginn der Revolution 2011 bis Mitte 2017 etwa 475.000 Personen getötet worden sind. Regimeeinheiten führten weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in Haft starben. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben, Artillerie und Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte. Die staatlichen Sicherheitskräfte halten Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. - Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen.

Auch aufständische Gruppen begehen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Festnahmen, Folter und Exekutionen von Leuten, die als politisch Andersdenkende wahrgenommen werden, und an Rivalen. Daesh begeht systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, die auch auf Zivilisten abzielen. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen, Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt. Frauen erleben willkürliche und schwere Bestrafungen, auch Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des Daesh entsprechend kleiden.

Daesh-Kämpfer begehen Exekutionen gefangengenommener Zivilpersonen, Regierungssoldaten, Angehörigen rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffender.

Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet.

1.1.7.2. Todesstrafe

Die Todesstrafe ist für verschiedene Verbrechen in Kraft. Zahlreiche Todesurteile wurden durch das Anti-Terrorgericht und Militärgerichte oftmals in mangelhaften Gerichtsverfahren verhängt.

1.1.7.3. Religionsfreiheit

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, die Verfassung sieht jedoch vor, dass der Präsident Muslim sein muss.

Die Religionszugehörigkeit einer Person wird nicht auf der Identitätskarte vermerkt, muss jedoch beim Zivilregister registriert werden. Es ist nicht möglich, "keine Religion" zu haben. Das Gesetz schränkt Missionierung und Konversionen ein. Es verbietet die Konversion vom Islam zu anderen Religionen, erkennt die Konversion zum Islam jedoch an. Das Strafgesetz verbietet auch "das Verursachen von Spannungen zwischen religiösen Gemeinschaften". Ein zum Islam konvertierter Erwachsener kann nicht zu seinem ursprünglichen Glauben zurück konvertieren.

Nach Schätzungen der US-Regierung stellen die Sunniten 74 % der Bevölkerung. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Schiiten, machen zusammen 13 % aus, die Drusen 3 %. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10 %. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jeziden. Diese Zahl könnte auf Grund des Zuzugs von Jeziden, die aus dem Irak nach Syrien flüchteten, mittlerweile höher sein.

Am Beginn des Konfliktes waren Angriffe auf Minderheiten kein zentraler Bestandteil des Krieges. Die Handlungen des Regimes haben jedoch dazu beigetragen, dass die konfessionelle Dimension des Konfliktes eskalierte.

Die syrische Regierung und die mit ihr verbündeten schiitischen Milizen töten, verhaften und misshandeln Sunniten und Mitglieder bestimmter Minderheiten physisch, als Teil der Bemühungen, den bewaffneten Aufstand oppositioneller Gruppen niederzuschlagen. Das Regime wandte Taktiken an, die darauf abzielten, die extremsten Elemente der sunnitisch-islamistischen Opposition zu stärken, um den Konflikt dahingehend zu formen, dass er als ein solcher gesehen wird, in dem eine religiös moderate Regierung einer religiös extremistischen Opposition gegenübersteht. Die Revolution wurde somit mit der sunnitischen Bevölkerung assoziiert, die Regierung zielte auf Städte und Nachbarschaften mit Belagerung, Beschuss und Luftangriffen auf Basis der Religionszugehörigkeit der Bewohner ab. Während sich Rebellen in Stellungnahmen und Veröffentlichungen ausdrücklich als sunnitische Araber oder sunnitische Islamisten identifizieren und eine Unterstützerbasis haben, die fast nur aus Sunniten besteht, und dadurch das Abzielen der Regierung konfessionell motiviert erscheint, merkten Beobachter jedoch an, dass es zweifellos auch andere Motivationen für die Gewalt gab. Experten argumentierten, dass Gewalt auf beiden Seiten oft religiös motiviert sei. Auch Daesh ist für Menschenrechtsverletzungen Sunniten gegenüber verantwortlich. Dies führte dazu, dass manche Mitglieder religiöser Minderheiten die Regierung Präsident Asads als ihren einzigen Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen. Gleichzeitig sehen sunnitische Araber viele der syrischen Christen, Alawiten und Schiiten auf Grund ihrer fehlenden Unterstützung oder Neutralität gegenüber der syrischen Revolution als Verbündete der syrischen Regierung an. Die Minderheiten sind zwischen den konfessionellen Spannungen gefangen und in ihrer Loyalität gespalten. Viele entschieden sich dafür, das Regime zu unterstützen, da sie sich Schutz durch die syrische Regierung erhoffen, während andere Mitglieder von Minderheiten auf der Seite der Opposition stehen. Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Asad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär. Nichtsdestoweniger werden auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer willkürlicher Verhaftungen, von Folter, Haft und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden außerdem zu Opfern von Angriffen aufständischer extremistischer Gruppen.

Infolge des Aufstiegs und der Verbreitung extremistischer bewaffneter Gruppen seit 2014 werden Minderheiten vermehrt Menschenrechtsverletzungen durch deren Kämpfer ausgesetzt. Gruppen wie Daesh oder Jabhat Fatah al-Sham setzen Minderheiten Angriffen und Unterdrückung ihrer Religionsfreiheit aus und bestrafen jene hart, die gegen ihre Kontrolle sind. In Gebieten, die Daesh kontrolliert, wurden Christen gezwungen, eine Schutzsteuer zu zahlen oder zu konvertieren, oder sie liefen Gefahr, getötet zu werden. In Raqqa hielt Daesh Tausende jezidische Frauen und Mädchen gefangen, die im Irak entführt und nach Syrien verschleppt worden waren, um sie zu verkaufen oder an seine Kämpfer als Kriegsbeute zu verteilen.

Jabhat Fatah al-Sham und einige verbündete Rebellengruppen zielen im Norden des Landes mit Bomben und Selbstmordattentaten auf Drusen und Schiiten ab, laut Jabhat Fatah al-Sham eine Reaktion auf das "Massaker an Sunniten" durch die Regierung. Oppositionelle Gruppen entführen Mitglieder religiöser Minderheiten. Da sich die Motive politischer, ethnischer, konfessioneller und religiöser Gewalt überschneiden, ist es schwierig, Übergriffe als lediglich religiös motiviert zu kategorisieren.

1.1.8. Bewegungsfreiheit

Die steigende Anzahl an Checkpoints der verschiedenen bewaffneten Konfliktparteien, die schweren Kämpfe und die generell unsichere Lage im Land schränken die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung und den Transport lebensnotwendiger Güter stark ein. Das syrische Regime blockiert systematisch Regionen, die von den Rebellen beherrscht werden, die Rebellen und Daesh wenden dieselbe Taktik auf von der Regierung beherrschte Gebiete an. In Gebieten unter ihrer Herrschaft beschränken Daesh und andere Regierungsgegner die Bewegungsfreiheit von Unterstützern der Regierung bzw. von Personen, von denen dies angenommen wird. Dies gilt besonders für die alawitische und schiitische Bevölkerung.

Das syrische Regime setzt Scharfschützen ein, um Sperrstunden durchzusetzen oder Zivilisten an der Flucht aus belagerten Städten zu hindern.

Die syrische Regierung verweigert die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten auf Grund der politischen Einstellung einer Person, ihrer Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert. Das Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum. Über Menschenrechtsaktivisten oder andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, deren Familien oder Bekannte werden häufig Ausreiseverbote verhängt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt.

In Gebieten, die von der Opposition kontrolliert werden, funktionieren Institutionen, die Identitätsdokumente ausstellten, nicht mehr. In Gebieten, die von der Regierung beherrscht werden, gibt es diese Institutionen noch, für manche Syrer ist es jedoch unmöglich geworden, sie zu erreichen. So können manche Personen Geburten, Eheschließungen oder Todesfälle nicht mehr eintragen lassen und sich keine neuen Identitätsdokumente ausstellen lassen. Infolge des Bürgerkrieges sind auch die Kontrollmaßnahmen schwächer geworden. So werden "echte" Dokumente mit falschen Namen oder geänderten Informationen ausgestellt. Außerdem werden vermehrt gefälschte Dokumente benutzt.

1.1.9. Grundversorgung und Wirtschaft

Die syrische Wirtschaft verschlechtert sich weiterhin im Zuge des Konfliktes und schrumpfte zwischen 2010 und 2016 um mehr als 70 %.

Aktuelle Wirtschaftsdaten sind praktisch nicht verfügbar oder sehr mit Vorsicht zu beurteilen. Der fehlende Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Unterkunft und Nahrung verschärfte die Auswirkungen des Konfliktes weiter und drängte Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit und Armut. Die Hauptursachen für Armut sind der Verlust von Eigentum und Arbeitsplatz, der Verlust des Zugangs zu grundlegenden Leistungen, einschließlich solchen des Gesundheitswesens, und zu sauberem Wasser und steigende Lebensmittelpreise. 2015 lebten 83,4 % der Syrer unter der Armutsgrenze, 50 % in extremer Armut. 13,5 Mio. Menschen sind in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Das Bildungssystem wurde durch die Beschädigung von Einrichtungen und die Nutzung von Schulen als militärische Einrichtungen stark beeinträchtigt. Fast 1,75 Mio. Kinder erhalten keine Schulbildung, 7400 Schulen, also etwa ein Drittel der Schulen landesweit, wurden beschädigt, zerstört oder anderweitig unzugänglich.

1.1.10. Medizinische Versorgung

Die Gesundheitsversorgung hat sich in Syrien durch den andauernden Konflikt dramatisch verschlechtert. Eine ausreichende Versorgung kann nur in einigen vom Regime gehaltenen Gebieten sichergestellt werden, doch auch hier kann es zu gravierenden Einschränkungen kommen.

1.1.11. Wehr- und Reservedienst, Wehrdienstverweigerung und Desertion

1.1.11.1. Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Für männliche Syrer und für Palästinenser, die in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten. Männliche palästinensische Flüchtlinge im Alter von 18 bis 42 Jahren, die vor 1956 bei der General Administration for Palestine Arab Refugees (GAPAR) registriert waren, und ihre Nachkommen müssen den verpflichtenden Wehrdienst bei der Palästinensischen Befreiungsarmee (PLA), einer Einheit der syrischen Streitkräfte, ableisten. Für sie gelten die gleichen Voraussetzungen für den Wehrdienst wie für Syrer.

Laut Gesetz sind junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder man muss ihn durch Tätigkeiten ableisten, die nicht mit der Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. einem Kampfeinsatz verbunden sind. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, solche mit höherer Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.

Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zur Zeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um möglichst zu verhindern, dass die potentiellen Rekruten untertauchen. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus des Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen, ansonsten wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe. Es gibt immer wieder Razzien. So wurden vor einem Einkaufszentrum in Damaskus alle wehrfähigen Männer eingesammelt und rekrutiert. Auch ein "Herauspflücken" bei einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter kann rekrutiert werden. Berichten zufolge besteht auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, im Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein. Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, im Radio oder in der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden.

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob sie ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn dies der Fall ist, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden.

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Novelle zum Militärdienstgesetz, die besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben und die auch nicht aus anderen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8000 US-Dollar oder das Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung müssen sie innerhalb von drei Monaten nach Erreichen der Altersgrenze leisten, ansonsten drohen ihnen eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 US-Dollar für jedes Jahr, um das sich die Zahlung verzögert. Außerdem kann das bewegliche und unbewegliche Vermögen konfisziert werden.

Gemäß Art. 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen Berichte vor, wonach die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn der Betreffende besondere Qualifikationen hat. Manche Personen werden zum Reservedienst einberufen, andere wiederum nicht. Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde. Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert. Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird.

Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden oder ihn aufschieben. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, die Situation in der Praxis ist jedoch anders. Es gibt nun weniger Befreiungen und Aufschübe. Generell werden die Regelungen nun strenger durchgesetzt, außerdem gibt es Gerüchte, dass Personen trotz einer Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert werden. Das Risiko der Willkür ist immer gegeben.

Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, in den letzten zwei Jahren wird der Status von Studenten aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von ihnen verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. So gab es eine Änderung bezüglich des Aufschubs auf Grund eines Lehramtsstudiums. Zuvor war es möglich, einen Aufschub des Wehrdienstes zu erwirken, wenn man ein Lehramts-Masterstudium begann, unabhängig davon, welches Bachelor-Studium man zuvor absolviert hatte. Dieser Aufschubgrund funktioniert nun nur noch, wenn man auch den Bachelorabschluss im Lehramtsstudium gemacht hat. Es gibt Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, das kann jedoch nicht als einheitliche Praxis betrachtet werden, sondern ist schlicht Willkür. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, das schützt aber nicht davor, im Zuge des aktuellen Konfliktes trotzdem eingezogen zu werden. Es gibt ein Gesetz, das syrischen Männern, die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben, gegen Zahlung eines Bußgeldes die Befreiung vom Militärdienst ermöglicht. Diese Gebühr wurde von 5000 US-Dollar auf 8000 US-Dollar erhöht.

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin den Kriegsdienst verweigern, muslimische Führer müssen dazu eine Abgabe zahlen. Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein. Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen. Hierzu gab es bereits Ende 2016 ein Dekret, das jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Ministerpräsidenten, laut der "die Anstellung von jenen beendet werden soll, die den verpflichtenden Wehrdienst oder den Reservedienst vermeiden". Dieser Direktive folgten bereits Entlassungen; es ist nicht bekannt, in welchem Ausmaß. Gerade auch in alawitischen Gebieten gibt es eine Verbindung zwischen Staatsangestellten und der Notwendigkeit der Erfüllung bürgerlicher Pflichten.

Es liegen aktuell keine Informationen zu Entlassungen von Soldaten aus dem Militärdienst vor, es ist jedoch möglich, dass dies trotzdem vorkommt. Viele Männer haben Angst, nicht mehr aus dem Dienst entlassen zu werden, wenn sie einmal eingezogen werden. Manche, die den verpflichtenden Wehrdienst bereits abgeleistet haben, werden wieder zum Dienst einberufen, oder der Dienst mancher Männer wird einfach verlängert. Es gibt Männer, die seit dem Beginn der Revolution 2011 in der Armee sind.

1.1.11.2. Wehrdienstverweigerung/Desertion

Seit Jahren versuchen immer mehr Männer, sich der Rekrutierung zu entziehen, indem sie zB das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden. Die Rekrutierung männlicher Syrer findet nach wie unvermindert statt.

Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte desertierter syrischer Soldaten, die gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden.

Über die Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden. Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster. Die Regierung betrachtet Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen terroristische Bedrohungen zu schützen.

Desertion wird in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Für Deserteure, die außer Landes geflohen sind, sieht das Gesetz eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vor. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen, in schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt. In vielen Fällen erwartet Deserteure aber der Tod. Möglicherweise werden sie inhaftiert, befragt und gefoltert. Die gängige Vorgehensweise ist, Deserteure nicht zurück an die Front zu schicken, sondern sie zu töten. Berichten zufolge werden sie an Ort und Stelle erschossen. Für "desertierte", vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen.

Syrische Männer müssen sich bei ihrer Rekrutierungsstelle melden, wenn sie das Einberufungsalter erreichen. Tun sie das nicht, so können sie von der Militärpolizei verhaftet und wegen Wehrdienstverweigerung nach dem Militärstrafgesetz bestraft werden. Es gibt kein Recht auf Befreiung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen. Wehrdienstverweigerer, die sich nicht innerhalb von 30 Tagen nach dem vorgeschriebenen Termin melden, können zu Haftstrafen von einem bis zu sechs Monaten (in Friedenszeiten) verurteilt werden und haben den regulären Wehrdienst zu leisten. Melden sie sich innerhalb der 30 Tage freiwillig, dann wird die Strafe um die Hälfte reduziert. In Kriegszeiten beträgt die Strafe bis zu fünf Jahren, abhängig von den Umständen.

Die Regierung hält Wehrdienstverweigerung nicht nur für eine strafbare Handlung, sondern auch für den Ausdruck einer abweichenden politischen Meinung und des Unwillens, das Heimatland gegen terroristische Bedrohungen zu verteidigen. In der Praxis werden Wehrdienstverweigerer verhaftet und für eine Zeit angehalten, bevor sie ihrer militärischen Einheit überstellt werden. Während der Anhaltung laufen sie Gefahr, gefoltert oder in anderer Weise misshandelt zu werden. Die Regierung soll auch Leute verhaftet haben, um ihre Angehörigen im Wehrdienstalter unter Druck zu setzen, damit sie den Wehrdienst leisten.

Nach Berichten ist es nicht klar, wie man von der Verpflichtung erfährt, sich zum Wehrdienst zu melden, oder wie lange es dauert, bis der Betroffene zur Anhaltung (zB bei Checkpoints) ausgeschrieben wird. Es soll sogar - zumindest in einigen Fällen - vorgekommen sein, dass Männer bei Checkpoints festgenommen und zum Wehrdienst verpflichtet worden sind, die nicht einberufen worden waren. Da die Regierung ihre militärischen Kapazitäten erhöhen möchte, hat sie nach Berichten ihre Bemühungen zur Einberufung und Mobilisierung von Reservisten in Gebieten unter ihrer Herrschaft verstärkt, auch an festen oder mobilen Checkpoints, bei Razzien, Hausdurchsuchungen und der Durchsuchung öffentlicher Verkehrsmittel. Auch jüngere Burschen, die wie 18 Jahre alt aussehen, sollen an Checkpoints angehalten worden sein. Viele Männer im Einberufungs- oder Reservistenalter sollen sich verstecken oder das Land verlassen zu haben, aus Angst, an Checkpoints belästigt und eingezogen zu werden.

Männer im wehrpflichtigen Alter dürfen das Land nur mit Erlaubnis der Rekrutierungsstelle verlassen.

Da der Bedarf an Rekruten immer mehr wächst, werden die Regeln, die den Wehrdienst betreffen, immer willkürlicher angewandt, va. was Aufschubs- und Ausnahmeverfahren betrifft. Die Regierung soll für den Wehrdienst auch in stärkerem Ausmaß auf früher "geschützte" Teile der Bevölkerung zurückgreifen, wie auf Studenten, Beamte und Gefangene.

Seit 2011 hat Präsident Asad eine Reihe von Amnestien für Mitglieder der bewaffneten Opposition, Wehrdienstverweigerer und Deserteure erlassen, die sie von Strafe freistellten, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Zeit meldeten. Am 17.2.2016 erließ er das Dekret Nr. 8, das Wehrdienstverweigerern und Reservisten eine allgemeine Amnestie gewährte. Es gibt keine Information, ob und wie diese Dekrete umgesetzt worden sind oder wie viele Wehrdienstverweigerer seit 2011 von solchen Amnestien profitiert haben. Das Dekret Nr. 8 vom 17.2.2016 gewährt auch Deserteuren eine Amnestie; dazu müssen sie sich, wenn sie sich in Syrien aufhalten, innerhalb von 30 Tagen stellen, wenn sie im Ausland sind, innerhalb von 60 Tagen.

Es gibt Berichte, wonach Männer, die sich zu schießen weigerten, die desertierten oder die verdächtigt wurden, ihre Desertion zu planen, nicht förmlich beschuldigt wurden, sondern unmittelbar getötet oder willkürlich in Haft genommen, in Einzelhaft gehalten und gefoltert und getötet wurden. Andere sollen zu ihrer Einheit zurückgeschickt worden sein.

1.1.11.3. Die Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF)

Die Rekrutierung zu den NDF geschieht im Allgemeinen auf freiwilliger Basis, Mitglieder schließen sich den NDF vorwiegend aus finanziellen Gründen an oder um ihre Gebiet zu schützen. Es kann auch sozialer Druck herrschen, sich ihnen anzuschließen. Rekruten der NDF bekommen einen Identitätsausweis.

1.1.11.4. Rekrutierung durch andere nicht-staatliche Gruppen

Zwangsrekrutierung per se durch nicht-staatliche Milizen ist nicht dokumentiert, aber Nötigung und sozialer Druck, sich den Milizen anzuschließen, sind in Gebieten ein Problem, die von oppositionellen Gruppen gehalten werden. Oppositionsgruppen haben ihre eigenen Vorgangsweisen bei der Rekrutierung, die Situation kann von der jeweils verantwortlichen Person bzw. Gruppe abhängen. Die Informationslage zu den Rekrutierungspraktiken einer Gruppe ist oft nicht eindeutig.

1.2. Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der ethnischen Gruppe der Araber an und ist sunnitischer Muslim; seine Muttersprache ist Arabisch. Er hält sich seit Dezember 2015 in Österreich auf. Er hat bisher den Wehrdienst nicht geleistet, weil er, als er ausreiste, noch minderjährig war. Bei einer Rückkehr nach Syrien läuft er Gefahr, zum Militär eingezogen zu werden, den Militärdienst leisten zu müssen und dabei gezwungen zu werden, an völkerrechtswidrigen Handlungen teilzunehmen, wie sie in den Feststellungen zur Situation in Syrien geschildert werden. Sollte er sich weigern oder desertieren, drohen ihm schwere Strafen bis zur Tötung.

2. Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

2.1.1. Die Feststellungen zur Lage in Syrien beruhen auf dem Bericht des Bundesamtes (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) und auf den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabische

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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