TE Bvwg Erkenntnis 2019/2/18 W136 2172672-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.02.2019
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Entscheidungsdatum

18.02.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
StGB §223
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W136 2172672-1/6E

W136 2172676-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerden

1.) des XXXX , geb XXXX , und 2.) der XXXX , geb. XXXX , beide StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 30.08.2017, Zlen. 1057876208-150340793 und 1057875908-150340815, zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin stellten am 04.04.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin statt. Dabei verwies der Erstbeschwerdeführer auf den Krieg in seiner Heimat und gab zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er als Reservist einberufen worden sei, aber niemand töten habe wollen. Außerdem sei sein Haus bombardiert worden und er habe Angst um Leib und Leben gehabt. Ferner sei er bereits zweimal von Mitgliedern der Regierung entführt und (erst) nach mehreren Tagen Haft wieder entlassen worden. Er sei dabei geschlagen worden und habe ihnen Geld zahlen müssen. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben. Die Zweitbeschwerdeführerin gab dazu zusammenfassend an, dass sie aufgrund der Kriegslage und der unsicheren Lage aus ihrem Heimatland ausgereist sei. Außerdem sei ihr Ehegatte zweimal entführt worden und sie habe Angst, dass dies nochmals passiert. Weiters habe sie Angst vor willkürlichen Tötungen. Bei einer Rückkehr fürchte sie um ihr Leben.

Am 29.04.2016 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er Sunnit sei und aus Aleppo kommen würde. Er sei am XXXX mit seiner Frau in seinem Auto legal in die Türkei gereist. Befragt, bestätigte er, dass er unbehelligt die Grenze passiert habe. Er habe in Syrien noch zwei Brüder und eine Schwester mit ihren Familien. Auf die Frage, warum der Rest seiner Familie in Syrien bzw. in Aleppo geblieben ist, obwohl die Lage aktuell sehr schlecht sei, berichtete er, dass seine Brüder nicht mehr im wehrpflichtigen Alter seien und daher nicht mehr eingezogen würden. Er würde hingegen noch eingezogen werden, wolle aber weder mit der einen, noch mit der anderen Armee kämpfen. In Gebieten unter Regierungskontrolle könnte man leben, er wollte aber nicht zum syrischen Militär eingezogen werden. Soweit er weiß, würden alle Männer bis zum 40. Lebensjahr, sogar öffentlich Bedienstete zum Militärdienst eingezogen werden. Zu seinen Ausreisegründen brachte er zusammenfassend vor, dass er mit keiner der Gruppierungen in Syrien etwas zu tun haben habe wollen. Außerdem habe er in dem von der freien syrischen Armee kontrollierten Gebiet zwei Entführungsversuche ungefähr im XXXX und im XXXX erlebt. Beim ersten Mal sei er nicht anwesend gewesen. Die Arbeiter hätten von Bewaffneten gesprochen, die nach ihm gefragt hätten und danach wieder gegangen wären. Beim zweiten Mal sei er im Auto angehalten und zum Aussteigen aufgefordert worden. Die Männer seien seiner Ansicht nach von der freien syrischen Armee gewesen. Als er geschrien habe und Leute gekommen seien, habe er weiterfahren können. Danach sei er nach Hause geeilt und habe sich mit seiner Frau ins Gebiet der syrischen Armee begeben. Dort seien sie bis zu zwei Monate geblieben, bis sie dann in die Türkei gereist seien. Nach weiteren Fluchtgründen gefragt, gab er an, dass er wegen dem Bürgerkrieg geflohen sei. Durch Anschläge würde es keine Sicherheit geben. Außerdem habe er Angst vor den Terroristen und dem IS. In Aleppo würde es Krieg und Zerstörung geben und er habe Angst, eingezogen zu werden. Es habe zwar keinen Einberufungsbefehl gegeben, er sei aber im wehrfähigen Alter und drei seiner Freunde im selben Alter seien wieder eingezogen worden. Er könnte zwangsrekrutiert werden, wolle aber nicht zum Militär bzw. im Krieg getötet werden und auch niemanden töten. Auf die Frage, ob er nicht etwa in Damaskus leben könnte, erklärte er, es sei überall gleich, man würde überall zum Militär eingezogen werden. Bei einer Rückkehr würden ihn sowohl die freie als auch die reguläre syrische Armee zwangsrekrutieren. Er müsste kämpfen, was er nicht wolle, da er sonst umgebracht oder ins Gefängnis gesteckt würde. Bezüglich seiner Ehefrau teilte er mit, dass sie seinetwegen um Asyl angesucht habe. Sie habe keine eigenen Fluchtgründe. Die Zweitbeschwerdeführerin gab diesbezüglich zusammenfassend an, dass sie keine eigenen Fluchtgründe habe und wegen ihrem Mann und dem Bürgerkrieg von zu Hause weggegangen sei. Ferner erklärte sie, dass noch zwei Brüder ihres Ehemannes in Syrien aufhältig seien. Auch auf Nachfrage bestätigte sie keine eigenen Flucht- und Asylgründe zu haben. Sie sei mit ihrem Mann mitgeflüchtet und habe Angst um ihr Leben gehabt. Dabei berichtete sie von Luftangriffen auf Aleppo und nannte die Streitparteien, die letztlich die Stadt zerstören. Schließlich versicherte sie, dass sie nicht aus den in der GFK enthaltenen Gründen bedroht worden sei.

Am 20.12.2016 wurde der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache erneut niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde er ausschließlich zu seinem verfälschten Reisepass befragt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 09.02.2017, Zl. 16 Hv 145/16w-13, wurde der Erstbeschwerdeführer wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs. 2 und 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Monaten verurteilt. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde die verhängte Freiheitsstrafe zur Gänze unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Im Zuge einer Einvernahme vor dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung am 08.08.2017 gab der Erstbeschwerdeführer zusammenfassend im Wesentlichen an, dass er im Rahmen seines Wehrdienstes an einer Sehnenscheidenentzündung gelitten habe, sodass er im Zusammenhang mit hohen Bestechungszahlungen letztlich zwei Jahre beim Militär gedient habe, ohne an Kampf- oder Luftverteidigungshandlungen teilgenommen zu haben. Er habe von XXXX in der Türkei gelebt und von dort aus versucht, im Jahr XXXX eine Firma in Moldawien zu etablieren. Da dieses Unternehmen erfolglos geblieben sei, habe er sich im Jahr XXXX entschlossen, zwecks Asylantragstellung von der Türkei nach Österreich zu fliehen. Sein Bruder XXXX , geb. XXXX , gab im Zuge seiner Vernehmung am 10.08.2017 an, dass er XXXX Syrien verlassen und in der Türkei gelebt habe. Er sei dann gemeinsam mit seinem Bruder (dem Erstbeschwerdeführer) und ihren beiden Frauen mittels Yacht nach Griechenland und danach zu Fuß bzw. mit einem PKW über Mazedonien, Serbien und Ungarn schließlich nach Österreich gelangt. Bei einer Rückkehr nach Syrien würde er als Reservist eingezogen werden.

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 31.08.2017, persönlich zugestellt am 06.09.2017, wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und wurde ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.08.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität der Beschwerdeführer fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisenden Entscheidungen im Wesentlichen damit, dass der Erstbeschwerdeführer hinsichtlich seiner tatsächlichen Ausreise aus Syrien, bezüglich des Verbleibs seines Reisepasses und zu den angeblichen Entführungen bzw. betreffend seine berufliche Beschäftigung in der Heimat unterschiedliche bzw. abweichende Angaben zum eigenen und zu den Vorbringen seines Bruders, seiner Schwägerin und seiner Ehegattin gemacht bzw. im Vergleich zu seinen Angaben vor den Beamten des LPD vor dem Bundesamt die Unwahrheit behauptet habe. Außerdem sei nicht glaubhaft, dass ausgerechnet er einer Gefährdung durch die syrische Armee ausgesetzt wäre, da er vor der LPD glaubhaft angegeben habe, bereits einmal vom aktiven Wehrdienst aufgrund einer Krankheit und der Bezahlung eines Bestechungsgeldes befreit worden zu sein. Darüber hinaus würden seine Brüder laut seinem im Bundesgebiet aufhältigen Bruder mit der Regierung zusammenarbeiten und unter dem Schutz der syrischen Armee stehen, sodass davon ausgegangen werden könnte, dass er den gleichen Schutz genießt. Es sei zwar verständlich, dass er aufgrund des mehrjährigen Bürgerkriegs Angst empfunden bzw. den starken Wunsch verspürt habe, sein weiteres Leben außerhalb seines Landes zu verbringen, jedoch seien diese allgemeinen, im Wesentlichen alle Bürger seines Landes treffenden Verhältnisse per se nicht geeignet, eine asylrelevante Bedrohung zu begründen. Zur Zweitbeschwerdeführerin wurde zusammenfassend ausgeführt, dass sie eine aktuell ihr drohende Gefahr einer asylrechtlich relevanten individuellen Verfolgung nicht plausibel und somit glaubhaft machen habe können.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 31.08.2017 wurde dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Gegen die Spruchpunkte I. der oben genannten Bescheide wurde fristgerecht eine (gemeinsame) Beschwerde erhoben, welche am 03.10.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wird im Wesentlichen vollinhaltlich auf das im Asylverfahren bzw. in der Einvernahme am 29.04.2016 geschilderte Vorbringen verwiesen und zusammenfassend festgehalten, dass dem Erstbeschwerdeführer (in seiner Heimat) eine aktuelle Verfolgung iSd. Art. 1 GFK droht.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 06.10.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Anträge auf internationalen Schutz vom 04.04.2015, der Einvernahmen des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der (gemeinsamen) Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Syrien und gehören der Volksgruppe der Araber an. Sie sind sunnitisch-moslemischen Glaubens. Die Identitäten der Beschwerdeführer stehen fest. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und kinderlos.

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben Syrien vermutlich bereits im Jahr 2013 verlassen und danach bis Anfang 2015 in der Türkei gelebt. Nachdem der Erstbeschwerdeführer im Jahr 2014 erfolglos versucht hat, in Moldawien eine Firma zu etablieren, ist er in der Folge gemeinsam mit seinem Bruder und ihren beiden Frauen mittels Yacht nach Griechenland und danach zu Fuß bzw. mit einem PKW über Mazedonien, Serbien und Ungarn schließlich ins Bundesgebiet eingereist, wo sie am 04.04.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben.

Die Beschwerdeführer stammen aus XXXX , Aleppo und haben dort gelebt. Sie verließen zum oben angegebenen Zeitpunkt aufgrund der Bürgerkriegssituation gemeinsam Syrien. Der Erstbeschwerdeführer gibt im Wesentlichen an, dass er als Reservist einberufen worden sei, aber niemanden töten habe wollen. Er wolle für keine der Kriegsparteien kämpfen. Außerdem sei sein Haus bombardiert worden und er habe Angst um sein Leben gehabt. Weiters sprach er von zwei Entführungen bzw. von diesbezüglichen Versuchen und verwies auf die unsichere Lage in seiner Heimat. Die Zweitbeschwerdeführerin verwies auf die Fluchtgründe ihres Mannes und teilte mit, dass sie ihm gefolgt sei und keine eigenen Fluchtgründe habe.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin in Syrien Verfolgung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf Grund ihrer ethnischen, religiösen, staatsbürgerlichen oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. wegen ihrer politischen Gesinnung durch das syrische Regime bzw. den syrischen Staat bzw. durch den (jeweiligen) Machthaber im Herkunftsgebiet droht.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 25. Jänner 2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 24.08.2018, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wird auszugsweise wie folgt angeführt:

Politische Lage

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 3.3.2017). Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte, Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce" (Haaretz 4.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 3.3.2017). Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2017)

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016). Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt (BS 2016). Der IS übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in Deir ez-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes und rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus (USDOS 3.3.2017). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, leben (Reuters 13.4.2016). Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte (USDOS 3.3.2017). Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht wird auf etwa ein viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt (DS 23.12.2017; vgl. Standard 29.12.2017).

Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch (FH 27.1.2016; vgl. AI 24.2.2016).

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden (Spiegel 16.8.2017). 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden ?Afrin, ?Ain al-?Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (ES BFA 8.2017). Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden (ICC 4.5.2017; vgl. IRIN 15.9.2017). Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet (ES BFA 8.2017 und ICC 4.5.2017). In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren (CHH 8.12.2016).

Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen (Spiegel 16.8.2016). Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten (Standard 29.12.2017).

Sicherheitslage

Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die grundsätzlich alle Städte und Regionen betrifft. Nahezu täglich werden landesweit Tote und Verletzte gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in zahlreichen Orten zerfallen und das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch (AA 27.12.2017).

Grob gesagt stehen auf der Seite der syrischen Regierung Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah und schiitische Milizen, die vom Iran im Irak, in Afghanistan und im Jemen rekrutiert werden. Auf der Seite der diversen Gruppierungen, die zur bewaffneten Opposition bzw. zu den Rebellen gehören, stehen die Türkei, die Golfstaaten, die USA und Jordanien, wobei diese Akteure die Konfliktparteien auf unterschiedliche Arten unterstützen. Zudem sind auch die Kurden in Nordsyrien und der sogenannte Islamische Staat (IS) am Konflikt beteiligt (BBC 7.4.2017).

Mitte September des Jahres 2016 wurde von den USA und Russland, nach monatelangen Gesprächen, eine Waffenruhe ausgehandelt. Diese sollte ermöglichen, dass humanitäre Hilfe die Kampfgebiete erreichen kann; ausserdem sollte den Luftangriffen des syrischen Regimes auf die Opposition Einhalt geboten werden. Die Waffenruhe sollte sieben Tage bestehen und galt für das syrische Regime und die Rebellen, jedoch nicht für die terroristischen Gruppierungen "Islamischer Staat" (IS) und Jabhat Fatah ash-Sham (CNN 12.9.2016). Es soll in verschiedenen Gebieten mehr als 300 Verstöße gegen die Waffenruhe gegeben haben. Nach ungefähr einer Woche wurde die Waffenruhe von der syrischen Armee bzw. vom syrischen Regime für beendet erklärt. In dieser Zeit konnten keine humanitären Hilfslieferungen die Kampfgebiete erreichen (Zeit 19.9.2016).

Aleppo

Nach der Waffenruhe eskalierte die Gewalt, und die Stadt Aleppo erlebte die heftigsten Bombardierungen durch das Regime und die russische Luftwaffe seit Beginn des Bürgerkrieges, während die Armee zugleich eine Bodenoffensive startete. Die USA brachen daraufhin Anfang Oktober des Jahres 2016 die direkten Gespräche mit Russland über eine weitere Waffenruhe in Syrien ab. Unter anderem konnten sich die beiden Länder nicht darauf einigen, welche der syrischen Rebellengruppen als terroristisch und welche als gemäßigt einzustufen sind (Welt 3.10.2016). Ende Oktober fand eine einseitig von Russland eingehaltene, humanitäre Waffenruhe in Aleppo statt. Anfangs sollte die Waffenruhe acht Stunden dauern und am 20.10.2016 beginnen (Al Jazeera 18.10.2016). Sie wurde dann jedoch bis 22.10.2016 verlängert. Danach erlebte Aleppo erneut schwere Kämpfe. Die Vereinten Nationen hofften während dieser Zeit Verletzte evakuieren und Hilfsgüter liefern zu können. Jedoch war beides aufgrund fehlender Sicherheitsgarantien nicht möglich (Al Jazeera 23.10.2016; vgl. BBC News 22.10.2016). Im Dezember 2016 nahmen syrische Regierungssoldaten nach einer von der russischen Luftwaffe unterstützten Offensive den Osten Aleppos ein, welcher seit 2012 von bewaffneten Gruppen gehalten wurde (Standard 21.12.2016). Es fanden Evakuierungen von Kämpfern sowie von Zivilisten statt, die jedoch durch erneute Gefechte zwischenzeitlich unterbrochen wurden. Zugleich wurden Zivilisten aus den von Rebellen belagerten Orten Fua und Kafraja im Nordwesten Syriens evakuiert (Standard 19.12.2016).

Nach der Eroberung Aleppos wurden große Teile der regulären Armee aus Aleppo abgezogen was zur Verschlechterung der Sicherheitslage führte, da so den Milizen freie Hand gelassen wurde. Kriminalität von Seiten der Milizen wurde so zum Problem für die Bevölkerung Aleppos. Im Juni 2017 unternahm die syrische Regierung den Versuch großflächig gegen die Milizen in Aleppo vorzugehen. Vorhergehende Verhaftungswellen in Aleppo konnten die Kriminalität von Milizen nicht unter Kontrolle bringen (IRIN 22.6.2017). Die Milizen sind unter anderem auch für eine steigende Zahl an Entführungen und damit Lösegelderpressungen und zudem für Morde, auch durch Fahrerflucht, verantwortlich. Auch die Sicherheitskräfte beuten die Bewohner Aleppos aus militärischen und wirtschaftlichen Gründen aus. Vor allem in Ostaleppo sind die Bewohner Opfer von Razzien, und außerdem Festnahmen von Wehrdienstverweigerern, die dann zum Einsatz geschickt werden. Ein weiterer Faktor in Aleppo ist die Baath-Partei. Nach der Eroberung Ost-Aleppos wurde der örtliche Zweig der Baath-Partei aufgelöst. Mittlerweile wurde dieser mitsamt eines bewaffneten Zweiges neu gebildet (SD 24.11.2017).

Die türkischen Militäroperationen

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der "Operation Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation wurde gestartet, um sowohl gegen den IS als auch gegen die kurdischen Einheiten, die entlang der syrisch-türkischen Grenze aktiv sind, vorzugehen. Seitdem haben türkische Einheiten mit verbündeten syrischen Einheiten, die hauptsächlich aus gegenüber dem syrischen Regime oppositionell eingestellten Arabern und Turkmenen bestehen, den IS bekämpft. Es gab jedoch auch Zusammenstöße mit kurdisch geführten Einheiten. Im März 2017 wurde Operation Euphrates Shield für erfolgreich beendet erklärt, es wurden jedoch keine Informationen bekannt gegeben, wann oder ob die türkischen Einheiten sich zurückziehen würden. Im Oktober 2017 gab der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine neue Operation in der syrischen Provinz Idlib bekannt, deren Ziel es ist die Ausbreitung von kurdischen und al-Qaida-Einheiten entlang der türkischen Grenze zu verhindern (CRS 13.10.2017 und BBC News 13.10.2017).

Der türkische Präsident Erdogan verschärfte Ende Dezember 2017 seinen Ton gegenüber dem syrischen Präsidenten. Die Türkei forderte lange, dass Assad nicht an der Macht bleiben dürfe, konzentrierte sich aktuell aber mehr auf die Bedrohung durch bewaffnete Islamisten und die kurdischen Kämpfer, die sie als mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbündet sieht. Trotz der Differenzen mit Russland und dem Iran hat die Türkei mit den beiden Staaten an einer politischen Lösung für Syrien gearbeitet. Nun nannte Erdogan Assad einen Terroristen und sagte, dass der Friedensprozess in Syrien nicht mit Assad an der Macht fortgesetzt werden könnte (Reuters 27.12.2017b). Im Januar 2018 drohte der türkische Präsident mit einer Militäroperation in Afrin, einem der drei selbsternannten autonomen Kantone unter der Kontrolle kurdischer Einheiten und deren Verbündeten. Die kurdischen und türkischen Einheiten haben einander des gegenseitigen Beschusses beschuldigt (DS 17.1.2018; vgl. ISW 16.1.2018). Wenig später, am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin. Erdogan kündigte außerdem an, auch Manbij angreifen zu wollen (Standard 20.1.2018; vgl. Zeit 23.1.2018). Die "Operation Olivenzweig" begann mit Artillerie- und Luftangriffen auf Stellungen der YPG in der Region Afrin, denen eine Bodenoffensive folgte (Presse 24.1.2018). Als Motiv für den türkischen Einmarsch im Grenzgebiet haben mehrere arabische Medien die lang erklärte Absicht Ankaras herausgestrichen, eine etwa 30 Kilometer tiefe Sicherheitszone einzurichten und dort bis zu 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge anzusiedeln (Standard 22.1.2018).

Versöhnungsabkommen

Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen. Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen. Manche der Vereinbarungen besagen z.B., dass Personen bzw. Kämpfer, welche sich nicht den Bedingungen der Vereinbarung unterwerfen wollen, mit ihren Familien nach Idlib evakuiert werden. Die übrigen Personen können 6 Monate lang eine Amnestie nutzen und können sich in dieser Zeit stellen, um den Militärdienst abzuleisten. Manche Vereinbarungen besagen auch, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden. Es ist auch möglich, dass sich Personen im zurückgewonnenen Gebiet verpflichten müssen, der Regierung zur Verfügung zu stehen, für diese zu spionieren oder Ähnliches. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen, was jedoch schwer zu beweisen ist. Ein Beispiel für ein Versöhnungsabkommen waren die im März 2017 begonnenen Verhandlungen mit der Regierung über den Distrikt al-Waer in Homs. Vereinbarungen über die Freilassung von Gefangenen in der Stadt Homs durch die Regierung wurden jedoch nicht eingehalten. Nach schweren Luftschlägen durch die Regierung und nachdem auf die Freilassung der Gefangenen verzichtet wurde, wurde im April doch noch ein Abkommen erzielt, und die aufständischen Kämpfer mit ihren Familien evakuiert. Ein weiteres Beispiel für ein Versöhnungsabkommen ist die Stadt al-Sanamayn im Norden der Provinz Dara'a. Hier stellten sich mehrere bewaffnete Fraktionen, die in der Stadt aktiv waren, stellvertretend für die Bevölkerung der Stadt unter die Kontrolle des Regimes. Im Gegenzug dafür erlaubte die Regierung den Gruppierungen, als Sicherheitskräfte in der Stadt zu fungieren, und gestand zu, sich nicht in Sicherheitsfragen einzumischen. Bewohnern der Stadt zufolge blieb die Situation nach dem Versöhnungsabkommen jedoch weitgehend unverändert, da die Stadt nach Belagerung durch Regierungseinheiten, bereits zuvor ein Waffenstillstandsabkommen mit der Regierung geschlossen hatte. Die in al-Sanamayn tätigen Gruppierungen existieren somit immer noch und behielten außerdem den Großteil ihrer Waffen, greifen jedoch die Regierungseinheiten nicht mehr an. Die zuvor meist politisch motivierten Fraktionen sind nun eher mit einzelnen Klans verbunden. Zusätzlich existieren außerdem bewaffnete Banden. Zwischen diesen Fraktionen, den Banden und auch der Regierung kommt es immer wieder zu Zusammenstößen, die aber eher auf individuellen Vorfällen basieren (z.B. in Form von Vergeltungsmaßnahmen für Festnahmen, Entführungen, Mord oder Schutzgelderpressungen etc.). So kommt es trotz des Versöhnungsabkommens immer wieder zu sicherheitsrelevanten Vorfällen (BFA 8.2017).

Deeskalationszonen

Im Mai 2017 unterzeichneten Russland, der Iran und die Türkei im Rahmen der Gespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana ein Abkommen, das die Einrichtung von sogenannten Deeskalationszonen vorsieht (BFA 8.2017). Die Deeskalationszonen sind jedoch keine vollkommen neue Strategie, sondern müssen als Fortsetzung der "Versöhnungsstrategie", die das Assad-Regime im Angesicht mehrerer fehlgeschlagener Vereinbarungen zu Waffenruhen anwendet, gesehen werden. Das Ziel bleibt jedoch unverändert "unversöhnliche" Bewaffnete Akteure und politische Gegner zu entfernen oder zu neutralisieren und die Gebiete wieder unter Regimekontrolle zu bringen (DS 23.9.2017).

Weder die syrische Regierung, noch die Opposition unterzeichneten das Abkommen von Astana. Die Gruppe Jabhat Fatah ash-Sham (ehemals Jabhat al-Nusra) ist von den Vereinbarungen ausgenommen. Also wird die Regierung Gebiete, in denen Jabhat Fatah ash-Sham aktiv ist, weiterhin bombardieren. Auch der IS ist von der Vereinbarung ausgenommen: Die syrische Regierung gab an, weiterhin gegen "Terroristen" zu kämpfen, und auch die von den USA geleitete Kampagne wird weiterhin den IS mit Luftschlägen bekämpfen. Die Deeskalationszonen erlauben es der Regierung, ihre Truppen neu zu organisieren. Es gibt noch keinen klaren Mechanismus, um Konflikte zu lösen und auf Verletzungen des Deeskalationsabkommens zu reagieren (BFA 8.2017). Die Deeskalationszonen werden auch nicht unter einer gemeinsamen Richtlinie beschlossen, sondern jede Zone existiert unter individuellen Bedingungen (DS 23.9.2017). Im Rahmen der Astana-Gespräche und zusätzlich der "Amman-Diskussionen", zwischen den USA, Russland und Jordanien, wurden vier Deeskalationszonen ausgehandelt: Eine Zone in der Provinz Idlib und Teilen der Provinzen Lattakia, Hama und Aleppo; eine Zone im Norden der Provinz Homs; eine Zone in Ost-Ghouta in Rif-Dimashq (Damaskus-Umland) und eine Zone in Teilen Südsyriens in den Provinzen Dara'a und Quneitra (UNOCHA 11.2017; vgl. CRS 13.10.2017; vgl. NYT 18.11.2017; vgl. DS 23.9.2017).

In Dara'a im Süden Syriens kam es zu Beginn zu einer Deeskalation, jedoch gab es auch hier bereits zuvor einen Rückgang der Kampfhandlungen. Anfang Juni 2017 kam es in Dara'a jedoch wieder zu schweren Kampfhandlungen zwischen regierungstreuen Kämpfern und Rebelleneinheiten (BFA 8.2017). Die Deeskalationszone im Süden birgt nichtsdestotrotz das größte Potential für die Verhandlung einer längerfristigen Lösung zum Großteil aufgrund des Interesses internationaler Akteure, die an den Verhandlungen beteiligt waren. Neben Iran, Türkei und Russland waren auch die USA und Jordanien beteiligt und auch Israel hat ein Interesse am Bestehen dieser Deeskalationszone (DS 23.9.2017). Seit August 2017 findet jedoch eine Welle an Attentaten gegen politische und bewaffnete Oppositionelle statt, wobei es Hinweise gibt, dass al-Qaida bzw. mit ihr verbündete Gruppierungen diese durchgeführt haben. Al-Qaida versucht so, die Opposition zu schwächen und sich in Südsyrien zu etablieren. Hierbei nutzt die Gruppierung auch die Entscheidung der Trump-Administration aus, laut welcher ein Programm zur Unterstützung von Oppositionskämpfern gestrichen werden soll, wodurch nicht-jihadistische Fraktionen geschwächt werden (ISW 22.11.2017). Im Mai 2017 entsandte al-Qaida etwa 30 hochrangige Funktionäre nach Südsyrien (ISW 3.8.2017). Weiteres Konfliktpotential besteht im Süden Syriens zudem mit Israel. Israel führte wiederholt Luftschläge auf syrisches Gebiet durch, damit soll gegen die Präsenz der libanesischen schiitischen Hisbollah auf syrischem Staatsgebiet nahe israelischem Staatsgebiet vorgegangen werden (Standard 3.11.2017; vgl. Spiegel 5.12.2017).

Nachdem die Zonen beschlossen wurden, begannen in Ost-Damaskus Deeskalationsmaßnahmen, jedoch wurde in dieser Gegend gleichzeitig ein Versöhnungsabkommen geschlossen (BFA 8.2017). Ost-Ghouta ist jedoch noch immer belagert, und die Regierung beschränkt die Lieferung von Hilfsgütern, Nahrungsmitteln und Medikamenten stark. Im Februar 2017 konnte die Regierung Tunnel schließen, durch welche die Bewohner Ost-Ghoutas zuvor noch Personen, Treibstoff, Medikamente, jedoch auch Zigaretten, Narkotika und Munition schmuggeln konnten (IRIN 19.12.2017). Im April-Mai 2016 und April 2017 kam es in Ost-Ghouta zu Zusammenstößen zwischen den beiden dominanten Gruppen Jaysh al-Islam und Failaq ar-Rahman. Nach Einrichtung der Deeskalationszone traf Russland im Juni 2017 Vereinbarungen mit den beiden Gruppierungen, die Situation scheint jetzt jedoch noch schlimmer als vor der Einrichtung der Deeskalationszone zu sein (IRIN 19.12.2017). Zwischenzeitlich kam es zu einem Rückgang der Kämpfe, die syrische Regierung hielt aber an der Belagerung fest und nahm Mitte November 2017 die Luftangriffe auf das Gebiet wieder auf (Standard 27.12.2017). Die Kampfhandlungen in Ost-Ghouta halten an, wobei sie sich in Gebieten, die von Jaysh al-Islam kontrolliert werden, relativ gesehen verringerten und sich der Konflikt in Gebieten, die von Failaq ar-Rahman kontrolliert werden, intensiviert hat (IRIN 19.12.2017).

Das Ausmaß der Kampfhandlungen in den Provinzen Hama, Homs und Idlib blieb vorerst gleich oder stieg sogar an (BFA 8.2017). Die Deeskalationszone im nördlichen Homs und südlichen Hama wurde im Rahmen der "Kairo-Diskussionen" bekannt gegeben, jedoch wurde die Ankündigung von den Akteuren vor Ort abgelehnt, weil sie sich durch die Verhandlungspartner der Opposition nicht repräsentiert sahen. Insgesamt erscheint es nicht wahrscheinlich, dass die Zone längerfristig eine oppositionelle Enklave bleiben wird (DS 23.9.2017).

Die Deeskalationszone in Idlib soll von Russland, Türkei und Iran überwacht werden (DS 23.9.2017). Die mit al-Qaida in Verbindung stehende islamistische Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham ist die mächtigste Gruppe in dieser Deeskalationszone und dominiert vergleichsweise moderatere Gruppierungen die sich selbst als zur Freien Syrischen Armee gehörig bezeichnen (NYT 18.11.2017). Im September und Oktober 2017 intensivierte Russland die Anzahl der Luftschläge auf die Provinz Idlib, um Gruppen, die gegen das Regime eingestellt sind, dazu zu bewegen ein Waffenstillstandsabkommen oder die Deeskalationszone zu akzeptieren (ISW 16.10.2017). Von Russland unterstützte syrische Einheiten starteten Ende 2017 eine Offensive gegen Militanten und deren Verbündete in Idlib. UN OCHA berichtete im Januar 2018 von mehr als 200.000 Personen, die durch die Offensive vertrieben wurden (DS 16.1.2018).

Ost-Ghouta und die Provinz Idlib, die wie zuvor beschrieben, beide von Rebellen kontrolliert bzw. von radikal-islamischen Milizen dominiert werden, sind im Januar 2017 hart umkämpft. In Ost-Ghouta eskalierten zu diesem Zeitpunkt die Gefechte, nachdem Rebellen einen Stützpunkt der Armee einkreisen konnten (Zeit 7.1.2018).

Der "Islamische Staat" (IS)

Im November 2017 brachte die syrische Armee Deir ez-Zour, das zuvor vom IS besetzt war, wieder unter seine Kontrolle (BBC 12.12.2017). Der IS verlor 2017 beinahe sein ganzes Territorium in Syrien und im Irak (Reuters 27.12.2017a).

Analysten gehen außerdem davon aus, dass der IS sich bereits auf eine neue Phase vorbereitet und sich zu der Art von Untergrundbewegung zurückentwickelt, die sie in ihren Anfängen war (NYT 17.10.2017).

Die russischen Militäreinsätze

Im Dezember 2017 verkündete das russische Verteidigungsministerium, dass das syrische Territorium "komplett vom IS befreit sei" und somit das Ziel ihres Einsatzes in Syrien, das Zurückdrängen des IS, erfüllt sei (Standard 7.12.2017; vgl. BBC 12.12.2017). Kurze Zeit später gab es jedoch Berichte, dass es dem IS nach Kämpfen mit Hay'at Tahrir ash-Sham gelang mehrere Dörfer in den Provinzen Idlib und Hama zu erobern (Standard 9.12.2017). Der russische Präsident Putin ordnete Mitte Dezember auch den Abzug eines "Großteils der russischen Truppen" aus Syrien an (BBC 13.12.2017; vgl. Standard 21.12.2017). Russland wird jedoch weiterhin zwei Militärbasen in Syrien betreiben, die Luftwaffenbasis Hmeimim und die Marinebasis in Tartus, und somit eine permanente militärische Präsenz in Syrien unterhalten (BBC 13.12.2017; vgl. DS 26.12.2017; vgl. Standard 21.12.2017).

Die achte Runde der UN-geführten Friedensverhandlungen in Genf brachte keine Ergebnisse. Die oppositionelle Verhandlergruppe erklärte, dass Assad nicht Teil einer Übergangslösung in Syrien sein könne, worauf die regierungstreue Delegation der Ansicht war, dass es nichts mehr zu verhandeln gäbe (Standard 15.12.2017).

Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von 2015 von Transparency International liegt Syrien auf Platz 173 von 176 untersuchten Ländern (TI 2016). Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für amtliche Korruption vor, die Regierung setzt die diesbezüglichen Regelungen jedoch nicht effektiv durch. Beamte üben regelmäßig korrupte Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Regierung und anderen Behörden (USDOS 3.3.2017). Milizen verlangen beispielsweise für das Passieren von Checkpoints, die sie kontrollieren, Bestechungsgelder (CMEC 16.3.2016; vgl. IRIN 22.6.2017). In der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung, und es gibt die Möglichkeit, durch Bestechung eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten (FIS 23.8.2016).

Korruption war bereits vor dem Bürgerkrieg weitverbreitet und beeinflusste das tägliche Leben der Syrer. Bürger müssen häufig Bestechungsgelder zahlen, um bürokratische Angelegenheiten abschließen zu können. Seit der Krieg in Syrien ausgebrochen ist, vermeiden Syrer, die Verfolgung durch den Staat befürchten, den Kontakt zu offiziellen Institutionen. Stattdessen müssen sie - z.B. im Falle wichtiger Dokumente - auf den Schwarzmarkt zurückgreifen (FH 1.2017).

Rebellen, der IS und kurdische Einheiten erpressen ebenfalls Unternehmen und konfiszieren privates Eigentum in unterschiedlichem Ausmaß (FH 1.2017).

Allgemeine Menschenrechtslage

Das Syrian Observatory for Human Rights dokumentierte 331.765 Todesfälle seit dem Beginn der Revolution im Jahr 2011 bis zum 15. Juli 2017, schätzt jedoch dass etwa 475.000 Personen getötet wurden (SOHR 16.7.2017).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Gleichzeitig zeigt die Regierung außerdem wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien. Sie schikaniert und inhaftiert Mitglieder der Communist Union Party, der Communist Action Party, der Arab Social Union und islamistischer Parteien (USDOS 3.3.2017).

Die syrische Regierung, regierungstreue Einheiten und Sicherheitskräfte führen weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in der Haft umkommen bzw. getötet werden. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben, Artillerie, Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte (UKFCO 21.4.2016, AI 22.2.2017 und USDOS 3.3.2017).

Die staatlichen Sicherheitskräfte halten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen sind unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllen (AI 22.2.2017; vgl. SD 18.10.2017). Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Es fehlt an Nahrung, Trinkwasser, Platz, Hygiene und Zugang zu medizinischer Versorgung. (USDOS 3.3.2017).

Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet (USDOS 27.6.2017; vgl. UNOCHA 31.7.2017).

Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen (AI 22.2.2017). Bezüglich der von Rebellen kontrollierten Bevölkerungszentren setzte die Regierung auf die Strategie, diese vor die Wahl zu stellen, aufzugeben oder zu (ver)hungern, indem sie Hilfslieferungen einschränkte und tausende Zivilisten aus zurückeroberten Gebieten vertrieb (FH 1.2017). Auch Rebellengruppen belagern Gebiete (USDOS 3.3.2017). [Weitere Informationen zu belagerten Gebieten finden sich in Abschnitt "14.

Bewegungsfreiheit"].

Auch aufständische Gruppen begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Festnahmen, Folter und Exekutionen von wahrgenommenen politischen Andersdenkenden und Rivalen, wobei das Verhalten jedoch zwischen den unterschiedlichen Rebellengruppen variiert (FH 1.2017).

Der IS ist für systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, welche auch auf Zivilisten abzielen. Auch Jabhat Fatah ash-Sham [ehemals Jabhat al-Nusra] und einige andere extremistische Gruppen begehen Menschenrechtsverletzungen (UKFCO 21.4.2016; vgl. USDOS 3.3.2017).

Sexuelle Versklavung und Zwangsheiraten sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt (USDOS 27.6.2017). Frauen erleben in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des IS entsprechend kleiden (USDOS 3.3.2017).

IS-Kämpfer sind für Exekutionen von gefangengenommenen Zivilpersonen, Regierungssoldaten, Angehörigen rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffenden und verantwortlich. In den vom IS kontrollierten Gebieten hat der IS seine strikte Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern befinden sich Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch, Schmuggel oder Diebstahl zur Last gelegt wird, sowie Menschen, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden (AI 22.2.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).

Frauen

Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des IS, zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind (FH 1.2017).

Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation und vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch, weil Frauen Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Aufgrund der Kampfhandlungen (orig. shelling) zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017).

In oppositionellen Gebieten, welche von radikalislamistischen Gruppen kontrolliert werden (z.B. in Idlib oder umkämpften Gebieten östlich von Damaskus), sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Außerdem ist es schwierig für sie zu arbeiten, weil sie unter Druck stehen, zu heiraten. Dies hängt jedoch von der Region ab (BFA 8.2017).

Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die der IS kontrolliert(e), wurde ein Dokument veröffentlicht, welches Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt. Die Punkte waren unter anderem, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten (mahram) zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen (USDOS 3.3.2017; vgl. BFA 8.2017). In Raqqa gründete der IS die "al-Khansaa"-Brigade, welche hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des IS bei anderen Frauen durchsetzten soll (USDOS 3.3.2017). Familien werden auch gezwungen ihre Töchter an IS-Kämpfer zu verheiraten. Jabhat Fatah ash-Sham [Anm.: vormals Jabhat al-Nusra] ist Frauen gegenüber etwas weniger restriktiv, die Situation ist jedoch ähnlich. Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikalislamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).

Bewegungsfreiheit

Die steigende Anzahl an Checkpoints der verschiedenen bewaffneten Konfliktparteien, die schweren Kämpfe und die generelle unsichere Lage im Land schränken stark die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung und den Transport von lebensnotwendigen Gütern ein. Das syrische Regime blockiert systematisch Regionen, welche von den Rebellen kontrolliert werden, und die Rebellen und der sogenannte Islamische Staat (IS) wenden dieselbe Taktik auf von der Regierung kontrollierte Gebiete an (FH 1.2017). In Gebieten unter ihrer Kontrolle beschränken der IS und andere Regierungsgegner die Bewegungsfreiheit von Unterstützern der Regierung bzw. von Personen, von denen dies angenommen wird. Dies gilt besonders für die alawitische und schiitische Bevölkerung (USDOS 3.3.2017). Das syrische Regime setzt Scharfschützen ein, um Sperrstunden durchzusetzen, oder Zivilisten an der Flucht aus belagerten Städten zu hindern (USDOS 3.3.2017). Im Juni 2017 lebten in Syrien 540.000 Menschen unter Belagerung (UNOCHA 30.6.2017).

Die vorherrschende Gewalt und der starke kulturelle Druck schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten erheblich ein. Zusätzlich gibt es ein Gesetz, das bestimmten männlichen Verwandten erlaubt, Frauen das Reisen zu verbieten (USDOS 3.3.2017). Frauen haben eine etwas größere Bewegungsfreiheit an Checkpoints - allerdings bei erhöhter Gefahr, Opfer von sexueller und physischer Gewalt durch die Kriegsparteien oder individuelle kriminelle Elemente zu werden. In Gebieten, welche vom IS kontrolliert werden, sind Frauen zahlreichen Beschränkungen ausgesetzt. Ihr Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt und ihre Bewegungsfreiheit sind sehr stark eingeschränkt oder komplett untersagt (UNHRC 11.2.2016). Der IS erlaubt Frauen nicht, ohne einen nahen männlichen Verwandten durch das von ihnen kontrollierte Gebiet zu reisen (USDOS 3.3.2017).

Die syrische Regierung verweigert die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schloss regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge. Über Menschenrechtsaktivisten oder andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, deren Familien oder Bekannte werden häufig Ausreiseverbote verhängt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt (USDOS 3.3.2017).

Aufgrund des Bürgerkrieges haben in Gebieten, welche von der Opposition kontrolliert werden, Institutionen, die Identitätsdokumente ausstellten, aufgehört zu funktionieren. In Gebieten, welche von der Regierung kontrolliert werden, gibt es diese Institutionen noch, für manche Syrer ist es jedoch unmöglich geworden sie zu erreichen. So können manche Personen Geburten, Eheschließungen oder Todesfälle nicht mehr eintragen lassen, oder sich neue Identitätsdokumente ausstellen lassen. Durch den Bürgerkrieg sind auch die Kontrollmaßnahmen schwächer geworden. So werden "echte" Dokumente mit falschen Namen oder geänderten Informationen ausgestellt. Außerdem werden vermehrt gefälschte Dokumente benutzt (Landinfo 11.11.2016).

5,3 Millionen Menschen sind seit Beginn des Konfliktes aus Syrien geflohen (UNOCHA 10.2017). Seit Beginn des Jahres 2016 wurden erhöhte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit implementiert, sowohl innerhalb Syriens als auch in den Nachbarländern. Die Landgrenzen werden durch die Nachbarstaaten streng überwacht, und es gibt strikte Bedingungen für Einreisevisa, um in den Libanon oder die Türkei einreisen zu können (MMP 4.2017). Grundsätzlich ist die türkische Grenze geschlossen, verletzte Flüchtlinge werden zur Behandlung jedoch in die Türkei gebracht. Im April 2017 stellte die Türkei den Bau einer Grenzmauer zwischen Syrien und der Türkei fertig. Die Mauer erstreckt sich über mehr als die Hälfte der 911 Kilometer langen syrisch-türkischen Grenze (Spiegel 12.4.2017).

Die Grenze zu Jordanien ist ebenfalls geschlossen (MMP 4.2017). Im Juni 2016 hat die jordanische Regierung den Grenzübergang zu Syrien wegen Sicherheitsbedenken für syrische Flüchtlinge geschlossen und auch die Durchfahrt für Hilfsleistungen gestoppt, nachdem bei einem Selbstmordanschlag in dem Gebiet sieben jordanische Soldaten getötet worden waren. Der IS bekannte sich zu diesem Anschlag und soll auch eines der beiden informellen Zeltlager von Rukban und Haladat/Hadalat auf der syrischen Seite der Grenze infiltriert haben. Wie viele Menschen tatsächlich in den Lagern leben, wissen internationale Hilfsorganisationen nur von Satellitenbildern (Standard 5.10.2016 und C. Kozak 28.12.2017). Im September 2017 verließen die geschätzten 5.000 Bewohner des Lagers in Hadalat aufgrund des Näherrückens der Regimeeinheiten und vermehrter Luftangriffe dieses und zogen in das viel größere, jedoch ähnlich verarmte, Rukban-Lager, das ungefähr 100 Kilometer nordöstlich davon liegt. Zwei Rebellen-Fraktionen der Freien Syrischen Armee (FSA) evakuierten die Bewohner des Lagers (Syria Direct 6.9.2017; vgl. CRS 13.10.2017). Am Ende des Jahres 2016 wurde die Anzahl der zwischen der jordanischen und der syrischen Grenze lebenden Personen auf 85.000 Menschen geschätzt, im August 2017 soll die Zahl zwischen 45.000 und 50.000 gelegen sein (IDMC 4.10.2017). In Rukban herrscht ein Mangel an Wasser und Medikamenten. Rechtsstaatlichkeit ist nicht gegeben, und Verbrechen sind häufig (Syria Direct 6.11.2017). Die letzte der sporadischen Hilfslieferungen in das Lager in Rukban fand laut UNHCR zwischen Mai und Juni 2017 statt, seither sind jedoch hunderte Personen vor den Kämpfen in Deir ez-Zour nach Rukban geflohen (RD 30.10.2017). Inoffizielle Schmuggelrouten existieren wahrscheinlich, die Grenze kann jedoch für Syrer und Palästinenser aus Syrien als geschlossen angesehen werden (C. Kozak 28.12.2017).

Die Situation an der syrisch-irakischen Grenze ist komplizierter. Bis vor kurzem war der Zugang zur Grenze durch die Präsenz des IS entlang der syrisch-irakischen Grenze seit 2014 eingeschränkt. Der einzige aktive Grenzübergang war und bleibt der Peshkhabour-Grenzübergang zwischen Irakisch-Kurdistan und Nordsyrien. Flüchtlinge nutzten diesen Grenzübergang in beide Richtungen, um von Syrien nach Irakisch-Kurdistan und vom Nordirak in von der YPG kontrollierte Teile Nordsyriens zu fliehen. Die Situation am Grenzübergang wurde jedoch auch von politischen Auseinandersetzungen zwischen der syrisch-kurdischen YPG und der Regionalregierung Kurdistan-Iraks (KRG) beeinflusst, was zu regelmäßigen Schließungen und Zugangsbeschränkungen für Syrer und Palästinenser aus Syrien führte. Die Zusammenstöße zwischen der KRG und den irakischen Sicherheitskräften im Nordirak drohten ebenfalls den Zugang zu verhindern. Der übrige Teil der syrisch-irakischen Grenze bleibt als Militärzone in der Anti-IS-Kampagne geschlossen, wobei inoffizielle Wege nach Irakisch-Kurdistan existieren können (C. Kozak 28.12.2017).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (BFA 8.2017).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch wieder von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab. Palästinenser sind in ihren Reisebewegungen in der Region eingeschränkt, z.B. können Syrer Aufenthaltsgenehmigungen für den Libanon erhalten, die sechs Monate gültig sind. Palästinenser hingegen können nur ein Visum für eine Woche bekommen, das nur einmal erneuerbar ist. Theoretisch haben Palästinenser die Möglichkeit in Nachbarländer zu reisen, um in dort ansässigen Konsulaten Visa abzuholen. Im Libanon etwa ist es ihnen grundsätzlich erlaubt ei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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