TE Vwgh Erkenntnis 1999/4/12 97/21/0446

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Veröffentlicht am 12.04.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des AH in Altenmarkt, geboren am 20. März 1976, vertreten durch Dr. Karl Mayer, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Kaiser-Franz-Joseph-Ring 13, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 25. Februar 1997, Zl. Fr 55/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 25. Februar 1997 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß er in Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei.

Dies begründete die belangte Behörde nach Darstellung des erstinstanzlichen Bescheides bzw. Wiedergabe von Erwägungen des Bundesasylamtes - beides wird in nicht klar erkennbarer Weise vermischt - im wesentlichen wie folgt: Der Beschwerdeführer sei am 10. September 1996 in das Bundesgebiet eingereist. Bei seiner Einvernahme im Asylverfahren habe er ausgeführt, daß von Herbst 1994 bis September 1995 in Zeitabständen von etwa zwei Monaten uniformierte Polizisten erschienen wären, um ihn nach dem Aufenthaltsort seines nach Österreich geflohenen Bruders zu befragen. Er hätte geantwortet, den Aufenthaltsort nicht zu kennen. Im Frühjahr 1995 wären der Beschwerdeführer und sein Vater zur Abgabe von Schußwaffen aufgefordert worden. Ab November 1995 bis 5. September 1996 wären die uniformierten Polizisten etwa monatlich erschienen (gemäß dem aus den Verwaltungsakten ersichtlichen Inhalt der Ersteinvernahme zu ergänzen: mit dem Verlangen, Waffen herauszugeben, deren Besitz der Beschwerdeführer jedoch stets wahrheitsgemäß bestritten hätte). Im September 1995 hätte dem Beschwerdeführer ein Befehl zur militärischen Musterung zugestellt werden sollen. Diesen Befehl hätte er nicht angenommen, weil er wie alle anderen Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo befürchtet hätte, während des Militärdienstes umgebracht zu werden.

Nach Belehrung seitens des einvernehmenden Beamten über die Möglichkeit, der Militärdienstpflicht im Rahmen eines Zivildienstes nachzukommen, habe der Beschwerdeführer weiter angegeben, daß er im Fall seiner Rückkehr wegen der zu Unrecht erhobenen Anschuldigung des Schußwaffenbesitzes von Polizisten mißhandelt und umgebracht werden würde. Er wäre im Herbst 1995 zur Abgabe von Schußwaffen aufgefordert und von den Polizisten geschlagen worden; ebenso wäre er anläßlich der Anwesenheit der Polizisten in seinem Elternhaus (zu ergänzen: am 5. September 1996) von diesen geschlagen worden.

Das Bundesasylamt habe den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 23. September 1996 abgewiesen. Die Asylbehörde habe - im vorliegenden Fall ist von den von der belangten Behörde umfangreich wiedergegebenen Erwägungen des Bundesasylamtes vor allem das Folgende relevant - ausgeführt, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten Mißhandlungen durch Polizisten nicht geeignet wären, die Basis für eine Asylgewährung zu bilden, da es sich bei diesen Ereignissen offensichtlich um Übergriffe einzelner Organe handeln würde, die keinen Schluß auf eine Motivation des Staates zuließen, den Beschwerdeführer insbesondere wegen einer politischen Gesinnung zu verfolgen, zumal ihm weder politische Mitgliedschaften noch sonstiges Engagement für die Belange der Albaner im Kosovo vorgeworfen worden wären. Der gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Berufung habe der Bundesminister für Inneres keine Folge gegeben.

Der Behörde sei es auf Grund des im § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel nicht verwehrt, die Angaben des Beschwerdeführers und die Ergebnisse des Asylverfahrens heranzuziehen. In seinem Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Jugoslawien habe der Beschwerdeführer keine über das Asylverfahren hinausgehenden Angaben gemacht. Er sei - so die belangte Behörde weiter - Staatsangehöriger der "Bundesrepublik Jugoslawien" und unterliege wie jeder Angehörige dieses Staates der Wehrpflicht. Die Strafsanktion für eine Verletzung dieser Pflicht sei für alle gleich. Anläßlich seiner Einvernahme im Asylverfahren habe der Beschwerdeführer vorgebracht, daß von Herbst 1994 bis September 1995 uniformierte Polizisten in Zeitabständen von etwa zwei Monaten erschienen wären und nach dem Aufenthalt seines Bruders gefragt hätten. Von November 1995 bis 5. September 1996 wären die Polizisten etwa monatlich erschienen und hätten nach Schußwaffen gefragt. Obwohl der Beschwerdeführer im September 1995 eine Vorladung zur Musterung mißachtet hätte, wäre er nie neuerlich aufgefordert und vorgeladen worden bzw. hätten die Polizisten nie wegen der Verweigerung der Musterung gefragt. Erst nach Belehrung über die Möglichkeit der Ableistung des Zivildienstes habe der Beschwerdeführer vorgebracht, daß er in seinem Elternhaus von Polizisten mit den Händen geschlagen worden wäre. Dieses einschneidende Ereignis habe er nicht während des chronologischen Ablaufes der Einvernahme dargelegt, sondern erst an deren Schluß, nachdem ihm gesagt worden sei, daß die Verweigerung des Militärdienstes in seinem Heimatland "gleichsam legal umgangen werden" könne. Seine Befürchtungen, anläßlich der Einvernahme mißhandelt und getötet zu werden, seien Vermutungen und stützten sich auf Berichte von Massenmedien, von amnesty international und einer Menschenrechtsorganisation im Kosovo. Wenn seine Angaben den Tatsachen entsprächen, so hätte der Beschwerdeführer die Hausdurchsuchungen und Befragungen nicht überlebt, zumal er ca. 18 Hausdurchsuchungen und Befragungen durch die serbische Polizei über sich hätte ergehen lassen müssen. Im übrigen sei es nicht nachvollziehbar, daß die Polizei so oft vergeblich nach Schußwaffen gesucht bzw. daß der Beschwerdeführer im Fall tatsächlicher Mißhandlungen nicht schon vorher sein Heimatland verlassen hätte. Auf Grund seines Vorbringens seien daher keine stichhaltigen Gründe für die Annahme zu erblicken, daß er im Fall seiner Abschiebung (nach Jugoslawien) gemäß § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte für den Fall des Obsiegens Kostenzuspruch.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach den §§ 58 Abs. 2 und 60 i.V.m. § 67 AVG haben Berufungsbescheide eine Begründung zu enthalten, in der die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. In der Bescheidbegründung ist daher in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, unter E 8. zu § 67 AVG und E 1. bis 9. zu § 60 AVG nachgewiesene Rechtsprechung). Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung des Bescheides führt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179).

Im vorliegenden Fall läßt die belangte Behörde nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, auf welchem Sachverhalt ihre Entscheidung beruht. Erkennbar ist bloß, daß sie dem im Zuge der Einvernahme durch das Bundesasylamt erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers jedenfalls nicht zur Gänze folgt. Das ergibt sich daraus, daß sie zunächst betont, daß der Beschwerdeführer erst gegen Ende seiner Einvernahme und nicht bei Schilderung des chronologischen Ablaufs der Geschehnisse körperliche Mißhandlungen angegeben habe; vor allem aber ist es aus dem Umstand abzuleiten, daß es die belangte Behörde als nicht nachvollziehbar erachtet, daß "die Polizei so oft innerhalb eines Jahres vergeblich nach Schußwaffen gesucht bzw. im Falle von tatsächlichen Mißhandlungen Sie nicht schon vorher ihr Heimatland verlassen hätten". Offen bleibt allerdings, in welchen ganz konkreten Punkten die Angaben des Beschwerdeführers nicht übernommen werden. Das von der Behörde konstatierte "Nachschieben" von Behauptungen bezieht sich ausschließlich auf Mißhandlungen, womit freilich die aus der Sicht der Behörde nicht nachvollziehbare mehrmalige, vergebliche Waffensuche durch die Polizei nicht unmittelbar zu tun hat; das Argument, es sei nicht einsichtig, warum der Beschwerdeführer im Fall von tatsächlichen Mißhandlungen nicht schon früher sein Heimatland verlassen habe, kann sich schließlich nur auf den Vorfall vom Herbst 1995 beziehen, weil die zweite vom Beschwerdeführer behauptete Mißhandlung gemäß seinen Angaben am 5. September 1996 und damit unmittelbar vor seiner Ausreise aus Jugoslawien stattgefunden habe. Daß die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers generell für unglaubwürdig erachtet hätte, läßt sich ihren Überlegungen daher nicht entnehmen, zumal vorweg ausdrücklich auf die Ergebnisse des Asylverfahrens Bezug genommen wird und im Rahmen desselben Hausdurchsuchungen nach Waffen als amtsbekannte Tatsache dargestellt bzw. die vom Beschwerdeführer geschilderten Mißhandlungen - ohne sie in Zweifel zu ziehen - als Übergriffe einzelner Organe qualifiziert worden sind. Auch der Satz "Wenn Ihre Angaben den Tatsachen entsprechen, so hätten Sie die Hausdurchsuchungen und Befragungen nicht überlebt." kann nicht als pauschales Inabredestellen der Darstellung des Beschwerdeführers verstanden werden, weil er sich primär nicht auf tatsächliche Geschehnisse, sondern auf die unmittelbar davor wiedergegebene Befürchtung des Beschwerdeführers, er werde anläßlich "der Einvernahme" mißhandelt und getötet werden, bezieht.

Ist nach dem Gesagten nicht klar, von welchen Vorfällen die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung ausgeht bzw. welche Behauptungen des Beschwerdeführers sie als unglaubwürdig verwirft, so wird sie den eingangs dargestellten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bescheidbegründung nicht gerecht.

Dieser Mangel ist jedenfalls vor dem Hintergrund der vom Beschwerdeführer gegen den negativen erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden erhobenen Berufung von Relevanz. Dort hat er nämlich auf exzessive Polizeiübergriffe und Mißhandlungen im Zuge von Hausdurchsuchungen Bezug genommen und dazu aus einem Bericht von amnesty international vom September 1994 wie folgt zitiert:

"Die am weitesten verbreitete Form des Polizeiterrors im Kosovo, unter der ganze Familien zu leiden haben, ist die Suche nach Waffen in Häusern und Wohnungen ... Die Wirkungen der Durchsuchungen nach Waffen beruht auf der bewußten Einschüchterung und der bewußt zerstörerischen Weise, in der sie durchgeführt wird:

Möbel werden zerschlagen, den Bewohnern wird gedroht, sie werden angeschrien und beleidigt. Die männlichen Bewohner werden häufig festgenommen und auf den örtlichen Polizeistationen mißhandelt oder, was noch herabwürdigender ist, vor der eigenen Familie geschlagen. Diese Mißhandlungen sind oft schwer und sie verursachen häufig Verletzungen: es gibt gewöhnlicherweise Berichte über Prügeleien bis zur Bewußtlosigkeit, schmerzhafte Blutergüsse, gebrochene Zähne oder Rippen."

Wäre der Beschwerdeführer schon mehrmals Waffensuchen unterzogen worden, so müßte er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch für die Zukunft mit derartigen Maßnahmen rechnen, weil nicht ersichtlich ist, wieso die serbischen Sicherheitskräfte plötzlich davon Abstand nehmen sollten. Dann müßte der Beschwerdeführer aber nach dem Inhalt des von ihm zitierten und zuvor wiedergegebenen Berichtes, mit dem sich die belangte Behörde in keiner Weise auseinandergesetzt hat, berechtigt befürchten, auch er könnte in näherer Zukunft Opfer eines Behördenexzesses in der dargestellten Form werden. Eine derartige Befürchtung wäre unabhängig davon begründet, ob der Beschwerdeführer bereits - wie von ihm behauptet - geschlagen worden ist. In jedem Fall wäre nämlich die Annahme gerechtfertigt, er wäre bislang nur zufällig von Übergriffen mit den genannten schweren Folgen verschont geblieben. Die schon erwähnte Überlegung der belangten Behörde "Wenn Ihre Angaben den Tatsachen entsprechen, so hätten Sie die Hausdurchsuchungen und Befragungen nicht überlebt." geht insoweit am Problem vorbei, als die im Verfahren nach § 54 FrG zu erstellende Prognose nicht nur auf bereits vom betreffenden Fremden selbst erlittener Verfolgung beruhen kann. Im übrigen mag dahinstehen, ob die Behauptungen des Beschwerdeführers die Annahme begründen, er müsse für den Fall seiner Abschiebung nach Jugoslawien damit rechnen, von den Sicherheitskräften "umgebracht" zu werden; die gegebenenfalls zu befürchtenden Mißhandlungen mit schweren Folgen (siehe oben) stellten jedenfalls eine unmenschliche Behandlung im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG dar.

Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel behaftet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 12. April 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997210446.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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