TE Vwgh Erkenntnis 1999/5/4 97/08/0061

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Veröffentlicht am 04.05.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ASVG §101;
ASVG §175 Abs1;
ASVG §354;
ASVG §355;
AVG §52;
BKUVG §42;
BKUVG §90;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des J in A, vertreten durch Dr. Walter Riedl und andere Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 16. Jänner 1997, Zl. GS8-6619/7-1997, betreffend Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 42 B-KUVG (mitbeteiligte Partei:

Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädterstraße 80, 1081 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Am 22. September 1993 verspürte der Beschwerdeführer bei einer stärkeren Belastung im Zuge der "Ausbildung einsatzbezogener Körperkraft" als Gendarmeriebeamter einen heftigen brennenden Schmerz in der linken Ferse.

Die gegen den die Anerkennung gemäß § 90 Abs. 1 B-KUVG als Dienstunfall und die Zuerkennung von Leistungen gemäß §§ 88ff B-KUVG ablehnenden Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 14. Jänner 1994 beim Landesgericht Krems als Arbeits- und Sozialgericht erhobene Klage hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Streitverhandlung vom 16. Juni 1994 zurückgezogen, weil der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten vom 9. April 1994 zu folgender Beurteilung gelangt war:

"Erstmalig angegeben sind Beschwerden seit einem Training am 22.9.1993, wobei er dabei ein plötzliches Brennen im Bereich der Achillessehne gespürt habe. Seine Schilderung von diesem Ereignis ist typisch für einen Riss der Achillessehne, wobei aber nach sowohl MRT-Untersuchung als auch nach heutiger klinischer Untersuchung ein Riss der Achillessehne ausgeschlossen werden kann.

Im MRT sind im Ansatzbereich der Achillessehne Degenerationszeichen zu erkennen (Auftreibungen und Aufhellungen).

Im gegenständlichen Fall hat es sich um keinerlei von außen auf die Achillessehne direkt einwirkende Kraft gehandelt und kann das gegenständliche Ereignis vom 22.9.1993 nicht als Unfall im gesetzlichen Sinne gesehen werden, sondern als Gelegenheitsursache.

Überreizungszustände der Achillessehne, wie im vorliegenden Fall kommen natürlich vor allem bei vermehrter Belastung zustande, gründen sich aber in degenerativen Veränderungen der Achillessehne und wäre es bei jeder anderen Gelegenheit ebenfalls zum Auftreten der Beschwerden gekommen."

In der mündlichen Streitverhandlung vom 16. Juni 1994 ergänzte der Sachverständige sein Gutachten dahingehend, dass die beim Kläger vorliegende Achillessehnenüberreizung üblicherweise durch das Anlegen eines Gipsverbandes und Ruhigstellung innerhalb von zwei Wochen zum Schwinden gebracht werden könne

Mit der Zurücknahme der Klage trat gemäß § 72 Z 1 ASGG der durch die Klage außer Kraft getretene Bescheid vom 14. Jänner 1994 nicht wieder in Kraft. Obwohl im Zeitpunkt der Zurücknahme der Klage der § 72 Z 2 lit. c 2. Halbsatz ASGG in der ab 1. Jänner 1995 geltenden Fassung nach Artikel I Z 26 lit. a und b

BGBl. Nr. 624/1994, wonach der Versicherungsträger auch sonst in Rechtsstreitigkeiten, in denen das Vorliegen eines Arbeits(Dienst)unfalls strittig ist, einen Bescheid zu erlassen hat, der dem durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheid entspricht, noch nicht in Kraft getreten war, erließ die mitbeteiligte Partei am 14. Juli 1994 von Amts wegen einen weiteren Bescheid, womit der Vorfall vom 22. September 1993 gemäß § 90 B-KUVG nicht als Dienstunfall anerkannt werde und Leistungen gemäß §§ 88 ff ?-KUVG nicht gewährt würden.

Die mitbeteiligte Partei ging dabei von folgenden Feststellungen aus:

"Am 22.9.1993 verspürten Sie am Ende der Aufwärmphase während der Ausbildung AEK plötzlich einen brennenden Schmerz in der linken Ferse. Ihr behandelnder Arzt stellte am nächsten Tag eine Zerrung der linken Achillessehne fest.

Der Ablauf des Ereignisses war nicht geeignet eine gesunde Achillessehne zu verletzen. Es lag weder eine Einwirkung von außen, noch eine außergewöhnliche Belastung vor. (...) Es handelt sich dabei vielmehr um eine degenerative Gewebsveränderung für deren akutes Auftreten der Dienst lediglich die Gelegenheitsursache bot."

Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

2. Am 14. Dezember 1994 stellte der Beschwerdeführer bei der mitbeteiligten Partei einen Antrag auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 42 B-KUVG, weil sich bei der "operativen Revision" vom 20. September 1994 herausgestellt habe, dass er am 22. September 1993 einen Teilausriss von Achillessehnenfasern beim Ansatz am Fersenbein mit anschließender Verkalkung erlitten habe.

Mit Bescheid vom 30. November 1995 lehnte die mitbeteiligte Partei den Antrag auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes mit folgender Begründung ab:

"Auch wenn sich die seinerzeit festgestellte Achillessehnenüberreizung als Fehldiagnose darstellt und nunmehr ein teilweiser knöcherner Ausriss von Achillessehnenfasern diagnostiziert wurde, so fehlt es nach wie vor an der für die Anerkennung als Unfall im Rechtssinn unerlässlichen äußeren Gewalteinwirkung. Eine solche hat ohne Zweifel nicht stattgefunden, sodass der Vorfall vom 22.9.1993 unabhängig davon, in welchem Ausmaß die Achillessehne nun tatsächlich geschädigt ist, keinesfalls als Unfall gewertet werden kann. Vielmehr ist der bestehende Sehnenschaden Folge degenerativer Veränderungen."

Diese Feststellungen stützten sich auf ein Anstaltsgutachten vom 28. Juni 1995, das nach einer Untersuchung des Beschwerdeführers zu folgendem Ergebnis gelangte:

"Grundsätzlich setzen Risse der Achillessehne eine von außen einwirkende erhebliche Gewalt voraus. Eine solche fehlt im gegenständlichen Fall.

Durch chronische Überreizung, aber auch bei diabetischer Stoffwechselveränderung, bei Gicht und ähnlichem kommt es zu degenerativen Fasereinrissen im Sehnengewebe. Meist findet man histologisch Vakuolen im Gewebe, kleine Einblutungen, Fibrinablagerungen. Diese können dann bei chronischen Entzündungen durch Kalkeinlagerungen das Bild der vom Operateur und Sachverständigen beschriebenen Auffaserung der Sehne mit Kalkeinlagerungen in den Faserendungen ergeben.

Es handelt sich dabei aber um eine chronische Entzündung, die durch immer wiederkehrende Mikrotraumen und Überlastung des Gewebes entsteht, nicht durch einen Unfall. (...)

Im gegenständlichen Fall war es eine bewusst willentlich eingeleitete Bewegung, die Veränderungen hätten genauso gut am Sonntag beim Spielen mit Kindern oder Enkelkindern, am Samstag Abend beim Tanzen oder in der Freizeit auftreten können. Zufällig wurde das erste Symptom während einer Dienstverrichtung beobachtet. Es ist aber nicht die dienstliche Belastung die nicht wegdenkbare Ursache des Beschwerdebildes."

Dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde mit dem bekämpften Bescheid vom 16. Jänner 1997 keine Folge gegeben.

Das im Einspruchsverfahren eingeholte medizinische Sachverständigengutachten vom 3. Oktober 1996 führte Folgendes aus:

"A) Ein Gutachten im Sinne des AVG kann für diesen Fall insofern nicht erstellt werden, als der Abteilung S/1 nicht die erforderlichen diagnostischen Möglichkeiten, die möglicherweise - nicht sicher - einen Beitrag zur Klärung bringen könnten, zur Verfügung stehen, eine rein klinische Untersuchung aber nach der orthopädischen Operation von vor etwas über zwei Jahren keinerlei neue Erkenntnisse erwarten lässt.

B) 1. (...)

2. ... (Es) ist festzustellen, dass ein nicht vorgeschädigtes, im Normalzustand derart reißfestes Gewebe wie die Achillessehne (eines der zugfestesten Gewebe des menschlichen Körpers) kaum jemals allein beim gewöhnlichen Aufwärmen für eine Dienst- oder Sportübung ganz oder teilweise ausreißt. Allerdings ist in der Medizin nichts hundertprozentig apodiktisch zu behaupten, doch spricht die Wahrscheinlichkeit und die überwältigende medizinische Erfahrung dagegen, dass eine vollkommen unbeschädigte Achillessehne auch nur teilweise knöchern ausreißt.

Ob es sich im gegenständlichen Fall nun tatsächlich um eine Vorschädigung und vor allem welcher Art gehandelt hat, ist jetzt im Nachhinein nicht mehr feststellbar.

3. Eine degenerative Vorschädigung kann ohne histologische Untersuchung überhaupt nur aus der Erfahrung mit ähnlich gelagerten Fällen vermutet, aber nicht objektiviert werden.

4.

(...)

5.

Die Beurteilung, ob die Sehnenfasernausrisse unfallkausal waren, also die überwiegende Ursache des teilweisen Fasernausrisses bei der 'Aufwärmübung' und den in ihrem Rahmen vorgenommenen Bewegungen liegen oder aber schon längere Zeit vorgeschädigte Sehnenfasern bei einer banalen Bewegung des Gelenkes im Sinne des letzten Tropfens, der ein volles Gefäß zum Überlaufen bringt, endlich ein- bzw. ausgerissen sind, könnte nur auf Grund einer histologisch-pathologischen Untersuchung der gerissenen Sehnenfasern erfolgen. Eine Möglichkeit, die ha. nicht zur Verfügung steht und jetzt im Nachhinein wohl auch nicht mehr möglich sein wird."

Die belangte Behörde gelangte zur Auffassung, dass bei dem Bescheid vom 14. Juli 1994 kein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt unterlaufen sei. Eine histologische Untersuchung könnte die Vorschädigung zwar objektivieren, diese lasse sich aber auch aus dem eingeholten Sachverständigengutachten allein auf Grund einer "überwältigenden medizinischen Erfahrung" ableiten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

              1.              Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. Juni 1994, K I-5/93-8, ist die Entscheidung, dass der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache. Demgemäß hatte sich der mit dem Einspruch angerufene Landeshauptmann auf die Frage der Zulässigkeit der Herstellung des gesetzlichen Zustandes zu beschränken und dem Sozialversicherungsträger bejahendenfalls die Herstellung, also die Erlassung eines neuen Leistungsbescheides, aufzutragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. April 1996, Zl. 95/08/0006).

              2.              Gemäß § 42 B-KUVG ist dann, wenn sich nachträglich ergibt, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.

Ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt liegt vor, wenn der Sozialversicherungsträger rechtlich relevante Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmen. Der § 42 B-KUVG bietet zwar keine Handhabe dafür, jede Fehleinschätzung im Tatsachenbereich, insbesondere durch eine angeblich unrichtige Beweiswürdigung, im Nachhinein neuerlich aufzurollen, es kann jedoch etwa dadurch zu wesentlichen, nach dem § 42 B-KUVG aufgreifbaren Irrtümen über den Sachverhalt kommen, dass der Sachverständige bei Erstellung von Befund und Gutachten eine gesicherte Erkenntnis seines Faches bzw. die Regeln seiner Wissenschaft nicht beachtet hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 1997, Zl. 96/08/0079).

Im vorliegenden Fall ist es unstreitig zu einem Irrtum über ein (nicht unmittelbar rechtlich relevantes) Sachverhaltselement gekommen, weil die dem gerichtlichen Sachverständigen folgende mitbeteiligte Partei im Bescheid vom 14. Juli 1994 lediglich von einer Achillodynie (Achillessehnenüberreizung) ausgegangen ist, während es bei dem Vorfall vom 22. September 1993 tatsächlich zu einem Teilausriss von Achillessehnenfasern beim Ansatz am Fersenbein mit anschließender Verkalkung gekommen war.

Ob dieser diagnostische Irrtum auch wesentlich im Sinne des § 42 B-KUVG ist, hängt davon ab, ob er für die rechtliche Beurteilung des Feststellungs- oder Leistungsanspruches Bedeutung erlangt (vgl. Snasel, Versicherungsrundschau 1959, 56 ff, Stolzlechner, Probleme des Irrtums im Leistungsrecht der Sozialversicherung in DRDA 1986, 288 ff) , ob er sich also auf die Beurteilung der (sozialversicherungsrechtlich verstandenen) Kausalität des Unfallereignisses auswirkt. Es kommt darauf an, ob die vom Irrtum betroffenen Sachverhaltselemente im Zusammenhang mit dem im seinerzeitigen Bescheid angenommenen unstrittigen Sachverhalt den Anspruch des Beschwerdeführers auf Anerkennung eines Dienstunfalls bzw. auf Zuerkennung einer Versehrtenrente begründet hätten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 98/08/0002).

3.1. Nach der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte ist ein Unfall im Sinn des § 90 Abs. 1 B-KUVG (§ 175 Abs. 1 ASVG) ein zeitlich begrenztes Ereignis, das zu einer Körperschädigung geführt hat (SSV-NF 9/17). Auch eigene Körperbewegungen können Unfallereignisse darstellen. Es kommt nicht darauf an, ob eine außergewöhnliche Belastung oder Überanstrengung vorliegt, weil auch solche Ereignisse als Unfall gelten, die sich bei gewöhnlicher Ausübung der Berufstätigkeit ereignen, sofern sie nur kurze Zeit dauern (Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, 8. Ergänzungslieferung, Punkt 2.3.2.2., Seite 269 ff).

3.2. Es kommt für eine Anerkennung als Dienstunfall nicht allein auf die natürliche (naturwissenschaftliche) Kausalität des aus der Risikosphäre der Unfallversicherung stammenden zeitlich begrenzten Ereignisses, sondern darauf an, ob diese Ursache für die körperliche Schädigung wesentlich war. Um diese Frage beurteilen zu können reichen die bisherigen Feststellungen aber nicht aus.

Haben mehrere Ursachen zu einer körperliche Schädigung geführt, so ist nach der Rechtsprechung nur "jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur im geringerem Umfang eingetreten wäre", wesentlich (vgl. zur "Theorie der wesentlichen Bedingung" OGH 27. Jänner 1988, 9 ObS 32/87 = JBl 1988, 399, OGH 10. März 1992, 10 ObS 57/92 = SSV-NF 6/30, Tomandl, System, Punkt 2.3.2., Seite 307, m.w.N., und Grillberger, österreichisches Sozialrecht,

4. Aufl., 62). Damit werden in erster Linie die so genannten "Anlagefälle" ausgeschieden, also solche Gesundheitsschäden, die auf einem Vorschaden (zB Anlageschaden) beruhen und durch die kausale Einwirkung aus dem Schutzbereich der Unfallversicherung nur ausgelöst wurden, doch aller Wahrscheinlichkeit nach gleichzeitig oder nur unwesentlich später (etwa durch ein triviales Alltagsereignis) und in gleichem oder in nur unwesentlich geringerem Ausmaß auf Grund einer schlechten gesundheitlichen Veranlagung entstanden wären. Eine solche Veranlagung schließt dann die Wesentlichkeit der im Schutzbereich der Unfallversicherung liegenden (Gelegenheits)ursache aus, wenn die aus ihr resultierende akute Schädigung so leicht ansprechbar war, dass es keiner besonderen, unersetzlichen äußeren Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis die Erscheinungen ausgelöst hätte (vgl. die bereits erwähnte Entscheidung OGH 27. Jänner 1988, 9 ObS 32/87 = JBl 1988, 399). Eine (Gelegenheits)ursache, die zu einer Verfrühung des Körperschadens um mehr als ein Jahr führt, wäre jedoch als wesentlich zu betrachten (OGH 12. März 1991, 10 ObS 414/90 = SSV-NF 5/22).

Die gesundheitliche Entwicklung ist unter Einbeziehung alltäglich vorkommender Ereignisse zu prognostizieren, d.h. solcher, deren in nahe Zukunft fallendes Vorkommen konkret festgestellt werden kann. Das bloße Aufzählen abstrakter Möglichkeiten (zB "Einwirkung eines Gewichtes beim Heben und Tragen einer Last zwischen 10 und 20 kg") wurde von der Rechtsprechung als nicht ausreichend angesehen (OGH 28. Jänner 1993, 10 ObS 5/93 = SSV-NF 7/10). Alltäglich sind etwa Belastungen, die, wenn auch nicht jeden Tag, so doch altersentsprechend mit gewisser Regelmäßigkeit im Leben auftreten, wie etwa normales oder auch beschleunigtes Gehen, unter Umständen auch kurzes schnelles Laufen, Treppen steigen, Bücken, leichtes bis mittelschweres Heben oder ähnliche Kraftanstrengungen. Hingegen sind Hundebisse, Verkehrsunfälle oder Stürze kein alltägliches Ereignis (OGH 22. März 1994, 10 ObS 50/94 = SSV-NF 8/26).

3.3. Die belangte Behörde hat von Amts wegen unter Bedachtnahme auf die gesetzlichen Anforderungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1995, Zl. 94/08/0015 = VwSlg. 14369/A) ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. April 1996, Zl. 95/08/0006). Das Sachverständigengutachten, auf das sich die belangte Behörde stützte, ist zwar nicht allein dadurch, dass es lediglich auf Grund der Aktenlage erstellt wurde, mangelhaft. Die belangte Behörde hätte es jedoch nicht bei dem einleitenden Hinweis des Gutachtens, dass es nicht erstellt werden könne, weil die erforderlichen diagnostischen Möglichkeiten der betreffenden Abteilung nicht zur Verfügung stehen, bewenden lassen dürfen. Die belangte Behörde hätte allenfalls erforderliche, dem Beschwerdeführer zumutbare Untersuchungen zu veranlassen und eine gutachtliche Äußerung darüber einzuholen sowie entsprechende Feststellungen darüber zu treffen, ob der beim Beschwerdeführer eingetretene Schaden zumindest im Sinne eines Verfrühungsschadens als unfallkausal angesehen werden kann und in welcher Höhe bzw. welcher Dauer daraus eine Minderung der Erwerbsfähigkeit resultierte.

Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Stempelgebührenersatz konnte zufolge der Gebührenbefreiungsbestimmung des § 30 B-KUVG i.V.m. § 110 Abs. 1 Z 2 lit. a ASVG nicht zuerkannt werden.

Wien, am 4. Mai 1999

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Gutachten rechtliche Beurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997080061.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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