TE Vfgh Beschluss 2019/2/28 WIV6/2018

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Veröffentlicht am 28.02.2019
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Index

L6000 Landwirtschaftskammer

Norm

B-VG Art 141 Abs1 lita; Art 141 Abs1 liti
ZPO §146

Leitsatz

Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor dem VfGH bei Anfechtungen betreffend die Nichtaufnahme in ein Wählerverzeichnis nicht zulässig; keine sinngemäße Anwendung der Bestimmungen über die Wiedereinsetzung nach der ZPO

Spruch

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Sachverhalt und Anfechtungsvorbringen

1.       Am 11. März 2018 fand die Wahl der Mitglieder in die Vollversammlung der Landwirtschaftskammer für Wien statt. Das Wahlergebnis wurde im Amtsblatt der Stadt Wien Nr 12/2018 vom 22. März 2018 kundgemacht.

2.       Am 22. Jänner 2018 erhob der Antragsteller als Geschäftsführer einer näher bezeichneten Unternehmergesellschaft Einspruch gegen das Wählerverzeichnis dieser Wahl wegen Nichtaufnahme ins Wählerverzeichnis. Mit Verständigungen vom 24. Jänner 2018 wurde diese Unternehmergesellschaft über die Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis informiert.

3.       Mit Beschwerde gegen die "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt" vom 12. März 2018 an das Verwaltungsgericht Wien beantragte der Antragsteller als Geschäftsführer der Unternehmergesellschaft die Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis für rechtswidrig zu erklären.

4.       Mit Beschluss vom 26. April 2018 wies das Verwaltungsgericht Wien diese Beschwerde zurück. Begründend führte es aus, der Antragsteller habe nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist von zwei Wochen seine Vertretungsbefugnis für die Unternehmergesellschaft durch einen aktuellen Handelsregisterauszug nachgewiesen. Da kein Hinweis vorliege, dass er vertretungsbefugt sei, sei die Beschwerde mangels Legitimation zurückzuweisen.

5.       Mit am 13. Juni 2018 beim Verwaltungsgericht Wien eingelangtem Antrag beantragte der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er auf Grund einer unvorhersehbaren und plötzlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes an der Vorlage eines aktuellen Handelsregisterauszuges gehindert gewesen sei.

6.       Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 26. Juni 2018 vom Verwaltungsgericht Wien abgewiesen, weil eine Erkrankung für sich alleine keinen Wiedereinsetzungsgrund darstelle und der Antragsteller nicht dargelegt habe, dass er gehindert gewesen sei, die Versäumung der Frist zB durch die Beauftragung eines Vertreters abzuwenden.

7.       Mit Eingabe beim Verfassungsgerichtshof vom 11. Juni 2018 beantragte der Antragsteller als Geschäftsführer der Unternehmergesellschaft die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die Versäumung der Frist zur Anfechtung der Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis für die Wahl der Mitglieder in die Vollversammlung der Landwirtschaftskammer für Wien, focht gemäß Art141 B-VG die Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis sowie die Wahl selbst an und beantragte die Bewilligung der Verfahrenshilfe. Für den Fall der Ab- oder Zurückweisung der Anfechtungen gemäß Art141 B-VG erhob er gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 26. April 2018 eine Beschwerde gemäß Art144 B-VG.

8.       Mit Beschluss vom 25. September 2018 wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Anfechtung der Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis zurück, weil dieser – ungeachtet der Frage, ob ein Wiedereinsetzungsantrag in Verfahren gemäß Art141 B-VG zulässig ist – jedenfalls verspätet war. Die Anfechtung der Wahl der Mitglieder in die Vollversammlung der Landwirtschaftskammer für Wien wurde mangels Legitimation zurückgewiesen, weil es sich bei der antragstellenden Unternehmergesellschaft nicht um eine wahlwerbende Partei handelt. Die Anfechtung der Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis wurde als verspätet zurückgewiesen. Die Beschwerde gemäß Art144 B-VG gegen den unter Pkt. 4 genannten Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien wurde als unzulässig zurückgewiesen, weil die Wahlgerichtsbarkeit des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art141 B-VG der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art144 B-VG vorgeht. Der Antrag auf Verfahrenshilfe wurde abgewiesen (VfGH 25.9.2018, E2346-2349/2018, WIV2-5/2018).

9.       Mit Eingabe vom 4. September 2018 beantragte der Antragsteller die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Anfechtung gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes Wien vom 26. April 2018 und 26. Juni 2018.

10.       Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 21. November 2018, WIV6/2018, wurde dieser Antrag zurückgewiesen, weil der Antragsteller der Aufforderung vom 16. Oktober 2018 (zugestellt am 23. Oktober 2018), innerhalb von zwei Wochen ein Vermögensbekenntnis abzugeben, die Entscheidung, deren Anfechtung beabsichtigt ist, in Form einer Ausfertigung, Abschrift oder Kopie anzuschließen bzw der Erfüllung dieses Auftrages entgegenstehende Hindernisse mitzuteilen und die Eingabe mit einer (Original-)Unterschrift des Antragstellers zu versehen, nicht nachgekommen war.

11.      Mit Eingabe vom 4. Dezember 2018 beantragt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Verbesserungsfrist. Begründend führt er – unter Vorlage eines Durchschlages – im Wesentlichen aus, dass er fristgerecht mit Schreiben vom 29. Oktober 2018 dem Verbesserungsauftrag nachgekommen sei. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei fristgerecht, weil er erst mit Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses am 27. November 2018 davon Kenntnis erhalten habe, dass sein Schreiben vom 29. Oktober 2018 nicht beim Verfassungsgerichtshof eingelangt sei.

II.      Erwägungen

1.       Gemäß §33 VfGG idF BGBl I 33/2013 konnte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist nur in den Fällen des Art144 B-VG stattfinden. Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis VfSlg 20.107/2016 diese Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die Aufhebung mit Ablauf des 31. März 2018 in Kraft tritt.

Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, dass §33 VfGG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist nur im Beschwerdeverfahren nach Art144 B-VG zuließ, aber (unter anderem) für das Verfahren betreffend einen (Partei-)Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG (oder Art139 Abs1 Z4 B-VG) ausschloss, obwohl das Rechtsschutzinteresse in beiden Verfahren gleichartig ist. Der Verfassungsgerichtshof hob diese Bestimmung wegen Widerspruchs zum rechtsstaatlichen Prinzip auf (VfSlg 20.107/2016). Er sah – entsprechend der Anregung der Bundesregierung, die in ihrer Äußerung darauf hingewiesen hatte, dass ein Ausschluss der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand insbesondere in Verfahren betreffend Wahlanfechtungen gerechtfertigt erscheine – für das Außerkrafttreten des §33 VfGG eine Frist vor.

2.       Da eine Ersatzregelung für den aufgehobenen §33 VfGG bis zum heutigen Tag nicht geschaffen wurde, ist die Frage der Zulässigkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §35 Abs1 VfGG zu beurteilen. Gemäß dieser Bestimmung ist auf das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof die ZPO sinngemäß anzuwenden, soweit im VfGG nicht anderes bestimmt ist. Mit sinngemäßer Anwendung ist jedoch nicht gemeint, dass die Bestimmungen der ZPO jedes Mal, wenn das VfGG keine Sondervorschrift enthält, heranzuziehen sind, sondern nur dann, wenn die sachlichen Voraussetzungen für ihre Anwendung mit denen der ZPO parallel laufen (VfSlg 2614/1953).

3.       Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf Verfahren betreffend die Wahlgerichtsbarkeit gemäß Art141 B-VG (zB VfSlg 16.309/2001, 17.637/2005) auf Grund der Bestimmung des §33 VfGG als unzulässig angesehen, ohne dass bei ihm Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des §33 VfGG und den Ausschluss der Möglichkeit zur Stellung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstanden wären. Bei der Wahlgerichtsbarkeit handelt es sich um eine besondere, dem Verfassungsgerichtshof zukommende Kompetenz, die eine eigene Verfahrensart mit sich bringt.

4.       Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient in erster Linie dem individuellen Rechtsschutz und steht daher mit der rechtsstaatlich gebotenen Effektivität des Rechtsschutzes in Zusammenhang

. Dem individuellen Rechtsschutz kommt insbesondere bei Verfahren nach Art 144 B-VG und (Partei-)Anträgen gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG große Bedeutung zu (VfSlg 20.107/2016; vgl zum Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes zB VfSlg 15.218/1998, 17.340/2004). Bei der Beurteilung, bei welchen Verfahren ein Antrag auf Wiedereinsetzung zulässig ist, ist eine Abwägung zwischen individuellen und anderen (öffentlichen) Interessen, wie etwa der Bestandkraft und Rechtssicherheit, vorzunehmen (vgl VfSlg 20.107/2016).

5.       Bei Wahlverfahren gemäß Art141 Abs1 lita B-VG sowie bei den damit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Verfahren betreffend die Anlegung der Wählerverzeichnisse gemäß Art141 Abs1 liti leg.cit. hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass für ihn das öffentliche Interesse, innerhalb kurzer Zeit Entscheidungen zu fällen und so endgültig Klarheit zu schaffen, im Vordergrund steht und er hier eine besondere "Dringlichkeit" sieht. Dies kommt beispielsweise dadurch zum Ausdruck, dass bei diesen Verfahren gemäß §68 VfGG – anstatt der sonst üblichen Frist von sechs Wochen – eine Frist von nur vier Wochen bzw gemäß §21 Abs2 BPräsWG und §80 EuWO von einer Woche zur Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof vorgesehen ist. Auch bei Verfahren betreffend Wählerverzeichnisse wird erst im Zuge dieser Verfahren festgestellt, wer bei einer Wahl wahlberechtigt ist. Der Gesetzgeber erachtet daher ebenfalls kurze Fristen (zB §§30 Abs1 und 32 Abs2 NRWO) sowie Vorkehrungen für erforderlich, um rechtzeitig vor der jeweiligen Wahl eine rechtskräftige Entscheidung dahingehend zu ermöglichen, ob eine bestimmte Person wahlberechtigt ist (vgl AB 2381 BlgNR 24. GP, 2); auch sind die Tage des Postlaufes bei diesen Fristen einzurechnen (§123 Abs2 NRWO). Auf Grund der kurzen Fristen werden in diesen Verfahren auch geringe Anforderungen an das Ermittlungsverfahren vor den Wahlbehörden gestellt (vgl VfSlg 8845/1980, 10.668/1985, 11.962/1989, 13.244/1992, 18.521/2008).

6.       Überdies kann im Gegensatz zu den nach den (generellen) Wählerevidenzgesetzen anzulegenden Evidenzen, von denen sich die anlässlich einer Wahl nach Art141 Abs1 lita B-VG anzulegenden Wählerverzeichnisse ableiten, in Verfahren betreffend die Wählerverzeichnisse nach deren Abschluss kein neuer Antrag auf Aufnahme oder Streichung gestellt werden (vgl dazu, dass nicht nur Wählerevidenzen, sondern auch Wählerverzeichnisse von Art141 Abs1 liti B-VG erfasst sind: VfGH 23.2.2015, E158/2015).

7.       Bei Verfahren betreffend die Anfechtung von Wahlen gemäß Art141 Abs1 lita B-VG sowie mit einer Wahl nach Art141 Abs1 lita B-VG in Zusammenhang stehenden Verfahren betreffend Wählerevidenzen gemäß liti leg.cit. sind die sachlichen Voraussetzungen somit anders gelagert als bei Verfahren nach der ZPO. Die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sind daher – anders als bei Verfahren nach Art144 B-VG oder (Partei-)Anträgen nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG (oder Art139 Abs1 Z4 B-VG) – nicht sinngemäß anwendbar.

III.    Ergebnis

1.       Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher zurückzuweisen.

2.       Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Wahlanfechtung, VfGH / Wiedereinsetzung, Wahlen, Landwirtschaftskammern, Wirtschaftskammern

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:WIV6.2018

Zuletzt aktualisiert am

15.03.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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