TE Vfgh Erkenntnis 1997/3/14 WII-1/96

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Veröffentlicht am 14.03.1997
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Index

L1 Gemeinderecht
L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art117 Abs2
B-VG Art141 Abs1 lite
StGG Art3
Oö GemeindeO 1990 §23 Abs2
Oö GemeindeO 1990 §30 Abs3 litd und Abs4
Oö GemeindeO 1990 §31

Leitsatz

Keine Stattgabe der Anfechtung der bescheidmäßigen Verlustigerklärung des Mandats als Mitglied des Gemeindevorstandes (Bürgermeister); rechtzeitige Beschlußfassung über den eingebrachten Mißtrauensantrag; keine Bedenken gegen Bestimmungen der Oö GemeindeO 1990 über den Ausschluß des vom Mißtrauensantrag Betroffenen von der Antragstellung und von der Abstimmung unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes, des Rechts auf gleiche Zugänglichkeit der öffentlichen Ämter und des passiven Wahlrechts

Spruch

Der Anfechtung wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 12. April 1996 wurde der Anfechtungswerber seines Mandates als Mitglied des Gemeindevorstandes (Bürgermeister) der Gemeinde Reichenau im Mühlkreis für verlustig erklärt.

Dieser Bescheid, der sich auf §30 Abs3 litd und Abs4 sowie §31 iVm §23 Abs2 der O.ö. Gemeindeordnung 1990, LGBl. 91, in der Fassung LGBl. 5/1992, (im folgenden O.ö. GemO 1990) stützt, wurde im wesentlichen wie folgt begründet:

"Herr H.P. wurde bei der am 6. Oktober 1991 stattgefundenen Wahl des Gemeinderates der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis auf der Liste der Österreichischen Volkspartei in den Gemeinderat und in dessen konstituierender Sitzung am 25. Oktober 1991 zum Bürgermeister der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis gewählt.

Mit einem beim Gemeindeamt der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis am 17. März 1995 eingelangten Schreiben haben 8 der 13 Gemeinderatsmitglieder des Gemeinderates der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis gegen Bürgermeister H.P. einen Mißtrauensantrag eingebracht. In der Gemeinderatssitzung am 14. Dezember 1995 wurde von den Mitgliedern des Gemeinderates über den Mißtrauensantrag in geheimer Abstimmung Beschluß gefaßt, wobei von den 12 abgegebenen Stimmen 8 für die Annahme des Mißtrauensantrages stimmten.

...

Gemäß §31 Abs1 O.ö. GemO. 1990 können der Bürgermeister, die Vizebürgermeister und die übrigen Vorstandsmitglieder von ihrem Mandat im Gemeindevorstand auf Grund eines Mißtrauensantrages abberufen werden. Der Mißtrauensantrag kann gemäß §31 Abs2 O.ö. GemO. l990 von jenen Mitgliedern des Gemeinderates gestellt werden, die bei der Wahl des betreffenden Mitgliedes des Gemeindevorstandes stimmberechtigt waren. Ist ein solches Mitglied verhindert oder inzwischen ausgeschieden, so ist an seiner Stelle das Ersatzmitglied bzw. das nachberufene Mitglied antragsberechtigt. Der Mißtrauensantrag ist schriftlich einzubringen und zu begründen; er ist gültig, wenn er von wenigstens zwei Drittel der Antragsberechtigten unterschrieben ist. Das Mitglied des Gemeindevorstandes, auf das sich der Antrag bezieht, ist weder antrags- noch unterschriftsberechtigt. Über einen nach den vorstehenden Bestimmungen gültig eingebrachten Mißtrauensantrag ist gemäß §31 Abs3 O.ö. GemO. 1990 in der nächsten Sitzung des Gemeinderates, die spätestens binnen 8 Wochen anzuberaumen ist, in geheimer Abstimmung Beschluß zu fassen. Für diesen Beschluß ist die Mehrheit von zwei Drittel der Stimmberechtigten erforderlich. Hiebei sind jene Mitglieder des Gemeinderates stimmberechtigt, die gemäß §31 Abs2 O.ö. GemO. 1990 zur Stellung des Mißtrauensantrages berufen sind.

Den Verlust des Mandates eines Mitgliedes des Gemeindevorstandes hat gemäß §31 sowie §30 Abs3 litd und Abs4 i.V.m. §23 Abs2 O.ö. GemO. 1990 die Landesregierung in einem von Amts wegen abzuführenden Verfahren mit Bescheid auszusprechen.

Die Ermittlungen, ob im vorliegenden Fall der Mandatsverlusttatbestand nach §31 i.V.m. §30 Abs3 litd O.ö. GemO. 1990 erfüllt ist, haben folgendes ergeben:

8 der 13 Mitglieder des Gemeinderates der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis haben am 17. März 1995 einen schriftlichen Mißtrauensantrag eingebracht. Die Unterzeichner des Mißtrauensantrages setzten sich als Begründung mit der Geschäftsführung des Bürgermeisters auseinander und führten im wesentlichen aus, daß auf Grund dieser angeführten Vorfälle und Umstände keine Vertrauensbasis mehr gegeben sei. Da der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis aus 13 Gemeinderatsmitgliedern besteht, von denen somit gemäß §31 Abs2, letzter Satz, O.ö. GemO. 1990 12 antrags- und unterschriftsberechtigt sind, erhält der Mißtrauensantrag die nötige Anzahl von Unterschriften. Der Mißtrauensantrag vom 17. März 1995 ist daher ein gültiger Mißtrauensantrag im Sinne des §31 Abs2 O.ö. GemO. 1990.

Der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis hat sich zunächst in der Gemeinderatssitzung am 28. April 1995 mit dem gegen den Bürgermeister eingebrachten Mißtrauensantrag befaßt. Daß es sich hiebei um die nächste Sitzung des Gemeinderates nach Einbringen des Mißtrauensantrages handelte, ist aus der auszugsweisen Verhandlungsschrift über die Sitzung des Gemeinderates ersichtlich. In dieser Gemeinderatssitzung wurde allerdings nicht über den eingebrachten Mißtrauensantrag Beschluß gefaßt, sondern die Absetzung des Tagesordnungspunktes beschlossen. Auf eine betreffende Anfrage der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis vom 13. Juli 1995 ..., ob dieser Beschluß zulässig war, wurde der Marktgemeinde mit h. Schreiben vom 21. September 1995 ... mitgeteilt, daß der Gemeinderat der Gemeinde Reichenau im Mühlkreis mit dem Beschluß, den Mißtrauensantrag abzusetzen, der gesetzlichen Bestimmung des §31 Abs3 O.ö. GemO. 1990 nicht entsprochen habe, die eine Beschlußfassung über einen gültig eingebrachten Mißtrauensantrag in der nächsten Sitzung des Gemeinderates verlangt. Gleichzeitig wurde der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis aufgefordert, über den gegen den Bürgermeister eingebrachten Mißtrauensantrag in der nächsten Sitzung des Gemeinderates zu entscheiden. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis hat daraufhin in der Sitzung am 14. Dezember 1995 in geheimer Abstimmung über den Mißtrauensantrag Beschluß gefaßt. An der Abstimmung, die geheim mit Stimmzetteln vorgenommen wurde, haben 12 Mitglieder, somit sämtliche stimmberechtigte Gemeinderatsmitglieder, teilgenommen. Die Abstimmung ergab 8 Stimmen für die Annahme des Mißtrauensantrages. Der Mißtrauensantrag ist somit in der Gemeinderatssitzung am 14. Dezember 1995 mit der gemäß §31 Abs3 O.ö. GemO. 1990 erforderlichen Mehrheit der Stimmberechtigten angenommen (beschlossen) worden.

Mit h. Schreiben vom 14. Februar 1996 ... wurde Herrn H.P. Gelegenheit gegeben, zu diesem Sachverhalt binnen 4 Wochen eine Äußerung abzugeben. Innerhalb offener Frist nahm Herr H.P. zu den einzelnen Punkten des Mißtrauensantrages eingehend Stellung. Im besonderen führte er aus, daß allein durch den Hinweis, daß eine Begründungspflicht bestehe, impliziert werde, daß eine Begründung im weitesten Sinn für den Mißtrauensantrag vorliegen müsse und es sich nicht ausschließlich um eine rein politische Willensäußerung des Gemeinderates handeln könne. Der gegen ihn gerichtete Mißtrauensantrag sei zwar formell mit einer Begründung versehen, aus der gegenständlichen Stellungnahme ergäbe sich allerdings, daß diesen im Mißtrauensantrag angeführten Gründen keinerlei sachliche Substanz zukomme. Es ergäbe sich daher aus seiner Stellungnahme samt den beigeschlossenen Urkunden, daß von einer Begründung im Sinne des §31 Abs2 der O.ö. Gemeindeordnung keine Rede sein könne. Aus den objektiven Unterlagen sei abzuleiten, daß der Mißtrauensantrag unbegründet und daher in dieser Form rechtswidrig ist. Ein nicht begründeter Mißtrauensantrag hätte daher in der entsprechenden Form gar nicht behandelt werden dürfen.

Im übrigen sei bei der Sitzung davon ausgegangen worden, daß er bei dieser Abstimmung nicht stimmberechtigt war. Diese Rechtsansicht sei unrichtig. Gehe man nämlich davon aus, daß es sich bei der Abberufung im Sinne des §3l O.ö. GemO. 1990 um einen politischen Willensakt des Kollegialorganes handle, müsse für die Abberufung dasselbe gelten, was für die Wahl Gültigkeit habe. Es sei in keiner Bestimmung der O.ö. Gemeindeordnung festgehalten, daß bei der Wahl zum Bürgermeister der vorgeschlagene Gemeinderat nicht stimmberechtigt wäre. Wenn also der Bürgermeister bei seiner eigenen aktiven Wahl stimmberechtigt sei, müsse er bei der Abberufung ebenfalls stimmberechtigt sein. Dies ergäbe sich im übrigen auch aus der Bestimmung des §31 Abs2 letzter Satz, wonach das Mitglied des Gemeindevorstandes, auf das sich der Antrag bezieht, weder antrags- noch unterschriftsberechtigt ist. Wenn dieses Mitglied des Gemeindevorstandes (in dem Fall der Bürgermeister) nicht stimmberechtigt gewesen wäre, müßte dies der Gesetzgeber ausdrücklich anführen. Es sei daher davon auszugehen, daß inklusive seiner Person 13 stimmberechtigte Mitglieder bei der Gemeinderatssitzung am 14. Dezember 1995 anwesend waren. Da gemäß §31 Abs3 O.ö. GemO. 1990 für den Beschluß die Mehrheit von zwei Drittel der Stimmberechtigten erforderlich ist, wäre es notwendig gewesen, ein Quorum von 9 Stimmen für den Mißtrauensantrag zu erhalten.

Hiezu ist folgendes festzustellen:

Gemäß §30 Abs4 i.V.m. §23 Abs2 O.ö. GemO. 1990 tritt der Mandatsverlust durch Abberufung nicht mit dem Beschluß über die Annahme des Mißtrauensantrages ein, sondern erst, sobald er vom Verfassungsgerichtshof oder durch Bescheid der Landesregierung ausgesprochen wird. Es obliegt der Landesregierung hiebei lediglich zu untersuchen, ob sowohl der Mißtrauensantrag als auch der darüber im Gemeinderat gefaßte Beschluß entsprechend den dafür maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen zustande gekommen ist. Ist der die Abberufung zum Inhalt habende Beschluß des Gemeinderates gesetzmäßig zustande gekommen, so ist eine weitere inhaltliche Überprüfung durch die Landesregierung gesetzlich nicht vorgesehen.

Wie auch Herr P. in seiner Stellungnahme ausführt, kann der Mißtrauensantrag gemäß §31 Abs2 OÖ GemO. 1990 von jenen Mitgliedern des Gemeinderates gestellt werden, die bei der Wahl des betreffenden Mitgliedes des Gemeindevorstandes stimmberechtigt waren. Ist ein solches Mitglied verhindert oder inzwischen ausgeschieden, so ist an seiner Stelle das Ersatzmitglied bzw. das nachberufene Mitglied antragsberechtigt. Der Mißtrauensantrag ist schriftlich einzubringen und zu begründen; er ist gültig, wenn er von wenigstens zwei Drittel der Antragsberechtigten unterschrieben ist. Das Mitglied des Gemeindevorstandes, auf das sich der Antrag bezieht, ist weder antrags- noch unterschriftsberechtigt. Über einen nach den vorstehenden Bestimmungen gültig eingebrachten Mißtrauensantrag ist gemäß Abs3 leg.cit. in der nächsten Sitzung des Gemeinderates, die spätestens binnen 8 Wochen anzuberaumen ist, in geheimer Abstimmung Beschluß zu fassen. Für diesen Beschluß ist die Mehrheit von zwei Drittel der Stimmberechtigten erforderlich. Hiebei sind jene Mitglieder des Gemeinderates stimmberechtigt, die gemäß Abs2 zur Stellung des Mißtrauensantrages berufen sind.

Der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis besteht aus 13 Mitgliedern. Der gegen den Bürgermeister am 17. März 1995 eingebrachte Mißtrauensantrag ist gültig, weil er schriftlich eingebracht wurde und begründet ist und von zwei Drittel der Antragsberechtigten unterschrieben ist (der Bürgermeister war, da sich der Antrag auf ihn bezog, weder antrags- noch unterschriftsberechtigt). Über den eingebrachten Mißtrauensantrag wurde in der Sitzung des Gemeinderates der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis am 14. Dezember 1994 in geheimer Abstimmung Beschluß gefaßt. Stimmberechtigt bei diesem Mißtrauensantrag waren gemäß §31 Abs3 die Mitglieder des Gemeinderates, die gemäß Abs2 zur Stellung eines Mißtrauensantrages berufen sind, somit alle Gemeinderatsmitglieder mit Ausnahme des Mitgliedes des Gemeindevorstandes, auf das sich der Antrag bezog. Da somit 12 Gemeinderatsmitglieder stimmberechtigt waren und 8 für die Annahme des Antrages stimmten, wurde der eingebrachte Mißtrauensantrag mit der gemäß §31 Abs3 leg.cit. geforderten Mehrheit von zwei Drittel der Stimmberechtigten beschlossen. Somit ist der Mandatsverlusttatbestand der Abberufung nach §31 in Verbindung mit §30 Abs3 litd verwirklicht. Herr H.P. war daher seines Mandates als Mitglied des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis verlustig zu erklären.

Es wird darauf hingewiesen, daß durch den Verlust des Mandates als Mitglied des Gemeindevorstandes das Mandat als Mitglied des Gemeinderates nicht berührt wird."

2. Diesen Bescheid bekämpft der Anfechtungswerber mit der vorliegenden, auf Art141 Abs1 lite B-VG gestützten Anfechtung, mit der die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird. Dies wird im wesentlichen wie folgt begründet:

"Der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis besteht aus 13 Mitgliedern. Der Beschwerdeführer ist gewähltes Gemeinderatsmitglied und gewählter Bürgermeister. Am 17.3.1995 wurde von 8 Mitgliedern des Gemeinderates ein schriftlicher Mißtrauensantrag eingebracht. Die 8 Unterzeichner des Mißtrauensantrages führten als Begründung die Geschäftsführung des Bürgermeisters an, aufgrund diverser geschilderter Vorfälle und Umstände sei keine Vertrauensbasis mehr gegeben.

Der Beschwerdeführer, auf den sich der Antrag bezog, war weder an der Antragseinbringung beteiligt, noch hat er den Antrag unterschrieben.

Gemäß §31 Abs3 OÖ Gemeindeordnung hat der Beschwerdeführer über den in Entsprechung des §31 Abs2 OÖ Gemeindeordnung eingebrachten Mißtrauensantrag binnen 8 Wochen eine Gemeinderatssitzung anberaumt. Er setzte den Mißtrauensantrag zur Beschlußfassung auf die Tagesordnung.

Gleich zu Beginn der Behandlung dieses Tagesordnungspunktes (Tagesordnungspunkt 11) in der Gemeinderatssitzung vom 28.4.1995 meldete sich das Gemeinderatsmitglied und Vizebürgermeister Mag. R. zu Wort und stellte den Antrag, 'der Gemeinderat möge den Mißtrauensantrag von der Tagesordnung absetzen, oder wie dies von der Gemeindeordnung streng formuliert ist'. Über diesen Antrag, den Mißtrauensantrag gegen den Beschwerdeführer abzusetzen, wurde abgestimmt, der Antrag mit 8 Ja-Stimmen gegen 2 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen angenommen. Der Beschwerdeführer hat sich an dieser Abstimmung nicht beteiligt.

   Auf eine Anfrage der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis vom

13.7.1995 ... , ob dieser Beschluß zulässig sei, wurde der

Marktgemeinde mit Schreiben der OÖ Landesregierung vom 21.9.1995

... mitgeteilt, daß dieser Beschluß der Bestimmung des §31 Abs3

OÖ GemO widerspricht. §31 Abs3 OÖ GemO verlange eine Beschlußfassung über einen gültig eingebrachten Mißtrauensantrag in der nächsten Sitzung des Gemeinderates. Die besonderen Verfahrensbestimmungen des §31 OÖ GemO dienten auch dem Schutz gegen übereilte Entscheidungen.

Da der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis über den gegen den Beschwerdeführer eingebrachten Mißtrauensantrag bisher keinen inhaltlichen Beschluß gefaßt habe, sei diese Angelegenheit vom Beschwerdeführer auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Gemeinderates zu setzen. §46 Abs2 OÖ GemO sei in diesem Falle nicht anzuwenden.

Der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis hat daraufhin in der Sitzung vom 14.12.1995 in geheimer Abstimmung über den Mißtrauensantrag vom 17.3.1995 Beschluß gefaßt. An der Abstimmung haben 12 Mitglieder des Gemeinderates teilgenommen. Die Abstimmung ergab 8 Stimmen für die Annahme, 3 Stimmen für die Ablehnung bei einer ungültigen Stimme.

Aufgrund dieses Abstimmungsergebnisses wurde der eingebrachte Mißtrauensantrag als mehrheitlich beschlossen angesehen. Der Beschwerdeführer hat an der Abstimmung nicht teilgenommen.

Mit Schreiben der OÖ Landesregierung vom 14.2.1996 ... wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, zu dem Sachverhalt binnen 4 Wochen eine Äußerung abzugeben. Diese Äußerung hat der Beschwerdeführer erstattet. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12.4.1996 sprach die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer infolge Abberufung seines Mandates als Mitglied des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis verlustig erklärt werde. In der Begründung führt die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß der eingebrachte Mißtrauensantrag gültig war, weil er schriftlich eingebracht wurde und begründet ist und von 2/3 der Antragsberechtigten unterschrieben. Stimmberechtigt bei der geheimen Abstimmung am 14.12.1995 seien gemäß §31 Abs3 OÖ GemO die Mitglieder des Gemeinderates gewesen, die gemäß Abs2 zur Stellung eines Mißtrauensantrages berufen sind, somit alle Gemeinderatsmitglieder mit Ausnahme des Mitgliedes des Gemeinderates, auf das sich der Antrag bezog. Da somit 12 Gemeinderatsmitglieder stimmberechtigt gewesen seien und 8 für die Annahme des Antrages gestimmt hätten, sei der eingebrachte Mißtrauensantrag mit der gemäß §31 Abs3 OÖ GemO geforderten Mehrheit von 2/3 der Stimmberechtigten beschlossen worden. Der Mandatsverlusttatbestand der Abberufung nach §31 i.V.m. §30 Abs3 litd OÖ GemO sei demgemäß verwirklicht.

...

Gemäß §30 Abs4 i.V.m. §23 Abs2 OÖ GemO tritt der Mandatsverlust durch Abberufung nicht mit dem Beschluß über die Annahme des Mißtrauensantrages ein, sondern erst, sobald er durch Bescheid der Landesregierung ausgesprochen wird. Die Landesregierung hat hiebei lediglich zu untersuchen, ob sowohl ein Mißtrauensantrag als auch der darüber im Gemeinderat gefaßte Beschluß entsprechend den dafür maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen zustande gekommen sind.

... Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist dies in concreto nicht der Fall: Gerade unter Zugrundelegung der am Wortlaut klebenden Interpretation durch die belangte Behörde des §31 Abs3 OÖ GemO ist davon auszugehen, daß über den Mißtrauensantrag lediglich in der nächsten Sitzung, sohin in jener vom 28.4.1995, die bis spätestens binnen 8 Wochen nach Einbringung des Mißtrauensantrages anberaumt worden war, hätte abgestimmt und Beschluß gefaßt werden dürfen.

Bei Zugrundelegung der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht, ergibt sich somit, daß diese nur teilweise dem Gesetz entspricht: Sollte es tatsächlich richtig sein, daß über einen eingebrachten Mißtrauensantrag unbedingt 'inhaltlich' entschieden werden müsse, dann kann dies gemäß der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung auch nur in der nächsten, binnen 8 Wochen anzuberaumenden Gemeinderatssitzung erfolgen. Eine Beschlußfassung fast 9 Monate später, in welchen wiederholt Gemeinderatssitzungen stattfanden, entspricht bei strenger Auslegung nicht dem Gesetz.

Die Abstimmung in der Sitzung des Gemeinderates vom 14.12.1995 über den am 17.3.1995 eingebrachten Mißtrauensantrag ist somit ungültig, der Beschluß nicht gesetzmäßig zustande gekommen.

... Tatsächlich wird jedoch davon auszugehen sein, daß die Rechtsansicht der belangten Behörde ohnehin unrichtig ist: Es ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, daß die Abstimmung über die Absetzung eines Tagesordnungspunktes, mag dieser auch einen eingebrachten Mißtrauensantrag betreffen, ungültig ist. Es muß den Gemeinderatsmitgliedern unbenommen bleiben, Tagesordnungspunkte wieder von der Tagesordnung abzusetzen.

Im übrigen ist nicht ersichtlich, wieso eine Abstimmung durch die Gemeinderatsmitglieder, die einen Mißtrauensantrag eingebracht haben, darüber, diesen Mißtrauensantrag von der Tagesordnung abzusetzen, nicht ohnehin eine inhaltliche Abstimmung darstellt. Die Gemeinderatsmitglieder haben unzweideutig und im übrigen mit der von §31 Abs3 i.V.m. §31 Abs2 OÖ GemO geforderten Mehrheit beschlossen, den Mißtrauensantrag abzusetzen, somit nicht zu beschließen.

Es ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, daß diese Vorgangsweise unzulässig ist.

Dagegen kann auch der von der belangten Behörde ins Treffen geführte, von §31 OÖ GemO angeblich bezweckte Schutz gegen übereilte Entscheidungen nicht durchschlagen: Gerade die vorliegende Vorgangsweise der Gemeinderatsmitglieder zeigt, daß sie keine übereilte Entscheidung treffen wollten. Dem angeblichen Schutzzweck von §31 OÖ GemO ist somit voll entsprochen.

Die neuerliche Entscheidung über den Mißtrauensantrag in der Sitzung vom 14.12.1995 war daher unzulässig. Die einzig gesetzmäßige Vorgangsweise wäre gewesen, neuerlich einen gültigen Mißtrauensantrag einzubringen, diesen auf die Tagesordnung einer binnen 8 Wochen anzuberaumenden Gemeinderatssitzung zu setzen und in dieser Gemeinderatssitzung darüber abzustimmen. Da jedoch kein neuerlicher Mißtrauensantrag eingebracht worden ist, erfolgte der Beschluß in der Gemeinderatssitzung vom 14.12.1995 nicht über einen gültig eingebrachten Mißtrauensantrag. Der Beschluß ist daher ungültig.

... Dem angefochtenen Bescheid ist weiters anzulasten, daß er sich auf eine verfassungswidrige gesetzliche Bestimmung stützt:

§31 Abs3 OÖ GemO bestimmt, daß nur jene Mitglieder des Gemeinderates bei der Beschlußfassung über den Mißtrauensantrag stimmberechtigt sind, die gemäß Abs2 leg.cit. zur Stellung des Mißtrauensantrages berufen sind. Gemäß §31 Abs2 der OÖ GemO ist das Mitglied des Gemeindevorstandes, auf das sich der Antrag bezieht, weder antrags- noch unterschriftsberechtigt. Die Bestimmung des §31 Abs2 OÖ GemO ist schon für sich genommen nicht überzeugend, da es wenig praktisch erscheint, daß ein Mitglied des Gemeindevorstandes selbst einen Antrag einbringt oder unterschreibt, mit welchem ihm das Mißtrauen ausgesprochen wird. Die Sinnhaftigkeit dieser Bestimmung mag aber in concreto dahingestellt bleiben.

Sachlich nicht gerechtfertigt ist jedoch das Ergebnis der Verweisung des §31 Abs3 OÖ GemO auf Abs2, woraus sich ergibt, daß das Mitglied des Gemeindevorstandes, gegen welchen der Mißtrauensantrag gerichtet ist, nicht stimmberechtigt ist. Bei der Abberufung im Sinne des §31 OÖ GemO handelt es sich um einen politischen Willensakt des Kollegialorganes. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. WII-1/92, B689/91, Erkenntnis vom 9.6.1992), der ebenfalls davon ausgeht, daß mit der Beschlußfassung über einen Mißtrauensantrag eine politische Entscheidung gefällt wird, die nicht nach den Maßstäben des Verwaltungsverfahrens beurteilt werden kann.

Demgemäß ist jedoch die Parallele zwischen Wahl eines Gemeindevorstandsmitgliedes und seiner Abberufung zu ziehen, da die Abberufung gewissermaßen den contrarius actus zur Wahl darstellt: Es ist jedoch in keiner Bestimmung der OÖ Gemeindeordnung festgehalten, daß der vorgeschlagene Gemeinderat bei der Wahl zum Bürgermeister oder zum Gemeindevorstandsmitglied nicht stimmberechtigt wäre. Wenn der Beschwerdeführer somit bei seiner eigenen aktiven Wahl stimmberechtigt gewesen ist, muß er bei der Abberufung ebenfalls stimmberechtigt sein. Eine sachliche Rechtfertigung für eine Differenzierung bzw. für den Ausschluß des Betroffenen vom Stimmrecht bei der Abberufung ist nicht gegeben.

§31 Abs2 OÖ Gemeindeordnung 1. Satz entspricht dieser Rechtsansicht, da dort ausgeführt wird, daß ein Mißtrauensantrag von jenen Mitgliedern des Gemeinderates gestellt werden kann, die bei der Wahl des betreffenden Mitgliedes des Gemeindevorstandes stimmberechtigt waren. Diesbezüglich gibt es jedoch wie dargelegt keinerlei Bestimmungen, die einen Ausschluß von der Stimmberechtigung normieren.

Der Beschwerdeführer ist durch die zitierte Bestimmung auch tatsächlich in seinen Rechten beeinträchtigt worden, da das Ergebnis der Abstimmung, wenn der Beschwerdeführer mitgestimmt hätte, gewesen wäre, daß die gemäß §31 Abs3 OÖ GemO erforderliche Mehrheit nicht erreicht worden wäre: Unter Hinzuzählung der Stimme des Beschwerdeführers hätte es 13 Stimmberechtigte gegeben. Eine Mehrheit von 8 Stimmen für den Mißtrauensantrag bzw. für die Abberufung des Beschwerdeführers hätte daher nicht ausgereicht, da nicht die gemäß §31 Abs3 OÖ GemO geforderte Mehrheit von 2/3 der Stimmberechtigten erzielt worden wäre.

Durch die Bestimmung des §31 Abs3 i.V.m. §31 Abs2 OÖ GemO wurde der Beschwerdeführer daher in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz gem. Art2 StGG und auf gleiche Zugänglichkeit zu öffentlichen Ämtern gem. Art3 StGG verletzt. Darüber hinaus liegt ein unzulässiger Eingriff in das freie und gleiche dem Beschwerdeführer zustehende Wahlrecht im Sinne der Art26 und 117 Abs6 B-VG und des Art8 StV von Wien vor."

3. Der Gemeinderat der Gemeinde Reichenau im Mühlkreis hat dazu wie folgt Stellung genommen:

"Der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau ersucht um vordringliche Entscheidung in der Rechtssache 'Anfechtung des Bescheides des Amtes der OÖ Landesregierung vom 6. April 1996, ...', mit dem die Abberufung von Bürgermeister H.P. bestätigt wurde.

Die wesentlichsten Gründe, die zur Abberufung von Bürgermeister H.P. führten, wurden im Mißtrauensantrag vom 14. Dezember 1995 beispielhaft dargestellt.

Ergänzend dazu wird ausgeführt, daß die sehr schwierige Finanzlage der Marktgemeinde Reichenau eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Bürgermeister und Gemeinderat erfordern würde. Einige wichtige Vorhaben wie z.B. die Erweiterung der Wasserversorgungsanlage, der Kanalbau, Fragen der örtlichen Raumordnung und die Schaffung von Siedlungsraum harren dringend einer weiteren Bearbeitung, sind aber immer wieder Verzögerungen ausgesetzt, da zwischen dem Bürgermeister und dem Gemeinderat keine Vertrauensbasis mehr gegeben ist.

An zukunftsorientierte und für die weitere Entwicklung des Ortes wichtige Planungen ist im Augenblick nicht einmal zu denken. Dabei kündigt sich im Gemeindegebiet auf Grund der Nähe zur Landeshauptstadt Linz gerade jetzt eine verstärkte Siedlungstätigkeit an, die vorausblickende Planungen notwendig macht, um nicht wiedergutzumachende Fehler in der Raumplanung zu vermeiden.

Wir bitten Sie daher höflich, unsere Bemühungen durch eine rasche Entscheidung der Rechtssache zu unterstützen, damit der Gemeinderat wieder Rahmenbedingungen vorfindet, die eine konstruktive Gemeindearbeit zum Wohle der Reichenauer Bevölkerung ermöglichen.

Der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mkr. hat in seiner Sitzung am 13. August 1996 die Abfassung und Abfertigung dieser Stellungnahme beschlossen."

4. Die Oberösterreichische Landesregierung als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Anfechtung als unbegründet abzuweisen. Dies wird im wesentlichen wie folgt begründet:

"Gegen den Bürgermeister der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis wurde am 17. März 1995 von acht der dreizehn Mitglieder des Gemeinderates ein schriftlicher Mißtrauensantrag eingebracht. Der Mißtrauensantrag wurde schriftlich eingebracht und war damit begründet, daß '... keine Vertrauensbasis mehr gegeben sei'. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis hat sich zunächst in der Gemeinderatssitzung am 28. April 1995 mit dem gegen den Bürgermeister eingebrachten Mißtrauensantrag befaßt. Daß es sich hiebei um die nächste Sitzung des Gemeinderates nach Einbringen des Mißtrauensantrages handelte, ist aus der auszugsweisen Verhandlungsschrift über die Sitzung des Gemeinderates ersichtlich. In dieser Gemeinderatssitzung wurde allerdings nicht über den eingebrachten Mißtrauensantrag Beschluß gefaßt, sondern die Absetzung des Tagesordnungspunktes beschlossen. Auf eine betreffende Anfrage der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis vom 13. Juli 1995 ..., ob dieser Beschluß zulässig war, wurde die Marktgemeinde mit Schreiben vom 21. September 1995 ... hingewiesen, daß der Gemeinderat der Gemeinde Reichenau im Mühlkreis mit dem Beschluß, den Mißtrauensantrag abzusetzen, der gesetzlichen Bestimmung des §31 Abs3 O.ö. GemO. 1990 nicht entsprochen habe, die eine Beschlußfassung über einen gültig eingebrachten Mißtrauensantrag in der nächsten Sitzung des Gemeinderates verlangt. Gleichzeitig wurde der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis aufgefordert, über den gegen den Bürgermeister eingebrachten Mißtrauensantrag in der nächsten Sitzung des Gemeinderates zu entscheiden. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis hat daraufhin in der Sitzung am 14. Dezember 1995 in geheimer Abstimmung über den Mißtrauensantrag Beschluß gefaßt. An der Abstimmung, die geheim mit Stimmzetteln vorgenommen wurde, haben zwölf Mitglieder teilgenommen. Die Abstimmung ergab acht Stimmen für die Annahme des Mißtrauensantrages.

   §31 O.ö. GemO. 1990 übernimmt im wesentlichen den früheren

§60 der Gemeindewahlordnung 1961 (Beilage 218/1965 zum

kurzschriftlichen Bericht des o.ö. Landtages, XIX. GP.). Wegen der vom Gesetzgeber mit dieser Bestimmung verbundenen Absicht kann daher auf den Motivenbericht zu §60 der Gemeindewahlordnung 1961, LGBl. Nr. 14, verwiesen werden: 'Eine derartige Einrichtung (d.h. die Abberufung) hat sich in der Praxis vielfach als erforderlich erwiesen. Oberster Grundsatz hiebei ist, daß die Abberufung vom Mandat eines Mitgliedes des Gemeindevorstandes keinerlei Rückwirkung auf das Mandat eines Mitgliedes des Gemeindeausschusses (jetzt: Gemeinderates) zeitigt.' (Bericht des Ausschusses des o.ö. Landtages für allgemeine innere Angelegenheiten zur Gemeindewahlordnung 1961, Beilage 376/1961, zum kurzschriftlichen Bericht des o.ö. Landtages, XVIII. GP.).

Der Mandatsverlust tritt gemäß §30 Abs4 in Verbindung mit §23 Abs2 O.ö. GemO. 1990 nicht mit dem Beschluß über die Annahme des Mißtrauensantrages ein, sondern erst, sobald er vom Verfassungsgerichtshof oder durch Bescheid der Landesregierung ausgesprochen wird. Der oben schon angeführte Bericht des Ausschusses für allgemeine innere Angelegenheiten zur Gemeindewahlordnung 1961 weist dazu auf folgendes hin: 'Die Landesregierung ist dabei an den Beschluß des Gemeindeausschusses (Gemeinderates) gebunden, sofern dieser gesetzmäßig zustande gekommen ist.'

Bei der Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Zustandekommens des Gemeinderatsbeschlusses ist die Landesregierung an die im Gesetz normierten Bestimmungen ('Einbringung des Mißtrauensantrages von jenen Mitgliedern des Gemeinderates, die bei der Wahl des betreffenden Mitgliedes des Gemeindevorstandes stimmberechtigt waren, Schriftlichkeit, Begründung, entsprechende Anzahl der Unterschriften, geheime Abstimmung und qualifizierte Mehrheit der Stimmberechtigten sowie Beschlußfassung in der nächsten Sitzung des Gemeinderates, die spätestens binnen acht Wochen anzuberaumen war') gebunden. Während die oben genannten ersten sechs Voraussetzungen für den Mandatsverlust nach h. Ansicht streng formal zu werten sind und erst einen Mandatsverlusttatbestand begründen, handelt es sich nach h. Ansicht bei der Bestimmung, daß über den gültig eingebrachten Mißtrauensantrag in der nächsten Sitzung des Gemeinderates, die binnen acht Wochen anzuberaumen ist, zu beschließen ist, um eine Verfahrensbestimmung, die den Ablauf in der Gemeinde zu regeln hat. Das h. Amt ist bei der bereits oben zitierten Rechtsauskunft an die Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis vom 13. Juli 1995 ... daher auch davon ausgegangen, daß sich der Gemeinderat mit einem gültig eingebrachten Mißtrauensantrag jedenfalls inhaltlich auseinanderzusetzen hat, d.h. zu beschließen hat, ob er den Mißtrauensantrag annimmt oder ablehnt. Von dieser inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Mißtrauensantrag unterscheidet sich die (im konkreten Fall nicht zulässige) Absetzung des Tagesordnungspunktes 'Mißtrauensantrag gegen den Bürgermeister' von der Tagesordnung. Beim Antrag auf Absetzung eines Gegenstandes von der Tagesordnung handelte es sich nach h. Ansicht ebenso wie beim Antrag auf Vertagung um Geschäftsanträge, die im übrigen keiner qualifizierten Mehrheit bedürfen. (Vergleiche auch §12 Abs2 litd der Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Reichenau im Mühlkreis vom 20. März 1992, mit der eine Geschäftsordnung für die Kollegialorgane dieser Gemeinde erlassen wurde.) Maßgebend für die Entscheidung des h. Amtes, daß der Beschluß über die Vertagung - somit den eingebrachten Mißtrauensantrag in der dafür gesetzlich vorgeschriebenen Sitzung nicht zu behandeln - einen Beschluß über diesen eingebrachten Mißtrauensantrag nicht für immer hindern kann, war die Überlegung, daß sonst z.B. ein Bürgermeister durch die Festsetzung der Tagesordnung bzw. die Planung der Gemeinderatssitzungen seine Abberufung und vor allem eine Mehrheitsfraktion (sanktionslos) mit ihrer Mehrheit mittels des Geschäftsantrages 'Vertagung' den qualifizierten Beschluß einer Minderheitsfraktion, über die Abberufung eines ihrer Vorstandsmitglieder verhindern könnte.

Neben dem allgemeinen Vertretungskörper Gemeinderat bilden der Gemeindevorstand und der Bürgermeister die beiden anderen Gemeindeorgane, deren Einrichtung die Bundesverfassung in Artikel 117 Abs1 litb und c B-VG obligatorisch vorschreibt. Die Verwirklichung dieses Verfassungsauftrags obliegt dem Landesgesetzgeber, der auf Grund seiner Kompetenz als Gemeinde(organisations) Gesetzgeber nach Artikel 115 Abs2, erster Satz, B-VG die zur Einrichtung der in Artikel 117 Abs1 litb und c B-VG genannten Gemeindeorgane notwendige Bestimmungen zu schaffen hat. Während der Bundesverfassungsgesetzgeber über die Wahl des Gemeinderates insbesondere in Artikel 117 Abs2 B-VG nähere Bestimmungen getroffen hat, ist der Freiraum, über den die (einfache) Landesgesetzgebung bei der Regelung in der Zusammensetzung und des Kreationsverfahrens für den Gemeindevorstand verfügt, weiter gezogen. Nach der O.ö. Gemeindeordnung 1990 ist für die Wahl des Bürgermeisters und der übrigen Mitglieder des Gemeindevorstandes das Votum der absoluten Mehrheit der anwesenden Stimmberechtigten notwendig, während für die Abberufung eines Bürgermeisters und eines übrigen Mitgliedes des Gemeindevorstandes auf Grund eines Mißtrauensantrages sowohl für den Antrag als auch für die Beschlußfassung eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Da, wie auch der Beschwerdeführer ausführt, es wenig praktisch erscheint, daß ein Mitglied des Gemeindevorstandes selbst einen Antrag einbringt oder unterschreibt, mit welchen ihm das Mißtrauen ausgesprochen wird - ähnlich verhält es sich wohl mit der Beschlußfassung über den Mißtrauensantrag - sieht §31 Abs2 und 3 O.ö. GemO. 1990 somit durchwegs sinnhaft vor, daß Mitglieder des Gemeindevorstandes, auf die sich ein Mißtrauensantrag bezieht, weder antrags- noch unterschriftsberechtigt sind und somit auch bei der Beschlußfassung kein Stimmrecht besitzen. Im übrigen kann im Hinblick darauf, daß einerseits das B-VG dem Landesgesetzgeber weitgehende Freiheit bei der Gesetzgebung bezüglich Wahlen in den Gemeindevorstand läßt und anderseits für die Abberufung eines Gemeindevorstandsmitgliedes in Oberösterreich ohnedies im Unterschied zur Wahl eine qualifizierte Mehrheit notwendig ist, in Anwendung des §31 Abs2 und 3 O.ö. Gemeindeordnung 1990 keine Verletzung von verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten des Beschwerdeführers erblickt werden.

Zusammenfassend ist die belangte Behörde der Ansicht, daß der Beschwerdeführer durch den in Beschwerde gezogenen Bescheid nicht in seinen Rechten verletzt wurde."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß Art141 Abs1 lite B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof unter anderem über die Anfechtung von Bescheiden, durch die der Verlust des Mandates in einem mit der Vollziehung betrauten Organ einer Gemeinde ausgesprochen wurde, soweit in den die Wahlen regelnden Bundes- oder Landesgesetzen die Erklärung des Mandatsverlustes durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde vorgesehen ist.

Diese Voraussetzungen treffen hier insoweit zu, als der Anfechtungswerber mit dem bekämpften Bescheid gemäß §30 Abs3 litd und Abs4 iVm §23 Abs2 O.ö. GemO 1990 seines Mandates als Mitglied des Gemeindevorstandes (Bürgermeister) der Gemeinde Reichenau im Mühlkreis verlustig erklärt wurde (vgl. auch VfSlg. 7678/1975, 13060/1992).

2. Nach §71a Abs1 VerfGG 1953 kann die Anfechtung des Bescheides einer Verwaltungsbehörde, mit dem u.a. der Verlust der Funktion in einem Gemeindevorstand ausgesprochen wird, nur nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides erhoben werden.

Die Anfechtung ist rechtzeitig erhoben worden.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Anfechtung zulässig.

3. Einer Anfechtung gemäß Art141 Abs1 lite B-VG muß der Verfassungsgerichtshof stattgeben und den angefochtenen Bescheid aufheben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit tatsächlich unterlief (§71a Abs4 VerfGG 1953; s. VfSlg. 2890/1955, 13060/1992). Hiebei hat er die bekämpfte Maßnahme nur innerhalb der durch die Anfechtungserklärung gezogenen Grenzen zu überprüfen (VfSlg. 11732/1988, 12064/1989 uvam. zum Prüfungsumfang bei Wahlanfechtungen).

4.1. Der Sache nach sind für die Entscheidung des vorliegenden Falles vor allem §30 Abs3 litd und Abs4 iVm §23 Abs2 sowie §31 O.ö. GemO 1990 maßgeblich. Diese Bestimmungen lauten:

"§23

Mandatsverlust

...

(2) Den Verlust des Mandates hat die Landesregierung in einem von Amts wegen abzuführenden Verfahren mit Bescheid auszusprechen. Ergeht gemäß Art141 Abs1 litc B-VG ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, so tritt gleichzeitig eine in der gleichen Sache im Sinne dieses Absatzes allenfalls ergangene Entscheidung der Landesregierung außer Kraft; ein bei der Landesregierung anhängiges Verfahren ist einzustellen.

...

§30

Erledigung des Mandates eines Mitgliedes des Gemeindevorstandes

...

(3) Ein Mitglied des Gemeindevorstandes wird seines Mandates verlustig:

...

d) durch Abberufung (§31);

...

(4) Der Verlust des Mandates tritt im Falle des Abs3 lita von Gesetzes wegen ein. In den Fällen des Abs3 litb bis d gilt §23 Abs2 sinngemäß.

§31

Abberufung

(1) Der Bürgermeister, der Vizebürgermeister und die übrigen Vorstandsmitglieder können von ihrem Mandat im Gemeindevorstand auf Grund eines Mißtrauensantrages abberufen werden.

(2) Der Mißtrauensantrag kann von jenen Mitgliedern des Gemeinderates gestellt werden, die bei der Wahl des betreffenden Mitgliedes des Gemeindevorstandes stimmberechtigt waren. Ist ein solches Mitglied verhindert oder inzwischen ausgeschieden, so ist an seiner Stelle das Ersatzmitglied beziehungsweise das nachberufene Mitglied antragsberechtigt. Der Mißtrauensantrag ist schriftlich einzubringen und zu begründen; er ist gültig, wenn er von wenigstens zwei Drittel der Antragsberechtigten unterschrieben ist. Das Mitglied des Gemeindevorstandes, auf das sich der Antrag bezieht, ist weder antrags- noch unterschriftsberechtigt.

(3) Über einen nach den vorstehenden Bestimmungen gültig eingebrachten Mißtrauensantrag ist in der nächsten Sitzung des Gemeinderates, die spätestens binnen acht Wochen anzuberaumen ist, in geheimer Abstimmung Beschluß zu fassen. Für diesen Beschluß ist die Mehrheit von zwei Drittel der Stimmberechtigten erforderlich. Hiebei sind jene Mitglieder des Gemeinderates stimmberechtigt, die gemäß Abs2 zur Stellung des Mißtrauensantrages berufen sind.

(4) Die der Aufsichtsbehörde gegen Mitglieder des Gemeindevorstandes zustehenden Aufsichtsbefugnisse werden durch die vorstehenden Bestimmungen nicht berührt."

4.2. Zum Zusammenhang zwischen dem Beschluß des Gemeinderates über den Mißtrauensantrag und dem Bescheid der Landesregierung betreffend den Mandatsverlust ist im Hinblick auf diese Vorschriften davon auszugehen, daß der Mandatsverlust nicht mit dem Beschluß über die Annahme des Mißtrauensantrages eintritt, sondern erst sobald er von der Landesregierung ausgesprochen wird. Dabei hat die Landesregierung ihrem bescheidmäßigen Ausspruch den Beschluß des Gemeinderates zugrundezulegen. Dies freilich nur dann, wenn dieser Beschluß gesetzmäßig zustande gekommen ist. Andernfalls führt die Gesetzwidrigkeit eines solchen Beschlusses auch zur Rechtswidrigkeit des den Mandatsverlust aussprechenden Bescheides.

5.1. Der Anfechtungswerber hält nun dem bekämpften Bescheid vor allem entgegen, daß der zugrundeliegende Beschluß über den gegen den Anfechtungswerber gerichteten Mißtrauensantrag in der Sitzung des Gemeinderates am 14. Dezember 1995 unzulässig war, weil im Hinblick auf den Wortlaut des §31 Abs3 O.ö. GemO darüber "lediglich in der nächsten Sitzung, sohin in jener vom 28.4.1995, die bis spätestens binnen 8 Wochen nach Einbringung des Mißtrauensantrages anberaumt worden war, hätte abgestimmt und Beschluß gefaßt werden dürfen."

Damit hat der Anfechtungswerber jedoch nicht recht.

5.2. Gemäß §31 Abs3 erster Satz O.ö. GemO 1990 ist über einen "gültig eingebrachten Mißtrauensantrag in der nächsten Sitzung des Gemeinderates, die spätestens binnen acht Wochen anzuberaumen ist, in geheimer Abstimmung Beschluß zu fassen".

Der Verfassungsgerichtshof versteht diese Regelung dahin, daß - um übereilte Beschlüsse in einer derart weitreichenden Frage zu vermeiden - die Beschlußfassung des Gemeinderates über einen Mißtrauensantrag frühestens in der nach dessen Einlangen nächsten Sitzung erfolgen darf.

Dagegen führt weder der Umstand, daß die nächste Sitzung erst nach Ablauf von acht Wochen nach Einlangen des Mißtrauensantrages anberaumt wird, noch der, daß die Beschlußfassung nicht in der nächsten Sitzung, sondern erst in einer der folgenden stattfindet, zur Ungültigkeit des Antrages und demzufolge auch nicht zur Rechtswidrigkeit des in einer darauffolgenden Sitzung beschlossenen Mißtrauensvotums. Für diese Deutung der maßgeblichen Bestimmungen des §31 Abs3 erster Satz O.ö. GemO 1990 spricht vor allem die Erwägung, daß der Gesetzgeber, hätte er die Beschlußfassung über einen solchen Antrag nur in der fristgerecht anberaumten, dem Einlangen des Mißtrauensantrages nächstfolgenden Sitzung zulassen wollen, dieses Erfordernis ausdrücklich geregelt hätte. Weiters ist aber auch noch folgendes zu bedenken: Wollte man die Bestimmung im gegenteiligen Sinn deuten, dann hätte es der Bürgermeister, dem gemäß §§45 Abs1 und 46 Abs1 leg.cit. die Einberufung der Sitzungen des Gemeinderates und die Festsetzung der Tagesordnung obliegt, in der Hand, die rechtmäßige Beschlußfassung, etwa über einen gegen ihn gerichteten Mißtrauensantrag, allein dadurch zu verhindern, daß er die rechtzeitige Einberufung einer Sitzung des Gemeinderates unterläßt.

Im vorliegenden Fall wurde der Mißtrauensantrag in der Sitzung des Gemeinderates am 17. März 1995 eingebracht. Die zur Beschlußfassung darüber vorgesehene nächste Sitzung des Gemeinderates wurde - fristgerecht - für 28. April 1995 anberaumt. Nach Absetzung von der Tagesordnung dieser Sitzung, erfolgte die Beschlußfassung über den Mißtrauensantrag schließlich in der Sitzung des Gemeinderates am 14. Dezember 1995. Die Beschlußfassung war somit im Hinblick auf §31 Abs3 erster Satz O.ö. GemO 1990 rechtmäßig.

6. Auch die vom Anfechtungswerber vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §31 Abs2 letzter Satz iVm Abs3 letzter Satz O.ö. GemO 1990 teilt der Verfassungsgerichtshof nicht. Es bestehen weder unter dem Gesichtspunkt des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatzes, noch des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf gleiche Zugänglichkeit zu öffentlichen Ämtern, noch im Hinblick auf das verfassungsgesetzlich verbürgte (passive) Wahlrecht Bedenken, wenn diese Bestimmung für die Beschlußfassung über einen Mißtrauensantrag vorsieht, daß das Mitglied des Gemeindevorstandes, auf das sich der Antrag bezieht, weder antrags- noch unterschriftsberechtigt und in weiterer Folge auch nicht stimmberechtigt ist.

Der Ausschluß des von einem Mißtrauensantrag Betroffenen von der Antragstellung und von der Abstimmung darüber ist dem mit dem Institut des Mißtrauensvotums offenkundig verfolgten Kontrollzweck durchaus adäquat. Aus der Sicht des Gleichheitssatzes ist eine solche Regelung daher, wenngleich nicht geboten, so doch zulässig. Auch die vom Anfechtungswerber dabei gezogene Parallele zur Wahl der Mitglieder des Gemeindevorstandes führt zu keinem anderen Ergebnis. Dies allein deshalb, weil sich die Wahl der Mitglieder des Gemeindevorstandes von der Abberufung dieser Funktionsträger infolge des Verlustes des Vertrauens einer qualifizierten Mehrheit der Mitglieder des Gemeinderates der Sache nach sehr wohl unterscheidet.

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf gleiche Zugänglichkeit der öffentlichen Ämter (Art3 StGG) ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 11736/1988 uam.) nur in jenen Fällen gegeben, in denen einer Person die Bewerbung um ein öffentliches Amt verweigert wird. Davon kann hier offenkundig keine Rede sein.

Zum Gewährleistungsumfang des verfassungsgesetzlich verbürgten passiven Wahlrechts schließlich sprach der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur aus, daß sich das daraus abgeleitete Recht auf Ausübung des Amtes nur auf den Schutz eines durch Wahl zu einem allgemeinen Vertretungskörper erlangten, nicht hingegen eines von einem solchen Vertretungskörper empfangenen Mandats erstreckt. Das passive Wahlrecht schließt also nicht etwa das Recht ein, als Mitglied des Gemeinderates zum Mitglied des Gemeindevorstandes gewählt zu werden und in dieser (Gemeindevorstands-)Funktion zu verbleiben (s. VfSlg. 3445/1958, 8385/1978, 8990/1980; VfGH 10.6.1991 B1135/90).

7. Da der Verlustigerklärung des Mandates des Anfechtungswerbers die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Anfechtung als unbegründet abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Mandatsverlust, Gemeinderecht, Gemeindevorstand, Bürgermeister, Ämterzugänglichkeit, Wahlen, Wahlrecht passives, Mißtrauensantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:WII1.1996

Dokumentnummer

JFT_10029686_96W0II01_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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